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Einleitung

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Der Großteil der Menschen, die die Verantwortung für einen Künstlernachlass übernehmen, »stolpern« in diese Rolle: Sie übernehmen die Verantwortung für das Œuvre eines verstorbenen Künstlers, weil sie dessen Sohn, Tochter, Enkel oder Enkelin sind oder weil sie einen Künstler als Frau, als Lebensgefährte oder Freund begleitet haben. Auch in meinem Fall war der erste Berührungspunkt mit dem Thema Künstlernachlässe ein familiärer. 2009 starb mein Schwiegervater. Neben seiner Tätigkeit als Kunstgeschichtsprofessor hatte er sich um den Nachlass seines Vaters Wolfgang Tümpel gekümmert, eines am Bauhaus ausgebildeten Silberschmieds und Industriedesigners. Diese Aufgabe fiel nun meinem Mann zu, der nach dem Tod seines Vaters vor den vielen Mappen und Kisten saß und zunächst keine Ahnung hatte, was er mit ihnen anfangen sollte. Zwar hatte es immer wieder hier und da eine Ausstellung mit den Werken Wolfgang Tümpels gegeben, doch hatte der Nachlass auch 30 Jahre nach dem Tod des Künstlers keine wirklich gute Form gefunden. Und wir merkten zugleich, wie schwer es selbst in der zweiten Generation ist, sich in der Arbeit mit einem geerbten Œuvre von den emotionalen Beziehungen innerhalb einer Familie zu lösen, sodass ein unabhängiger Blick auf das Werk und eine sachliche Nachlassarbeit möglich werden. Mein Mann entschied, dass eine institutionelle Verankerung das Beste für das Werk seines Großvaters sein würde, und machte sich auf, ein Museum zu finden, das Interesse haben könnte. Schließlich übergab er den Nachlass dem Museum Huelsmann in Bielefeld, in der Stadt, in der Wolfgang Tümpel lange gewohnt und gearbeitet hatte.

Für uns war diese Erfahrung der Einstieg in die faszinierende Arbeit mit Künstlernachlässen. 2008 übernahmen wir die Mitverantwortung für den Nachlass des Bildhauers Hans Arp, diejenigen von Sophie Taeuber-Arp und Keith Arnatt folgten. Heute arbeiten wir mit einer Vielzahl von Nachlässen zusammen. Zudem stellen wir mit dem von uns gegründeten Institute for Artists’ Estates (artists-estates.com) Nachlässen aus aller Welt Forschungsergebnisse, Kontakte zu anderen Nachlässen, ein Archiv zum Thema Künstlernachlässe und nachlassbezogene Beratung zur Verfügung.

Von Anfang unserer Arbeit an habe ich den Kontakt zu anderen Nachlässen gesucht. Ich wollte von ihnen lernen und verstehen, was einen erfolgreichen Künstlernachlass ausmacht. Und: Mit welchen Themen müssen sich Künstlernachlässe beschäftigen? Welche Optionen haben sie? Diese Gespräche waren der Ausgangspunkt dieses Buches, und ich danke jedem einzelnen Gesprächspartner für seine Offenheit, sein Vertrauen und seine Anregungen! Zwölf dieser mehr als 50 Gespräche – mit großen und kleinen Nachlässen, mit Nachlässen, die privat geführt sind oder von einem Museum übernommen wurden, sowie mit Nachlässen, deren Bestände in Stiftungen mit Millionenvermögen eingeflossen sind – haben wir im zweiten Teil dieses Buches wiedergegeben. Diese Nachlässe sind so unterschiedlich, wie Künstler genial, eigenwillig und verschieden sind. Dennoch ähneln sie sich insofern, als es allen gelungen ist, das ihnen anvertraute Werk lebendig zu halten.

Bei allen Unterschiedlichkeiten sind die Fragen dieselben, die sich ein Künstler zu Lebzeiten oder sein Nachlass stellen muss, um eine belastbare Nachlassstruktur zu finden: In welcher Form soll der Nachlass verwaltet werden? Wer soll den Nachlass verwalten? Wie sollte der Nachlass mit Museen, Galerien und der Wissenschaft zusammenarbeiten? Wie kann sich der Nachlass finanzieren? Entlang dieser Fragen haben wir dieses Buch gegliedert und versucht, die Bandbreite möglicher Antworten aufzuzeigen – in dem Bewusstsein, dass am Ende die Antwort von jedem Nachlass selbst gefunden werden muss und es nicht die eine, richtige Nachlassstruktur gibt. Ein weiterer Baustein des Buches war die Erkenntnis, dass Nachlässe einen Lebenszyklus haben, der sich in drei Phasen aufteilen lässt:

