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2. Räume, Grenzen, Menschen
ОглавлениеWen und welche Gebiete umfasst also die deutsch-polnische Verflechtungsgeschichte im langen 19. Jahrhundert? Diese Frage ist schon deshalb nicht einfach zu beantworten, da die politischen Grenzen keine oder nur ungenaue Anhaltspunkte geben. Die polnische Schriftstellerin Maria Dąbrowska schrieb, die Grenzen Polens seien „auf dem Gebiet der drei Teilungsgebiete versickert, sie wurden von ihnen aufgesogen und gefressen“.3 Damit verwob sich die Geschichte Polens mit jener der drei Teilungsmächte Russland, Habsburg und Preußen. Nach der vollständigen Aufteilung Polen-Litauens gab es von 1795 bis 1918 keinen polnischen Staat, abgesehen von dem kurzlebigen und kaum als selbstständiges Staatsgebilde zu bezeichnenden Herzogtum Warschau (1807–1814). Folglich kann der hier zu betrachtende Raum mit politischen Grenzen nicht angemessen beschrieben werden. Hinzu kommt, dass sich auch Deutschland als staatliches Gebilde im 19. Jahrhundert deutlich veränderte: von dem 1806 aufgelösten Alten Reich über den Deutschen Bund bis zum preußisch-kleindeutschen Kaiserreich von 1871.
Der Wandel der politischen Grenzen betrifft auch die an Preußen angegliederten polnischen Gebiete, die namentlich bis 1815 ihre territoriale Ausdehnung mehrfach änderten: War 1772 zunächst das spätere Westpreußen und mit dem Ermland eine dann zur Provinz Ostpreußen geschlagene Region unter die Herrschaft der Hohenzollern gekommen, so expandierte der preußische Staat 1793 nach „Südpreußen“ – das Gebiet umfasste Großpolen und erstreckte sich bis nach Tschenstochau. 1795 entstand dann das bis nach Warschau und Białystok reichende „Neuostpreußen“. Nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon wurden Großpolen (Wielkopolska) und Masowien (Mazowsze) mit Warschau Ende 1806 von den unter Napoleon kämpfenden polnischen Legionen eingenommen. Das anschließend gegründete Herzogtum Warschau wurde nach der Niederlage Napoleons gegen Russland Anfang 1813 von zarischen Truppen besetzt. Mit dem Wiener Kongress kamen dann Danzig, das 1807 eine Freie Stadt geworden war, Westpreußen (Pomorze Gdańskie) und Großpolen mit Posen erneut unter preußische Herrschaft.
Auch wenn sich der Verlauf der Grenze zwischen Preußen, dem Zarenreich und der Habsburgermonarchie von 1815 bis 1914 nicht veränderte, so wandelte sich doch ihr Charakter: In der Wiener Schlussakte war der Erhalt nationaler polnischer Institutionen in allen drei Teilungsgebieten zugesichert worden. In Preußen hatte das Großherzogtum Posen mit der Position eines polnischen Statthalters einen – wenn auch nur schwach ausgeprägten – Sonderstatus erhalten, der jedoch bereits nach 1831 durch eine gegen den polnischen Adel und Klerus gerichtete Politik faktisch aufgehoben wurde. Die östlichen Territorien Preußens wurden 1848 zunächst zeitweilig in den Deutschen Bund eingegliedert, bevor sie dann ab der Begründung des Norddeutschen Bundes 1866 dauerhaft und ohne Einschränkungen in den kleindeutschen Staat integriert wurden.
Diese politischen Grenzen hatten, trotz der mit ihnen verbundenen Machtverhältnisse, nur bedingt Bedeutung für die deutsch-polnische Verflechtungsgeschichte, denn die polnischen Konspirationen und Aufstände, aber auch die antipolnische Politik, namentlich in Kongresspolen und Preußen, wirkten über ihre unmittelbaren Schauplätze hinaus auf alle Teilungsgebiete, und zwar allein schon aus dem Grund, dass alle drei Teilungsmächte eine Wiederherstellung des polnischen Staates über die Grenzen und Bestimmungen von 1815 hinaus zu verhindern suchten.
