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1. Polen und Preußen zwischen Tilsit und Wien
ОглавлениеDie Niederlage Preußens gegen die napoleonischen Truppen bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806 und die anschließende Flucht Friedrich Wilhelms III., der königlichen Familie und der Regierung aus dem Ende des Monats durch Napoleon eingenommenen Berlin in die am weitesten östlich gelegene Ecke Preußens – nach Memel – wirkten sich unmittelbar auf Polen aus. Die Initiative für eine Wiederherstellung Polens lag nun in französischer Hand, denn nach der Niederlage der dritten antinapoleonischen Koalition bei Austerlitz war der amtierende russische Außenminister und Vertraute des zu jener Zeit Reformen gegenüber aufgeschlossenen Zaren Alexander I., der polnische Magnat Adam Jerzy Czartoryski, mit seinem Plan einer Restitution des Königsreichs Polens innerhalb des Zarenreichs gescheitert. Preußen und Habsburg hätten dann, so Czartoryskis Konzept, für die polnischen Gebiete Kompensationen in Deutschland erhalten sollen. Aufseiten Napoleons kämpften die Polnischen Legionen für die Wiederherstellung Polens. Diese waren 1796 von Napoleon in Oberitalien aufgestellt worden, dann aber 1801 aufgelöst und zum Teil zur Niederschlagung des gegen die französische Herrschaft gerichteten Aufstandes auf Santo Domingo eingesetzt worden; von den über 5.000 Soldaten kehrten nur 330 zurück. Für den Feldzug gegen Preußen wurde eine neue polnische Legion gebildet. Ihr erster Befehlshaber, Jan Henryk Dąbrowski ( Bd. 2, S. 95), hatte jahrelang in sächsischen Diensten gestanden, bevor er sich Tadeusz Kościuszko angeschlossen und 1794 Warschau verteidigt hatte. Er ist in der Hymne »Noch ist Polen nicht verloren« verewigt (in Polen als »Mazurek Dąbrowskiego« bekannt), die Józef Wybicki 1797 als »Lied der polnischen Legionen in Italien« verfasst hatte und die rasch zum musikalischen und literarischen Symbol für den polnischen Kampf um Unabhängigkeit wurde.
Mit der Niederlage gegen Napoleon standen so die Gebietsgewinne Preußens aus den Teilungen Polens zur Disposition. Tatsächlich erhielten Anfang November Dąbrowski und Wybicki von Napoleon in Berlin eine Zusage für die Wiederherstellung Polens, die er allerdings mit der Einschränkung versah, dass er zuvor sehen wolle, dass die Polen „einer Nation würdig“ seien, also seine Herrschaft politisch und militärisch unterstützen würden.1 Nach der Veröffentlichung dieser Proklamation wurden Dąbrowski, der Polnisch mit deutschem Akzent sprach, und Wybicki am 6. November in Posen begeistert empfangen. Kalisch war bereits vor dem Eintreffen der französischen Truppen in polnische Hände übergegangen. Ende November zog dann Napoleon in Posen und Mitte Dezember in Warschau ein. Anders als etwa im Fall Sachsens, das durch den Frieden von Posen in jenen Tagen zum Königreich erklärt wurde, proklamierte Napoleon jedoch kein Königreich Polen. Stattdessen wurde für die Verwaltung der preußischen Gebiete Polens Anfang 1807 eine Regierungskommission unter Leitung des Sejmmarschalls von 1791, Stanisław Małachowski, eingerichtet. Józef Poniatowski, ein Neffe des letzten Königs Stanisław August Poniatowski und Befehlshaber der polnischen Truppen im Polnisch-Russischen Krieg 1792, übernahm die zentrale Funktion des Kriegsministers.
