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Munde, tuus rursum venit modo, dire, Philippus

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Mordanschlag und Exil in Francesco Filelfos Satyra 5, 6

Maria Barbara Kapeller (Wien)

Sicis ipse venenisque utatur, ego autem

ingenio et arundine.1

Francesco Filelfo

Als der italienische Humanist Francesco Filelfo (1398–1481) Ende des Jahres 1434 in der Hoffnung, einer Bestrafung durch Cosimo de’ Medici zu entgehen, Florenz verließ, sollte ihm Siena als Ort der Zuflucht dienen.2 Cosimo war seinerseits gerade aus der Verbannung und an die Macht zurückgekehrt, und die Angst Filelfos, sein Leben in Florenz würde nach dem Wiederauftauchen der Medici auf der politischen Bühne der Stadt in Gefahr schweben, war durchaus berechtigt, hatte er doch in ihrer beinahe elf Monate währenden Abwesenheit kein Blatt vor den Mund genommen, was seine wahre Gesinnung der Familie gegenüber anbelangte.3 So gab vor allem die Satyra 4, 1, in der sich der Tolentiner,4 während sich Cosimo und seine Anhäng­er im September 1433 in Gefangenschaft befanden und auf ein Urteil über ihr weiteres Schicksal warteten, gegen eine Verbannung und für deren Todesstrafe aussprach, Grund zur Annahme, dass diese Meinungsäußerung im Falle einer Rückkehr der Medici mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ohne Konsequenzen für ihn bleiben würde.5 Auch war am 18. Mai des Vorjahres bereits ein Attentat auf Filelfo verübt worden, hinter dem er Cosimo als Anstifter vermutete.6 Dieser, so Filelfo, habe den sicarius Filippo da Casale mit seiner Ermordung beauftragt, ein Plan, der jedoch gescheitert sei, da er lediglich eine Wunde im Gesicht davongetragen habe.7 Aufgrund dieser äußerst heiklen Situation bevorzugte es Filelfo, Cosimos Rache, die neben dem Anführer der verdrängten oligarchischen Partei, Rinaldo degli Albizzi,8 auch zahlreiche andere seiner Unterstützer, wie etwa Palla Strozzi,9 traf, zuvorzukommen und sein Heil im Exil zu suchen.10

Da Filelfo dort seine medicifeindliche Haltung nicht einstellte und die verhasste Partei auch aus der Ferne literarisch bekämpfte und provozierte,11 kam es zu einem weiteren Vorfall, den er nur dank glücklicher Umstände überlebte: Anfang Mai des Jahres 1436 begab sich derselbe Meuchelmörder, der ihn schon fast genau drei Jahre zuvor tätlich angegriffen hatte, mit identischem Auftrag nach Siena.12 Dank eines aufmerksamen Freundes, Pietro Giovannetti, dem die Person verdächtig erschien, konnte das geplante Verbrechen jedoch verhindert werden.13 Dem Festgenommenen, der unter Folter gestand, von Girolamo Broccardi14 beauftragt worden zu sein, wurde zur Strafe die rechte Hand abgehackt.15

Der Humanist nahm diese Affäre zum Anlass, um eine Satire an Cosimo de’ Medici zu richten, den, so glaubte er, wahren Auftraggeber des Mordversuchs (Sat. 5, 6). Filelfo arbeitete von 1431 bis 1449 an der umfangreichen Sammlung seiner Satyrae (insgesamt 100 Gedichte zu je 100 Hexametern, paritätisch verteilt auf 10 Bücher), die wie kaum ein anderes Werk einen Eindruck von der politischen und kulturellen Atmosphäre des italienischen Quattrocento vermitteln, wobei mit der strikten Form der von großer varietas gekennzeichnete Inhalt konstrastiert.16 Die fünfte Dekade, die u.a. das zeitgenössische Geschehen in Florenz und Siena reflektiert, sticht durch ihren politischen Charakter hervor. In diesen Kontext gehört auch die Satyra 5, 6, die vermutlich noch im Jahr des vereitelten Anschlags verfasst und in Umlauf gebracht wurde.17

Die Satyra 5, 6, in der Filelfo wie auch in anderen Gedichten mit den Grenzen der Gattung spielt,18 weist so zahlreiche Merkmale einer Invektive auf,19 dass sie als „l’invettiva più feroce dell’intera raccolta“ bezeichnet worden ist.20 Anhand einer eingehenden Analyse ausgewählter Textstellen soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie und unter Einsatz welcher rhetorischer und stilistischer, aber auch lexikalischer Mittel Filelfo die für ihn besonders aufwühlenden Ereignisse in Siena literarisch verarbeitet hat.21

Bereits die Eröffnungsverse der Satire greifen das Thema des Mordanschlags auf (Sat. 5, 6, 1–4):22

Munde, tuus rursum venit modo, dire, Philippus,

in faciem quicunque tuo mihi nomine quondam

inflixit vulnus, quo me sicarius aura

privaret tandem et tanta te mole levaret.