Mit der Verfestigung der Teilung, die nach der Niederschlagung des Aufstands in Kongresspolen von 1863 zumindest außenpolitisch für ein halbes Jahrhundert nicht erschüttert wurde, kommen Gesellschaft und Kultur als Determinanten der Verflechtung stärker in den Blick. Damit wäre es naheliegend, nationale Räume der Verflechtungsgeschichte zugrunde zu legen, zumal im 19. Jahrhundert Nationen zu eigenständigen historischen Faktoren neben den Staaten wurden und die „nationalen Fragen“ der Deutschen, Italiener und Polen, ebenso wie die Bestrebungen der „kleinen Nationen“, auf von den staatlichen Grenzen abweichende Räume zielten. Dabei muss zugleich beachtet werden, dass sich auch die Konzepte der Nation und vor allem deren soziale Reichweite in dem hier betrachteten Zeitraum wandelten. Zunächst wurde die Nation in Polen vom Adel getragen, der als gesellschaftliche Schicht ungleich umfangreicher war als in Deutschland. In Deutschland dagegen war das liberale Bürgertum bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts der wichtigste Träger der Nation.
Während die deutschen und polnischen nationalen Eliten im Vormärz noch den gemeinsamen Kampf für die Freiheit in den Vordergrund stellten und der Weg der polnischen Aufständischen von 1830/31 in die Große Emigration nach Frankreich von Wellen der Polenbegeisterung in Deutschland geprägt war, kam es in den deutsch-polnischen Grenzräumen ab 1848 zu zunehmenden nationalen Gegensätzen, die sich mit der Nationalisierung der breiten Massen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch verschärften. Nationalistische Egoismen und die Exklusion der jeweiligen nationalen „Anderen“ gewannen nun an Bedeutung. Die Hintergründe, vor denen sich diese Entwicklung ab den 1860er Jahren vollzog, unterschieden sich freilich erheblich voneinander: In Deutschland waren es die Kriegserfolge Preußens, die die nationale Begeisterung unterfütterten, während in der polnischen Gesellschaft die kritische Reflexion der Niederlage im Aufstand von 1863 zum Ausgangspunkt einer nationalen Neuorientierung wurde, in deren Zuge nun die polnische Nation nicht nur politisch-kulturell, sondern auch ethnisch definiert wurde.
Wenn man aus dieser Entwicklung eine nationale Entflechtung deutscher und polnischer Gesellschaft schlussfolgert, die sich in dem Schlagwort swój do swego (jeder zu den Seinen) spiegelt, dann ist das jedoch nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen ist zu erkennen, dass es im Bekenntnis der breiten Massen zu einer der beiden Nationen – im Sinn von Ernest Renans berühmtem „täglichen Plebiszit“ – bis weit über den hier betrachteten Zeitraum hinaus große Unschärfen gab: So existierten an den Rändern der Nationen, in der Kontaktzone zwischen deutschem und polnischem Sprachraum, bei den Schlesiern, Masuren, Kaschuben, mehrfache Loyalitäten und Identitäten, da diese Gruppen sowohl von den sprachlichen Bindungen an die polnische Nation als auch von der schon vor 1795 bestehenden Zugehörigkeit zum preußischen Staat geprägt wurden. Sie ließen sich daher nicht eindeutig national klassifizieren, was in der jüngeren Diskussion als „nationale Indifferenz“ beschrieben wird. Eine primär regionale und anationale Identifizierung wurde jedoch zunehmend anachronistisch und ab dem Ende des Ersten Weltkriegs von dem zum Teil gewalttätigen Konflikt um die deutsch-polnischen Grenzregionen überlagert. Zwischen den Nationen stand schließlich der große Teil der jüdischen Bevölkerung. Bei vielen Juden war die deutsch-polnische Verflechtung durch eine Migration aus den polnischen Gebieten nach Westen Teil der eigenen Biografie, wie etwa in Alfred Döblins Familie, die aus Großpolen über Stettin nach Berlin zog. Diejenigen, die nicht migrierten, gerieten zwischen die Konfliktlinien der widerstreitenden Nationen, was sich bereits während der Revolution 1848 in Posen zeigte, als die jüdische Bevölkerung sowohl von deutschen als auch von polnischen Nationalisten der Gegenseite zugerechnet wurde.
