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2.6 Kooperation und Entwicklung
ОглавлениеIn den vorangegangenen Abschnitten wurde aus verschiedenen Perspektiven dargestellt, weshalb der Erwerb von Wissen und Fähigkeiten eingebettet ist in einen sozialen, historischen und politischen Kontext, vermittelt durch die Interaktion mit anderen, durch gemeinsames Handeln und die Auseinandersetzung mit kulturellen Artefakten. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich natürlich nicht nur Konsequenzen für die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts. Wie alle akademischen Fächer, die sich neben der Erforschung pädagogischer Prozesse auch mit der Ausbildung von Expertinnen und Experten für pädagogisches Handeln befassen, muss sich die Fremdsprachendidaktik fragen, ob ihre eigene Praxis dem Forschungsstand nicht zuwiderläuft. Wird also auch in der Aus- und Fortbildung etwa das Potenzial von Kooperation genutzt? Wird damit ein Gegenmodell geschaffen zur Lehrperson als Einzelkämpfer und zur Tendenz der Privatisierung von Klassenräumen? Wird also für Novizen der Lehrberuf als eine professionelle Gemeinschaft (Lave/Wenger 1991) erfahrbar, in die sie bereits während der Ausbildung durch aktive Teilnahme hineinwachsen?
Der soziokulturelle Ansatz hat in besonderer Weise dazu beigetragen, dass kooperativen Prozessen in der Aus- und Fortbildung ein zunehmend größerer Stellenwert beigemessen wird (Crandall/Christison 2016; Johnson 2009; Johnson/Golombek 2011), was sich nunmehr auch in verstärkter empirischer Forschungstätigkeit zu diesem Themenbereich niederschlägt. Die Studie von Wipperfürth (2016) ist dafür ein wegweisendes Beispiel. In ihr wird darstellt, wie sich Lehrende in einem „Lernenden Lehrernetzwerk“ selbstgesteuert über Videomitschnitte aus dem eigenen Unterricht austauschen und sich dabei ihre Selbstwahrnehmung ebenso positiv verändert wie ihr unterrichtliches Handeln.
Auch mehrere der in diesem Band versammelten Beiträge verdeutlichen diese Forschungstendenz anhand konkreter Lehr- und Lernszenarien. So schildern Abendroth-Timmer/Schneider, wie sich zukünftige Fremdsprachenlehrende im Rahmen des CONFORME-Projekts in multikulturellen und mehrsprachigen Kleingruppen mit wissenschaftlichen Konzepten auseinandersetzen und durch die Interaktion professionelles Wissen ko-konstruieren. An ihrer Darstellung lässt sich besonders gut nachvollziehen, weshalb Studierende bei ihren individuellen Reflexionsprozessen vom Austausch mit anderen profitieren. Gemeinsam werden Unterschiede in der Wahrnehmung und Interpretation aufgedeckt, neue Sichtweisen entwickelt und letztlich die wissenschaftlichen Konzepte tiefer durchdrungen.
Im Bereich der Fortbildung ist die Studie von Heinrich verortet. In dem Beitrag wird das Spannungsverhältnis deutlich, in dem die Inhalte der Lehrerbildung und deren methodischer Gestaltung stehen. Heinrich dokumentiert die empirische Begleitforschung zu einem Fortbildungsangebot für Englischlehrkräfte im Sekundarbereich I und II. Sie sollten gezielt dabei unterstützt werden, kooperatives Sprachlernen häufiger und theoriebasierter anzuwenden. Inhaltlich wird zum einen handlungsorientiertes Wissen sowie konkretes Instruktions- und Sprachverhalten vermittelt. Zum anderen werden bestimmte Kognitionen, die die Umsetzung der Lehr-Lernform fördern oder behindern können, positiv beeinflusst. Die Autorin geht in ihrem Beitrag unter anderem auch darauf ein, wie das kooperative Lernen als Gegenstand der Fortbildung zugleich in den Fortbildungsveranstaltungen selbst erfahrbar gemacht werden kann. Erste Ergebnisse der Längsschnittstudie deuten auf positive Trainingseffekte bezüglich bedeutsamer Kognitionen sowie der Häufigkeit und Qualität der Umsetzung kooperativen Sprachlernens im Englischunterricht hin.
Das Potenzial der Kooperation erhellt auch Knorr in ihrer Studie, für die sie Studierende bei der Vorbereitung von Tagespraktika begleitete und deren gemeinschaftliche Planung von Unterrichtsstunden analysierte. Auch hier zeigt sich, wie die Zusammenarbeit Lernprozesse unterstützt, indem sich die Studierenden gegenseitig hinterfragen, zu neuen Ideen anregen oder auch emotionalen Rückhalt bieten. Da Knorrs Studie an der Schnittstelle zwischen fachdidaktisch-theoretischer und schulpraktischer Ausbildung verortet ist, ermöglicht sie zugleich Einsichten in das Zusammenspiel von theoretischem Wissen und unterrichtlichem Handeln. Dabei wird unter anderem deutlich, dass die konkrete Unterrichtsvorbereitung anders verläuft, als die in der Ausbildung zuvor gelernten Planungsmodelle es vorzeichnen.