Die völkerrechtliche Etablierung des Herzogtums Warschau war schließlich Ergebnis der Verhandlungen von Napoleon und Alexander I. auf einem Floß in der Memel vor Tilsit. Napoleon verzichtete dort auf die Pläne für ein unabhängiges Königreich Polen und konnte sich gegenüber Alexander auch nicht mit seiner Absicht durchsetzen, das polnische Territorium auf Kosten weiterer preußischer Gebiete, etwa Schlesiens, zu vergrößern. Das Herzogtum Warschau umfasste die 1793 und 1795 von Preußen besetzten Gebiete Polens, allerdings ohne das Gebiet um Białystok, das an Russland fiel. Westpreußen, der preußische Teilungsgewinn von 1772, blieb mehrheitlich beim preußischen Staat, abgesehen vom Kulmer Land und den Städten Thorn, Bromberg und Inowrazlaw, die dem Herzogtum Warschau zugeschlagen wurden. Danzig, das 1793 keineswegs aus freien Stücken preußisch geworden war, wurde zur Freien Stadt erklärt – ein Status, der an die faktisch autonome Stellung Danzigs in der Zeit der Adelsrepublik anknüpfte und nach dem Ersten Weltkrieg eine besonders konfliktträchtige Rolle spielen sollte.
Damit endete die kurze und weitgehend in Vergessenheit geratene Periode preußischer Herrschaft über den größten Teil der Gebiete, die seit 1945 den polnischen Staat bilden. In 1807 angestellten Überlegungen der preußischen Verwaltung, wie eine Wiedergewinnung möglich sei, lassen sich durchaus schon die Argumente der späteren Germanisierungspolitik finden, wie etwa die Ansiedlung deutscher Kolonisten, die Einführung deutscher Schulen und die Verteilung der polnischen Kantonisten auf alle Provinzen sowie die Schwächung des polnischen Adels.2 Dagegen entwickelte Karl Freiherr vom Stein in seiner die preußischen Reformen begründenden Nassauer Denkschrift vom Juni 1807 entgegengesetzte Überlegungen. Seine Idee, den Gemeingeist und den Bürgersinn durch Teilhabe an der Provinzialverwaltung zu stärken, sollte auch für „die polnisch-preußischen Provinzen“ gelten. Zwar sei die „polnische Nation […] leichtsinnig, sinnlich, roh“, aber sie könne „veredelt“ werden, wenn „man dem unterdrückten Teil derselben Freiheit, Selbständigkeit und Eigentum und […] Schutz der Gesetze“ garantiere. Die polnische Nationalität auszubilden, stelle einen Gewinn für jeden dar, „der nicht mechanische Ordnung, sondern freie Entwicklung und Veredlung der eigentümlichen Natur jedes Völkerstammes für den eigentümlichen Zweck der bürgerlichen Gesellschaft hält“.3 Dieses polenpolitische Programm, das sich auf Überlegungen des polnischen Fürsten Antoni Radziwiłł (S. 27) bezog, der ab 1794 in Berlin lebte, wurde durch Tilsit zunächst hinfällig, sollte aber 1815 mit der Einrichtung des Großherzogtums Posen aufgegriffen werden.
In den Jahren der preußischen Verwaltung in „Südpreußen“ und „Neuostpreußen“ waren zahlreiche preußische Beamte mit Polen in Berührung gekommen. Bekannt ist vor allem E. T. A. Hoffmann, der von 1802 an als Gerichtsassessor in Posen wirkte, bevor er wegen seiner Karikaturen der preußischen Beamten in der Stadt nach Płock strafversetzt wurde. Von 1804 bis zum Ende der preußischen Herrschaft war er in Warschau tätig, wo er sich unter anderem als Gründungsmitglied und Dirigent der Musikalischen Gesellschaft einen Namen machte.4 Nachwirkungen dieser preußischen Expansion gab es auch auf anderen Gebieten. Sie zeigten sich im Bildungswesen, das sich mit der Frage konfrontiert sah, wie denn polnisch- oder litauischsprachige Schüler zu unterrichten seien. Sie waren auch sichtbar im Militär: So geht der preußische „Überrock“, der seit etwa 1806 als Bekleidungsstück der Offiziere belegt ist und auch als „Litewka“ bezeichnet wurde, offensichtlich auf den polnischen Kontusz zurück.5
Nach der erneuten Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Österreich im 5. Koalitionskrieg 1809, in dessen Verlauf österreichische Truppen zeitweilig nach Warschau vorstießen, wurde das nach der dritten Teilung von 1795 habsburgisch gewordene Westgalizien an das Herzogtum Warschau angeschlossen. Die Verfassung für das Herzogtum, die Napoleon am 22. Juli 1807 in Dresden erließ, orientierte sich jedoch nur partiell an der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791. Sie etablierte vielmehr eine starke Position des Herrschers, zu dem der sächsische König bestimmt wurde, der bereits in der Maiverfassung als künftiger Herrscher Polens vorgesehen war. Zudem wurde als Zivilrecht der Code Napoléon eingeführt, der auch nach dem Ende des Herzogtums gültig blieb. Die Regierung übernahm ein Staatsrat, dessen Zusammensetzung sich mehrfach änderte; Poniatowski hatte dort die Funktion des Kriegsministers inne. Eine starke Position, obwohl in der Verfassung nicht vorgesehen, nahmen die französischen Residenten ein.