(Unheilvoller Mundus, dein Philipp, der mir einstmals in deinem Namen eine Wunde im Gesicht zugefügt hat, durch die der Mörder mich schließlich des Atems berauben und dich um eine so große Last erleichtern wollte, ist gerade zurückgekommen).

Sie tun dies durch eine kurze Allusion auf den erneuten Mordversuch und die Reminiszenz an jenen von 1433 gleich doppelt. Gleichzeitig mit den Verbrechen wird auch der Mann, der sie angeblich angeordnet hat, eingeführt: Cosimo. Durch seine direkte Ansprache gleich mit dem ersten Wort, einem verächtlichen Munde, dem kurz darauf das Adjektiv dire nachgestellt wird, wird er als Adressat der Satire eindeutig definiert.23 Mundus ist ein von Filelfo für Cosimo häufig verwendetes Epitheton, das sich auf die Etymologie von „Cosimo“, nämlich κόσμος, zurückführen lässt.24 Der Autor spielt mit dem Ausdruck voller Ironie auf Cosimos Hochmut an, denn dieser meine, die ganze Welt zu beherrschen.

Die Verbindung tuus […] Philippus weist den sicarius, der Filelfo namentlich bekannt ist, fast als wäre er ein altbekannter Freund, eindeutig seinem Auftraggeber zu. Mit der auffallend dichten Verwendung von Possessiv- und Personalpronomina in diesen vier Versen schafft der Tolentiner zudem eine klare Distanz zwischen sich und dem politischen Machthaber: tuus, tuo und te stehen in Gegensatz zu mihi und me.25 Dennoch beschreibt Vers 4 eine Gemeinsamkeit beider: Sowohl Filelfo als auch Cosimo wäre im Falle des Gelingens des Attentats etwas weggenommen worden – dem einen sein Lebensatem, dem anderen eine Last: quo me sicarius aura / privaret […] et tanta te mole levaret.

Das Motiv der Last zieht sich auch in der nun folgenden rhetorischen Frage weiter, die Filelfo ebenfalls direkt an Mundus richtet (5–6): Quur adeo tibi nostra gravis, tibi nostra dolori / est vita, et tantos affert tibi, perdite, luctus? („Warum ist dir mein Leben so beschwerlich, so schmerzhaft und bringt dir so große Trauer, Verdorbener?“). Auch hier steht tibi […] tibi […] tibi wieder im klaren Gegensatz zu dem vom Autor verwendeten nostra […] nostra. Cosimo wird als Leidtragender dargestellt, der Filelfos Existenz ertragen muss, die ihm gravis und dolori ist und die ihm, als Höhepunkt der trikolonischen Klimax, tantos luctus bringt. Diesem seinen Leiden wollte er wohl mit den beiden geplanten Mordanschlägen ein Ende setzen. Der gesandte sicarius sollte ihn endlich davon befreien, was allerdings weder beim ersten Versuch noch beim zweiten während Filelfos Exil in Siena gelungen war.

In den folgenden, von Filelfo selbst vorgeschlagenen Antworten auf die in 5–6 gestellten Fragen tritt zum ersten Mal explizit das Thema des Exils zum Vorschein (7–11):

Num quia quo possum faveo quos ieceris urbe,

consilio atque fide? Quod quae mihi praemia Sena

munere pro pulchro statuit communia mecum

immerito patria pulsis et fraude fugatis

esse volo, nulloque inopes discrimine servo?

(Etwa, weil ich, wo ich kann, die, die du aus der Stadt geworfen hast, durch Ratschlag und Treue unterstütze? Weil ich will, dass die Vorzüge, die mir Siena zum schönen Geschenk bestimmt hat, den unverdient aus der Heimat Verstoßenen und durch Betrug Vertriebenen mit mir gemeinschaftlich sind, und ich ohne Unterschied den Mittellosen diene?).