Diese nationalen Dynamiken müssen jedoch vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels gesehen werden, der zuvor unbekannte Dimensionen annahm: In den preußischen Ostprovinzen stieg die Bevölkerung im Zeitraum von 1816 bis 1910 von ca. 5,3 Millionen auf knapp 14 Millionen, von denen ca. 3,7 Millionen polnischsprachig waren. In derselben Zeit vervierfachte sich die Bevölkerung in Preußen insgesamt auf mehr als 40 Millionen. In dieser Diskrepanz spiegeln sich die Folgen der Industrialisierung, die nicht nur zur Landflucht, sondern auch zum Phänomen der „Ostflucht“ führte. Der Abwanderung von ca. 3,5 Millionen Menschen aus den preußischen Ostprovinzen zwischen 1840 und 1910 stand eine Zuwanderung allein in Berlin und Hamburg von ca. 1,5 Millionen gegenüber. In das Ruhrgebiet wanderten ca. 500.000 Menschen aus den Ostprovinzen ein, die meisten von ihnen waren polnischsprachig.4
Polen und Deutsche begegneten sich jedoch nicht nur entlang der politisch nicht mehr sichtbaren und sprachlich wie kulturell nur unscharfen Grenze zwischen deutscher und polnischer Nation. Vielmehr gab es Polnisch bzw. Deutsch sprechende Gruppen jeweils auch jenseits der nationalen Kernräume: So entstanden durch Migration im Zuge der Industrialisierung und der Verdichtung von Verkehr und Kommunikation durch die Eisenbahn temporäre und dauerhafte neue polnische Milieus im Westen Deutschlands: Zum einen durch die Binnenmigration aus den preußischen Ostgebieten in das Ruhrgebiet, nach Berlin und in andere Zentren der Industrialisierung und zum anderen durch saisonale Arbeitsmigration aus den übrigen Teilen Polens in die ostelbischen Gutswirtschaften zur Erntezeit. Diese polnischen „Sachsengänger“ wurden nach der Reichsgründung allerdings zum Gegenstand heftiger politischer Kontroversen – aus Furcht vor einer vermeintlich drohenden Unterminierung der deutschen Staatlichkeit im Osten. Damit verband sich nicht nur die antipolnische Politik nach 1871. Es lag auch im Interesse Preußens, neben der militärischen Präsenz die Migration von Deutschen in der Rolle staatlicher Funktionsträger zu fördern, etwa bei Bahn und Post. Sowohl quantitativ als auch hinsichtlich ihrer Sozialstruktur unterschied sich die deutsche Binnenmigration freilich von der polnischen. Daneben gab es aber auch zahlreiche – traditionelle und neu entstehende – deutschsprachige Milieus jenseits der Ostgrenze Preußens bzw. des Deutschen Reichs. Neben bäuerlichen Siedlungen und kleineren städtischen Milieus ist insbesondere die ab den 1820er Jahren rasch zum „Manchester des Ostens“ aufsteigende Textil- und Industriestadt Lodz zu nennen, die ihren Aufschwung der Lage an der Westgrenze des Zarenreichs verdankte.
Der Blick auf die vielfältigen Migrationen zeigt, dass es innerhalb des preußisch-deutschen Staates zahlreiche Orte freiwilliger wie unfreiwilliger Begegnungen von Deutschen und Polen gab. An erster Stelle stand gewiss der Kontakt von Polen zu deutschen Institutionen: So studierten Polen an Hochschulen in den deutschen Staaten und dienten (und kämpften zwangsläufig) in deutschen Heeren. Während in der Habsburgermonarchie die polnischen Eliten nach 1867 durch die Autonomie in Galizien an der Staatsverwaltung teilhatten und auch nationale Institutionen wie die Akademie der Wissenschaften (Akademia Umiejętności) in Krakau bildeten, blieben Karrieren von Polen in preußischen Institutionen oder solchen des Deutschen Reichs eher Einzelfälle und waren in der zweiten Jahrhunderthälfte ohne eine nationale Konversion kaum möglich. Ausnahmen gab es im Bereich des Hochadels und auf besonderen Positionen, wie der des Slawisten Aleksander Brückner, der von 1881 bis 1924 an der Berliner Universität lehrte.
