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ОглавлениеCELINA FOX
1 James Christie. Die Bedeutung von Standort,
Werbung und Persönlichkeit
In einer zur Geheimhaltung neigenden Branche mit einem Hang zur Übertreibung lassen sich Mythos und Realität kaum trennen, und umso schwerer lässt sich der Erfolg eines Auktionshauses erklären. Geht es noch dazu um Christie’s, ist die Situation zusätzlich kompliziert, da die historischen Archive im April 1941 durch eine Bombe auf das Firmengebäude in der King Street zerstört wurden. Lediglich ein Satz von Auktionskatalogen mit Anmerkungen blieb erhalten. Außerdem liegen die Anfänge des Gründers James Christie derart im Dunkel, dass man glauben könnte, er habe diese absichtlich verschleiert. Eines ist jedoch klar: Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und er hatte bis zu seinem Tod am 8. November 1803 dem Auktionsgeschäft zu einer neuen Bedeutung verholfen.12
Laut einem kurzen Nachruf im Gentleman’s Magazine wurde er 1730 geboren. Die früheste überlieferte Christie’s-Auktion fand 1760 statt, und Mortimers Verzeichnis Universal Director von 1763 führt unter 22 Auktionatoren »Christie« in der Londoner Oxford Road [heute Street] auf.13 Die erfolgreichsten unter denen, die Kunst auktionierten, waren Abraham Langford, der sein Geschäft in der Great Piazza in Covent Garden hatte, und John Prestage, der Bilder in einem »Great Room« in der Savile Row versteigerte. Der Tod von Prestage 1767, von Langford 1776 und der des führenden Kunsthändlers Dr. Robert Bragge im folgenden Jahr trug dazu bei, Christie den Weg zu ebnen.14
Thomas Gainsborough, James Christie, 1778, Öl auf Leinwand, 126 × 102 cm, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles
Obwohl Christie sein Geschäft immer in der Oxford Street hatte, fand die Versteigerung der Besitztümer einer »Noblen Person (verstorben)« vom 5. bis 9. Dezember 1766 in einem Auktionsraum an der Pall Mall statt. Dass er im folgenden Jahr seine Wohnung und sein Geschäft ganz in die Pall Mall verlegte, ist ein klarer Hinweis auf seine Ambitionen. Diese Straße verband den Haymarket mit der St James’s Street, und damit lag sie in der gesellschaftlichen Geografie der Metropole äußerst günstig. Auf der Südseite befanden sich drei königliche Residenzen: am westlichen Ende der St. James’s Palace, am östlichen das Carlton House und in der Mitte das neuerbaute Cumberland House. Im Haus Nummer 49–50 an der Nordseite hielten in den Räumen von William Almack anfangs die elegantesten Londoner Klubs ihre Treffen ab. Um den Markt zu testen, bevor er seine eigenen Geschäftsräume bezog, richtete Christie seine erste Auktion in einem »Great Room« im Haus Nummer 125 am östlichen Ende nahe dem Haymarket aus. Das Haus war 1765 vom Bibliothekar König Georgs III., Richard Dalton, als Lagerhaus für Druckgrafik gepachtet worden.15 Christie selbst pachtete 1768 Nummer 83–84 zwischen Schomberg House im Westen und Cumberland House im Osten, näher an Almack’s, aber noch immer auf der Südseite.16 Er gab 1000 Pfund für Renovierungsarbeiten aus und errichtete im hinteren Garten einen »geräumigen und luftigen« Auktionssaal, der Ende 1768 fertig war.17 Das Prestige der Pall Mall stieg 1783 erneut, als der Prince of Wales zur Volljährigkeit Carlton House als Geschenk erhielt. Nach einer umfangreichen Renovierung wurde diese Residenz zum Mittelpunkt der feinsten Gesellschaft.18
In der Pall Mall hatte Christie gleichzeitig seinen Finger am Puls der zeitgenössischen Kunstszene. Das erste Treffen der neugegründeten Royal Academy fand im Dezember 1768 dort in Daltons Räumlichkeiten in Nummer 125 statt, ebenfalls die erste Ausstellung im darauffolgenden Sommer. Dalton konnte jedoch die finanzielle Tragfähigkeit des Unternehmens garantieren und verpachtete das Haus 1771 an Christie weiter, mit der vertraglichen Bedingung, dass die jährlichen Ausstellungen der Akademie dort weiterhin stattfinden, was bis 1779 der Fall war. Über 30 Jahre lang nutzte Christie den einen oder den anderen seiner »Great Rooms« an der Pall Mall für Auktionen, so teilte er im März 1795 den Verkauf der Bilder von Sir Joshua Reynolds auf beide Säle auf.19 Zuweilen vermietete er Nummer 125. Auch die Free Society of Artists, die Konkurrenz der Royal Academy, hielt bis 1774 ihre Jahresausstellungen bei Christie in Nummer 83–84 ab. Des Weiteren lebten einige berühmte Künstler in der Gegend, etwa Gainsborough, der von 1774 bis zu seinem Tod 1788 im Westflügel von Schomberg House wohnte. Da Künstler nicht nur Kunst produzieren, sondern damit auch handeln und sammeln, war es von entscheidender Bedeutung, im Mittelpunkt der Kunstszene zu sein. Man glaubt, dass Christie 32 Künstlersammlungen zwischen 1766 und 1803 versteigert hat.20 Künstlern traute man ein besseres Urteil zu, wenn es um die Qualität der zu versteigernden Bilder ging.
