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2. Franz von Papen und der Anschlag auf die Weimarer Demokratie

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Die Ernennung Franz von Papens zu Brünings Nachfolger am 1. Juni 1932 stellte eine dramatische Zuspitzung im Kampf um Deutschlands republikanische Institutionen und ihre Ablösung durch ein autoritäres Regierungssystem dar. Papen hatte den größten Teil seiner politischen Laufbahn als Hinterbänkler der Zentrumsfraktion im preußischen Landtag verbracht, wo er als Interessenvertreter des katholischen Adels im Rheinland und in Westfalen fungierte. Abgesehen davon, dass er bei der Präsidentschaftswahl 1925 Generalfeldmarschall Hindenburg anstatt seines Parteikollegen Marx unterstützt und damit die Reichsleitung seiner Partei enorm verärgert hatte, war ihm in dieser Funktion wenig Bemerkenswertes gelungen. Als erklärter Kritiker der Zusammenarbeit zwischen Zentrum und SPD in der preußischen Landesregierung hatte von Papen versucht, seine Partei in den Einflussbereich der deutschen Rechten zu ziehen.34 Wäre er nicht schon seit den Tagen des Ersten Weltkriegs ein persönlicher Freund Hindenburgs und Schleichers gewesen, hätte man ihn für die Kanzlerschaft vermutlich nicht einmal in Erwägung gezogen. Schleicher sah aber in Papen jemanden, der nicht nur seine Ansichten über eine Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten teilte, sondern der als Zentrumsmitglied auch seine „Zähmungsstrategie“ mittragen würde. Doch all diese Pläne schlugen fehl. Das Zentrum reagierte auf Papens Ernennung mit einer äußerst kritischen Erklärung, die Brünings Absetzung mit scharfen Worten verurteilte und dem neuen Kabinett, das ohnedies nur eine „Übergangslösung“ sei und nie die anvisierte und versprochene nationale Sammlung würde umsetzen können, eine Absage erteilte. Papen antwortete mit einem offenen Brief an den Zentrumsvorsitzenden Ludwig Kaas, in dem er unter dem Vorwand, sein höchstes Ziel – die „Synthese aller wahrhaft nationalen Kräften“ – sei mit der Mitgliedschaft in einer politischen Partei nicht zu vereinbaren, seinen Rücktritt aus der Partei erklärte.35

Die Situation der Regierung Papen in den ersten Wochen des Juni 1932 verkomplizierte sich noch durch die Weigerung der NSDAP, die mit Schleicher getroffene Abmachung nach der Installierung des neuen Kabinetts einzuhalten. Das neue Kabinett war unter der Voraussetzung einer Übereinkunft sowohl mit dem Zentrum als auch mit den Nationalsozialisten gebildet worden. Die NSDAP-Führung hatte ihre Bereitschaft signalisiert, das Kabinett, wenn schon nicht mit eigenen Ministern aktiv zu unterstützen, so es doch unter drei Bedingungen zumindest tolerieren zu wollen. Hitler forderte erstens die sofortige Auflösung des Reichstags und Neuwahlen, von denen er sich angesichts der wachsenden Popularität seiner Partei einen Wahlerfolg für die NSDAP versprach. Zweitens verlangte er die Aufhebung des Verbots der nationalsozialistischen paramilitärischen Verbände, vor allem der SA, das Reichsinnenminister Wilhelm Groener nach den Wahlen vom April 1932 erlassen hatte. Und schließlich wollte Hitler die Absetzung der preußischen Regierung, die im Landtag nicht mehr über eine absolute Mehrheit verfügte.36 Hitler bei seinem Wort nehmend, schritt die Regierung Papen voran und beraumte Neuwahlen für den Juli an, hob das Verbot der SA auf und entfernte die preußische Regierung mit ihrem Ministerpräsidenten Otto Braun am 20. Juli 1932 aus dem Amt. Dieser letzte Schritt versetzte einer der Säulen der Weimarer Demokratie einen niederschmetternden Schlag und erzeugte in der SPD-Führung große Unsicherheit darüber, wie sie reagieren sollte. Die SPD-Führung war hin- und hergerissen zwischen den Aufrufen zum Handeln vonseiten des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold und der Eisernen Front einerseits und der Besorgnis unter den Führungskräften der sozialistischen Arbeiterbewegung auf der anderen Seite, ihre Mitglieder würden nicht mehr über ausreichende Kräfte und den Willen zur Gegenwehr verfügen wie bei der Niederschlagung des Kapp-Putsches im März 1920. Angesichts der Aussichtslosigkeit dieser Situation tat die SPD schließlich nichts.37

