Читать книгу Ökumenische Kirchengeschichte - Группа авторов - Страница 26

Die Revolutionen 1848/49

Оглавление

Im Gegensatz zur Französischen Revolution von 1789 blieb die Revolutionswelle der Jahre 1848/49 nicht auf einen Staat begrenzt. Sie durchlief in unterschiedlicher Intensität Frankreich, Deutschland, Österreich-Ungarn, die Staaten Italiens, den Balkan und weitere Regionen. Anderswo flackerten lokale Unruhen auf. Verschont von der Revolution blieb nur Russland. In den protestantischen Kirchen verbanden sich mit der Revolution unterschiedliche Erwartungen, auch Ängste. „Dieses Schwankende in allen Zuständen“, fragte ein Darmstädter Prälat in seiner Kanzelpredigt zum Bußtag 1848, „macht das alles unsere Zeit nicht zu einer bösen, drohenden Zeit?“ (Greschat, Zeitalter 127f.).

In protestantischer Sicht war das Kerngebiet der Revolution Deutschland. In keiner anderen Region Europas stießen Revolution und Protestantismus so hautnah aufeinander. An oberster Stelle im revolutionären Themenkatalog standen die Nationbildung, die Demokratisierung der Macht und die Neuordnung der sozialen Verhältnisse. Diese Grundthemen fächerten sich in zahlreiche Einzelthemen auf: Presse- und Versammlungsfreiheit, Bildung eines nationalen Parlaments, Volksbewaffnung und andere. Im Frühjahr 1848 schien ein politischer Systemwechsel in Deutschland nahe. Doch schneller als von den Königen und Fürsten erhofft, machte das liberale Bürgertum vor der Tradition halt: vor den Herrscherhäusern und den politischen Institutionen der Einzelstaaten. Die Revolution nahm den Weg der Reform. Hochkonservativen Kirchenmännern war auch das noch zu viel. In der „Evangelischen Kirchen-Zeitung“ vom 22. November 1848 bedauerte Ernst Wilhelm Hengstenberg, dass „böser Wille“ die Entwicklung zum Guten störe. Er polemisierte gegen die „jüdischen Jacobyner oder auch christliche“. Im hochkonservativ-protestantischen Lager herrschte unausgesprochene Verbitterung über das schwankende, wenig tatkräftige Handeln des Königs von Preußen. Von seinem Vater Friedrich Wilhelm III. war Friedrich Wilhelm IV. der Rat gegeben worden: „Hüte Dich … vor der so allgemein um sich greifenden Neuerungssucht …, hüte Dich aber zugleich vor einer fast ebenso schädlichen, zu weit getriebenen Vorliebe für das Alte, denn nur dann, wenn Du diese beiden Klippen zu vermeiden verstehst, nur dann sind wahrhaft nützliche Verbesserungen gerathen“ („Auf Dich, mein lieber Fritz“, Staatsarchiv Münster, Prov. Schulkollegium Nr. 6785). In der Revolution wirkte sich diese Wegweisung teils als unentschiedener Attentismus des Königs, teils als Zurückstreben in die alte Ordnung aus. Diese Haltung scheint auch für die Mehrheit der protestantischen Pastoren Preußens charakteristisch gewesen zu sein, mit dem Unterschied allerdings, dass sie konstitutionell mehr erwarteten, als der König zu geben bereit war.