Christie reihte sich ein in den ständig zunehmenden Reigen der Attraktionen, die die elegante Gesellschaft des Londoner West End unterhalten wollten. Nach den Siegen im Siebenjährigen Krieg strotzte London vor nie dagewesener Zuversicht. Außer den Theatern, Clubs, Vergnügungsparks und ab 1772 dem neuen Pantheon in der Oxford Street bot die Stadt mehr denn je attraktive Einkaufsmöglichkeiten für Luxusgüter. Kaufmännisch gesinnte Unternehmer wetteiferten darum, den hohen und niedrigen Adel und die aufstrebende Mittelschicht um ihre Geldmittel zu erleichtern, sei es in eigenen Ausstellungsräumen oder in denen der Auktionatoren, zuweilen auch beides. Zu einer Zeit, in der der Einzelhandel mit Luxusgütern noch neu war, Bestandskontrollen in den Kinderschuhen steckten, Liquidität ungewiss und der Bankrott stets nah, erfüllte Christie eine wertvolle Funktion. Seine »Great Rooms« übernahmen die Rolle eines gehobenen Einkaufsoutlets, in dem man Waren erwerben konnte, die nicht mehr auf dem Höhepunkt der Mode waren, aber auch noch nicht vom Hersteller zurückgerufen wurden. Ab 1767 versteigerte er zum Beispiel den Lagerüberschuss verschiedener Porzellanhersteller, darunter Nicholas Sprimonts Chelsea-Porzellan sowie die Chelsea- und Derby-Porzellane seines Nachfolgers William Duesbury, dann 1770, 1771 und 1778 Boultons und Fothergills Vasen mit vergoldeter Bronzemontierung, Kerzenleuchter und Parfümbrenner, »in exquisiter Handwerkskunst und im antiken Stil gefertigt«. Er auktionierte juwelenbesetzte Automaten aus James Cox’ Museum, nachdem dieser 1779 Bankrott gegangen war, 1781 Jasperware und Basaltbüsten von Josiah Wedgwood, nachdem dessen Geschäftspartner Thomas Bentley verstorben war. Neben solch führendenden »Marken« versteigerte Christie aber auch das Inventar aus Firmen, die geschlossen wurden: Gartenornamente aus Steinguss, Schmuck, Geschirr, modische Accessoires, Glas, Hüte und Putzmacherartikel, Tuchwaren, Spitzen und Seide aus Spitalfields.
Christie konnte sich nicht erlauben, bei der Auswahl seiner Kundschaft wählerisch zu sein, und nahm Fahrten zu Auktionen in Vororten und auf dem Land in Kauf, wie zum Beispiel zu der Auktion von lebendem und totem Inventar eines Bauernhofs in Hampshire. Londoner Haushaltsauflösungen fanden meist im West End statt, also in Mayfair, St. James’s, Marylebone und Soho. Wann immer es ihm möglich war, nannte er den Namen eines adeligen Einlieferers. Wohl die größte Versteigerung war eine zwölf Tage dauernde Auktion im Dezember 1775, in der nach dem Tode von Henry Fox, 1. Baron Holland, das Inventar von Holland House in Kensington verkauft wurde. Horace Walpole war von dem Tod so erschüttert, dass er sich nicht in der Lage sah, an der Auktion teilzunehmen.21 Versteigerungen vor Ort von Möbeln, Tafelgeschirr, Porzellan, Weißwäsche, Weinen und dergleichen sind bei Weitem die umfangreichste Kategorie der Kataloge in den Archiven und waren offensichtlich sein Leben lang Christies Tagesgeschäft.