Als variatio für quos ieceris urbe verwendet Filelfo hier die alliterierenden Ausdrücke patria pulsis und fraude fugatis. Alle drei Wendungen suggerieren eine unrechtmäßige Verhängung des Exils, das nur durch Betrug durchgesetzt worden sei. Filelfo stellt sich selbst als guten Samariter dar, der seinen Leidensgenossen consilio atque fide zur Seite stand. Das Adverb immerito unterstreicht, dass sich die Exilanten unverdient in ihrer Lage befanden: sie sind zu Unrecht vom ‚bösen‘ Cosimo verstoßen worden.

Die Vorgeschichte zu Filelfos Exil begann mit seiner Anstellung am Studium Florentinum26 im April 1429, die von Palla Strozzi und Persönlichkeiten wie Cosimo de’ Medici, Niccolò Niccoli, Ambrogio Traversari und Leonardo Bruni befürwortet worden war. Seine Vorlesungen fanden zwar allseits großen Anklang, doch geriet Filelfo schon bald „in die Mühlen des Florentiner Ränkespiels“.27 Immer heftiger und häufiger wurden die Auseinandersetzungen mit den anderen Gelehrten, beispielsweise mit Carlo Marsuppini, der versuchte, Filelfo seine Stelle am Studio streitig zu machen.28 Spielten anfangs noch Differenzen in kulturellen Fragen die Hauptrolle, so gewann mit der Zeit die politische Dimension die Oberhand. Filelfo gelang es nicht, sich angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen der Partei der Albizzi und der aufstrebenden Familie der Medici neutral zu verhalten. Er schlug sich auf die Seite der schwächeren Partei von Rinaldo degli Albizzi, womit er sich Cosimo de’ Medici und dessen gesamte Anhängerschaft, neben Marsuppini auch Poggio Bracciolini und Niccoló Niccoli, zum Feind machte. Ausschlaggebend war 1431–1432 Filelfos lectura Dantis im Studio, in der er mit Dantes traditionalistischer Sichtweise übereinstimmte, die für die Werte des bürgerlichen Patriotismus stand und mit der republikanischen Oligarchie in Verbindung gebracht wurde.29 Wie erwähnt gipfelte die Auseinandersetzung im Attentat vom 18. Mai 1433, das Filelfo Cosimo zur Last legte. Da dieser aufgrund seines zu großen Machteinflusses noch im selben Jahr von der Signoria ins Exil geschickt wurde, schien die Lage vorerst entschärft. Bereits elf Monate später jedoch, am 6. Oktober 1434, gelang Cosimo die Rückkehr, was seinen endgültigen Sieg über die oligarchische Partei der Albizzi und Filelfos Abschied aus Florenz bedeutete.

Doch zurück zur Satyra 5, 6, wo Filelfo wie folgt fortfährt (12–14a): An quia te satyrae cruciant, quibus undique notus / factus es et nunquam de te stupefacta silebit / posteritas probrisque tuis? („Oder weil dich die Satyrae quälen, durch die du überall bekannt geworden bist und die erstaunte Nachwelt niemals schweigen wird über dich und deine Schandtaten?“). Die dritte Antwort besagt, dass Cosimo womöglich von Filelfos Satiren heimgesucht wird, da diese dafür sorgten, dass er und seine Schandtaten nicht nur zum damaligen Zeitpunkt in aller Munde waren, sondern auch die Nachwelt noch lange beschäftigen würden. Dafür verantwortlich zeichnet Filelfo selbst, dessen Genugtuung unverkennbar zwischen den Zeilen durchschimmert. Mit der durch das que erzeugten engen Verbindung von te und probris tuis wird Cosimo auch syntaktisch auf eine Stufe mit seinen Schandtaten gestellt und letztlich über sie definiert. In den probra schwingen zwar wiederum die beiden Mordversuche mit, doch meint Filelfo nicht nur die ihm persönlich zugefügten Untaten, sondern auch jene, die Cosimo dem Volk von Florenz angetan habe. Um welche Vergehen es sich genau handelt, bleibt allerdings offen.

Der Dichter wirft stattdessen die Frage Fugis, improbe, nomen / immortale, fugis? auf (14b–15a). Der Kyklos, gebildet von fugis […] fugis, umschließt eine Einheit, die den Ruf oder Namen Cosimos, nomen, ins Zentrum stellt, der ewig, immortale, sein werde. Durch die morphologischen Entsprechungen von improbe und immortale, die jeweils das Negationspräfix im-, ein kurzes o in der Mitte und die Endung -e enthalten, entsteht der Eindruck, als verweise eben dieses improbe auf den besagten unsterblichen Namen. Anschließend fährt Filelfo mit seinen Fragen fort: Nec quantum fama superstes / ferre voluptatis secum solet, improbe, sentis? (15b–16, „Bist du dir nicht bewusst, wieviel an Annehmlichkeit dauerhafter Ruhm mit sich zu bringen pflegt, Unverschämter?“). Erneut kommt der Vokativ improbe zum Einsatz, wodurch die frühere Beschimpfung bekräftigt wird. Zwei Beispiele von antiken Berühmtheiten, die durch ein Verbrechen unsterblichen Ruhm erlangt hätten, folgen in den Versen 17–22:

Nonne ausus quidam templum inflamare Dianae?

