Читать книгу Sprachliche Mittel im Unterricht der romanischen Sprachen - Группа авторов - Страница 15
6.1.2 Irrelevanz der empirischen Fragestellungen
ОглавлениеDie Erklärung könnte in der Art der empirischen Forschung liegen, wie sie die Disziplin in ihrer Gesamtheit, allen voran die DGFF, zum Ausweis ihrer Wissenschaftlichkeit in den letzten Jahrzehnten betrieben hat. Königs merkt dazu selbstkritisch an, dass die Untersuchungsmethoden kein Selbstzweck sind, sondern „in konsequentem Bezug zum untersuchten Gegenstand diskutiert, hinterfragt, ggf. erweitert oder entwickelt werden“ müssen (op.cit., 19). Das war eigentlich immer das Credo auch der Sprachlehrforschung gewesen, nämlich „Probleme aus der Praxis (aufgreifen), der systematischen und integrativen Erforschung (zuführen) und wieder in die Praxis (einbringen) (Bausch / Krumm 1989, 9). Zweifel an der Verwirklichung dieser Forderung wurden allerdings schon in den 80er Jahren laut, und zwar ausgerechnet innerhalb der Sprachlehrforschung, in der es zu einer polemisch aufgeheizten wissenschaftsmethodologischen Kontroverse kam.50 Die sog. Bielefelder Gruppe51, die sich der Zweitsprachenerwerbsforschung52 zugewandt hatte, griff die von den Sprachlehrforschern um K.-R. Bausch vertretenen empirischen Forschungsmethoden heftig an, indem sie vor allem deren unterrichtliche Relevanz in Frage stellte. E. Zöfgen behauptete, dass es den von der Sprachlehrforschung vorgelegten Arbeiten „generell an Praxisrelevanz mangelt“, obwohl diese Relevanz in den programmatischen Äußerungen immer wieder gefordert werde, so dass „Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander (klaffen)“. Das „Schwanken zwischen grundlagen- und handlungswissenschaftlicher Orientierung“ zeige sich auch in dem „Mangel an problembezogenen, aus dem FU hervorgegangenen Fragestellungen“ (Bausch / Königs 1986, 171sq.).
Ob Zöfgens Kritik berechtigt ist, kann durch einen kurzen Blick auf einen Katalog von Fragestellungen verifiziert werden, den Bausch und Königs 1983 vorgestellt haben (Bausch / Königs 1983, 329):
In welcher Situation erscheinen Sprachproduktionen von Lernern spontan und in welchen sind sie beobachtbar auf ‚Außenwirkungen‘ zurückzuführen?
In welcher Weise beeinflussen Lernerreaktionen und Lernerverhalten die Sprache des Lehrers?
Worauf sind Änderungen im geplanten Lehrersprachverhalten zurückzuführen?
Welche emotionalen und affektiven Elemente beeinflussen den Lehrer in seiner Sprachausgestaltung und in seiner Selbsteinschätzung?
Welche emotionalen und affektiven Elemente beeinflussen den Lerner in seiner Sprachausgestaltung und in seiner Selbsteinschätzung?
In welchem beobachtbaren Zusammenhang stehen Einstellungen zum FU, fremdsprachliche Leistungsfähigkeit und emotionales Verhältnis zum Lehrer?
In welcher Weise schlagen Erfüllung und Enttäuschung von Erwartungen an den FU auf die Sprachproduktion durch?
Unter welchen Bedingungen beeinflussen Außenfaktoren bestenfalls die Performanz, nicht aber die Kompetenz negativ?
In welcher Weise schlägt die lehrerseitige Berücksichtigung der Lehrpläne und der übergeordneten Lernziele sichtbar auf die Sprachproduktionen von Lehrern und Lernern durch?
In welchem näher beschreibbaren Verhältnis stehen aktive Mitarbeit der Lernergruppe, des einzelnen, Sprachverhalten des Lehrers und ‚Kompetenzgrad‘ der Lerner jeweils zueinander?
In welchem beobachtbaren Zusammenhang stehen Sprachproduktion von Lernern mit nicht-verbalen Reaktionen von Lehrern und Mitlernern?
Die hier aufgeworfenen Fragen empirisch zu untersuchen, verspricht in der Tat kaum Lösungsansätze für Probleme, mit denen die Lehrkraft zu kämpfen hat und auch keine Ansätze für innovative methodische Gestaltungsmöglichkeiten. Die Formulierungen sind so allgemein gestellt und z.T. so suggestiv, dass die Antworten (wenn sie überhaupt aufgrund empirischer Datenerhebung gegeben werden können) kaum über allgemein Bekanntes hinauskommen dürften. Die Wirkungen, die hier bewiesen werden sollen, sind in der Mehrzahl nicht einmal spezifisch für den Fremdsprachenunterricht, sondern spielen in jedem Unterricht eine Rolle.53
Doch Zöfgen ging in seiner Kritik noch weiter, indem er der Sprachlehrforschung vorwarf, ihr wissenschaftsmethodisches Konzept berge die Gefahr in sich, in eine „empiristische Forschungshaltung“ abzugleiten, die sich mit dem „Datensammeln“ und der „paraphrasierenden Deskription von Unterrichtswirklichkeit“ begnügt. Er warnte davor, „dass durch Deskription des ’Ist-Standes’ die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen L2-Lerner überhaupt erst die Befähigung zum erfolgreichen Umgang mit der Fremdsprache erlangen, zunehmend zu einem marginalen Faktor verkümmern“ (Bausch / Königs 1986, 170sqq.). Der Streit entzündete sich außerdem an der sog. ’Faktorenkomplexion’54, zu der G. Henrici kategorisch feststellte:
Die bombastische Forderung nach Erfassung der im Fremdsprachenunterricht wirksam werdenden Faktorenkomplexion sollte aufgegeben werden zugunsten von Zielsetzungen, die bescheidener und empirisch überprüfbar sind. Es geht darum, systematisch und progressiv Teilschritte in einem Gesamtzusammenhang zu entwickeln und abzuarbeiten (Bausch / Königs 1986, 41sq.).