All diese Überlegungen basierten auf der Voraussetzung, die Nationalsozialisten würden sich an die mit Schleicher getroffene Verabredungen halten und entweder dem Kabinett Papens beitreten oder es zumindest mit Entgegenkommen und Anstand behandeln. Doch die NSDAP, die sich mittlerweile mitten im Wahlkampf befand und bei den Neuwahlen zum Reichstag die Mehrheit gewinnen wollte, richtete ihre Propagandamaschine gegen Papen und die „Sozialreaktionäre“ seines Kabinetts. Unter Ausnutzung der durch die sich weiter verschärfende Wirtschaftskrise entstandenen Notlage der Bevölkerung fuhren die Nationalsozialisten einen fulminanten Wahlsieg ein. Sie erhielten fast 14 Millionen Stimmen und konnten 230 Abgeordnete in den neuen Reichstag entsenden.38 Mit dem Wahlergebnis vom 31. Juli 1932 war Schleichers Politik der „Zähmung“ vollends gescheitert. Diese hatte von Anfang an die Existenz einer großen und vereinigten bürgerlichen Partei vorausgesetzt, welche die nationalsozialistische Bewegung hätte kontrollieren und der Agenda der konservativen Eliten unterstellen können. Doch das Ausmaß des Erfolgs der NSDAP und die Dezimierung der nicht katholischen Parteien zwischen Sozialdemokraten und DNVP verhinderte, dass Schleicher und seine Gefolgsleute aus einer Position der Stärke heraus mit Hitler und der NSDAP verhandeln konnten. Sie standen nach den Wahlen schwächer da als zuvor.

Dies zeigte sich deutlich in der ersten Augustwoche bei einem Treffen zwischen Schleicher, Hitler und Gregor Strasser von der NSDAP zur Festlegung der Bedingungen, unter denen die NSDAP bereit sei, der Reichsregierung beizutreten. Hitler erklärte, er und seine Partei gäben sich unter gar keinen Umständen mit weniger als der Kanzlerschaft für ihn selbst und vier Ministerposten zufrieden. Schleicher konterte – wobei unklar blieb, ob er dies ernsthaft oder lediglich ironisch meinte –, er werde dem Reichspräsidenten diesen Plan unterbreiten. Wie erwartet reagierte Hindenburg mit Entrüstung, er werde diesen „böhmischen Gefreiten“ niemals zum Reichskanzler ernennen.39 Die Leidenschaftlichkeit, mit der Hindenburg auf Hitlers Forderungen reagierte, deutet nicht nur auf einen Verlust seines Vertrauens in das politische Urteilsvermögen Schleichers hin, sondern war auch die Grundlage für ein verhängnisvolles Treffen am 13. August zwischen dem Reichspräsidenten und dem NSDAP-Führer unter Beisein des Reichskanzlers. Schleicher und Papen versuchten, Hitler in einigen kurzen Vorbesprechungen von seinen Maximalforderungen abzubringen, allerdings ohne Erfolg. Als Hitler sich im Büro des Reichspräsidenten einfand, verlor Hindenburg keine Zeit und teilte Hitler unumwunden mit, dass das Treffen dessen Hoffnungen auf eine Ernennung zum Reichskanzler nicht erfüllen würde. Brüsk fragte er den NSDAP-Führer, unter welchen Bedingungen seine Partei einer Regierungsbeteiligung zustimmen würde. Hitler erkannte, dass Papen ihn mit dem Versprechen auf die Reichskanzlerschaft in die Irre geführt hatte. und tobte. Er antwortete, seine Partei würde unter keinen Umständen einer Regierung beitreten, die nicht unter seiner Führung stehe. Mit weniger gebe sich der Führer der größten und schlagkräftigsten deutschen Partei nicht zufrieden. Noch auf dem Korridor erging sich Hitler in weiteren Tiraden und bestürmte den Reichskanzler angesichts der Erniedrigung, die er gerade im Beisein des Reichspräsidenten erfahren hatte. Er beharrte kategorisch auf seiner Weigerung, sich Papen oder irgendjemand anderem unterzuordnen.40

