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BEGRIFFLICHE KLÄRUNGEN Otto Neumaier Freiheit, Vernunft und Verantwortung

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Der Begriff der Freiheit ist für das europäische Denken der Neuzeit insofern zentral, als er im Mittelpunkt von Überlegungen steht, die für das menschliche Selbstverständnis wesentlich sind, nicht zuletzt von solchen, die unsere Vernunft und Verantwortung betreffen. So wird etwa die autonome Vernunft des Menschen zur Instanz erhoben, die im Gegensatz zu anderen Autoritäten wie Staat oder Kirche allein gerechtfertigt ist zu entscheiden, was wahr bzw. richtig oder gut ist. Da das den Menschen eigene „natürliche Licht“ der Vernunft nicht unbedingt von selbst „leuchtet“, muss es durch Aufklärung „entzündet“ und „gehegt“ werden; diese setzt laut Kant einerseits grundsätzlich den Mut voraus, dass wir uns des eigenen Verstandes bedienen, andererseits aber die Freiheit zum öffentlichen Gebrauch der Vernunft.1 Wer sich daran beteiligen will, verpflichtet sich wiederum zur Einhaltung bestimmter Spielregeln, zu denen neben Widerspruchsfreiheit, begrifflicher Klarheit und der Angabe von Gründen für den eigenen Standpunkt etwa auch das Anhören der Meinungen anderer, das sachliche Prüfen von deren Argumenten und die Bereitschaft zur Änderung der eigenen Ansicht gehört, wenn die Gründe dafür zu schwach sind.

Wie bereits Giovanni Pico della Mirandola bemerkte, sind die Menschen als freie Wesen (die anders als die „übrigen Geschöpfe“, deren Natur „fest bestimmt“ ist, diese „ohne jede Einschränkung und Enge“ nach eigenem Ermessen „selber bestimmen“ können2) indes auch für sich selbst verantwortlich – ebenso wie für andere Wesen, sofern diese von ihrem Handeln betroffen sind. Indem die Menschen im Verlaufe ihrer Entwicklung fähig wurden, frei und vernünftig zu handeln, wurden sie laut Kant „aus dem Mutterschoße der Natur“ entlassen. So sehr diese Entwicklung unserem Selbstverständnis schmeicheln mag, so fordert sie unser Handeln doch auf eine Weise heraus, die andere Tiere nicht kennen: Insofern, als wir zur Natur gehören und mit anderen natürlichen Wesen bestimmte Anlagen (wie z.B. Triebe) gemeinsam haben, ist nämlich „alles gut“ (oder wie wir vielleicht besser sagen sollten: moralisch neutral); insofern, als die Menschen Vernunft entwickelt und sich durch die damit verbundene Freiheit von der übrigen Natur „abgehoben“ haben, kam aber das „Böse“ in die Welt (bzw. – wie wir wiederum differenzierend sagen können – die bewusste Wahl zwischen Gut und Böse, zwischen moralisch richtigem und falschem Handeln).3 Moralische Fragen stellen sich mithin erst für freie Wesen bzw. für solche, die kognitiv so weit entwickelt sind, dass sie sich dessen bewusst werden können, was richtig und was falsch ist.

Solche „Aussichten“ werfen die Frage auf, inwieweit es uns überhaupt möglich ist, das Verfügen über Freiheit und Vernunft als evolutionäre Errungenschaft zu schätzen. Tatsächlich erscheint unsere Einstellung zur Freiheit mitunter problematisch: Insofern, als Freiheit in der Möglichkeit besteht, ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen zu können, sind wir mitunter geneigt, dies so zu verstehen, dass wir nur dann frei sind, wenn unser Tun in keiner Hinsicht beschränkt ist – weder durch Rücksicht auf andere Wesen, die davon betroffen sind, noch durch Erwägungen über die Vemünftigkeit unseres Handelns. Die Erfahrung, dass uns eine so verstandene Freiheit nicht zu Gebote steht, veranlasst manche Menschen zur Annahme, dass Freiheit bloß ein „leerer Wahn“ sei, während andere wegen der aus Autonomie erwachsenden Pflicht zu verantwortlichem Handeln eine „Furcht vor der Freiheit“ oder gar die „Sehnsucht nach Unterwerfung“ empfinden.4

Der Wunsch, frei zu sein, ohne Verpflichtungen in Kauf nehmen zu müssen, zeigt sich auch in unserer Einstellung zu derlei Verpflichtungen, insbesondere in der Annahme, Fragen der Verantwortung beträfen vor allem unser subjektives Gefühl. Oft fühlen wir uns nämlich verantwortlich (oder neigen wir dazu, andere für etwas verantwortlich zu machen), ohne dass dies mit rationalen Gründen gerechtfertigt werden kann; in vielen anderen Fällen neigen wir dazu, den Gedanken an Verantwortung zu verdrängen, obwohl durch rationale Gründe gerechtfertigt ist, sie uns zuzurechnen. Sofern solche Gründe vorliegen, ist es gerechtfertigt, Verantwortung objektiv auch in Fällen zuzurechnen, in denen jemand subjektiv zu Ausreden Zuflucht nimmt; wenn nicht, müssen wir hingegen auf das Zurechnen von Verantwortung verzichten bzw. können wir jemanden von Verantwortung entlasten, auch wenn sie5 sich warum auch immer verantwortlich fühlen sollte.

Mit anderen Worten sprechen wir zwar gerne von Freiheit ebenso wie von Verantwortung und Vernunft, aber ohne dass hinreichend klar wäre, was unter den dadurch bezeichneten Phänomenen zu verstehen ist und in welcher Beziehung sie zueinander stehen. So heißt es etwa nicht nur, Freiheit sei eine notwendige Voraussetzung für Verantwortung, sondern auch umgekehrt, Verantwortung sei notwendig, damit die Menschen nicht zügellosen Gebrauch von ihrer Freiheit machten. Andererseits wird in neuerer Zeit aufgrund von Ergebnissen neurobiologischer Experimente darüber diskutiert, ob unser Handeln auf Willensfreiheit beruht oder kausal-deterministisch als Funktion von Vorgängen im Zentralnervensystem erklärt werden kann bzw. muss (wobei sich die Diskussion zum Teil um die Frage dreht, ob diese Annahmen miteinander kollidieren oder kompatibel sind); auch dabei ist der Status der Verantwortung ebenso zweifelhaft wie jener der Freiheit.

So heftig die Diskussionen über diese Fragen geführt werden, so wenig haben sie uns bisher einer Antwort näher gebracht. Die Erfahrung mit früheren unfruchtbaren Debatten legt die Vermutung nahe, dass dies zumindest zum Teil an der Unklarheit der verwendeten Ausdrücke liegt, dass also ein vermeintliches Sachproblem vorerst (auch) ein Sprachproblem ist. Um dem abzuhelfen, versuche ich im Folgenden zunächst zu klären, was unter moralischer Verantwortung zu verstehen ist, um im Anschluss daran zu zeigen, inwiefern dafür Freiheit notwendig ist, unter welchen Voraussetzungen uns moralische Verpflichtungen einen Freiraum lassen und in welchem Sinne es sogar gerechtfertigt ist zu sagen, dass uns die Bereitschaft zur Übernahme moralischer Verantwortung frei macht.

Freiheit

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