Nonne tulit regi faeralia fata Philippo

Pausanias, clarum quo longa in saecula nomen

aptus, item gelidi post tristia fata sepulchri

viveret et, probitas quam non dabat ulla diurnam,

redderet aeternam scelus indelebile famam?

(Hat es nicht jemand gewagt, den Tempel der Diana anzuzünden? Hat nicht Pausanias dem König Philipp das todbringende Schicksal gebracht, damit er, indem er einen über viele Jahrhunderte hinweg berühmten Namen erwarb, auch nach dem traurigen Schicksal des kalten Grabes weiterlebe und ein unauslöschliches Verbrechen seinem Ruhm, den Rechtschaffenheit ihm nicht einmal für einen Tag bescherte, Ewigkeit verleihe?).30

Als Erstes nennt Filelfo hier eine unbestimmte Person, quidam, die es gewagt habe, den Tempel der Diana in Brand zu stecken. Natürlich ist damit Herostratos gemeint, der seinen Namen durch diese Tat unsterblich machen wollte, was ihm augenscheinlich auch gelang, muss Filelfo doch nicht einmal seinen Namen nennen. Die zweite Begebenheit aus der Antike, auf die Filelfo Bezug nimmt, ist die Ermordung des makedonischen Königs Philipp II. durch Pausanias, einem Mitglied seiner Leibwache. Auch Pausanias kam so zu einem viele Jahrhunderte währenden Nachruhm – man beachte die abbildende Wortstellung clarum longa in saecula nomen –, den er auf rechtschaffene Weise niemals erworben hätte.

Als unausgesprochener Dritter in dieser Reihe fungiert Cosimo, doch fehlt seinen Untaten das Format, um von sich aus ewige Berühmtheit zu erlangen. Dass sich aushilfsweise Filelfos Satyrae um Cosimos Ruhm bemühen, weiß dieser freilich nicht zu schätzen. Statt sich Filelfo dankbar zu erweisen, ersinne er dessen Tod: Ipse tuae studeo famae; tu, perfidus, atrum / ingratusque mihi loetum struis aere doloque (23–24). Mit dem Begriffspaar aere doloque wird eindeutig darauf angespielt, dass Cosimo einen Auftragsmörder engagiert habe.31 In nur zwei kurzen Versen wird er so als treuloser und undankbarer Mörder charakterisiert, der voller Arglist selbst davor nicht zurückschreckt, andere durch Bestechung zu Verbrechen anzustiften. Dies sei jedoch bloße Geldverschwendung: Nil tamen efficias: nummos consumis et artem (25). Seien ihm, Filelfo, die Sterne nämlich günstig gesonnen, verhindern sie ohnehin die feram necem und Cosimo bemühe sich vergeblich; bedrohen sie ihn aber mit dem Tod, dann würden Filelfos cautio et ingenii vigor indefessus sowie seine acris cura und sein labor vigil nicht zulassen, dass die saeva astra sich durchsetzten (26–27). Auf diese Weise wird Cosimo die Macht über Leben und Tod genommen, die dieser zu haben glaubt. Filelfo schreibt sie stattdessen teils dem Schicksal, teils sich selbst zu. Voll Ironie sich auf die Kosten-Nutzen-Rechnung einer elenden Kaufmannsseele einlassend, fordert der Humanist den Bänker Cosimo wenig später dazu auf, das Geld und Gold, mit dem er die Heimat unterdrücke, lieber zu sparen: Nummis parce tuis, patriam quibus opprimis; auro / parce, quadruplator! (32–33a).

