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Und es hat doch mit dem Islam zu tun

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Kristina Schröder

„Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ – nach einem islamistischen Anschlag hört man diesen Satz immer noch von politisch Verantwortlichen. Ich glaube, dass in dieser Situation kaum ein Satz die Menschen wütender macht (und im Zweifel in die Arme der AfD treibt) als dieser. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Menschen – allzu oft unter dem Ruf „Allahu akbar“ – ermordet werden, und die öffentliche Debatte die tatsächlichen oder vermeintlichen Erfahrungen sozialer oder gesellschaftlicher Marginalisierung von Muslimen als Haupterklärung für die Gewalttaten ins Zentrum rückt. Wird der Islam thematisiert, dann zumeist nicht als Inspiration für die Gewalttaten, sondern als Stigma, das Rechte und Islamhasser allen Muslime anheften, um sich darin legitimiert zu sehen, gegen diese zu hetzen.

Fünfzehn Jahre war ich Mitglied des Deutschen Bundestags, und fast genauso lange habe ich mich in meiner politischen Arbeit mit dem Thema Islam befasst. Genauer gesagt: mit der gesellschaftspolitischen Herausforderung, die sich daraus ergibt, dass mehrere Millionen Menschen in Deutschland Muslime sind. Die bequeme Deutung, dass, bei reiner Betrachtung der Glaubenssätze, Christentum und Islam sich in puncto Gewaltneigung nichts gäben und etwaige Häufungen im Namen des Islams immer auf äußere Faktoren zurückzuführen seien (Die Diskriminierungen! Das Patriarchat! Die Demütigungen durch den Westen! Und natürlich: Die Kreuzzüge!), hat mich dabei nie überzeugt. So salomonisch dieser dogmatische Gleichstand wäre, so eindeutig wird er meines Erachtens durch die Empirie widerlegt. Bei unvoreingenommener Betrachtung ist dies auch nicht verwunderlich: Zwei Religionen, die in derart unterschiedlichen historischen Kontexten entstanden sind, deren Glaubensstifter, Jesus und Mohammed, solch unterschiedliche Persönlichkeiten waren und deren zentrale Glaubenssätze sich derart unterscheiden, sollen dogmatisch in entscheidenden Punkten gleich ticken? Das wäre schon ein bemerkenswerter Zufall.

Meine folgenden zehn Thesen sind daher vor allem ein Plädoyer für Offenheit und Präzision in dieser entscheidenden gesellschaftspolitischen Debatte dazu, welche Herausforderung mit dem Islam für Deutschland einhergehen:

1. Islam ist das, was Muslime daraus machen: „Islam bedeutet Frieden“, werden wir in so manchem Forum des interkulturellen Dialogs belehrt. „Islam bedeutet Krieg“, ist man sich in rechtsradikalen Parteien und Netzwerken sicher. Natürlich sind beide Aussagen in dieser Pauschalität falsch. Wie bei jeder anderen Religion auch gibt es keinen objektiv feststehenden Wesensgehalt eines Glaubens, sondern er wird gelebt – und damit auch immer wieder neu interpretiert von Menschen, die sich selbst als Anhänger dieses Glaubens definieren. Rein empirisch betrachtet stellen wir fest: Einerseits leben viele Muslime ihren Glauben so, dass er mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist, andererseits gibt es aber auch viele Muslime, die ihre Religion auf eine Art und Weise interpretieren, aus der echte Probleme resultieren. Und diese problematische Gruppe ist aktuell weltweit unter den Muslimen wesentlich größer als unter den Christen oder den Anhängern anderer Religionen.

