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2. Der Künstlernachlass im umgangssprachlichen Sinne

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Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich der Begriff des Künstlernachlasses auf die künstlerische Hinterlassenschaft, also auf die physischen Produkte des künstlerischen Schaffensprozesses, die immateriellen Rechte daran sowie die diesbezügliche Dokumentation. Alle weiteren Bestandteile des Nachlasses, wie sonstige Sachwerte oder rein private Gegenstände, spielen für die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Künstler und seinem Werk zumindest keine primäre Rolle, sondern dienen – soweit vorhanden – entweder der finanziellen Absicherung der Erben und /oder des künstlerischen Nachlasses beziehungsweise sind der Privatsphäre des Künstlers und seiner Angehörigen zuzuordnen. Sie fallen daher umgangssprachlich nicht unter den Begriff des Künstlernachlasses. Terminologisch folgt dieses Verständnis des Begriffs dem Archivwesen, welches unter einem Nachlass alle nichtamtlichen Unterlagen einer physischen Person versteht, die aus deren privater, gesellschaftlicher, künstlerisch-literarischer oder dienstlicher Tätigkeit hervorgegangen sind und die ein Archiv als Depositum oder durch Schenkung sowie Kauf erwirbt.6 Entsprechend werden als Nachlass eines bildenden Künstlers sämtliche seiner Werke sowie Arbeitsmaterialien und -utensilien, Notizen, Skizzen, Tagebücher und weitere Dokumente wie Zeitungsartikel, Pressetexte, Fotografien oder Einladungskarten verstanden.7 Gleichzeitig strapaziert die umgangssprachliche Anwendung des Begriffs Künstlernachlass die juristische Definition sachlich wie auch sprachlich. Im englischen Sprachraum wird außerhalb der Fachkreise nur selten zwischen dem an sich zeitlich befristeten Estate und der zum Beispiel auf einen solchen rechtlich folgenden Artist-endowed Foundation unterschieden.8 Auch in Kontinentaleuropa werden viele verschiedene Organisationsformen der künstlerischen Hinterlassenschaft verallgemeinernd als Künstlernachlass bezeichnet. Dabei reicht die Bandbreite der denkbaren Strukturen von der rein privatnützigen nicht-institutionalisierten Verwaltung bis hin zu einer rein gemeinnützigen, für die Ewigkeit aufgesetzten Stiftung mit strengen rechtlichen Vorgaben für die darin tätigen Personen.

Durch die umgangssprachliche Zusammenfassung der künstlerischen Hinterlassenschaft als Künstlernachlass bekommt diese eine eigene, postmortale Identität, der weiterhin die Aura des künstlerischen Genius anhaftet, ganz unabhängig davon, ob diese Aura zusätzlich auch eine eigenständige rechtliche Identität wie zum Beispiel durch Gründung einer Künstlerstiftung erhält. Ganz in diesem Sinne stellt die US-amerikanische Künstlerin Jill Magid die Frage nach dem Charakter eines Künstlernachlasses. Was ist er wirklich? Ist er vielleicht selbst noch ein Kunstwerk? Und sind diejenigen, die einen Nachlass verwalten, selbst noch daran mit schöpferisch tätig? Sie versucht diese Frage in ihrer eigenen künstlerischen Praxis neu zu denken, indem sie Künstlernachlässe selbst zum Gegenstand ihrer Arbeit macht. Mit ihrem Luis Barragán Project versucht sie, das Schweizer Sammlerpaar Fehlbaum, Eigentümer des Möbelherstellers Vitra, zu überzeugen, den Nachlass der mexikanischen Architekturikone Luis Barragán wieder in seine Heimat zu bringen. Dieser Nachlass befindet sich derzeit in der von den Fehlbaums kontrollierten Barragán Foundation in der Schweiz.9 Bei der Entscheidung soll ein Diamant helfen, den die Künstlerin aus einem Teil der Asche von Barragán pressen ließ, wofür das mexikanische Parlament eine Sondergenehmigung erteilen musste. Ob sie mit ihrem Angebot Erfolg haben wird, wird sich zeigen. Bereits in einer vorangegangenen Arbeit hatte sich Magid mit Aspekten des Nachlasses künstlerisch auseinandergesetzt: mit dem Werk Auto Portrait Pending10 vermacht sie schon heute ihre zukünftigen Gebeine in Diamantenform an einen kunstsammelnden Ringträger. Der Begriff des Body of Work bekommt damit eine ganz neue, mehrdeutige Konnotation.