Im Anschluss flicht Filelfo allgemeine Gedanken über den Tod ein, der nur ein Mittel sei, um die Seele aus ihrem Gefängnis, dem Körper, zu befreien und sie dorthin zurückkehren zu lassen, von wo sie gekommen sei (33–50). Der Exkurs leitet inhaltlich geschickt zur zweiten Hälfte der Satire über, wo sich zunächst die Reihe der rhetorischen Fragen fortsetzt: Quidnam mihi triste minaris / adventare canens supremi temporis horam, / […]? / Num biberis Clarii, dic vates, numinis undas? Nachdem Filelfo hat wissen wollen, warum ihm Cosimo seine letzte Stunde androhe, fragt er ihn ironisch, ob er von der Quelle des Clarius, ein Beiname des Wahrsagegottes Apoll, getrunken habe, und nennt ihn einen Propheten, vates (50–53), um gleich darauf seinerseits eine unheilvolle Warnung auszusprechen: Verum / oro, cave ne te brevior iam deserat annus (54b–55). Cosimo möge sich vorsehen, dass er nicht selbst bald sterben werde. Fast genau in der Mitte des Gedichts, das wie jede Filelfische Satyra hundert Verse zählt, erfolgt eine Art Peripetie. Der Dichter, der in Anlehnung an Ovids Ibis selbst zum vates zu werden scheint,32 spricht eine Mahnung aus, die eigentlich das Gegenteil impliziert. Das, wovor er den Adressaten warnt, entspricht dem, was er sich in Wahrheit erhofft, wie die nachfolgenden Verse explizit bestätigen: Illa mihi magna est magni faciunda voluptas, / quod te summa quidem nobis auctoribus unum / pestis perniciesque manet (56–58a). Dass Cosimo Tod und Untergang drohen, pestis perniciesque, und zwar auf Veranlassung Filelfos, bereitet diesem das größte Vergnügen, voluptas. Tatsächlich hatte sich der Humanist 1436 mit anderen Exilierten zusammengeschlossen, um erstmals konkrete Schritte gegen Cosimo und seine Anhänger zu unternehmen.33 Die Gruppe setzte ihrerseits einen Meuchelmörder auf Cosimo, Marsuppini und Girolamo Broccardi an, worauf die Formulierung nobis auctoribus anspielt. Doch die Anschläge scheiterten allesamt, woraufhin Filelfo auch offiziell verurteilt, d.h. aus Florenz verbannt wurde.

Was in den nachfolgenden Versen geschildert wird, erinnert an ein apokalyptisches Szenario oder an Kampfszenen aus den großen Epen. Zu Lande und zu Wasser klirren die Waffen, die Kriegsgöttin Bellona drängt, Mars spornt die Pferde an: Terraque marique / arma fremunt, Bellona premit, Mars ferreus ultro / urget equos (58b–60a). In Parallele zur Formulierung Bellona premit ist der Satz cuncti premunt: odiis te iustis, baelua, cuncti, / tetra, probi poenisque premunt gesetzt (60b–61a). Cosimo wird zu einer hässlichen Bestie erklärt, der alle Tüchtigen mit gerechtem Hass und Strafen zusetzten.34 Auffällig ist hierbei die p-Alliteration, probi poenisque premunt, die bereits in Vers 58 mit pestis perniciesque eingeführt wurde. Der Plosivlaut vermittelt den Eindruck, als würde Filelfo die Worte geradezu ausspucken. Eine weitere Vorhersage im gleichen Tenor folgt auf dem Fuß: Dabis, impie, dignum / supplicium patriae atque bonis, nec longa moratur / hora (61b–63a). Cosimo, der hier mit dem Vokativ impie bedacht wird, würde schon bald eine Strafe ereilen, die seiner Heimat und den Guten würdig sei.

Die unheilvolle Atmosphäre erreicht gleich darauf ihren Höhepunkt (63–67):

Brevi videas ardenti forcipe corpus,

Munde, tuum, periture, trahi tremulumque secari

undique membratim, spectantibus undique plausu

civibus et superum magnae solventibus arae

vota piosque greges pro libertate recepta.

(In Kürze mögest du, todgeweihter Mundus, sehen, wie dein zitternder Körper mit einer glühenden Zange auseinandergezogen und stückweise an allen Seiten zerschnitten wird, während die Bürger zuschauen und von allen Seiten Beifall klatschen und während sie am großen Altar der Götter Gelübde erfüllen und gottgefällige Herden opfern für die wiedererlangte Freiheit).