2. Terror ist kein Missbrauch des Islams, sondern eine Interpretation: Insofern ist es auch unsinnig, nach einem Terroranschlag zu beteuern, dieser habe „nichts mit dem Islam zu tun“ oder sei „ein Missbrauch des Islams“. Wenn ein Imam das sagt, kann ich dafür noch Verständnis aufbringen. Es ist die Aufgabe eines Imams, seinen Glauben zu verkünden und damit notwendigerweise immer auch eine bestimme Interpretation dieses Glaubens. Als Staat aber müssen wir leidenschaftslos feststellen: Der säkulare Kemalist hält sich für einen wahren Muslim – der Terrorist auch. Wir werden von staatlicher Seite nicht ex cathedra feststellen können, was denn nun der wahre Islam ist.

3. Der Islam hat sich noch nicht aufgeklärt: Das ist der Kern des Problems. Auch die Geschichte des Christentums ist blutig. Aber seit der Reformation und der Aufklärung entwickelte sich Schritt für Schritt eine Interpretation des Glaubens, die mit den sich gleichzeitig herausbildenden demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Staatswesen komplementär harmonierte und sich gegenseitig befruchtete. Jesus’ Diktum „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ hat dazu vermutlich beigetragen. Diese Entwicklung fehlt, abgesehen von einigen zarten Pflänzlein, insbesondere im Alevitentum, im Islam bis heute.

4. Ein universeller Geltungsanspruch der Scharia ist nicht mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar: Wie der Glaube ist natürlich auch die Scharia, das religiöse Gesetz des Islams, Interpretationssache. Ich beteilige mich an keiner Deutung von Suren. Der Grund dafür ist, dass solche Deutungsfragen außerhalb meines Fachgebiets liegen, und dass sie dafür, worum es geht, keine Rolle spielen: um den Vorrang unserer Grundordnung. Unsere Gesetze, insbesondere unsere Grundwerte, brechen die Scharia: immer und ohne jeglichen kulturellen beziehungsweise religiösen Rabatt. Wie der einzelne Gläubige das umsetzt, ist seine Sache. Vielleicht hat er die Scharia schon immer so interpretiert, dass sie sich problemlos in unsere Werteordnung fügt, vielleicht beschließt er zähneknirschend, auf der Verhaltensebene die eindeutige Priorität unserer Gesetze zu akzeptieren (mehr können wir in einem liberalen Staat nicht verlangen!), vielleicht eignet er sich auch die historisch-kritische Methode der Koraninterpretation an. Egal wie, Hauptsache, die Geltung unserer Gesetze ist eine klare Sache.

5. Das muslimische Verständnis von männlicher Ehre ist auch mit Gewalt verknüpft: Es gibt in muslimisch geprägten Ländern eine starke Vorstellung von männlicher Ehre (und damit direkt verbunden auch von weiblicher Ehre!), die auch mit Gewalt verknüpft ist. „Gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen“ nennt diese Vorstellung der Kriminologe Christian Pfeiffer, der ihre Geltung in empirischen Studien recht gut nachgewiesen hat. Auch Alice Schwarzer hat in diesem Punkt immer glasklar argumentiert. Die bestürzende Naivität der Initiative „#Ausnahmslos“ aus der intersektional-feministischen Ecke, die, unterstützt von der damals amtierenden Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig, nach der Kölner Silvesternacht partout jede Betrachtung einer Korrelation zwischen kulturellem Hintergrund und Gewaltneigung tabuisieren wollte, wurde dadurch noch deutlicher. Ich glaube, dass diese höhere Neigung zu Gewalt der Punkt ist, der den Menschen in der Flüchtlingskrise 2015 die meisten Sorgen bereitet hat und weiterhin bereitet. Mir geht es genauso. Situationen in S-Bahn-Stationen, wie ich sie in Berlin erlebt habe, als eine Gruppe offenkundig nicht deutschstämmiger junger Männer sich lautstark und aggressiv austauschte und dabei Unbeteiligte anpöbelte, als ich meine große Tochter hektisch ermahnte, leise zu sein, meine kleine Tochter auf den Arm nahm und verstohlen den Abstand zur Rolltreppe taxierte, solche Situationen kennt fast jeder. Dass sie mehr werden, in unseren S- und U-Bahnhöfen, in den Innenstädten und auf den Pausenhöfen, das ist auch meine große Sorge.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass Aussagen über statistische Häufungen nicht mit Pauschalurteilen zu verwechseln sind. Da diese Verwechslung allzu oft erfolgt, muss eine statistische Banalität betont werden: Wenn ich zum Beispiel sage, dass junge Männer häufiger gewalttätig werden als ältere Damen, fälle ich damit kein Pauschalurteil über junge Männer. Und natürlich sage ich damit erst recht nicht, dass alle jungen Männer gewalttätig sind. Sondern ich treffe schlicht und einfach eine empirisch gestützte Aussage über Häufigkeiten in zufällig ausgewählten Stichproben von 100 jungen Männern und von 100 älteren Damen. So selbstverständlich, so einfach.