Christie war zwar nur einer von vielen Auktionatoren, die Haushaltsinventare und Lagerbestände verkauften, aber er schien sich bereits Ende der 1770er-Jahre eine marktführende Stellung für Bildverkäufe zu erarbeiten. Nach dem Frieden von Paris stieg die Anzahl der Gemälde, die vor allem aus Italien eingeführt wurden, auf über 1 000 im Jahr.22 Robert Ansell (um 1732–1789) und Robert Strange (1725–1792) gehörten zu den Importeuren, die wiederum Christie mit Ware versorgten. Zum einen belieferte Ansell die Aristokratie mit Bilderrahmen und Möbeln, zum anderen hielt er zwischen 1768 und 1772 jeden Februar bei Christie eine Auktion von Gemälden ab, deren Inhalt als »Einlieferungen aus dem Ausland« beschrieben wurde. Diese Auktionen brachten auch erstmals adelige Käufer zu Christie’s. Ansell war eventuell mit James Ansell verwandt, der 1772 als Trauzeuge bei Christies Heirat auftrat und von Januar 1777 bis Oktober 1784 sein Geschäftspartner war.
Robert Strange war der führende Kupferstecher seiner Zeit. Er veröffentlichte 1769 einen beschreibenden Katalog der Bilder, die er auf seinen Reisen durch Italien und Frankreich erworben hatte und die 1771 und 1773 bei Christie’s versteigert wurden. In der zweiten Auktion wurde Poussins Landschaft mit einem Mann, der von einer Schlange getötet wird für 650 Pfund an Sir Watkin Williams-Wynn zugeschlagen.23 Das letzte Los der Auktion, Claude Lorrains Landschaft mit dem pilgernden Jakob, wurde für 400 Guineen vom Kammerdiener des Earl of Chesterfield, der zu diesem Zeitpunkt im Sterben lag, in dessen Auftrag ersteigert.24 In einem Brief vom 1. Mai 1774 beschrieb Horace Walpole sein Erstaunen angesichts der hohen Auktionspreise: »Einmal abgesehen vom Glücksspiel, das aufgrund Materialmangels ein wenig zurückgeht, sind Bilder die größte Torheit – man verzeihe mir, dass ich sie mit dem Glücksspiel in einem Atemzug erwähne. Letzte Woche wurden die Bilder von Sir George Colebrooke, ein ehrbarer Bürger und Opfer dessen, was man Spekulation nennt, versteigert.«25
Der Erfolg der Anstell- und Strange-Auktionen führte zu einer Reihe von Verkäufen aus dem Nachlass verstorbener ausländischer Granden. Außerdem befanden die Botschafter am Londoner Hof von St. James Christie’s für geeignet, um sich vor der Heimreise ihres Tafelgeschirrs, Porzellans und ihrer Weinkeller zu entledigen. Von 1776 bis 1794 versteigerte die Firma den Besitz von Botschaftern aus Hannover, Spanien, Neapel, Frankreich, Holland (zweimal), Dänemark, Preußen und Schweden.
