Читать книгу Fastenaktion 2022: Üben! Sieben Wochen ohne Stillstand - Fastenlesebuch - Группа авторов - Страница 9
GARTENZWERGKRIEGER Andreas Malessa
ОглавлениеDer Gospelchor singt hinreißend, wirklich. Das Lied „Down by the Riverside“ enthält den ziemlich oft wiederholten Kehrvers „I ain’t gonna study war no more“, weshalb Moni beim vierten oder fünften Mal flüsternd ihren Mann fragt „Heißt doch: Ich studiere das Kriegführen nicht mehr, stimmt’s?“ Jannik nickt, applaudiert in den jubilierenden Schluss des Songs hinein und denkt an morgen früh.
Die Kletterrosen rechts vom automatischen Garagenrolltor wuchern so üppig, dass beim Öffnen manchmal ein paar Blätter und Blüten abgerissen werden. Unvermeidlich. Wenn man durch den Keller zum Auto geht und das Tor von innen öffnet – wer weiß, was außen wieder gewachsen ist! Die Blumenrabatten, in denen die Rosen und Ranken wurzeln, gehören aber zum Grundstück des Nachbarn. Der hatte beim Kauf seines Hauses vertraglich ein „Überfahrtrecht“ zusichern müssen. Stand so im Grundbuch. Moni und Jannik fahren also täglich über seinen Grund und Boden. Rein juristisch. Rein praktisch – und auch raus praktisch – überfahren sie dabei immer mal ein paar seiner Blumen. Herr Nachbar bepflanzte die Grünflächen rechts und links der Garageneinfahrt nämlich mit Sorten, die zuverlässig in die Breite wachsen. Rhododendren, Hortensien, Sträucher aller Art. Als er unter die Büsche auch noch Markierungssteine setzen wollte, war es zum lautstarken Eklat gekommen. Morgen früh wird Jannik wieder rausschlingern. Rückwärts.
Gibt es heute mehr Kriege als zu Jesajas Zeiten?
Der Chordirigent erklärt jetzt etwas langatmig, dass der Prophet Jesaja um 700 vor Christus eine Wallfahrt zum Berg Zion imaginierte, dass Gott „die Völker zurechtweisen“, alle Kriege beenden und ein Friedensreich herbeiführen würde. Die Band intoniert „I’m goin’ up the mountain“, der Chorleiter ruft: „Schwerter zu Pflugscharen! Lasst uns pflügen statt schießen“, dann schmettern die Stimmen.
Moni denkt an die Skulptur vor der UNO. An den heroischen Schmied, der das Schwert krumm hämmert. Und an die Aufnäher auf den Jacken der Friedensdemonstranten in der DDR. Gibt es heute mehr Kriege als zu Jesajas Zeiten oder hören wir nur von allen? Können machtlose Kleinbürgerinnen wie sie die Kriegstreiber der Welt stoppen? „Frieden schaffen ohne Waffen“, herrje, das trugen ihre Eltern als Aufdruck auf Halstüchern.
Jannik denkt ans Pflügen. Man müsste ein paarmal vor und zurück durch seine Blumenhecken pflügen, ratzfatz die ganze blöde Gartenumrandung unserer Garageneinfahrt zu einem matschigen Forstweg verbreitern! Hätte ich einen bulligen SUV mit Frontgitter, wie die Trucks in Australien einen haben, wenn sie Kängurus überfahren, dann … Das Lied endet mit donnerndem Finale. Applaus, Applaus.
„Diese Plastik, die die Sowjets in den Garten der UNO gestellt haben …“, sagt Moni, als sie im Foyer des Saales noch ein Glas trinken. Jannik fällt beim Stichwort „Plastik“ ein, dass morgen die gelben Tonnen rausgestellt werden müssen. Würde er die seines Nachbarn rammen, läge sein Vorgarten voll Plastikmüll, ha!
Moni bricht mitten im Satz ab und starrt Richtung Ausgang. „Sie war auch im Konzert!“
„Wer?“
„Unsere Nachbarin! Die Frau vom Gartenzwergkrieger.“
„Wo?“
„Da, am Ausgang.“
Als die beiden, freundlich Guten-Abend-und-auf-Wiedersehen murmelnd, an ihr vorbei sind, sagt Jannik: „Das Schwierige am Frieden schaffen ist ja, nicht zu sagen, was man denkt, und nicht zu machen, was man könnte.“
„Wie kommst du denn darauf?“