Durch eine genüsslich-sadistische Beschreibung, wie Cosimo grausam zu Tode kommen wird, entlädt sich der ganze Hass, den Filelfo gegen den Mann hegt, der einen Meuchelmörder für seine Ermordung angeheuert hat. Sowohl der Ton als auch die detailgetreue Darstellung der Szene erinnern stark an Ovids Ibis.35 Bereits im ersten Vers wird das ‚Todeswerkzeug‘ genannt, eine glühende Zange, ardenti forcipe, mit der zuerst an Mundus’ zitterndem Körper, corpus tremulum, gezogen wird, trahi, bevor dieser Stück für Stück, Glied für Glied, membratim, zerrissen bzw. wörtlich: „zerschnitten“ wird, secari.36 Der angesprochene Cosimo, Munde, erhält das Attribut periture, „der du zugrunde gehen wirst“. Die t-Alliteration von tuum […] trahi tremulumque bildet die affektive Betroffenheit des Sprechers ebenso ab wie die oben erwähnte des p-Lauts. Cosimos Folter und Hinrichtung spielen sich unter Applaus seiner zuschauenden Mitbürger ab, spectantibus […] plausu civibus,37 die als Dank für die wiedererworbene Freiheit, libertate recepta, die dafür gelobten Votivgaben darbringen und Tiere opfern. Cosimos Tod bereitet also nicht nur dem Dichter Freude (vgl. voluptas in v. 56), sondern auch den Florentinern, die endlich von einem schrecklichen Ungeheuer befreit sind.38 Obgleich Filelfo ein ihm als Individuum widerfahrenes Verbrechen zum Anlass der Satire nahm, verknüpft er sein persönliches Schicksal mit demjenigen eines Kollektivs, der Bürger von Florenz.

Die von Filelfo für Cosimo imaginierte Hinrichtung entspricht zugleich der Bestrafung, die von den Florentiner Statuten von 1415 für Staatsumstürzler vorgesehen war.39 Der Dichter stellt sich somit einen Tod vor, den üblicherweise ‚Revolutionäre‘ erleiden mussten, ja er selbst würde der Hinrichtung zuschauen, wobei der gefesselte Cosimo ihn vom hohen Wagen aus sehen und um Gnade flehen würde: Ipse tuam spectabo necem, quemque, impie, porro / audis invitus curru spectabis ab alto / vinctus, et ‚Oh!‘ clamans ‚Miseri, miserescite Mundi!‘ (70–72).40 Zum wiederholten Male wird hier der Adressat der Invektive mit impie angesprochen, und die Fügung tuam necem nimmt auf feram necem aus Vers 28 Bezug, mit dem Unterschied, dass es jetzt um Cosimos öffentliche Exekution, nicht um Filelfos hinterhältige Ermordung geht. Der Einsatz der direkten Rede gestaltet die Schilderung sehr lebhaft und zeugt von der emotionalen Ergriffenheit des Sprechers, der Cosimo anschließend die Frage stellt, wie er sich wohl dereinst fühlen wird, wenn er ihn sieht und sich daran erinnert, dass er ihm sein Schicksal vorausgesagt hatte (73–77):

Quid tibi tunc animi cum me prope videris, olim

quem ventura tibi noris cecinisse latroni

fata, quibus lueres commissa piacula dirus

proditor, eversor patriae, cunctisque profanus

hostis et infestus decoret quos aurea virtus?

(Wie ist dir dann ums Herz, wenn du mich aus der Nähe siehst, und den erkennst, der dir, dem Dieb, gesungen hat, dass der Tod kommen wird, mit dem du die begangenen Verbrechen büßen wirst, unheilvoller Verräter, Zerstörer des Vaterlandes, und allen, die die goldene Tugend schmückt, ein gottloser und bedrohlicher Feind?).

An dieser Stelle wird Cosimo als latro bezeichnet (74), womit Filelfo den Invektiventopos des Diebstahls bedient.41 Schwerwiegend und traditionsreich sind auch die Beschimpfungen als dirus proditor, als eversor patriae und cunctisque profanus hostis et infestus (75–77), wobei das Adjektiv dirus den Vokativ dire aus Vers 1 wieder aufnimmt und proditor ebenso wie eversor mit dem Genitivattribut patriae zu verbinden ist: Cosimo wird zum Verräter und Vernichter des Vaterlands gestempelt,42 das Filelfo ebenso wie viele andere durch dessen Schuld verlassen musste. Zudem sei Cosimo allen, die sich durch die goldene Tugend, aurea virtus, auszeichneten, ein frevelhafter und bedrohlicher Feind (77), eine Gegnerschaft, die impliziert, dass er als Vertreter des vitium angesehen werden muss.43 Die nächste Frage enthält die erneute Anschuldigung, dass es Cosimo zusetze, dass Filelfo den Exilanten finanzielle Unterstützung zukommen lasse, exulibusne doles, quoniam substantia quantum / nostra sinit praebemus opem monitisque favemus? (78–79), gefolgt von den provozierenden Fragen Odisti officium? Virtus tibi pulchra dolori est? (80). Das Thema moralischer Rechtschaffenheit, virtus, wird hier weitergeführt, wobei ihr diesmal das Attribut pulchra als variatio zum vorherigen aurea zugeteilt wird. Die virtus anderer ist für Cosimo etwas, das ihm Schmerz bereite, und auch pflichtbewusster Hilfsbereitschaft, officium, begegne er mit Hass. Der florentinische Machthaber erscheint so als Gegenbild eines ciceronischen vir bonus.