Nach der Julirevolution 1830 war in den deutschen Staaten die konstitutionelle Bewegung vorangetrieben worden. An sie anzuknüpfen und sie zu qualifizieren mutete viele Geistliche als das historisch Notwendige und Gegebene an. Einige Pfarrer wirkten in der Frankfurter Paulskirchenversammlung, andere in den Nationalversammlungen der Länder. Die parlamentarische Plattform zu besetzen war nicht zuletzt aus konfessionspolitischen Gründen notwendig. Denn die katholische Kirche bediente sich dieses und anderer Instrumente der modernen Politik z.B. in den Petitionsbewegungen mit erstaunlicher Professionalität. An eine Republik ohne Monarchie oder gar an eine Sozialrevolution dachte kaum einer von den protestantisch-theologischen Zeitgenossen, zumal in den nord-, ost- und mitteldeutschen Regionen des Protestantismus revolutionäre Pastoren die Ausnahme waren. Zu ihnen gehörte der Rostocker Extraordinarius Julius Wiggers (1811–1901). 1848 trat er der Bürgerwehr der Hansestadt bei. Über seine Abgeordnetentätigkeit berichtete er: „Die Fraction der mecklenburgischen Abgeordnetenkammer, der ich angehörte, war die Linke“ (Aus meinem Leben, Leipzig 1901, 121). Wiggers büßte sein Revolutionsengagement mit vier Jahren Untersuchungshaft in der Festung Bützow. 1866 zog er als liberaler Abgeordneter in das Parlament des Norddeutschen Bundes ein. Revolution, Reaktion, Enthebung vom Amt und Festungshaft zogen den ursprünglich leidenschaftlichen Theologen, der sich als moderner Lutheraner verstanden hatte, von der Kirche in die Politik ab. Unfreiwillige Abgänge aus Theologie und Kirche brachte die 1848er Revolution auch sonst hervor. In Südwestdeutschland gab es teilweise eine hohe Identifikationsbereitschaft mit der Revolution, ablesbar an der Zahl der späteren Maßregelungen für Geistliche. In Baden wurden gegen 23 Geistliche Verfahren angestrengt.

Bewegung brachte die 1848er Revolution auch in der Kirchenfrage. Sie verstärkte den Drang zu kirchlicher Selbstorganisation durch Synoden. In Preußen bot der Kultusminister Graf Schwerin (1804–1872) die Einberufung einer konstituierenden Synode an, doch scheiterte dieses Projekt schnell. In Oldenburg ging aus Urwahlen 1849 eine Synode mit einer demokratischen Kirchenverfassung hervor; 1853 war jedoch der landesherrliche Summepiskopat wiederhergestellt. Pendelschläge zwischen synodalem Progressismus und obrigkeitlicher Restauration waren nicht untypisch. Man erlebte Ähnliches in der vom Münchener Oberkonsistorium losgerissenen unierten Kirche der Rheinpfalz, in Kurhessen und in Lippe-Detmold. Der nationalstaatlich-einheitsstaatlichen Schubwirkung der Revolution wohnten, auch wenn sie vorerst nicht zum Ziel kam, Elemente zur überregionalen Integration der protestantischen Landeskirchen inne. Der Kirchentag in Wittenberg vom September 1848, auf dem Wichern seine Rede gehalten hatte, brachte eine bis 1872 währende, allerdings von Mal zu Mal schwunglosere Kirchentagsbewegung hervor. Er bildete kein Einzelphänomen. Das Jahr 1848 sah auch noch andere überregionale Kirchentage und -versammlungen.

Zu den überaus brisanten Themen der Revolutionszeit 1848/49 zählte die Neugestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat. Die Kultushoheit lag bei den Einzelstaaten. Die Frankfurter Nationalversammlung versuchte die Brechung dieser Tradition, indem sie für den künftigen deutschen Nationalstaat einheitliche Richtlinien entwickelte. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 legte fest: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.“ „Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Keine Religionsgemeinschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche“ (Huber, Dokumente Bd. 1, 219f.). Die Standesbücher sollten in Zukunft von den bürgerlichen Behörden geführt, das Unterrichts- und Erziehungswesen, abgesehen vom Religionsunterricht, der Oberaufsicht des Staates unterstellt werden. Die Gründung des Deutschen Reiches fand 1848/49 nicht statt, die Verfassung kam nicht zum Zuge. Ihre historische Bedeutung bestand in den weit in die Zukunft weisenden Elementen. Der staatskirchlichen Tradition des absolutistischen Zeitalters war ein anderes Konzept gegenübergestellt worden.

Ökumenische Kirchengeschichte

Подняться наверх