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2 Die Stellung der Übersetzung im Kreis der freien Künste

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Übersetzungstheoretische Traktate erscheinen nicht selten als Teile umfangreicherer Arbeiten, die eine der Disziplinen des Triviums im System der freien, d.h. eines freien Mannes würdigen (vgl. Moos 2009: 800), Künste behandeln. Der katalanische Humanist Juan Luis Vives veröffentlichte seine Abhandlung „Versiones seu interpretationes“, auf die zurückzukommen sein wird, als Schlusskapitel seiner Rhetorik De ratione dicendi (Vives 1993 [1532]). Johann Christoph Gottsched, einer der letzten der deutschen Gelehrten, die sich der klassischen Rhetorik verbunden fühlte, bringt seine übersetzungstheoretischen Überlegungen ebenfalls in einem Kapitel seiner Rhetorik, der Ausführlichen Redekunst unter (Gottsched 1975 [1736]). Justus Georg Schottel[ius] behandelt jedoch die Übersetzung als Teil der Grammatik. In seiner Ausführliche[n] Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache ist ein Kapitel mit „Wie man recht verteutschen sol“ überschrieben (Schottelius 1967 [1663]). Es empfiehlt sich also, das Verhältnis zwischen der Grammatik, der Rhetorik und nicht zuletzt der Poetik, die einen Sonderstatus einnimmt, etwas genauer in den Blick zu nehmen.

Das ‚Untergeschoss‘ der sieben freien Künste, das zur Blütezeit dieses Bildungssystems keineswegs als „trivial“ angesehene Trivium, besteht aus Grammatik, Dialektik (statt Dialektik gelegentlich auch Logik) und Rhetorik. Zwar lassen sich diese Disziplinen inhaltlich nicht klar trennen, jedoch besteht zwischen ihnen eine Reihenfolgebeziehung. Ernst Robert Curtius zitiert in diesem Zusammenhang einen mittelalterlichen Merkvers, der den Aufbau des gesamten Gebäudes der freien Künste betrifft:

Gram. loquitur; Dia. vera docet; Rhe. verba ministrat;

Mus. canit; Ar. numerat; Geo. ponderat; As. colit astra.

(Zit. n. Curtius 21954: 47)

Dabei wird die Reihenfolge nicht selten als eine Rangordnung interpretiert, die sich den jeweils verfolgten Zwecken unterordnen lässt: Im Hinblick auf dignitas steht die Rhetorik, im Hinblick auf necessitas jedoch die Grammatik an oberster Stelle (vgl. Albrecht 2009: 876). Im praktischen Lehrbetrieb entwickelt sich eine Tradition, die sich – in späteren Jahrhunderten völlig losgelöst von ihren Ursprüngen im Trivium – in der Sprachdidaktik bis ins 20. Jahrhundert behauptet hat: Die Übersetzung in die Fremdsprache (frz. thème) steht im Dienst der Grammatik, der ars recte loquendi; die Übersetzung in die ‚eigene‘ Sprache (frz. version) in dem der Rhetorik, der ars bene dicendi (vgl. Albrecht 2014: 428f.), die schon früh zu einer ars copiose et ornate scribendi geworden war (Albrecht 2007: 1080). Dabei spielen, wie noch zu zeigen sein wird, neben der interpretatio im engeren Sinn freiere Formen wie die imitatio und die aemulatio eine große Rolle.

Kreativität und Hermeneutik in der Translation

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