Sollte der Leser geglaubt haben, dass der Höhepunkt Filelfischer Bosheit bereits mit dessen Beschreibung von Cosimos grausamem Tod erreicht worden sei (63–67), so sieht er sich nun in den Versen 81–82 getäuscht, die das bisher Vorgetragene um Facetten grober Gemeinheit und Obszönität bereichern: Oderis et doleas, rumparis, et intima laxent / pendentis testes cum spurco viscera pene. Die konzessiven Konjunktive oderis und doleas nehmen das Vokabular aus Vers 80 wieder auf. Das nachfolgende rumparis kann entweder rückbezogen werden und dann psychisch so viel wie „du sollst vor Missgunst platzen“44 bedeuten oder aber es markiert eine physische Verletzung, die mit dem anschließenden Wunsch korrespondiert, Cosimos Geschlechtsteile mögen funktionslos werden. Mit diesem direkten Angriff auf Cosimos Männlichkeit scheint Filelfo jegliche Hemmung und Respekt verloren zu haben – Nisard spricht sogar von „science pornographique“ –, zugleich bewegt er sich jedoch in den vorgezeichneten Bahnen antiker Invektiventopik.45

Ab Vers 83 schildert Filelfo die Verurteilung des sicarius Philipp, der vergeblich um die Hilfe seines Auftraggebers Mundus fleht. Auch Philipps Bestrafung erfolgt unter Beifall des Volkes, populi plausu (89), womit ein klarer Rückbezug zu Vers 65 und damit eine Parallelität zwischen Cosimo und dem Meuchelmörder hergestellt wird. Philipp wird jene rechte Hand abgeschnitten, mit der er einst auf Anweisung des Medici Filelfos Gesicht verwundet und durch eine Narbe entstellt hatte: Flaenti truncatur dextra Philippo / illa tuo faciem qua dudum vulnere nobis / foederat (92b–94a). Abschließend wird Cosimo ermahnt, er solle sich endlich seinem Verbrechen stellen und sich daran erinnern, dass es eine göttliche Macht gebe, der nichts verborgen bleibe, die den ganzen Geist sehe, Geheimnisse erkenne und über alles urteile und die dem Schuldigen und dem Frommen gleichermaßen zurückerstatten würde, was sie verdienen (96–100a):

Pone modum sceleri tandem, numenque memento

esse aliquod latuisse nihil quod possit, et omnem

quod videat mentem secretaque cernat, et omnes

iudicet, ac referat pariter sontique pioque

pro meritis.

Der Schlussvers der Satire verdeutlicht jedoch durch das nachklappende Surdo narratur fabula Mundo (100b) die Sinnlosigkeit der Ermahnung: Mundus bleibt für Filelfos Worte taub. Dass er kein aktiver Zuhörer ist, wird durch die Passivkonstruktion unterstrichen. Der Dichter scheint, erschöpft nach all den Beleidigungen und Verunglimpfungen, zu resignieren. Zugleich schließt sich mit dem letzten Wort, Mundo, der Kreis zum Anfang der Satire, die mit dem Vokativ Munde (1) begann.

Fassen wir zusammen: Filelfo nimmt das Attentat von 1436 als Ausgangspunkt für eine scharfe Invektive gegen Cosimo de Medici, den er mit Munde (1; 35; 64), perdite (6), improbe (14 und 16), perfidus (23), ingratus (24), quadruplator (33), vates (54), baelua tetra (60–61), impie (61 und 70), dirus proditor, eversor patriae, profanus hostis et infestus (75–77) anspricht. Die häufige und regelmäßige Verwendung von Schimpfwörtern und Verheißungen trägt zu dessen ausschließlich negativem Gesamtbild bei. Mundus ist für Filelfo nicht nur die Person, die ihn tot sehen wollte, sondern auch ein Verräter des Vaterlandes, verantwortlich für das schwere Schicksal zahlreicher Menschen, die seinetwegen ins Exil gehen mussten. Filelfo, selbst davon betroffen, unterstützt die Exilanten finanziell und durch Ratschläge und glaubt daher, Cosimo ein Dorn im Auge zu sein. Auch quält er ihn angeblich mit seinen Satiren. So entsteht der Eindruck eines leidtragenden Cosimos, der Filelfos Existenz sowie seine Invektiven ertragen muss. Der Satiriker spricht sich auf diese Weise sehr viel Macht zu, indem er meint, Einfluss auf seinen Antagonisten auszuüben. Jegliche Hoffnung auf Besserung Cosimos, Inbegriff des vitium, wird jedoch am Ende der Satire ausgeschlossen, da dieser als surdus die Anschuldigungen gegen ihn gar nicht hören kann bzw. will.