6. Kopftuch und Burka sind Banner des Islamismus: Natürlich habe auch ich schon akademisch gebildete und rhetorisch versierte Musliminnen erlebt, die mir erklärten, dass sie das Kopftuch aus völlig freien Stücken trügen, dass es gar Ausdruck ihrer feministischen Haltung sei. Ganz ehrlich: Vielen dieser Frauen habe ich das geglaubt. Es kam authentisch rüber, und warum sollen sie das nicht subjektiv so empfinden? Bloß: Diese innere Haltung ändert nichts daran, dass diese Frauen objektiv das Banner des radikalen Islams auf ihrem Kopf tragen. Denn genau diese Bedeutung haben das Kopftuch und erst recht die Burka – weltweit. Wenn irgendwo islamistische Despotien entstehen, ist es meist der erste Schritt der neuen Machthaber, die Frauen zu verhüllen. Und nach der Befreiung reißen sich die Frauen oft als erstes ihre Hidschabs, Nikabs oder Burkas vom Leib, wie wir es etwa nach der Befreiung der nordsyrischen Stadt Manbidsch vom IS in bewegenden Bildern verfolgen konnten. Wer in einem freien Land wie Deutschland diese Banner eines radikalen Islams trägt, macht damit eine politische Aussage, ob er will oder nicht. Daher ist das Verbot des Kopftuchs im Staatsdienst richtig und daher sollten wir die noch wesentlich menschenverachtendere Burka in Deutschland, soweit es unsere Verfassung nur irgendwie zulässt, verbieten.

7. Die Einschüchterung durch den Terror funktioniert: Das ist eine bittere Tatsache. Auch ich beteure nach Anschlägen gerne wacker, dass wir unsere Lebensweise nicht verändern werden. Ich fürchte allerdings, dass wir uns da etwas vormachen. Ich sehe praktisch keine Mohammed-Karikaturen mehr. Und ich verstehe jeden gut, der davor zurückschreckt. Nachdem ich 2004 von der islamistischen Zeitung Vakit auf der Titelseite bedroht wurde, weil ich sie wegen übelster antisemitischer Hetzte angezeigt hatte, habe ich mein Verhalten definitiv geändert: Ich habe danach in Interviews meine Worte noch mehr abgewogen, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, ob ich meiner Familie, damals insbesondere meinen Eltern, eine weitere Bedrohungssituation zumuten kann. Wenn wir diesen üblen, aber menschlichen Mechanismus nicht akzeptieren wollen – und das wollen wir hoffentlich nicht! –, wenn wir unsere Lebensweise erhalten wollen, dann gibt es nur einen Weg: Den Terror mit allen Mitteln bekämpfen, und zwar deutlich mutiger und konsequenter als bisher, national und international.

