Читать книгу Fremdsprachendidaktische Professionsforschung: Brennpunkt Lehrerbildung - Группа авторов - Страница 11
2.4 Lehren und Lernen
ОглавлениеDass der Fremdsprachenunterricht – wie jede andere Form institutionalisierten Lehrens und Lernens – als ein von den Beteiligten gestalteter sozialer Prozess betrachtet werden muss, gehört heute zu den konstitutiven Leitgedanken der Fremdsprachendidaktik. In Klassenräumen treffen in jeweils besonderen zeitlichen und örtlichen Konstellationen Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Prägungen, Charakteren, Interessen, Erwartungen und Werten aufeinander. Sie bilden temporäre Gemeinschaften und erschaffen dabei eine ganz eigene Spielart von Kultur (vgl. Block 2003; Breen 1985). Wirft man den Blick nur wenige Jahrzehnte zurück, so wird deutlich, wie umfassend sich durch diese Erkenntnis Forschung und Lehre veränderten. Die Aufmerksamkeit verschob sich auf die handelnden Individuen, ihre Kompetenzen, ihre Wahrnehmung und ihre Entscheidungen. In dem Maße, wie die Methoden ihre vorherrschende Stellung innerhalb der Fremdsprachendidaktik verloren, gewannen also die Lernenden und die Rolle der Lehrenden an Gewicht. Eine Entwicklung, die sich auch auf die Aus- und Fortbildung auswirken musste. Wir möchten deshalb in diesem Abschnitt die Konsequenzen thematisieren, die sich für die Lehrkompetenzen ergeben, wenn der Fremdsprachenunterricht – so wie Freeman es beschreibt – ernstgenommen wird in seiner sozialen Bedingtheit:
The conventional view that content is language with a social dimension needs to be recast. In the language classroom, the content is social processes, which have a language dimension. The social processes are fundamental to the classroom as a classroom; the new language fits into that ecology. (Freeman 2016: 36)
Bis in die 1980er Jahre hinein dominierte die Vorstellung, das Erlernen einer Fremdsprache ließe sich kontextunabhängig auf der Grundlage einer wissenschaftlich begründeten Methode organisieren. Deren konkrete Ausgestaltung veränderte sich zwar im Wechsel der akademischen Moden, konstant blieb jedoch die Annahme, Unterricht sollte im Sinne einer „Erzeugungsdidaktik“ (Arnold u.a. 2014) als ein potentiell vorhersehbarer und damit detailliert planbarer Prozess konzipiert werden. Entsprechend eng begrenzt waren die Gestaltungsspielräume, die man Lehrenden zuwies, fiel ihnen doch vor allem die Aufgabe zu, Methoden möglichst maßgerecht umzusetzen. Das wiederum wirkte auf deren Ausbildung zurück: Die Programme konzentrierten sich tendenziell darauf, neben den im vorangegangenen Abschnitt erwähnten Inhalten vor allem Wissen über bestimmte Unterrichtstechniken und -verfahren zu vermitteln.
Im Zuge der Hinwendung zum sozialen Charakter des Lernens setzte sich aber auch in den Fremdsprachendidaktiken die Erkenntnis durch, dass der Unterricht in seinem grundlegenden Charakter verkannt wird, wenn man das pädagogische Handeln im Klassenraum auf das Abarbeiten von Planungsschritten beschränkt. So wie Lehrende die von Methoden formulierten Vorgaben letztlich sehr unterschiedlich interpretieren und umsetzen, nehmen auch Lernende die unterrichtlichen Inhalte und Aktivitäten verschieden war. Ihre Reaktionen auf die pädagogischen Impulse hängen von weit mehr ab als einer gewissenhaften Vorbereitung und Begleitung durch die Lehrperson und können daher nur bedingt im Voraus geplant werden. Zwischen den pädagogischen Intentionen und den Lernergebnissen lassen sich somit keine eindeutig kausalen Beziehungen knüpfen. Unterricht muss vielmehr als eine hochgradig unsichere Unternehmung verstanden werden. Sie ist stets der Gefahr des Scheiterns ausgesetzt und selbst wenn sie zu den erhofften Erfolgen führt, bleibt zweifelhaft, ob diese wegen oder trotz der didaktischen Interventionen erreicht wurden.
