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Freireligiöse Bewegungen

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Neben den traditionellen Kirchen wirkten im Protestantismus des 19. Jahrhunderts freireligiöse Bewegungen. Am bekanntesten war die auf das Zeitalter der Reformation zurückgehende antitrinitarische, unitarische Bewegung. Im frühneuzeitlichen Osteuropa heimisch, hatte sie nach ihrer Vertreibung aus Polen in den Niederlanden Fuß fassen können, war von den Niederlanden nach England und von dort nach Nordamerika gewandert. 1819 befand sich das Zentrum der Unitarier in Cambridge in Massachusetts. 1825 entstand in Boston die American Unitarian Association. Die unitarische Bewegung in Nordamerika ließ einen stark modernistischen Zug erkennen, einen kulturellen Rationalismus unter der optimistischen Parole „free church in a free state“. Am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte der amerikanische Unitarismus internationale Aktivitäten auch außerhalb des Christentums, um alle diejenigen Gruppen, die den Idealen der freien Religionsausübung anhingen, zu sammeln. Die Organisationsplattform war seit 1900 der International Council of Unitarian and other Liberal Religious Thinkers and Workers. 1901 hielt er in London einen Weltkongress ab, 1903 in Amsterdam, 1905 in Genf, 1907 in Boston, 1910 in Berlin und 1913 in Paris. Der Bostoner Kongress von 1907 vereinte Teilnehmer aus 16 Nationen, die 88 freie religiöse Vereinigungen der Weltreligionen und 33 Kirchengemeinschaften repräsentierten. Das Motto hieß „Freedom and Fellowship“. Eine Art Auftaktveranstaltung zur Ökumene der Religionen hatte schon 1893 das World’s Parliament of Religions gegeben, eine Versammlung von Würdenträgern aus zehn Religionen anlässlich der Feierlichkeiten zum Kolumbus-Jubiläum 1493/1893. „Mögen alle Religionen“, hatte damals B. B. Nagarkar aus Bombay, ein Vertreter der Brama-Samadsch-Bewegung aus Indien, ausgerufen, „eins werden in der Vaterschaft Gottes und der Brüderschaft der Menschen“ (John Henry Barrows, Hg., The World’s Parliament of Religions, Bd. 2, Chicago 1893, 1226–1229). Die immer weitere Gesellschafts-, Staats- und Kulturmodernisierung fand ihr Echo in der fortschreitenden Pluralisierung des Protestantismus. Auf dem Bostoner Weltkongress 1907 ist dieser Zusammenhang von niederländischen und amerikanischen Theologen eigens angesprochen worden. Die bürgerliche Welt brachte neue Typen von Religiosität hervor.

So gesehen war auch die protestantisch-freireligiöse Bewegung in Deutschland kein „Betriebsunfall“ der Kirchengeschichte. Ihre Anfänge gingen auf die 1840er Jahre zurück, als die provinzsächsischen Pastoren Leberecht Uhlich (1799–1872) und König aus Solidarität mit einem kirchenamtlich vermahnten Amtsbruder einen Verein von „Protestantischen Freunden“ ins Leben riefen. Im Volksmund hießen sie bald „Lichtfreunde“, ein ironischer Gebrauch der Aufklärungsmetapher „Licht“. 1844 hielt ein weiterer Pfarrer, Gustav Adolf Wislicenus (1803–1875), auf der pfingstlichen Zusammenkunft der „Protestantischen Freunde“ in Köthen den Vortrag „Ob Schrift? Ob Geist?“ – eine rhetorisch gemeinte Frage, denn der Geist galt hier von vornherein als das Formalprinzip des Protestantismus. Die erste Freie evangelische Gemeinde entstand 1846 in Königsberg. Weitere folgten in Groß- und Mittelstädten innerhalb und außerhalb Preußens. Nach den Märzunruhen 1848 wuchsen die „Lichtfreunde“ bis 1850 stark an. Dann schritt der Staat repressiv ein. Er sah in den Dissidenten keine Religionsgesellschaften, vielmehr bloße politische Vereine. Selbst die Bestattung von „Lichtfreunden“ auf kirchlichen Friedhöfen war untersagt. 1859 setzte der preußische Kultusminister Moritz August von Bethmann Hollweg (1795–1877) ihre Duldung durch. Wenn den „dissidentischen Gemeinden“ Freiheit gegeben sei, „so wird es an ihnen sein, den Beweis des Geistes und der Kraft zu führen“ (Goeters – Rogge, Anfänge 324). 1859 schlossen sich die Freireligiösen mit den Deutschkatholiken zum Bund freireligiöser Gemeinden, nach 1862 Bund freier religiöser Gemeinden genannt, zusammen.

Die Freireligiösen blieben in Deutschland eine Randerscheinung, wohl auch deshalb, weil der landeskirchliche Protestantismus in vielen seiner Gruppen selber schon frei und plural genug war, um keiner solchen Gruppierung zu bedürfen. Es gab seit 1863 den Protestantenverein, später Regionalvereine von Freunden der evangelischen Freiheit, die Freunde der Christlichen Welt und anderes mehr. Auf dem Berliner Weltkongress für freies Christentum und religiösen Fortschritt 1910 zeigte sich, wie bunt die protestantisch-freireligiöse Palette war. Der Danziger Theologieprofessor Caspar Schieler (geb. 1851) berichtete über „Den kirchlichen Liberalismus und die Freien religiösen Gemeinden“, Friedrich Reinhard Lipsius (1873–1934) über „Den Bremer Radikalismus“ und der rheinhessische freireligiöse Prediger Rudolf Walbaum (1869–1948) über „Christen und Freidenker“. Heinrich Lhotzky (1859–1930), pietistischer Schriftsteller, stellte seine pantheistische Religion vor.

Ökumenische Kirchengeschichte

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