8. Integration bedeutet auch Assimilation: „Integration bedeutet nicht Assimilation“ – ein weiteres Mantra aus der Integrationsdebatte, das schlicht falsch ist. In allen Fragen, die unsere Grundwerte, also die fundamentalen Prinzipien unsers Gemeinwesens, betreffen, müssen wir Anpassung, sprich Assimilation verlangen. Hier wollen wir nichts Neues, um das Bestehende zu schützen. Integration im Sinne der Veränderung von etwas Bestehendem erfolgt in der Arbeitswelt und im täglichen Zusammenleben allein schon dadurch, dass sich auch die Gruppe verändert, wenn Hunderttausende von Zuwanderern sich in eine Gruppe integrieren. Auf der Ebene persönlicher Vorlieben wiederum, insbesondere der Religion, ist sogar – horribile dictu! – Raum für Multikulti. Es gilt also ein Dreiebenen-Modell: Bei den Grundwerten Assimilation, im täglichen Zusammenleben Integration, bei den persönlichen Vorlieben Multikulti. Wie wir das genau abgrenzen – diese Diskussion lohnt wirklich und führt uns zudem weiter!

9. Besser kein Ansprechpartner für den Staat als der falsche: Der deutsche Staat kann nur Ansprechpartner auf muslimischer Seite akzeptieren, die weder islamistisch sind noch von einem anderen Staat gesteuert werden. Davon gibt es allerdings nach wie vor nicht allzu viele: So dominiert im Islamrat die vom Verfassungsschutz beobachtete Millî Görüş, während sich im Zentralrat der Muslime der starke Einfluss der Muslimbruderschaft nicht leugnen lässt und die Ditib, als Weisungsempfänger der türkischen Religionsbehörde in Ankara, zusammen mit der türkischen Regierung immer islamistischer agieren. Leider sind es in Deutschland nicht die liberalen Muslime, die dazu neigen, sich zu organisieren. Entsprechend rar sind muslimische Verbände, die unproblematisch sind. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Alevitische Gemeinde Deutschland, die glasklar auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht und in der Islamkonferenz eine ausgesprochen hilfreiche Rolle gespielt hat. Das Muslimische Forum Deutschland versammelt das „who is who“ des aufgeklärten deutschen Islams, trat in den letzten Jahren allerdings nicht mehr groß in Erscheinung. Aber es ist allemal besser, keine Ansprechpartner zu haben, als dass der Staat die falschen hofiert. Zumal wir verbandsliebenden Deutschen überschätzen, welchen Einfluss diese Organisationen unter den Muslimen tatsächlich haben.

10. Wir brauchen einen aufgeklärten Islam: Der Politik- und Islamwissenschaftler Bassam Tibi forderte bereits Anfang der 1990er-Jahre einen säkularen und aufgeklärten Euro-Islam. Es ist leicht, Tibis Idee als utopisch abzuqualifizieren. Bloß: Wir haben keine andere Chance! Zumindest keine, die ohne einen, wie es Samuel Huntington nannte, „clash of civilizations“ mitten in unseren europäischen Städten auskommt. Was mir Mut macht: Viele deutsche Muslime würden sich vielleicht nicht selbst als aufgeklärte Muslime bezeichnen, aber sie leben de facto genau das: einen säkularen Islam, der sich in unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung einfügt. In den letzten Jahren sind einige Lehrstühle für islamische Theologie an deutschen Universitäten entstanden. Viele, auch ich, hatten die Sorge, dass sie islamistisch okkupiert werden. Aber nein, dort wird wirklich mit den historischen Texten gerungen, dort entstehen Deutungen, an die ein säkularer Islam anknüpfen kann, zum Beispiel am Lehrstuhl von Mouhanad Khorchide an der Universität Münster.

Die 2016 erfolgte Gründung der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee durch die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ateş mag ein Projekt einzelner muslimischer Intellektueller sein. Pionierarbeit ist das auf jeden Fall. Ob aus solchen Anfängen eine starke Bewegung wird? Zumindest scheint mir eines ganz klar zu sein: Nur mit einem aufgeklärteren Islam lässt es sich überhaupt erfolgreich in freiheitlichen Gesellschaften leben. Nicht nur wir Nicht-Muslime haben also keine andere Chance als den Euro-Islam. Das gilt für alle Muslime in Europa mindestens genauso. Solch ein aufgeklärter Islam wäre zudem das beste Gegenmittel gegen Islamismus.

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