Die Komplexität reicht jedoch weit über diese Unsicherheit über die Handlungsfolgen hinaus (vgl. Doyle 2006: 98) Lehrende gelangen durch das Geschehen im Klassenraum unter einen hohen Entscheidungsdruck. Es passieren ununterbrochen parallel zueinander verschiedene, zum Teil nur schwer vorhersehbare Ereignisse, die die Lehrperson im Auge behalten und koordinieren muss. Das erfordert spontanes und häufig intuitives Handeln. Es bleibt zum einen wenig Raum, um auf Theoriewissen zu referieren oder der eigenen Planung detailliert zu folgen. Zum anderen geraten Lehrende leicht in paradoxe Konstellationen, etwa wenn sie zwischen den Anforderungen eines Lehrplans und den Interessen der Lernenden abwägen müssen. Nicht zuletzt ist jeder Unterricht auch durch seine Geschichtlichkeit geprägt: Lehrende und Lernende entwickeln im Verlauf der gemeinsamen Arbeit eine bestimmte Art des Miteinanders, das sich direkt auf die Lehr- und Lernprozesse auswirkt. Affektive, emotionale und motivationale Aspekte entscheiden daher in erheblichem Maße mit darüber, wie erfolgreich das Erlernen einer Fremdsprache verläuft (vgl. Appel 1996).
Diese kurze Charakterisierung der Bedingungen, unter denen sich pädagogisches Handeln vollzieht, macht deutlich, weshalb die Kompetenzdimension „Lehren und Lernen“ einen breiten Raum in Aus- und Fortbildungsprogrammen einnehmen muss. Diese Dimension umfasst all jene Kompetenzen, die Lehrerinnen und Lehrer für ihr Kerngeschäft benötigen: das Planen, Anleiten, Unterstützen und Evaluieren von Lernprozessen. Unterrichten zu können, ist keine Kompetenz, die sich gleichsam unvermeidlich entwickelt, indem man als Lehrperson vor eine Klasse tritt. Es gehört zu den wichtigen Erkenntnissen der Forschungen zu den Unterschieden von Novizen und Experten im Lehrberuf, dass die Länge der Berufserfahrung nicht unmittelbar zu besseren didaktischen Kompetenzen führt (Krauss/Bruckmaier 2014: 252). Lehrende benötigen ein tiefes Verständnis für das Geschehen im Klassenraum und zugleich ein umfassendes didaktisches Handlungsrepertoire. Nur so können sie sich von den Einengungen befreien, die Methoden, Lehrwerken oder Traditionen erwachsen, und flexibel auf die Diversität und Komplexität des Unterrichts reagieren. Professionell zu lehren bedeutet somit, die Gestaltungsspielräume der eigenen Praxis zu erkennen und – im Sinne einer „Ermöglichungsdidaktik“ (Arnold u.a. 2014) – vielfältige Lerngelegenheiten zu arrangieren (vgl. Schart/Legutke 2012: 63ff). Das setzt zwar zunächst einmal fundiertes Wissen über die Einflussfaktoren institutionalisierten Lehrens und Lernens voraus, über die zu unterrichtenden Inhalte und über die Struktur von Lehrplänen und Lehrmaterialien. Entscheidend ist jedoch, wie Lehrende vor einer Klasse agieren, wie sie also die Prozessqualität des Unterrichts gestalten.
Empirische Befunde zur Lehrerrolle stimmen weitgehend in ihrem Fazit überein, dass das Handeln von Lehrerinnen und Lehrern einen entscheidenden Faktor für den Lernerfolg darstellt (z.B. Helmke 2014; Hattie 2008/2011; Lipowsky 2005; Pauli/Reusser 2009). Und es zeichnen sich eine Reihe von konkreten Maßnahmen ab, mit denen Lernprozesse befördern können und die daher in der Aus- und Fortbildung gezielt thematisiert und trainiert werden sollten. Dazu zählen beispielsweise die konsequente Zeitnutzung, die klare, auch für die Lernenden verständliche Struktur des Unterrichts, die vernetzte Darstellung der Unterrichtsinhalte, kognitiv ansprechende, herausfordernde und abwechslungsreiche Arbeitsaufträge sowie intensive Rückmeldungen über die Lernfortschritte.
Diese Merkmale kompetenten Lehrerhandelns lassen sich mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht weiter präzisieren, indem man das Lerngeschehen sowohl in seinem individuellen als auch in seinem sozialen Charakter ernst nimmt. Beide Formen von Lernprozessen laufen im Klassenraum parallel zueinander ab, sie gehen ineinander über und können sich gegenseitig befruchten. In ihrem Zusammenspiel liegt deshalb ein erhebliches Potential für einen Fremdsprachenunterricht, der sich den eingangs beschrieben gesellschaftlichen Herausforderungen und Entwicklungen stellt und auf die Fähigkeit zu selbstbestimmten Handeln in der Fremdsprache und zur kritischen Teilnahme an Diskursen zielt. Aus dieser Perspektive gehört es zu den zentralen Aufgaben des Lehrberufs, individuelle und soziale Lernprozesse zu koordinieren. Welche konkreten Kompetenzen sollten somit in der Ausbildung angebahnt und in der Fortbildung gestärkt werden?
