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2. Nachgelagerte Theoriebildung in der Phase der Defensive
ОглавлениеIn der Kommission Ökonomie der Caritas der Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes erfolgten mit den tarifpolitischen Leitlinien2 (am 20. März 2007 durch die Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes beschlossen) und den unternehmenspolitischen Leitlinien3 (am 16. Oktober 2008 durch die Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes beschlossen) zwei erste wichtige Schritte der nachgelagerten Theoriebildung.
Für unsere Betrachtung ist die Leitlinie eins der Tarifpolitischen Leitlinien essentiell. Sie lautet:
„Gerechten Lohn über gerechte Verfahren realisieren: Die Soziallehre der Kirche fordert eine gerechte Entlohnung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dies erfordert ein kollektivrechtlich begründetes Verfahren der Vereinbarung von Vergütungsregelungen. Die Voraussetzungen für einen fairen Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sind nur im Rahmen eines kollektiven Verfahrens gegeben. Ein individuell ausgehandelter Arbeitsvertrag kann dies nicht leisten, weil in der Regel nur eine Minderheit leistungsstarker und am Arbeitsmarkt knapper Arbeitskräfte über hinreichende Verhandlungsmacht in individuellen Aushandlungsprozessen verfügt. Gerade auch die Rücksichtnahme auf schwächere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Vergleichbarkeit der Arbeitsverhältnisse spricht für Kollektivverhandlungen. Um Konflikte in den tariflichen Verhandlungen, die innerhalb der Arbeitsrechtlichen Kommission nicht gelöst werden können, klären zu können, müssen effektive außergerichtliche Streitschlichtungsverfahren entwickelt werden.“
Dies ist die ethische Untermauerung der Position für Tariftreue in der Sozialwirtschaft. Danach ist es im Angebotswettbewerb für den Fall, dass es nicht ohnehin zu einem allgemeinverbindlichen Tarif kommt, zwar denkbar, dass es auch zu einem Wettbewerb über die Tarife der verschiedenen Verbände kommt, es müssen aber fair ausgehandelte Flächentarife sein. Haustarife, die stark von Flächentarifen abweichen, oder gar ausschließlich auf individuellen Arbeitsverträgen beruhende Regelungen haben danach im Angebotswettbewerb der Sozialwirtschaft nichts zu suchen. Diese Forderung hat sich beispielsweise das Bündnis für Tariftreue, in dem sich Ver.di, Caritas und Diakonie sowie das Rote Kreuz in Baden-Württemberg zusammengeschlossen haben, auf die Fahnen geschrieben.
Die unternehmenspolitischen Leitlinien haben zwar den wesentlichen formalen Unterschied zwischen einem frei/gemeinnützigen und privat/gewerblichen Unternehmen herausgearbeitet und umfangreich beschrieben, nämlich, dass Gewinne zwar erzielt, aber niemals ausgeschüttet, sondern immer wieder für Hilfeleistungen in der Zukunft verwendet werden. Der wesentliche Unterschied für die unternehmerischen Zielsysteme wurde allerdings zu wenig beleuchtet.
Zwar müssen alle Unternehmen finanzielle Ziele, Ziele in Bezug auf die Qualität der Hilfeleistung und Ziele in Bezug auf die Sorge um die Mitarbeiter in Einklang bringen, wenn Sie im Angebotswettbewerb bestehen wollen. Der wesentliche Unterschied liegt in einer privatgewerblichen Aktiengesellschaft aber darin, dass letzter Souverän die finanziellen Interessen der Anteilseigner sind, die in der Regel auf Wertsteigerung der Aktie und Ausschüttung angelegt sind. Das bewirkt, dass im Konfliktfall in der Regel den finanziellen Zielen der Vorrang gegeben wird.
Ein caritatives frei/gemeinnütziges Unternehmen ist befreit von Ausschüttungszwängen, steht dafür aber vor der komplexen ethischen Herausforderung, dass im magischen Dreieck die qualitäts- bzw. mitarbeiterbezogenen Ziele nicht einfach finanziellen Zielen untergeordnet werden dürfen, im Extremfall sogar dann, wenn dadurch Wachstums- oder sogar Existenzrisiken zunächst einmal erhöht erscheinen.
Dies hat in den Verbänden der kirchlichen freien Wohlfahrt über fast fünfzehn Jahre zu der massiven Diskussion geführt, wie lange das Gebot der Tariftreue aufrechterhalten werden darf, wenn eine Existenzgefährdung für die Einrichtungsträger droht. Diese Diskussion hat erst abgenommen, seitdem die Wende auf dem Arbeitsmarkt auch die bestandsfördernden Eigenschaften flächentariflicher Regelungen wieder deutlicher zu Tage fördert.