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Erzählte Kindheit
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«Wie es war – war es so?»
Laure Wyss
Vierunddreissig Personen erzählen aus ihrer Kindheit in der Schweiz der letzten beiden Jahrhunderte. Der älteste, Jakob Senn, war ein Zeitgenosse von Gottfried Keller, er wurde 1824 in Fischenthal in ärmlichste Verhältnisse geboren, die jüngste, Meral Kureyshi, wurde 1983 in Prizren im Kosovo geboren und kam mit zehn Jahren in die Schweiz.
Die Texte stammen aus Büchern, die im Limmat Verlag im Verlauf der vierzig Jahre seit seiner Gründung erschienen sind. Sie sind alle in der Ich-Form gehalten, Erwachsene erzählen selbst aus ihrer Kindheit – auch wenn sie das Erzählte manchmal nicht selbst aufgeschrieben haben. Dabei wurden auch Auszüge aus Texten aufgenommen, welche die Gattungsbezeichnung Roman tragen, aber erklärtermassen autobiografisch geprägt sind. Die neuere Gedächtnisforschung hat festgestellt, dass Erinnerung etwas sehr Bewegliches und Veränderliches ist und dass das Erinnerte im Augenblick des Erinnerns gewissermassen ‹erfunden› wird. In diesem Sinn können wir mit Fug und Recht feststellen, dass alles ‹wahr› ist, was in diesem Buch steht.
Die Anthologie versucht nicht, irgendeine Art Geschichte der Kindheit in der Schweiz abzubilden, das ist einerseits kaum möglich, andererseits ist es erstaunlich, wie sehr sich die Welten der Kinder vom neunzehnten bis in die Sechzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts noch ähneln – fast möchte man sagen, dass die Schichtunterschiede prägender sind als die historischen. Das Auffallendste ist vielleicht, wie selbstverständlich Kinder arbeiteten, wie stark das Leben geprägt war von Religion und allerlei Autoritäten und wie selbstverständlich Kinder gestraft und geschlagen wurden, zu Hause, in der Schule. Daneben taten sie das, was Kinder bis heute tun: Spielen, Lesen, Lernen – nicht zuletzt durch das Beobachten der wunderlichen Welt der Erwachsenen.
Die Texte sind also nicht chronologisch angeordnet, der Reigen beginnt mit Geburt und ersten Erinnerungen, dann gibt der eine dem andern das Stichwort, als sässen die vierunddreissig Menschen zusammen, erzählten sich ihre Geschichten, und eine Erzählung ruft die nächste auf. Für die Leser und Leserinnen entsteht so ein weites Panorama der Kindheit, das sie vielleicht im Kopf mit ihren eigenen Erinnerungen ergänzen werden.
Erwin Künzli