Christie wurde von Händlern wie Anstell, John Bertels (1727–1792) und Benjamin Vandergucht (1752–1794) mit Bildern beliefert, die sie auf dem Kunstmarkt in Paris oder Antwerpen erworben hatten.26 Der Handel betrieb eine umfangreiche Wiederverwertung, und Christie organisierte zudem Auktionen der Lagerbestände verstorbener Händler.27 Man liest in den Briefen von William Buchanan (1777–1864), wie die Firma eingesetzt wurde, wenn zum Beispiel ein »Paket« italienischer Importe zu einem Zeitpunkt des Jahres an Christie ging, an dem »die Leute haufenweise Geld hatten«. Man lieferte Bilder ein, die vielleicht »nicht so schnell privat zu verkaufen waren«. Die Händler benutzten Christie genau wie die Hersteller von Luxusgütern, um Lagerrestbeständen abzustoßen.28 Doch konnten zuweilen Händlervereinigungen die Preise künstlich niedrig halten. Als Bilder, die der Künstler James Irvine aus Rom importiert hatte, am 24. März 1792 ein Opfer dieser Strategie wurden, klagte er in einem Brief an einen Freund: »Alle sagen, dass sie noch nie zuvor von einer solchen Schurkerei und solch hinterhältigen Machenschaften gehört hätten«.29
Thomas Stewart nach Jean Laurent Mosnier, Chevalier d’Eon, 1792, Öl auf Leinwand, 76,5 × 64 cm, National Portrait Gallery, London
Christie war beileibe nicht der erste Auktionator, der hochwertige Versteigerungen abhielt. Schon bei Bragge waren hoher und niedriger Adel in den späten 1740er- und in den 1750er-Jahren ein- und ausgegangen, ebenso bei Langford, als dieser 1758 die Bilder des verstorbenen Diplomaten Sir Luke Schaub versteigerte.30 Christie zeigte jedoch ein auffallendes Wissen um die Macht der Werbung, und ging so weit, im Juni 1769 einer der 20 ersten Inhaber des politisch den Whigs verbundenen Morning Chronicle zu werden und drei Jahre später Anteilseigner an der den Tories angeschlossenen Morning Post. Seine Vorankündigungen und die Titelseiten seiner Auktionskataloge betonten stets eine erlauchte Provenienz, auch wenn diese anonym blieb. Die Öffentlichkeit konnte ohne Schwierigkeiten die »Persönlichkeit von hohem Rang« identifizieren, deren »herrliche Juwelen, Zierrat, Geschirr, Medaillen aus Silber und Gold, Porzellan usw.« vom 1. bis 3. Februar 1773 versteigert wurden – es war Auguste von Sachsen-Gotha, die verstorbene Prinzessin von Wales (1719–1772). Einige Versteigerungen von Hinterlassenschaften hatten den Reiz des Berühmten oder Berüchtigten, wie beispielsweise die des Schauspielers Samuel Foote 1778, der Bibliothek des Dr. Johnson 1785, des Schmucks der in Bigamie lebenden Herzogin von Kingston, der 1791 die Summe von 7 400 Pfund erbrachte, oder der Bücher und Manuskripte des Transvestiten Chevalier d’Eon im gleichen Jahr. (Die Titelseite des Christie’s Katalogs der letzteren Auktion bezeichnete ihn als die Chevalière D’Eon und verwies auf »ihre« Bibliothek, »Möbelstücke, Schwerter, Zierrat und Juwelen, sowie ganz allgemein ihre vollständige Bekleidung, bestehend aus der Garderobe eines Dragonerkapitäns sowie einer französischen Dame«.31 Eine »besonders kapitale und erstklassige Auswahl wertvoller Juwelen von einzigartiger Qualität, Schönheit und Vollkommenheit« wurde am 19. Februar 1795 versteigert, »vormals im Besitz der Madame La Comtesse DuBarry, verstorben«. Diese waren in Paris gestohlen und nach London geschmuggelt worden, von wo sie bis zur Guillotinierung der Besitzerin nicht wiederbeschafft werden konnten. Sie erbrachten 8.791 Pfund. James Gillray konnte nicht widerstehen, die glanzvollen Vorbesichtigungen solcher Auktionen zu karikieren. A Peep at Christie’s von 1796 zeigt einen kleinwüchsigen Earl of Derby an der Seite seiner ständigen Begleiterin, der Schauspielerin Elizabeth Farren »in der morgendlichen Ausstellung«.32
James Gillray, A Peep at Christies: or Tally-ho & his Nimeney-pimmeney, Taking the morning Lounge, 24 September 1796
Christies Gemäldekataloge im Quart- oder Kanzleiformat waren gespickt mit Superlativen, wie »äußerst kapitale und wertvolle Sammlung ... der gesuchtesten Meister ... im höchsten Zustand der Vollkommenheit« usw. Es folgte zumeist eine einfache Liste von Künstlern und Bildtiteln, bei den Strange-Auktionen wurde das Schema jedoch um eine Einleitung und die Beschreibung der einzelnen Werke durch ihren Besitzer erweitert. Der Auktionskatalog von 1795 für Sir Joshua Reynolds’ Sammlung hatte als Vorwort eine Stellungnahme der Nachlassverwalter, als erster Edmund Burke, der den Geschmack und die Fachkenntnis des Künstlers hervorhob. Wichtige Auktionen wurden auf einen Höhepunkt hin konzipiert. Am Ende wurden die wertvollsten Bilder versteigert, sodass der Mode entsprechend später am Tag Privatkäufer dazukamen.