Das Debakel vom 13. August bestimmte die Beziehungen zwischen der NSDAP und dem Kabinett Papen in den folgenden drei Monaten. Die Nationalsozialisten verstärkten ihre polemischen Attacken auf Papen und seine Entourage. Am 12. September kam es im Reichstag zu einem Vorfall, der den Reichkanzler vollends öffentlich bloßstellte. Der NSDAP-Reichstagspräsident Hermann Göring eröffnete die Abstimmung über ein von den Kommunisten vorgebrachtes Misstrauensvotum und ignorierte dabei absichtlich von Papens Wortmeldung, obwohl dieser fieberhaft die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versuchte. Der Reichskanzler konnte daher nicht die Verfügung des Reichspräsidenten über die Auflösung des Reichstags bekanntgeben, bevor über den Misstrauensantrag abgestimmt wurde. Dem Antrag wurde mit einer überwältigenden Mehrheit von 512 zu 42 Stimmen stattgegeben, was der gesamten Nation die Unfähigkeit des Reichskanzlers vor Augen führte. Noch wichtiger war aber, dass Hindenburgs Auflösungsverfügung eine spezielle Klausel enthielt, nach der Neuwahlen über die in Artikel 25 der Weimarer Verfassung festgelegten 60 Tage hinaus verschoben wurden. Dies sollte den sozialen und wirtschaftlichen Reformen des Kabinetts Papen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise genug Zeit geben, um ihre Wirkung entfalten zu können, und der Regierung helfen, den Aufstieg des politischen Radikalismus von links und rechts einzudämmen. Ohne dem Reichskanzler entsprechend parlamentarischer Gepflogenheiten noch einmal das Wort zu überlassen, gab Göring die Ablösung der Regierung Papen bekannt.41 Dieses Fiasko war beispiellos in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus.

Die Auflösung des Reichstags am 12. September machte weitere Neuwahlen notwendig, die fünften seit Jahresbeginn. Um seine Position bei den konservativen Wirtschaftseliten und seine Glaubwürdigkeit als Reichskanzler aufzubessern, erließ von Papen eine Reihe von Notverordnungen. Schon Anfang Juli hatte er Artikel 48 zur Kürzung der Arbeitslosenunterstützung um 23 Prozent benutzt, im Vormonat waren größere Einsparungen bei Sozialleistungen und der Nothilfe vorgenommen worden. Darüber hinaus belegte die Regierung die Einkommen aller Gehalts- und Rentenbezieher zur Finanzierung öffentlicher Projekte und des Freiwilligen Arbeitsdiensts mit einer Steuer. Diese Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ging ausschließlich zu Lasten der Arbeiter. Gleichzeitig beschwichtigte von Papen die Industriellen mit der Ankündigung eines Arbeitsbeschaffungsprogramms zur Anregung der Wirtschaft und von Steuerersparnissen für Privatunternehmen. Die für das Beschäftigungsprogramm bereitgestellten Mittel reichten allerdings bei Weitem nicht aus. In manchen Fällen wurden sie den Firmen, die neue Arbeitnehmer einstellten, als Steuerfreibetrag gutgeschrieben. Zur Durchsetzung dieser und ähnlicher Maßnahmen griff die Regierung auf Artikel 48 zurück, was faktisch einen direkten Angriff auf die fiskalische Souveränität der Länder bedeutete und zu einer wesentlichen Komponente des „neuen Staates“ wurde, wie es Walther Schotte, einer der offiziellen Propagandisten Papens, ausdrückte.42 Die treibende Kraft hinter den Plänen der Regierung, die parlamentarische Demokratie durch ein autoritäres Regierungssystem zu ersetzen, das nicht länger den Wechselfällen der Weimarer Parteienpolitik unterlag, war Papens Innenminister Wilhelm Freiherr von Gayl. Er wollte dies durch die Stärkung des Reichspräsidenten erreichen, der unabhängig von der Zustimmung des Parlaments das Recht erhalten sollte, den Reichskanzler und die Kabinettsminister zu bestellen. Entsprechend beabsichtigte Gayl, den Reichsrat in eine Honoratiorenkammer mit auf Lebenszeit berufenen Abgeordneten umzuwandeln und mit absolutem Vetorecht über den Reichstag als Legislative auszustatten. Bis auf die Wiederherstellung der Monarchie implizierte Gayls geplante Revision der Weimarer Verfassung eine vollständige Rückkehr zur politischen Ordnung der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.43