1. Strategie- und Sicherungsphase

2. operative Phase

3. Phase der Aufgabenerweiterung oder Endphase

Jede dieser Phasen bringt eigene Herausforderungen und Fragestellungen mit sich. Zu Beginn steht die Strategie- und Sicherungsphase, die davon geprägt ist, dass sich die Hinterbliebenen und für den Nachlass Verantwortlichen fragen müssen, welche Ziele sie mit welchen Mitteln in der Nachlassarbeit erreichen wollen. Gleichzeitig gilt es, den Nachlass zu sichten, zu sortieren und zu bewerten, um zu wissen, auf was man aufbauen kann. Sind diese Fragen beantwortet, beginnt die operative Nachlassarbeit, die sich auf die Arbeit mit dem künstlerischen Nachlass konzentriert. Das heißt: Werkverzeichnisse erstellen, Archive öffnen sowie die posthume Rezeption des Künstlers in positive Bahnen lenken und in dieser Rezeption Schwerpunkte setzen. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem der Nachlass kunsthistorisch aufgearbeitet und das Werk so gut positioniert ist, dass es nicht mehr fortlaufender Impulse durch den Nachlass bedarf. Bei einem guten Verlauf ist dies nach zehn bis zwanzig Jahren der Fall. Dann kommt die Frage auf, was der Grund dafür ist, dass man als »Nachlass-Vehikel« weiter bestehen bleibt. Man muss sich also mit dem »Und dann?« auseinandersetzen und sich fragen, ob die Arbeit am Werk des Künstlers vielleicht getan ist. Nachlassarbeit darf kein Selbstzweck sein, es kann nicht darum gehen, Angestellte in Lohn und Brot zu halten. In dieser Phase sollten sich die für den Nachlass Verantwortlichen fragen, was sie mit den vorhandenen Mitteln über die direkte Pflege der künstlerischen Hinterlassenschaft hinaus noch erreichen können oder wollen.

Dieses Buch will versuchen, innerhalb der beschriebenen Prozesse Orientierung zu geben und Nachlässen zu helfen, die eigenen Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu finden. Zudem hoffen wir aufzuzeigen, dass durch gutes Management auch mit begrenzten Mitteln viel für den Künstler und sein künstlerisches Vermächtnis erreicht werden kann. Die vielen Praxisbeispiele, die die Arbeit sowohl kleinerer als auch großer Nachlässe reflektieren, sollen anregen, sich mit anderen Nachlässen auszutauschen. Dort, wo wir über den Kunstmarkt sprechen, konzentrieren wir uns auf die Strukturen und Regeln des globalisierten Kunstmarkts, der für die meisten Nachlässe die relevante Bezugsgröße ist; hinsichtlich der rechtlichen Aspekte auf die Rechtssysteme der EU und der USA. Allerdings möchte ich betonen, dass das Buch kein rechtlicher Ratgeber ist, sondern sich auf die inhaltlichen Fragen der Nachlassarbeit konzentriert. Wir wollten der Frage nachgehen, was ein gutes Nachlassmanagement ausmacht, und sind der Überzeugung, dass die Antwort auf diese Frage durch Faktoren bestimmt wird, die unabhängig von den Einzelheiten des Rechtssystems sind, in dem der jeweilige Nachlass zu Hause ist. Um die Herausforderungen abzubilden, mit denen eine große Bandbreite von Nachlässen konfrontiert ist, war daher eine gewisse Verallgemeinerung in Bezug auf rechtliche Aspekte notwendig; wir haben versucht, dies durch Hinweise auf weiterführende (juristische) Literatur aufzufangen. Die Ausführungen in diesem Buch können nur helfen, einen ersten Überblick über die für Nachlässe relevanten rechtlichen Fragestellungen zu bekommen und dadurch qualifizierter in die Gespräche mit Rechtsanwälten und Steuerberatern zu gehen – die für alle relevanten rechtlichen und steuerrechtlichen Fragen unbedingt konsultiert werden sollten.

Entstanden ist dieses Buch in enger Zusammenarbeit mit Karl von Trott und meinem Mann Daniel Tümpel. Beiden danke ich für den fortwährenden Dialog, der das eigene Denken immer wieder herausfordert, weiterführt und präzisiert – es war und ist eine Freude! Ebenso danke ich von Herzen den vielen Künstlern, ihren Kindern, Männern, Frauen und Enkeln sowie anderen Nachlassbetrauten, die mit uns so offen über die vielen Fragen gesprochen haben, die sich in Zusammenhang mit der Thematik Nachlass stellen. Dabei ließen sie uns nicht nur an den sachlichen, sondern auch an den emotionalen Aspekten dieser Thematik teilhaben, und dieses Vertrauen war eines der großen Geschenke während der Entstehung dieses Buches. Es hat diese Zeit zu einer besonders wertvollen Erfahrung werden lassen, und wir hoffen, die Arbeit auf vergleichbar hohem Niveau durch das Institute for Artists’ Estates fortführen zu können.

Loretta Würtenberger

Frühjahr 2016

Der Künstlernachlass

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