Es sind solche Erfahrungen, die dazu beitragen, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Ausbildungsphasen als Bruch wahrgenommen werden. Mit Blick auf Fachpraktika konnten sie von Gabel (1997) ebenso beschrieben werden wie von Schädlich (2015). Und auch Gerlach/Steiniger kommen in ihren Untersuchungen zum Vorbereitungsdienst in dieser Hinsicht zu diesem kritischen Fazit.
Aus einer soziokulturellen Perspektive ist dieser viel zitierte Praxisschock unvermeidlich, solange die Begegnung mit wissenschaftlichen Konzepten während der fachdidaktischen Ausbildungsphase nicht eingebettet wird in situiertes Lernen (Lave/Wenger 1991), also die Möglichkeit, sich der Relevanz dieser Konzepte für konkrete Handlungssituationen bewusst zu werden, sie vor dem Hintergrund der eigenen Vorstellungen und Erfahrungen zu reflektieren und sich mit anderen darüber auszutauschen. Eine Überlegung, die unmittelbar das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis als einem der am intensivsten diskutierten Probleme der Pädagogik berührt. Gestärkt wird die Differenzthese, der zufolge die Frage danach, wie sich wissenschaftliche Theorien und Modelle effektiver in die Unterrichtspraxis implementieren lassen, grundsätzlich falsch gestellt ist. Denn für die beiden gesellschaftlichen Bereiche „Wissenschaft“ und „Schule“ sind sehr unterschiedliche Wissensformen prägend. Professionelle Forschung zielt auf Abstraktion, Systematisierung, Präzision und Widerspruchsfreiheit. Dank dieser Qualitäten kann durch Wissenschaft generiertes Wissen dazu beitragen, soziales Geschehen besser zu erklären und verschiedene Alternativen für das Handeln der Menschen in einem bestimmten Kontext aufzuzeigen.
Lehrende hingegen verfügen aufgrund der Vertrautheit mit ihrem Tätigkeitsfeld über etwas, das sie allen wissenschaftlichen Modellen voraushaben: das „Wissen in der Handlung“, wie es Schön (1983) bezeichnet. Sie haben ein Gespür für das Funktionieren der Handlungsabläufe und für die sozialen Konstellationen im Klassenraum. Dieses Erfahrungswissen von Lehrenden ist – wie wir im vorangegangenen Abschnitt darstellten – immer ein individuelles Konstrukt, durchwebt mit persönlichen Erlebnissen, Werturteilen und Vermutungen. Nicht Differenzierung und Abstraktion kennzeichnen daher diese Wissensform, sondern Komplexität, Ganzheitlichkeit und der enge Bezug zu sozialen Kontexten.
Angesichts solcher grundlegenden Unterschiede können wissenschaftliche Theorien nicht ohne weiteres in unterrichtliche Praxis implementiert werden und es wird verständlich, weshalb die jahrzehntelangen Versuche der Fremdsprachendidaktik, eine ideale Methode des Fremdsprachenunterrichts zu entwerfen, letztlich zum Scheitern verurteilt waren (siehe auch Kumaravadivelu 2006; Prahbu 1990). Die häufig zitierte Kluft zwischen dem akademischen Betrieb und der unterrichtlichen Praxis beruht mithin auf einem „Rationalitätsbruch“ (Beck/Bonß 1989:12), der zwei verschiedene Wissensformen und letztlich zwei verschiedenen Arten sozialer Praxis voneinander trennt (vgl. Fried 2003).
Erst wenn man die Gegensätzlichkeit dieser beiden Wissensformen anerkennt, lassen sich die Möglichkeiten und Begrenzungen realistisch einschätzen, die ihnen innewohnen. Zugleich öffnet sich aber auch der Blick für eine weitere Wissensform, die beide Welten verbindet: das reflektierte Handlungswissen. Es kann nur innerhalb der professionellen Gemeinschaft von den Lehrenden selbst generiert werden. Sie müssen dafür die Unterrichtspraxis zum Gegenstand einer kritischen Betrachtung machen und ihre Handlungsmuster und Routinen hinterfragen. Indem sie dabei sowohl die Perspektive von Kolleginnen und Kollegen einbeziehen als auch wissenschaftliche Erklärungsansätze, können sie das Reflexionsniveau erhöhen. Letztlich kommen Lehrende auf diesem Wege zu neuem Wissen über ihr Arbeitsumfeld und sie tragen damit zur persönlichen Entwicklung ebenso bei und wie zur Entwicklung der gesamten Profession.
