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1908, Val d’Anniviers VS Adeline Favre

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Ich wurde an einem 22. Mai geboren. Mama war an jenem Tag ganz allein zu Hause, denn mein Vater war ins Tal hinunter gegangen, um nach den Reben zu sehen. Im Tal unten war ein halber Meter Schnee gefallen, eher ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Wie alle Leute aus dem Val d’Anniviers hatten auch wir in der Gegend von Sierre, in ­Niouc, unsere Reben. Sie waren für uns fast die einzige Quelle für Bargeld, und eine Naturkatastrophe brachte schwe­re finanzielle Folgen für das kommende Jahr. Nun hatte Papa in diesem Jahr vorgearbeitet und die Reben schon frühzeitig aufgebunden. Dies im Hinblick auf meine bevorstehende Geburt: Er wollte zu Hause sein, wenn er benötigt wurde. Als er an diesem 22. Mai den Schnee sah, stieg er sofort ins Tal hinunter, um den Schaden an den Reben festzustellen. Es zeigte sich übrigens, dass er nicht so gross war wie bei den Nachbarn. Papa hatte auch die Kühe hinuntergetrieben, damit sie die abgebrochenen Zweige fressen konnten, die er auf dem Rücken des Maultiers bis nach Niouc gebracht hatte. Hierher trug man auch die dürren Rebenblätter, die man mit Heu mischte und den Kühen zu fressen gab.

So musste mich Mama an jenem 22. Mai allein zur Welt bringen. Zudem wurde ich in Steisslage geboren. Die Hebamme, Madame Pont, eine Cousine von Mama, sagte zu ihr: «Ich kann dir nicht helfen, du musst es ganz allein fertigbringen. Ich kann dir nicht helfen …» Sie betete in einer Ecke des Zimmers, und Mama presste.

Madame Pont war verzweifelt, dass sie nicht helfen konnte. Zu ihren Gunsten muss man sagen, dass die Hebammen damals nicht vorbereitet waren auf Komplikationen und dass ihnen die medizinischen Kenntnisse, die mir später zugute kamen, fehlten. Sie taten ihr Bestes mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen. Oft allerdings blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu beten …

Weil Papa nicht da war, holte Madame Pont voller Angst ihren Mann zu Hilfe. Es geschah oft, dass der Ehemann der Hebamme zur Hand ging. Monsieur Pont war Schuhmacher. Mama hat uns später oft erzählt, wie sie sich um seinen Hals geklammert hatte, um besser pressen zu können. Ich war offenbar ein recht grosses Bébé, das achte und das erste der zweiten Hälfte von vierzehn Kindern.

Kindheit in der Schweiz. Erinnerungen

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