Filelfo lässt Cosimo im Rahmen der Satyra 5, 6 qualvolle Torturen erleiden und einen grausamen Tod sterben, womit er die Rollen gewissermaßen neu verteilt bzw. vertauscht: Der Mann, der dem Dichter angeblich nach dem Leben trachtete, wird zu demjenigen, der stirbt, während die ursprüngliche Zielscheibe geplanter Mordanschläge als Zuschauer danebensteht. Die Darstellung dieser imaginierten Hinrichtung ist voller Hass und Pathos und lässt die starke emotionale Involviertheit des Autors erkennen. Filelfos Wunschvorstellung entspricht nicht der Realität,46 sie wird jedoch, zumindest zum Teil, in der tatsächlich vollzogenen Handamputation Philipps, der gewissermaßen als Stellvertreter Cosimos fungiert, realisiert.

Das Exil gewinnt vor dem Hintergrund des zweiten Mordanschlags bei Filelfo eine neue Dimension: Obgleich er sich in Siena, fern des eigentlichen Konfliktherds Florenz, wohl größtenteils in Sicherheit wiegte, machten die Mordabsichten seiner Gegner nicht einmal vor dieser ‚Grenze‘ Halt. Räumlich nicht weit genug von der Arnostadt entfernt gelegen, bot Siena für Filelfo keinen Ort der absoluten Sicherheit, was ihm wohl auch bewusst war. Der sicarius Philipp hat diese geographische, aber auch metaphorische Grenze überschritten und somit Filelfos Lebenswelt in Siena mit jener in Florenz verschmelzen und eins werden lassen.

Das Exil war zwar ursprünglich nicht eine Bestrafung, die jemand aktiv über ihn verhängt hatte, sondern ‚freie‘ Wahl, insofern man diesen Begriff für Filelfos Situation, mit der er sich bei der Rückkehr der Medici konfrontiert sah, anwenden kann. Dennoch war es durch die Umstände erzwungen und notwendig. Einzig seine Meinungsfreiheit ließ er sich auch im Exil nicht nehmen, wie die Satyra 5, 6 bestens vor Augen führt. Eben diese wurde ihm jedoch beinahe zum Verhängnis, denn Cosimos Haltung gegenüber den Werken der Humanisten kann als widersprüchlich bezeichnet werden: Einerseits gab er sich als gönnerhafter Mäzen und Förderer der Literatur, andrerseits tolerierte er diese – was den Inhalt betraf – nur bis zu einem gewissen Punkt.47 Gerade dieser Aspekt, das Thema der Meinungsfreiheit, verleiht der Satyra 5, 6 auch in heutiger Zeit große Aktualität.

Festzuhalten sind einige Parallelitäten zwischen dem politischen Machthaber Cosimo und dem Humanisten Filelfo. Zunächst wechselten sie sich im wirklichen Leben mit dem Exil ab: Cosimo kehrte aus seinem zurück, woraufhin jenes Filelfos seinen Anfang nahm. Man könnte beinahe sagen, dass Filelfo die Rolle von Cosimo als Exilanten übernahm. In der fiktiven Welt der Satire übernimmt hingegen Cosimo Filelfos Rolle als Todgeweihter, d.h. er ist nun derjenige, nach dessen Leben getrachtet wird. Die Schicksale der beiden werden so auf einer Metaebene von Literatur und Realität miteinander verflochten.

Auch später hielt der Hass Filelfos auf Cosimo und seine Partei noch geraume Zeit an, wenngleich die Invektiven allmählich nachließen. Cosimo selbst freilich hob die Verbannung des Tolentiners nie auf. Erst sein Enkel Lorenzo de’ Medici holte Francesco Filelfo kurz vor dessen Lebensende 1481 zurück nach Florenz.

Exil und Heimatferne in der Literatur des Humanismus von Petrarca bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts

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