In Aus- und Fortbildungsprogrammen werden zwei gegensätzliche Herangehensweisen praktiziert, um das Generieren des reflektierten Handlungswissens zu fördern. Auf der einen Seite finden sich theoriegeleitete Ansätze. Hier bilden wissenschaftliche Modelle und Theorien den Ausgangspunkt, die im Reflexionsprozess anhand von Erfahrungen mit oder Beobachtungen von Praxis nach ihrer Relevanz und Tragweite befragt werden. Die sogenannte Design Based Research kann als ein typisches Beispiel für diesen Ansatz gelten (vgl. Gießler in diesem Band; Grünewald u.a. 2014). Die eher traditionelle, an wissenschaftlichen Systematiken orientierte Struktur der Lehrerbildung wird dabei aufgebrochen, indem Elemente aus der Praxis integriert und somit situiertes Lernen ermöglicht wird. Dass dieser theoriegeleitete Ansatz momentan noch das vorherrschende Konzept darstellt, lässt sich auch an den Beiträgen in diesem Band ablesen. Sie beschreiben in der Mehrzahl Programme, die an wissenschaftlichen Theorien ansetzen und nicht an Problemstellungen, die sich aus den Erfahrungen der Teilnehmenden mit der Unterrichtspraxis ergeben. Aber auch dieser zweite, konträre Zugang zum reflexiven Erfahrungswissen ist natürlich möglich und sinnvoll. Beschreibungen für praktikable Modelle eines solchen praxisgeleiteten Ansatzes finden sich beispielsweise bei Allwright (2005) oder Abendroth-Timmer (2011). Und auch in den Beiträgen von Benitt und Mohr/Schart wird dieser Prozess greifbar.
Benitt untersucht mit ihrer Studie die Lern- und Entwicklungsprozesse von angehenden Englischlehrerinnen im Rahmen des Programms E-LINGO, das einen Schwerpunkt auf das reflexive und forschende Lernen legt. Sie zeigt, wie bei den Teilnehmenden durch kooperative Aktionsforschungsprojekte kognitive, interpersonale und affektive Entwicklungsprozesse angeregt werden.
Auch Mohr/Schart nehmen die forschende Tätigkeit von Lehrenden und damit die Herausbildung des reflexiven Handlungswissens in den Blick. Ihre Studie ist in dem weltweiten Fortbildungsprogramm Deutsch Lehren Lernen des Goethe Instituts verortet. Mohr und Schart analysieren Dokumentationen von kooperativ durchgeführten Praxiserkundungsprojekten und gehen der Frage nach, in wie weit sich in diesen Daten Reflexionsprozesse der Teilnehmenden spiegeln.
So verschieden die Wege sind, auf denen die Reflexionsprozesse angebahnt werden, die dafür notwendigen Kompetenzen müssen kontinuierlich über die gesamte Zeit der Ausbildung hinweg und auch im Rahmen von Fortbildungen immer wieder aufs Neue geübt und weiterentwickelt werden, um nachhaltig das professionelle Handeln zu stärken. Seit Mitte der 1990er Jahren wurden daher verschiedene Modellen der reflexiven Lehrerbildung und des forschenden Lernens von Studierenden entwickelt (Dirks/Hansmann 1999; Feindt/Broscio 2008/Roters et al. 2009; Schocker 2001, Zibelius 2015; s.a. Farrell 2015; Wells 2009). Ihre gemeinsame Leitidee sind dabei Lehrende,
die eine neugierige und kritische Haltung gegenüber der eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster einzunehmen wissen,
die sich mit anderen zielgerichtet und sachbezogen über unterrichtliches Geschehen austauschen können,
die die Fähigkeit besitzen, wissenschaftliche Herangehensweisen, Konzepte und Modelle kritisch zu hinterfragen und für den eigenen Erkenntnisgewinn zu nutzen,
die in der Lage sind, die Verantwortung für die Folgen ihrer Entscheidungen zu übernehmen,
die die Professionalisierung als einen eigenverantwortlichen und lebenslangen Prozess des Lernens begreifen.
In den zurückliegenden Abschnitten haben wir uns darauf konzentriert, Charakter und Umfang einzelner Kompetenzdimensionen zu umreißen, die für die Aus- und Fortbildung leitend sein sollten. Dabei wurde immer wieder deutlich, dass sich die Inhalte der Ausbildung nicht von ihrer Praxis trennen lassen. Die Fremdsprachendidaktik muss sich der Frage stellen, wie sie ihr Konzept kompetenten Lehrens auch in den eigenen Lehrveranstaltungen umsetzen kann. Anregungen dazu möchten wir mit dem folgenden Abschnitt liefern, indem wir die Ausbildungspraxis als dialogischen Prozess beschreiben und zugleich Felder zukünftiger Forschung skizzieren.