In Preußen-Deutschland gerieten Polen nicht nur national, sondern auch durch den Kulturkampf gegen die katholische Kirche unter Druck, fanden aber in dieser doppelten Minderheitensituation auch Möglichkeiten zur politischen Artikulation ihrer Interessen. Zu nennen ist hier neben der politischen Repräsentation im preußischen Abgeordnetenhaus und im Deutschen Reichstag insbesondere die Gründung von Vereinen und Genossenschaften. Solche gesamtgesellschaftlichen Gemeinsamkeiten in der Nutzung rechtsstaatlicher Spielräume führten jedoch nicht nur zu einer Verbreitung von Vereinskultur, sondern auch zu ihrer Differenzierung und damit auch zur Entflechtung durch die Bildung paralleler nationaler Organisationen. Dazu trug nicht zuletzt auch die Akkumulation von Machtressourcen in der deutschen Staatsverwaltung bei, gegen die aufseiten der polnischen Bevölkerung in erster Linie zivilgesellschaftliche Organisationsformen zur Verfügung standen. Dass solche Assoziierungen ab den 1840er Jahren die Konspiration in den Hintergrund treten ließen, kennzeichnet die Entwicklung im preußischen Polen. Die Intensität und der gesellschaftliche Erfolg dieser in der polnischen Öffentlichkeit als „organische Arbeit“ bezeichneten Aktivitäten spiegelt sich auch im deutschen Vereinsrecht: Das deutsche Vereinsgesetz von 1908 stellte aus der Perspektive der deutschen Mehrheit einen rechtlichen Meilenstein auf dem Weg zur Vereinsfreiheit dar, enthielt aber auch dezidiert gegen die nationalen Minderheiten gerichtete Bestimmungen, etwa die Auflage, sich in öffentlichen Versammlungen der deutschen Sprache zu bedienen, um die polizeiliche Überwachung zu ermöglichen. Insofern war es Teil der Ausnahmegesetze, mit denen die Rechte der Staatsangehörigen polnischer Nationalität beschränkt werden sollten. Dagegen richtete sich dann ein vehementer Protest polnischer Vereine.
Die bislang genannten Felder deutsch-polnischer Begegnungen bilden jedoch nur einen kleinen Ausschnitt der wechselseitigen Verflechtungen, die weit in den Alltag hineinreichten, sei es durch die Übernahme von Fremdwörtern aus der jeweils anderen Sprache oder durch die Lektüre von Belletristik in Übersetzungen.
Im Ersten Weltkrieg kulminierten einerseits die hier skizzierten deutschpolnischen Verflechtungen, denn der Krieg gegen das Zarenreich polarisierte die staatlichen Loyalitäten der Polen. Sowohl die Führung des Zarenreichs als auch die Mittelmächte versuchten nun, die Idee eines selbstständigen polnischen Staates für eigene politische Ziele zu vereinnahmen. Da jedoch andererseits keine der Teilungsmächte eine befriedigende Antwort auf das Interesse der polnischen politischen Eliten an einer Wiederherstellung Polens geben konnte, wuchs die politische Bedeutung der Schützenverbände von Józef Piłsudski, dessen Ziel der Kampf für nationale Unabhängigkeit war. Hinzu kam, dass in den Überlegungen der westlichen Alliierten Probleme nationaler und religiöser Minderheiten zunächst keine Rolle spielten. Die Vorstellung von Nationalstaaten als Garanten einer neuen Ordnung in Europa nach dem Krieg verband sich so mit den Vorstellungen der polnischen Nationaldemokratie von einem ethnisch polnisch dominierten neuen Staat, und die Bestimmungen des Versailler Vertrags führten dazu, dass nun nationale Entflechtung und der deutsch-polnische Konflikt um die gemeinsame Grenze die wechselseitigen Beziehungen prägten.