Das Ergebnis dieser partiellen Restitution eines polnischen Staates entsprach den polnischen Erwartungen nur bedingt, allerdings umfasste das Herzogtum 1809 mit Warschau, Krakau und Posen drei zentrale polnische Städte. Zudem bekamen vor dem sich abzeichnenden französischrussischen Konflikt die verschiedenen Pläne, Polen in Verbindung mit den Teilungsmächten wiederherzustellen, neue Nahrung. Neben den Überlegungen Adam Jerzy Czartoryskis, eine Restitution Polens innerhalb des Zarenreichs zu vollziehen, verfolgte Antoni Radziwiłł ab 1807 eigene Ideen für ein preußisch-polnisches Zusammengehen. Er schlug vor, der preußische König solle auch den Titel eines Königs von Großpolen annehmen, und versuchte, jedoch ohne Erfolg, Józef Poniatowski, der 1802 von Friedrich Wilhelm III. mit dem Schwarzen Adlerorden ausgezeichnet worden war, für einen Wechsel auf die preußische Seite zu gewinnen.
Während sich mit dem Herzogtum Warschau polnische Vorstellungen zumindest partiell erfüllten, kann das von der Freien Stadt Danzig nicht gesagt werden. Die faktische Herrschaft Napoleons wurde dort nicht mehr als Rückkehr zur faktischen Autonomie der Stadtrepublik in der polnischen Zeit verstanden, stattdessen dominierte nun der negative Einfluss der Kontinentalsperre, die den Danziger Handel fast vollständig paralysierte. Hinzu kamen die an Frankreich zu zahlenden Kontributionen und die Einquartierung von Truppen, deren Zahl 1811 knapp 24.000 betrug (bei ca. 45.000 Einwohnern im Jahr 1806, vor der Einnahme durch die napoleonischen Truppen). Neben durchaus vorhandenen politischen Erwartungen einer Verbindung mit dem Herzogtum Warschau dominierte in Danzig nach der erneuten Übernahme durch Preußen Anfang Januar 1814 die Erinnerung an die Freistadtzeit als Jahre des drastischen wirtschaftlichen Niedergangs.
An diesem Punkt zeigt sich die diametral entgegengesetzte Wahrnehmung der napoleonischen Zeit in Preußen einerseits und Polen andererseits. Während Napoleon in Polen als Befreier gesehen wurde und es auch in den Rheinbundstaaten durchaus Zustimmung zur napoleonischen Herrschaft gab, entwickelte sich in Preußen eine national-patriotische, antinapoleonische Bewegung, die mit Johann Gottlieb Fichtes »Reden an die deutsche Nation« (1807/08) ( Bd. 2, S. 196) begann. Zu einem Massenphänomen wurde sie in der Turnerbewegung von Friedrich Ludwig Jahn, die ein Deutschtum als eine ganzheitliche Lebensform mit eigener Volkstracht und einer von fremden Einflüssen gereinigten Sprache propagierte. Nachdem Friedrich Wilhelm III. 1812 ein Bündnis mit Napoleon gegen Russland geschlossen hatte, setzten sich zahlreiche preußische Militärs, aber auch der Reformpolitiker Stein und der Greifswalder Professor Ernst Moritz Arndt nach Russland ab.
Preußen und Polen befanden sich gewissermaßen nebeneinander, aber nicht miteinander unter napoleonischer Herrschaft. Die gegensätzliche Einschätzung der Lage spiegelte sich auch in ihrer Beteiligung am Zug der Grande Armée gegen Russland 1812/13: Es waren etwa 100.000 Polen und 100.000 Soldaten aus den Rheinbundstaaten beteiligt, aber nur 20.000 preußische Soldaten. Während es in Preußen in Kreisen des Militärs Widerstand gegen den Feldzug gab, sahen die Polen die Möglichkeit, auch die vom Zarenreich „weggenommenen Gebiete“ (ziemie zabrane) zu befreien. So proklamierte der außerordentliche Sejm des Herzogtums Warschau wenige Tage nach Kriegsbeginn eine Generalkonföderation des Königreichs Polen unter der Führung von Adam Kazimierz Czartoryski (dem Vater des erwähnten Adam Jerzy), die sich auch auf Litauen erstrecken sollte. Diese Proklamation wurde aber von Napoleon bezeichnenderweise nicht unterstützt, der stattdessen eine vorläufige Regierung für das Großfürstentum Litauen einsetzte.
