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Richtungskämpfe: Konservative und Liberale

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Innere Kämpfe waren dem Protestantismus seit seinen Anfängen nicht fremd. Im Kaiserreich gewannen die Auseinandersetzungen neue Dimensionen. Auf wenige Formeln und Stichworte reduzieren ließen sich die Konflikte nicht. Teils trugen sie die Form des klassischen theologischen Diskurses zu Fragen der Gotteslehre, der Christologie und Ekklesiologie, teils besaßen sie die Gestalt eines Methodenstreits, teils entwickelten sie sich als kirchen- und kulturpolitische, ja sogar als staatspolitische Kontroversen. Bei allen Färbungen, Abstufungen und Frontwechseln in Teilbereichen, die nicht übersehen werden dürfen, war eine große Bruchlinie unleugbar. Sie verlief entlang dessen, was in recht unscharfer Begrifflichkeit als „gut kirchlich“ galt.

1863 war der Protestantenverein entstanden, die erste größere Vereinsgründung des kirchlich liberalen Protestantismus. Dem Paragrafen eins seiner Statuten gemäß trat er für Konfessionstoleranz und Kirchenerneuerung im „Geiste evangelischer Freiheit und im Einklang mit der gesammten Culturentwicklung unserer Zeit“ ein. 1866 entstanden die „Protestantischen Flugblätter“ als Lektüre für ein Massenpublikum. Seit 1870 erschien für die Bildungsschichten die „Sammlung protestantischer Vorträge“. Unterstützung außerhalb der Kirche erhielt der Protestantenverein durch liberale Zeitungen, Zeitschriften und Unterhaltungsblätter.

1872 gaben Paul Wilhelm Schmidt (1845–1917) und Franz von Holtzendorf (1829–1889) eine „Protestantenbibel“ – zunächst das Neue Testament – heraus. Sie wollten beweisen, dass ein mit der modernen Weltanschauungswelt vereinbares Christentum möglich und notwendig war. Offenbar fühlten die „kirchlich“ und „positiv“ eingestellten Kreise sich von der organisatorischen und publizistischen Arbeit der kirchlichen Liberalen überrollt. Pfarrer Adolf Sydow (1800–1882), Mitbegründer des Protestantenvereins, war 1873 wegen eines Vortrags über die Jungfrauengeburt, in dem er Jesus zum legitimen Sohn Josefs und Marias erklärte, zeitweilig amtsenthoben. 26 Geistliche Brandenburgs und zwölf Berliner Pfarrer stellten sich an Sydows Seite, dazu noch die Theologen der Universität Jena mit einer Erklärung gegen die Verletzung der Lehrfreiheit.

Den Liberalen standen in den Synoden, Pfarrvereinen und Kirchenregierungen massive konservative Mehrheiten entgegen. „Liberal“ galt hier als Synonym für „kirchenfeindlich“, wenn nicht gar „irreligiös“. Die kirchliche Orthodoxie – in Preußen bildete in den 1870er Jahren die schlagstarke Hofpredigerpartei ihre Vorhut – glaubte an Verschwörungen zwischen dem kirchlichen und politischen Liberalismus. Hofprediger Rudolf Kögel sprach in völliger Verkennung des tatsächlichen Einflusses der Liberalen von einer „Geheimregierung des Protestantenvereins“. Eher traf die „Geheimregierung“ auf die Hofpredigerpartei selber zu. Ihr gelang es, einen Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrates und einen Kultusminister zu stürzen und selbst Bismarck in die Parade zu fahren. 1875 bildete sich die Positive Union, geführt von Kögel und dem Magdeburger Generalsuperintendenten Leopold Schultze (1827–1893), eine scharf monarchistische und orthodoxe Gruppierung. Ihr Einfluss auf die kirchlichen Körperschaften war groß, zumal sie die Sympathie des Throns genoss. Kaiserin Augusta (1811–1890) schrieb am 11. Juni 1877 ihrem Ehemann Wilhelm I.: „Für Dich tritt nun die dreifache Veranlassung heran, die Evangelische Kirche zu schützen gegen den Angriff der Ungläubigen.“ Die Kaiserin meinte zwei aktuelle Personalfragen und eine Sachfrage, die Verteidigung des Glaubensbekenntnisses. „Diese dreifache Bestätigung der landesherrlichen Machtbefugnisse wird hoffentlich den Lichtfreunden beweisen, daß jetzt die Kirche noch nicht auf der abschüssigen Bahn der liberalen Gesetzgebung folgt“ (Besier, Preußischer Staat 119). Die Positive Union beherrschte bis 1888 in Preußen das Kirchenregiment.

Protestantenverein und Positive Union waren die herausragendsten Beispiele für die theologie- und kirchenpolitischen Frontbildungen im Kaiserreich. Flügelbildungen nach dem Muster „Links“, „Rechts“, „Mitte“ waren zeittypisch in Preußen wie in Bayern, in Mecklenburg wie in Sachsen und anderswo, all dies mit den entsprechenden Vereins-, Synodal- und Publikationsstrukturen. Von Zeit zu Zeit erschütterten sogenannte „Streitfälle“ die ohnehin aufgeladene Atmosphäre. Genannt seien lediglich der Streit um die kirchliche und liturgische Geltung des „Apostolikums“ 1892/93, der Streit um Harnacks „Das Wesen des Christentums“ in der Zeit nach 1899, der „Babel-Bibel-Streit“ 1902/03 und der Streit um das preußische „Lehrbeanstandungsgesetz“ von 1910, besser bekannt als „Irrlehregesetz“, mit dem „Fall Jatho“ und dem „Fall Traub“.

Ökumenische Kirchengeschichte

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