Aus einem anderen Blickwinkel arbeitet der deutsche Künstler Peter Piller. Im nach sich selbst benannten Archiv Peter Piller legt er aus Nachlassbeständen und privaten Sammlungen Fotoarchive an und sortiert sie nach Gestaltungselementen sowie inhaltlichen Übereinstimmungen. Sie werden damit selbst zum Werk. Solche Ansätze – so weit sie auch von präzisen juristischen Definitionen entfernt sind – können sehr anregend sein, wenn man selbst in der Verantwortung für einen Künstlernachlass steht. Betrachtet man – beispielsweise als zeitlich limitierte Übung – den Nachlass als Kunstwerk per se, traut man sich, freier über die eigene Rolle und die eigenen Möglichkeiten nachzudenken, was insbesondere für Kinder von Künstlern erleichternd sein kann, die die Verantwortung für den Nachlass oft auch als Bürde empfinden.

1 Helena Brack, in: Katrina Strickland, Affairs of the Art. Love, Loss and Power in the Art World, Carlton, Victoria 2013, S. 12.

2 In diesem Buch konzentrieren wir uns auf die Rechtsordnungen Europas sowie der Vereinigten Staaten von Amerika. Insofern werden generalisierende Aussagen nur in Bezug auf diese Rechtssysteme getroffen. Geht es um einzelnen Rechtssystemen innerhalb dieser geografischen Einschränkungen spezifische Aussagen, so weisen wir sie entsprechend aus.

3 Siehe Palandt. Bürgerliches Gesetzbuch, bearbeitet von Peter Bassenge, Gerd Brudermüller, Uwe Diederichsen, Wolfgang Edenhofer, Jürgen Ellenberger, Christian Grüneberg, Helmut Heinrichs, Hartwig Sprau, Karsten Thorn, Walter Weidenkaff, 68. Aufl. München 2008, § 1922, Rn. 7.

4 http://www.cross-channel-lawyers.de/tag/englisches-erbrecht-erbfolge-pflichtteil/.

5 Siehe dazu ausführlich zum Beispiel das US-Standardwerk zum Kunstrecht: Ralph E. Lerner und Judith Bresler, Art Law: The guide for collectors, investors, dealers & artists, New York 2005, oder auch das umfangreiche Informationsmaterial der Aspen Institute Artist-Endowed Foundations Initiative (AEFI); http://www.aspeninstitute.org/policy-work/nonprofit-philanthropy/artist-endowed-foundations.

6 So definiert im Glossar ausgewählter archivfachlicher Begriffe der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main; http://www.ub.uni-frankfurt.de/archive/glossar.html.

7 Roger Fayet und Deborah Favre, Umgang mit Künstlernachlässen in der Schweiz, SIK-ISEA Studie vom 17. März 2014, S. 6.

8 Details zu rechtlichen Unterscheidungen in den USA nennt z. B. das Informationsmaterial der Aspen Institute Artists-Endowed Foundations Initiative (wie Anm. 5); zum verallgemeinernden Gebrauch des Begriffs in den USA siehe z. B. Magda Salvessen und Diane Cousineau, Artists’ Estates: Reputations in Trust, New Brunswick, N.J. 2005.

9 http://www.barragan-foundation.org/; http://www.welt.de/print-welt/article526454/Luis-Barragan-das-Phantom-von-Mexiko.html.

10 http://www.raebervonstenglin.com/index/artists/Jill-Magid/images.html.

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