Während polnische Verbände an vorderster Front bei der Einnahme von Smolensk und Moskau beteiligt waren und Dąbrowski den Übergang der napoleonischen Truppen über die Berezina verteidigte, hatte Friedrich Wilhelm III. General Yorck von Wartenburg, der das preußische Korps führte, den Befehl gegeben, auf dem Rückzug beim Verlassen des russischen Territoriums von den napoleonischen Truppen abzufallen. Yorck ging jedoch noch einen Schritt weiter und schloss im Dezember 1812 eigenmächtig die Konvention von Tauroggen mit dem russländischen General Hans (Iwan) Diebitsch: Preußen erklärte sich jetzt für neutral. Anschließend wurde Ende Februar 1813 in Breslau und Kalisch ein preußisch-russisches Bündnis unterzeichnet. Am 17. März schließlich wandte sich Friedrich Wilhelm III. in Breslau mit seinem Aufruf „An Mein Volk“ an „Preußen und Deutsche“, die er zum Kampf gegen die Übermacht Frankreichs motivieren wollte. Damit begannen, nach einem weiteren Appell auch des russischen Generals Kutusow, die „Befreiungskriege“ gegen die napoleonische Herrschaft. Eine zentrale Rolle in der nationalen Mobilisierung spielte das 1813 in Breslau gegründete Freikorps des Majors von Lützow, das zum Vorbild für die deutsche Studentenbewegung nach 1815 wurde.
Józef Poniatowski, von dessen Korps kaum 2.000 Soldaten aus Russland zurückgekehrt waren, verweigerte sich einer Abkehr von Frankreich und einer Zusammenarbeit mit dem Zarenreich. Während russische Truppen im Kampf gegen Napoleon über die Grenzen des Zarenreichs nach Westen vorrückten und das Herzogtum Warschau einnahmen, zog Poniatowski nach Sachsen. Das Schicksal des Herzogtums wurde in der Leipziger Völkerschlacht vom 16. bis 18. Oktober 1813 besiegelt: Poniatowski wurde beim Rückzug von den französischen Truppen abgeschnitten und starb in der Elster. Wenig später bereits galt sein Tod als Symbol des polnischen Kampfes für die Freiheit der europäischen Völker. Die „Erlösung Europas von dem Untergang“6 – wie Zar Alexander I. den Sieg über Frankreich bezeichnete – resultierte schließlich in einer Ausdehnung des zarischen Machtbereichs in Polen.
Die Verhandlungen über die nachnapoleonischen Verhältnisse in Europa auf dem Wiener Kongress ab September 1814 standen unter der Prämisse der Restitution dynastischer Herrschaft und des Mächtegleichgewichts sowie der insbesondere mit Klemens Wenzel von Metternich verbundenen Vorstellungen von „Ruhe“ und „Ordnung“. Zu einem zentralen Konfliktfeld entwickelte sich die Zukunft Sachsens und des Herzogtums Warschau. Alexander machte Ansprüche auf das Herzogtum Warschau geltend und Preußen wollte sich als Kompensation für den russländischen Gebietszuwachs Sachsen – wegen dessen Parteinahme für Napoleon – einverleiben. Sowohl gegen die Forderungen Russlands als auch Preußens richtete sich der Widerstand namentlich Großbritanniens und Österreichs. Diese polnisch-sächsische Frage brachte den Kongress an den Rand des Scheiterns und führte zu einer raschen Reintegration Frankreichs in das Mächtesystem. Erst unter dem Druck der Rückkehr Napoleons von Elba kam es zu vertraglichen Vereinbarungen bei den beiden großen Themen des Kongresses: in der Frage nach der Zukunft Deutschlands und der Polens.