Wenn die deutsch-polnischen Verflechtungen im hier betrachteten Zeitraum von der napoleonischen Epoche bis zum Ersten Weltkrieg so allgegenwärtig waren – warum sind sie dann nicht längst ausführlich betrachtet worden? Gewiss wurde vieles schon in lokalen und regionalen Studien thematisiert, doch ist auch in Rechnung zu stellen, dass der Fokus nationaler Geschichtsschreibung – der deutschen wie der polnischen – lange Zeit gerade auf die politischen und sozialen Konflikte zwischen den Nationen ausgerichtet war. Insofern wurde, namentlich in den Grenzregionen, die Beschäftigung mit wechselseitigen Beeinflussungen in der jeweiligen nationalistischen Perspektive als kontraproduktiv angesehen, ließen sich dadurch doch Ansprüche der Gegenseite untermauern. So ging es vor allem darum, zu beweisen, dass die jeweilige Grenzregion deutsch oder polnisch sei. Hinzu kam, dass aus polnischer Sicht die materiellen Folgen der Teilungszeit – denken wir etwa an das polnische Eisenbahnnetz, das bis heute die inneren Grenzen vor 1918 abbildet – als Hemmnis nationaler Integration galten und folglich negativ beurteilt wurden. In der alten Bundesrepublik wiederum gab es noch lange Stimmen, die die Ungerechtigkeit der Grenzziehungen von 1918 bis 1921 und nach 1945 betonten und so primär bestrebt waren nachzuweisen, dass es sich bei den verlorenen Regionen um deutsche und nicht um polnische Gebiete handelte. Ein nuancierter Blick wird viele Detailstudien zutage fördern, von denen manche bereits im vorletzten Jahrhundert entstanden. Auf solche Arbeiten stützt sich maßgeblich das vorliegende Buch. Aber auch jenseits der nationalgeschichtlichen Konfliktlage, die sich ab den 1960er Jahren allmählich aufzulösen begann, blieben mit dem Blick auf soziale Konflikte, der in beiden Geschichtswissenschaften eine lange Konjunktur hatte, kulturelle oder alltagsgeschichtliche Kontakte zwischen Deutschen und Polen doch eher am Rand des Wahrnehmungshorizontes.
In seinem Roman »Levins Mühle« lässt Johannes Bobrowski den Erzähler über ein Dorf in der Nähe des westpreußischen Städtchens Briesen sagen: „Die Deutschen hießen Kaminski, Tomaschewski und Kossakowski und die Polen Lebrecht und Germann. Und so ist es nämlich auch gewesen.“5 Das war keinesfalls nur schriftstellerische Fiktion. Stefan Kieniewicz, einer der bedeutendsten polnischen Historiker zum 19. Jahrhundert, beschrieb den fließenden Charakter der nationalen Grenzlinien in Großpolen 1848 als historische Tatsache: Die deutschen Landräte hießen Suchodolski, Borowski und Żychliński, die polnischen Patrioten dagegen Brause, Schumann und Krauthofer.6 Um die in diesen Facetten aufscheinenden deutsch-polnischen Verflechtungen, Kontakte und Interaktionen soll es im Folgenden gehen.
3 DĄBROWSKA, Maria: O zjednoczonej Polsce, jej mieszkańcach i gospodarstwie, Warszawa 1921, S. 10.
4 Zahlen nach MURZYNOWSKA, Krystyna: Die polnischen Erwerbsauswanderer im Ruhrgebiet während der Jahre 1880–1914, Dortmund 1979, S. 25; vgl. auch die Zahlen bei: Rogmann, Heinz: Die Bevölkerungsentwicklung im preußischen Osten in den letzten hundert Jahren, Berlin 1937, S. 13, S. 196.
5 BOBROWSKI, Johannes: Gesammelte Werke in sechs Bänden, Berlin 1987, hier Bd. 3, S. 10.
6 KIENIEWICZ, Stefan: Społeczeństwo polskie w powstaniu poznańskim 1848 roku, Warszawa 31960, S. 39f.