In seinem Theaterstück Der Kritiker (1779) lässt Sheridans den Stückeschreiber Puff behaupten, dass er als Erster den literarischen Stil der Auktionatoren bereichert habe, was vermuten lässt, dass dies ein neues Phänomen war. »Ich war’s, der ihnen erstmals beibrachte, ihre Anzeigen mit lobpreisenden Superlativen zu füllen, in denen jedes Beiwort das nächste übertrifft, genauso wie die Bieter in ihren eigenen Auktionssälen! Nur von mir lernten sie, in ihre Ausdrucksweise buntschillernde und exotische Metaphern einzufügen; so weckte ich auch ihren Erfindungsgeist.« Zudem war Christie auf dem Auktionatorenpult eloquent und galt als ein Meister des gewandten Plauderei. Eine der ersten Karikaturen von ihm ist 1782 bezeichnet mit dem Titel Eloquenz, oder Der König des Beiworts. Robert Dightons Satire von 1794 nennt ihn den »zungenfertigen Redner«.33 In jüngster Zeit wurde viel Aufhebens um die »rhetorischen Strategien« gemacht, die er in seinen theatralischen Auftritten auf dem Pult einsetzte. Indem er die Fantasie des Publikums anfachte, sich die Welt vorzustellen, aus der die Objekte kamen, soll er ihre Umverteilung legitimiert haben, indem er einen imaginären Wandel der sozialen Identität implizierte.34
Der Journalist und Kritiker John Taylor erinnerte sich: »Er hatte eine interessante und überzeugende Art und war gleichzeitig durch und durch angenehm. Er war sehr lebhaft, und man kann mit Recht sagen, eloquent, wenn er ein Objekt von seinem ›Rostrum‹ aus ankündigte, sowie in seinen gelegentlichen Ausbrüchen von echtem Humor.«35 Seine Erscheinung war hochgewachsen und würdevoll, und er erschien einem Gentleman ähnlich, wenn er nicht sogar ein Gentleman war. Gainsboroughs Porträt seines Nachbarn von der Pall Mall ist auf listige Weise enthüllend. Es entstand 1778 und zeigt Christie, der sich auf ein Landschaftsgemälde des Malers lehnt und dessen Rahmen umfasst. Dabei schaut er verstohlen zur Seite, als überlege er schon, wie er es verkaufen könnte.36
Joseph Faringdon berichtet, dass Christie einen guten Sinn für Winkelzüge hatte, aber nicht gebildet war.37 Auch seine wohlmeinendsten Bewunderer gehen nicht so weit, ihn als Connaisseur zu beschreiben, aber er wusste sich der Kenntnisse anderer zu bedienen, insbesondere von Künstlern. Zwar wurde 1777 die Lizenzierung von Auktionatoren eingeführt, aber die Authentizität eines Kunstwerks war nicht juristisch definiert, es sei denn, man konnte absichtlichen Betrug nachweisen. In den Expertisen der Zeit galt jeweils der Grundsatz des »caveat emptor«, und die Käufer verließen sich eher auf eine illustre Provenienz als auf Kennerschaft. Der Prozess von 1787 um einen falschen Poussin, den Benjamin Vandergucht seinem Händlerkollegen Noel Desenfans verkauft haben soll, zeigt, wie unzuverlässig und mehrdeutig selbst die Fachkenntnis von Künstlern und Kunstexperten vor Gericht war, auch wenn Desenfans letztendlich den Prozess gewann.38
Als der 3. Earl of Orford ihn mit der Schätzung der Sammlung Sir Robert Walpoles beauftragte, um den Verkauf an Katharina II. von Russland vorzubereiten, engagierte Christie den bankrotten Künstler und Grafiker Philip Joseph Tassaert (1732–1803), sowie Giovanni Battista Cipriani und Benjamin West, beides Mitglieder der Royal Academy. Horace Walpole war bitter enttäuscht über den bevorstehenden Verkauf der Sammlung seines Vaters, die er für überbewertet hielt; er zweifelte das Urteilsvermögen der Schätzer an und stellte die Authentizität einiger Werke infrage: »Kurz gesagt, waren die Schätzer entschlossen, sich daran zu orientieren, was die Zarin zahlen konnte, und nicht am wirklichen Wert der Bilder«. Nichtsdestotrotz wurde der Verkauf auf der Basis von Christies Schätzung von 40 555 Pfund vereinbart, auch wenn nicht klar ist, wie viel die Kaiserin am Ende tatsächlich bezahlt hat.39