In Verträgen von Anfang Mai 1815 verständigten sich die Teilungsmächte auf eine erneute Aufteilung Polens, das heißt, von der Wiederherstellung eines selbstständigen polnischen Staates war nicht mehr die Rede. Allerdings hielt man fest, dass den polnischen Untertanen Einrichtungen zur Erhaltung ihrer Nationalität zu gewähren seien, und in der Wiener Schlussakte, die neun Tage vor der Niederlage Napoleons bei Waterloo verabschiedet wurde, werden „Ständeversammlungen und nationale Einrichtungen“ erwähnt. Die Bestimmungen führten zur Entstehung des Königreichs Polen – in Personalunion mit dem Zarenreich – aus dem größten Teil des bisherigen Herzogtums Warschau. In Preußen entstand das Großherzogtum Posen mit einer Zwitterstellung, denn einerseits sollte es, wie das Königreich Polen, die nationalen Rechte der Polen garantieren, andererseits wurde dem preußischen König dort die volle Souveränität zugesichert. Es gab keine eigenen nationalen polnischen Institutionen, vom Amt des Statthalters abgesehen, und die Region wurde als preußische Provinz direkt in die Hohenzollernmonarchie integriert. Zudem wurde das ursprünglich von Habsburg beanspruchte Krakau in eine Freie Stadt umgewandelt, die unter dem Protektorat der drei Teilungsmächte stand. Galizien, das nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 zum Zentrum polnischer politischer Autonomie werden sollte, erhielt jedoch von Franz I. noch keine Sonderstellung innerhalb der Habsburgermonarchie.
Der zweite zentrale Punkt des Wiener Kongresses galt der Neuregelung der deutschen Angelegenheiten. Hier standen zunächst die territorialen Veränderungen im Vordergrund: Sachsen wurde auf Kosten Preußens reduziert, zudem wurde Preußen durch die Angliederung der links- und rechtsrheinischen Gebiete und Westfalens im Westen Deutschlands für den Verlust der polnischen Gebiete entschädigt. Anders als im Fall Polens, wo die Bestimmungen zu nationalen Einrichtungen mehr als vage waren, wurde mit dem Deutschen Bund, dessen Bundesakte am 8. Juni in Wien verabschiedet wurde, eine die deutsche Nation umfassende Institution geschaffen. Dem Deutschen Bund gehörten Österreich und Preußen nur mit ihren ehemaligen Reichslanden an; die polnischen Gebiete Österreichs sowie Ost- und Westpreußen und das Großherzogtum Posen gehörten dagegen nicht zu dessen Territorium. Dieser Status der preußischen Provinzen erhielt in der Revolution von 1848 zentrale Bedeutung ( S. 50). In den zentralen Problemfeldern des Wiener Kongresses, zu denen neben der deutschen und der polnischen Frage auch noch die italienische gehörte, wurde Nation nicht als revolutionäres Prinzip verstanden, sondern bezog sich auf die vormodernen Staatsstrukturen, die freilich weder im deutschen noch im polnischen Fall wiederhergestellt wurden. Aus der Spannung zwischen mächtepolitischer Restauration einerseits und dem an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnenden Prinzip der Nation andererseits resultierten im deutsch-polnischen Fall die Konflikte des 19. Jahrhunderts.
1 WYBICKI, Józef: Pamiętniki J. Wybickiego Senatora Wojewody Królestwa Polskiego, Lwów 1883, S. 195.
2 SCHOTTMÜLLER, Kurt (Hrsg.): Der Polenaufstand 1806/7, Urkunden und Aktenstücke aus der Zeit zwischen Jena und Tilsit, Lissa i. P. 1907, S. 59*–65*.
3 THIELEN, Peter Gerrit (Hrsg.): Minister im Generaldirektorium. Konflikt und Entlassung. Stein in Nassau – Die Nassauische Denkschrift. Wiederberufung (1804–1807), Stuttgart 1959, Nr. 354.
4 KOSIM, Jan: Ernst Theodor Amadeus Hoffmann in Warschau, in: Zeitschrift für Slawistik 1979, S. 615–636.
5 KLÖFFLER, Martin: Der preußische Überrock 1808–1815. Mit einer Betrachtung der Nachfolger, in: Napoleon Online (2007), www.napoleon-online.de.
6 Nach: WORTMAN, Richard: Scenarios of Power. Myth and Ceremony in Russian Monarchy from Peter the Great to the Abdication of Nicholas II, Princeton, N. J. 2006, S. 112.