Dieser „Neue Staat“ stand bei den Reichstagswahlen im November 1932 im Zentrum des Regierungswahlkampfes, was den grundsätzlich reaktionären Charakter der politischen Vision Papens bestätigte. Mit dieser Politik hatte der Reichskanzler sich zunehmend von den Überzeugungen und Ansichten eines Großteils der deutschen Bevölkerung entfremdet. Aber auch die Nationalsozialisten standen angesichts der Enttäuschung vieler Mitglieder über Hitlers nicht eingelöste Versprechungen zunächst vor dem Problem, Ordnung und Disziplin in ihren eigenen Reihen aufrechtzuerhalten. Das Wahlergebnis vom 6. November traf Hitler, Goebbels und andere Parteistrategen wie ein Schock. Anstatt einer Fortsetzung des unaufhaltsamen Aufstiegs zur Macht musste die NSDAP den Verlust von mehr als zwei Millionen Wählern hinnehmen. Sie verlor 36 ihrer 232 Sitze und stellte nur noch 196 Reichstagsabgeordnete. Die Verluste gingen hauptsächlich auf Abwanderungen von ländlichen und bürgerlichen Wählern zur DNVP und DVP zurück, die beide einen Teil ihrer durch die NSDAP verursachten Verluste bei den Juliwahlen wieder wettmachen konnten. Die Kommunisten verzeichneten ebenfalls leichte Zugewinne, während das Zentrum, die BVP und andere Parteien aus der Mitte des politischen Spektrums Verluste hinnehmen mussten. Für Hitler und die NSDAP offenbarten die Wahlergebnisse aber eine seltsame Besonderheit, die tiefgreifende Konsequenzen für die nationalsozialistische Strategie zur Eroberung der Macht haben sollte. Die Partei hatte den Durchbruch bei zwei Wählerblöcken verfehlt, die für den nationalsozialistischen Sieg an den Urnen zwingend notwendig waren: die organisierten Arbeiter und die Katholiken. Damit zerschlugen sich die Hoffnungen der Nationalsozialisten auf eine Machtübernahme durch demokratische Wahlen.44 Um die Macht zu gewinnen, mussten sich Hitler und seine Partei mit den deutschen konservativen Eliten arrangieren, die zweifellos ebenso entschlossen wie Hitler waren, die existierende politische Ordnung zu zerstören, aber nicht notwendigerweise die radikaleren Ziele des nationalsozialistischen Parteiprogramms unterstützten.

Papens Verhältnis zu Schleicher war zu diesem Zeitpunkt zunehmend durch Spannungen getrübt. Schleicher hatte in die von ihm orchestrierte Ernennung Papens zum Reichskanzler die Hoffnung gesetzt, der neue Regierungschef könne eine Annäherung an die Nationalsozialisten erreichen, die daraufhin entweder der Regierung beitreten oder diese zumindest tolerieren würden. Diese Hoffnungen zerschlugen sich, als die Nationalsozialisten die mit Schleicher vor Papens Berufung getroffenen Vereinbarungen brachen und den Reichskanzler öffentlich als die Verkörperung der sozialen und politischen Reaktion hinstellten und hart attackierten. Schleicher hatte gehofft, noch etwas von seinen Offerten an die Nationalsozialisten durch das von ihm arrangierte Treffen zwischen Hindenburg und Hitler am 13. August zu retten. Aber auch das endete mit einer weiteren bitteren Schlappe für den Reichskanzler, der Schleicher für das Fiasko verantwortlich machte. Doch Papens blamabler Auftritt im Reichstag am 12. September und die Niederlage, die Göring ihm bei dieser Gelegenheit zufügte, brachten das Fass endgültig zum Überlaufen. Schleicher sah keine andere Wahl, als Neuwahlen nach dem von der Verfassung festgelegten Fahrplan stattfinden zu lassen und die geplante Ausrufung des Ausnahmezustandes aufzuschieben, der die Abhaltung von Neuwahlen über die von der Verfassung vorgeschriebene 60-Tage-Grenze hätte hinausschieben können.

Als weder die Wahlen vom 6. November, noch die nachfolgenden Verhandlungen mit Hitler, Hugenberg und Kaas die seit Papens Kanzlerschaft bestehende politische Pattsituation beenden konnten, wuchs Schleichers Sorge, die Reichswehr könne in einen Bürgerkrieg zwischen links und rechts hineingezogen werden. Er informierte daraufhin den Reichspräsidenten darüber, dass das Militär den Reichskanzler Papen nicht länger unterstützen könne.45 Während dieser Entwicklungen hielt Hindenburg aus Furcht vor einer NSDAP-Diktatur seinen Widerstand gegen die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler hartnäckig aufrecht und unterstützte die Bildung eines Kampfkabinetts unter Papen auf der Grundlage seiner Machtbefugnisse als Reichspräsident, aber ohne die Deckung durch eine parlamentarische Mehrheit. Als Schleicher die Befürchtung äußerte, dies könne zu einem Bürgerkrieg führen, den einzudämmen die Reichswehr außerstande sei, wies der entmutigte Reichspräsident seinen Verteidigungsminister an, als Reichskanzler selbst die Verantwortung zu übernehmen.46 Diese Wendung der Dinge hatte Schleicher weder erwartet noch gewollt. Doch fehlende politische Alternativen und der direkte Befehl Hindenburgs ließen ihm keine andere Wahl, als das Amt des Reichskanzlers anzunehmen.

Aufbruch und Abgründe

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