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Schlussbetrachtung

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Können wir nach diesen neuen Erkenntnissen weiterhin Peukerts Auffassung folgen, der die „Krise“ der Weimarer Moderne nicht nur in der Wirtschaftskrise, sondern auch in den sechs Jahren davor verortet? Die kulturellen und wirtschaftlichen Unsicherheiten der späten 1920er Jahre kamen in den miteinander verschränkten Prozessen von Koalitionsbildung und politischer Fragmentierung zweifellos deutlich zum Vorschein und fanden Ausdruck in einer verwirrenden Vielzahl materieller Hoffnungen, einer „Untergangsangst“ und weniger spürbaren, aber gleichermaßen realen „symbolischen Konflikten“.98 Wirtschaftspolitische Vereinbarungen, einschließlich der ehrgeizigen Arbeitslosenversicherung von 1927, gaben der Weimarer Sozialpolitik – wenn auch nur vorübergehend – konkrete Bedeutung, aber sie schufen keine neuen nationalen Visionen in einem pädagogischen oder staatsbürgerlichen Sinne.99 Die parlamentarische Kultur prägte ihre eigenen Regeln und Gebräuche aus, doch sie war nicht in der Lage, rückhaltlosen Respekt und Verständnis bei der Bevölkerung zu gewinnen.100 Direktwahlen trugen das ihre zu den Erwartungen an materielle Lösungen und symbolische Siege bei. Sie folgten einer Logik, die sich von keiner politischen Partei, keiner Bewegung und keiner Koalition kontrollieren ließ. Doch auch sie konnten keine klare, verbindliche Antwort darauf geben, was die Republik wirklich sei, für wen sie existiere und welche Zukunft sie habe.

Betrachtet man die Jahre zwischen 1924 und 1930 als einen eigenständigen, von anderen Perioden unabhängigen Zeitraum, ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Es ist sicher richtig, dass die etablierten Parteien noch keine Antwort darauf gefunden hatten, wie politische Emotionen und Symbolismen innerhalb der parlamentarischen Sphäre eingedämmt werden konnten. Stattdessen sahen sie dabei zu, wie diese in andere Bereiche überschwappten und plebiszitäre Initiativen, Straßengewalt und öffentliche Spektakel beherrschten. Doch immerhin wuchs die Erkenntnis innerhalb der Parteien, dass es sich hier um eine der wichtigsten Herausforderungen der Zeit handelte – und um ein wesentliches Grundprinzip für die Bildung von Koalitionen über enge Parteiinteressen hinaus. Eine gewisse Loyalität gegenüber der Weimarer Verfassung hatte sich bereits ansatzweise etablieren können, obgleich diese eher nach autoritären Lösungen innerhalb verfassungsrechtlicher Grenzen suchte und dabei Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die Vermeidung von Volksentscheiden soweit möglich und die Anwendung von Artikel 48 in Ausnahmefällen in Kauf nahm.101 Die Entscheidung zur Auflösung des Parlaments im Juli 1930 war in diesem Sinne der wirkliche Anfang vom Ende der Weimarer Republik. Nicht nur handelte es sich hier um einen völlig unnötigen Missbrauch der Präsidialmacht. Es wurde damit auch der Versuch aufgegeben, das Desinteresse der Politiker an einer uneigennützigen Koalitionsbildung zu verschleiern. Die unverhüllt antidemokratischen Ambitionen Brünings und seiner Minderheitsregierung standen einem wachsenden Spektrum parlamentarischer und außerparlamentarischer, gesetzestreuer und verfassungsfeindlicher Gegner gegenüber.

Aus dem Englischen übersetzt von Christine Brocks

Aufbruch und Abgründe

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