Im Hinblick auf die großen Gemäldesammlungen, die unmittelbar nach dem Beginn der Französischen Revolution mit oder ohne ihre unglückseligen Besitzer auf den Londoner Markt kamen, ist Christies Erfolg weniger offensichtlich. Die Versteigerung der Bilder von Charles-Alexandre de Calonne fand 1795 bei Skinner und Dyke statt. Den Händlern Noël Desenfans und Michael Bryan waren sie verpfändet worden, um Mittel für Emigranten aufzubringen.40 Der schwer verschuldete Herzog Philippe von Orléans versuchte schon 1790 verzweifelt, seine berühmte Altmeistersammlung in England zu verkaufen, um seine politischen Ambitionen zu finanzieren. Auch Bertels und Vandergucht interessierten sich dafür, während Christie heimlich Tassaert nach Paris schickte. Dieser berichtete, dass Christie bei einem Ankaufspreis von 30 000 bis 40 000 Pfund mit der Sammlung ein Vermögen machen könnte.41 Es wurde jedoch nichts daraus, und 1792 gelang es Thomas Moore Slade, einem Sammler und Spekulanten, die holländischen, flämischen und deutschen Gemälde im Auftrag eines von Lord Kinnaird geleiteten Konsortiums zu erwerben. Zahlreiche Besucher kamen in die Pall Mall Nr. 125, um die Verkaufsausstellung von 259 Bildern zu sehen. Die italienischen und französischen Bilder gingen für 43 000 Pfund über den Londoner Händler Michael Bryan an ein Syndikat, bestehend aus dem 3. Herzog von Bridgwater, seinem Neffen Earl Gower und Gowers Schwager, dem 5. Earl of Carlisle. Christie muss mit den Zähnen geknirscht haben, als die kleineren Bilder praktisch nebenan ausgestellt waren, nämlich vom Dezember 1798 bis Juli 1799 in der Nummer 88. Die größeren Gemälde waren zudem im Lyceum auf dem Strand zu sehen.42
Robert Dighto, The Specious Orator, 1794
Joseph Faringdons Äußerungen zu dieser Zeit lassen vermuten, dass Christie – auch in Anbetracht des Versäumnisses, sich die Sammlungen Calonne und Orléans zu sichern – nicht liquide war.43 Eine Partnerschaft mit William Sharp, einem führenden Diamantenhändler aus dem Bankenviertel, und Thomas Harper, einem Goldschmied und Freimaurer aus der Fleet Street, bestand nur in der kurzen Zeit vom 16. Februar bis zum 20. Mai 1797. Christie konnte jedoch mehrere Sammlungen feinsten französischen Porzellans verkaufen. Im Februar 1797 versteigerte er eine Sammlung französischer und holländischer Altmeister, die der aus Connecticut stammende Künstler John Trumbull von französischen Aristokraten erworben hatte, als er der amerikanischen Gesandtschaft in Paris angegliedert war.44 In der Einleitung des Katalogs bezog man sich auf die Erschütterungen in Frankreich, die Menschen und ihre Besitztümer aus der Bahn geworfen hatten, und vermerkte: »England hatte vielleicht den größten Anteil daran, diese verstreuten Schätze einzusammeln, und indem es einen Zufluchtsort für die bildenden Künste bereitete, schuf es einen unermesslich reichen Handelsplatz.« Es sollte der Firma gelingen, weitere Kunstschätze abzuschöpfen, als der Krieg sich nach Italien ausbreitete.45 Im Jahre 1794 trat Christies ältester Sohn James Christie jun. (1773–1831) erstmals als Auktionator auf. Der in Eton erzogene Altertumskenner übernahm zunehmend eine aktive Rolle im Geschäft. Christie sen. hatte es durch harte Arbeit und energisches Unternehmertum gegründet und aufgebaut und dabei die Chancen genutzt, die ihm eine neue konsumorientierte Gesellschaft bot. Er hatte zumindest den Namen Christie mit den Größen der Zeit, seien es Aristokraten, Prominente, Künstler, Sammler oder Industrielle, in Verbindung gebracht. Sein Vermarktungsgeschick und seine einnehmende Persönlichkeit als Auktionator spielten bei seinem Erfolg eine entscheidende Rolle. Hinzu kam ein Ruf von Rechtschaffenheit, der ihm Seriosität verlieh und es erlaubte, ihn guten Gewissens weiterzuempfehlen. Nun war es an seinem kultivierten und gebildeten Sohn, Christie’s Position als führendes Kunstauktionshaus der Welt zu konsolidieren.