Auf der einen Seite müssen Lehrende in der Lage sein, das Lernen als einen individuell geprägten Prozess zu begleiten. Hierbei kommt eine Kompetenz zum Tragen, auf die wir bereits im vorangegangenen Abschnitt verwiesen; und zwar jene, Fachwissen über Sprache und Spracherwerb handlungswirksam umzusetzen. Lehrende müssen die Schwierigkeiten einzelner Lernerinnen und Lerner erkennen und deuten lernen, um konstruktive Unterstützung etwa durch Feedback zu Redebeiträgen, bei schriftlichen Korrekturen oder bei der Lernberatung geben zu können. Auch eine faire Bewertung von Leistungen hängt letztlich davon ab, inwieweit Lehrende in der Lage sind, individuelle Lernverläufe zu verstehen.
Auf der anderen Seite sollten Lehrende aber auch die Fähigkeit entwickeln, das Lernen als einen sozialen Prozess zu ermöglichen und zu begleiten. Den Erkenntnissen der soziokulturellen Ansätze ist es zu verdanken, dass der Fremdsprachenunterricht heute auch als ein Ort betrachtet wird, an dem Menschen gemeinsam Bedeutungen aushandeln oder Probleme lösen. In der Interaktion generieren sie neues Wissen. Dafür müssen die Lernenden aber zunächst einmal die Möglichkeiten erhalten, aus den nach wie vor in fremdsprachlichen Klassenzimmern weit verbreiteten Frage-Antwort-Sequenzen auszubrechen (vgl. Dalton-Puffer 2007; DESI-Konsortium 2008). Lehrende sollten also in der Lage sein, einen Austausch unter den Lernenden zu initiieren und aufrechtzuerhalten, in dem diese in dialogischer Form, wechselseitig und aufeinander bezogen interagieren (vgl. Haneda/Wells 2008; Schart 2015; van Lier 2001). Hierfür ist die Kompetenz grundlegend, eine anregende und angstfreie Arbeitsatmosphäre zu schaffen, Regeln, Routinen und Rituale zu etablieren und persönliche Beziehungen aufbauen. Ein förderliches Unterrichtsklima lässt sich beispielsweise an einer positiven Fehlerkultur erkennen, in der missglückte Formulierungen als Ausgangspunkte für gemeinsames Lernen betrachtet werden und auf eine Balance zwischen Korrektheit und Flüssigkeit geachtet wird. Es zeigt sich auch am Respekt für die Lernenden einer Gruppe, an der gerechten Behandlung der Einzelnen, einem reflektierten Umgang mit ihren Erwartungen, ihren Interessen und auch ihrer Kritik. Nicht zuletzt muss als ein wichtiges Merkmal einer förderlichen Arbeitsatmosphäre im Fremdsprachenunterricht der hohe Anteil von Fremdsprache im Unterrichtsgeschehen erwähnt werden, der sich aus der aktiven Mitarbeit aller Beteiligten ergeben sollte.
Eine solche Aufzählung von Anforderungen an das Lehrerhandeln kann auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, als würde die Lücke, die durch die Abkehr vom Methodenideal früherer Jahrzehnt entstand, nun durch ein Idealbild einer umfassend kompetenten Lehrkraft ersetzt. Tatsächlich aber zeichnet sich ein erfolgreicher Unterricht keineswegs dadurch aus, dass es Lehrenden gelingt, allen oben genannten Merkmalen gerecht zu werden (vgl. Helmke 2014: 818). Diese sind nicht normativ zu verstehen, wie es in Zeiten der Methodendominanz der Fall war, sondern heuristisch. Lehrende müssen Kompetenzen in den erwähnten Bereichen entwickeln, weil sich diese aus den Rahmenbedingungen ihres Berufes ergeben. In einem konkreten Kontext können jedoch einzelne Kompetenzen von vorrangiger Bedeutung sein, während andere weniger gefragt sind. Ausschlaggebend ist daher, ob Lehrende es gelernt haben, ein ihrer Praxis angemessenes unterrichtliches Arrangement zu gestalten.
Hinter dieser Argumentation steht eine grundlegende Veränderung in der Konzeption von Aus- und Fortbildungen für Fremdsprachenlehrende. Freeman (2016:124) beschreibt sie als einen Prozess, in dem sich die Schwerpunktsetzung von einem methodologischen Denken hin zu einem heuristischen Denken verschob. Letzteres geht davon aus, dass Lehrende eine forschende Haltung gegenüber ihrem Tun einnehmen, die eigenen Handlungsspielräume erkunden und die Folgen ihrer Entscheidungen genauer in den Blick nehmen. Die Kompetenzdimension „Lehren und Lernen“ ist somit eng verknüpft mit der Fähigkeit, sowohl die Bedingungen des beruflichen Handelns als auch sich selbst zu reflektieren. Ein Gedanke, dessen Konsequenzen für die Struktur und auch die Praxis von Aus- und Fortbildungsprogrammen wir in den folgenden beiden Abschnitten genauer betrachten möchten.