Das Bemühen um die eigene Profilierung auf Kosten des Gegners hat hier zweifellos eine Rolle gespielt. Die Fremdsprachendidaktik hat von dieser Auseinandersetzung jedenfalls nicht profitiert, und zwar vor allem deshalb nicht, weil die Bielefelder Gruppe in ihrer eigenen Forschungspraxis dem theoretisch formulierten Anspruch noch weit weniger genügen konnte. Es lohnt sich, hierauf etwas näher einzugehen.
Henrici und Zöfgen widmeten sich in einem empirischen Projekt folgender Fragestellung: „Sind kontextuelle Verfahren der Worterklärung den sog. nicht-kontextuellen Erklärungen sowohl beim Verstehen als auch beim Behalten überlegen?“ (Henrici / Kostrzewa / Zöfgen 1991). Sieht man von der fragwürdigen methodischen Durchführung ab55, so entlarvt sich die Untersuchung allein schon durch ihre Fragestellung als kontraproduktiv, und zwar aus verschiedenen Gründen. Erstens wird ein unterrichtspraktisches Problemfeld suggeriert, das keines ist. Die Autoren beanspruchen, einen Beitrag zur Verbesserung der Praxis zu leisten. In der Praxis bestehe die unbefriedigende Situation, dass die Lehrenden „sich häufig einer ganzen Palette von Explikationsmöglichkeiten“ bedienten, weil die Forschung noch keine „gesicherten Erkenntnisse bereitgestellt“ habe in Bezug auf die „Effizienz bestimmter methodischer Maßnahmen“ (op.cit., 33sq.). Diese Begründung geht von einer Fehleinschätzung der Situation aus. Die Palette von Möglichkeiten, die Bedeutung eines unbekannten Wortes zu erklären, ist in der Tat sehr groß. Sie reicht vom muttersprachlichen oder auch anderssprachigen Äquivalent über Gestik und Mimik oder bildliche Darstellung bis zu Kontext, Definition, Umschreibung, Synonym, Antonym und Ableitung. Nur: Für den Praktiker stellen diese verschiedenen Möglichkeiten kein wirkliches Problem dar. Sie werden vielmehr methodisch genutzt, um die jeweils adäquate, d.h. dem Sprachmaterial, der Unterrichtssituation und der Lerngruppe angemessene Erklärung zu geben. Welche Erklärungsmöglichkeit jeweils am besten ist, wird aus Erfahrung entschieden. Es kann gar nicht empirisch ermittelt werden, weil die Bedingungen für die ’beste’ Erklärung von Fall zu Fall variieren.
Wir haben es also mit einer typisch irrelevanten Fragestellung zu tun56, bei der die Reduzierung der Faktorenkomplexion auf einige Einzelfaktoren in einer Verzerrung der unterrichtlichen Problemlage mündet. Schon in den frühen 80er Jahren wurden gelegentlich unter dem Stichwort „entbehrliche Forschung“ ähnliche Vorwürfe laut.57 Die hier lauernden Gefahren scheinen der empirischen Unterrichtsforschung als solcher immanent zu sein. Schon Th. W. Adorno bemängelte in Bezug auf die empirische Sozialforschung den „Primat der Methode über die Sache“, so dass die Methode „zum Fetisch zu entarten“ drohe. „Anstelle der Dignität der zu untersuchenden Gegenstände tritt vielfach als Kriterium die Objektivität der mit einer Methode zu ermittelnden Befunde, und im empirischen Wissenschaftsbetrieb richtet sich die Auswahl der Forschungsgegenstände und der Ansatz der Untersuchung […] weit mehr nach den verfügbaren und allenfalls weiterzuentwickelnden Verfahrensweisen als nach der Wesentlichkeit des Untersuchten. Daher die unzweifelhafte Irrelevanz so vieler empirischer Studien“ (Adorno 1976, 514). Die Fremdsprachendidaktik scheint in ihrer Entwicklung dieser Gefahr nur allzu oft erlegen zu sein.58 Auf jeden Fall konnten die Ergebnisse insgesamt59 das Versprechen, der Unterrichtspraxis wissenschaftlich fundierte Handlungsanweisungen zu geben, nicht erfüllen.