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6.2.4 Experimentelle Kontrollstudien

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Die Anerkennung der primären Funktion von Unterrichtstheorien bedeutet gleichzeitig ein Umdenken in Bezug auf empirische Forschungen. Die Untersuchung des Ist-Zustands hat ihre Berechtigung, wenn es sich um Sprachstandserhebungen handelt, die auf Erfolge oder Defizite in der aktuellen Unterrichtsrealität hinweisen (cf. Fußnote 3). Aus der Beobachtung von konkretem Unterricht lassen sich jedoch mitnichten die „necessary foundations for pedagogical decisions80 about L2 curricula, syllabi, methods, techniques, activities, materials, media, and tests“ ableiten (Kasper 1988, 5).81 Die Entscheidungen folgen im Gegenteil aus der Theorie. Aus der Praxis allein kann kein Kriterium für die Gültigkeit bzw. Empfehlung einzelner unterrichtlicher Maßnahmen gewonnen werden, genau so wenig wie sich Unterrichtsprotokolle zur Verifizierung bestimmter lerntheoretischer Hypothesen eignen. Abgesehen von der notwendigen Falsifizierbarkeitsprobe lauern hier für den Beobachter so viele interpretatorische Fallstricke, dass der Untersuchungsstandard oft nicht gewährleistet ist.82 Selbst die Analyse der Wechselwirkung zwischen Lehren und Lernen als konstitutivem Faktor der fremdsprachlichen Unterrichtsforschung kann nicht das gewünschte Ergebnis bringen (cf. die ‚Bankrotterklärung‘ von F.G.Königs, cf. Abschnitt 6.1.1), wenn sie ohne Berücksichtigung des theoretischen Bezugsrahmens erfolgt.

Der Weg aus dieser Sackgasse führt über experimentelle Kontrollstudien, die am Lehr-/lernziel der kommunikativen Kompetenz ausgerichtet sind. Es geht dabei nicht um „vergleichende Studien zur Wirksamkeit von Unterrichtsmethoden“ (cf. Ms., 22) als festgefügten ‚Vermittlungskonzepten‘, sondern um die Evaluierung der Unterrichtsergebnisse von Experimental- und Kontrollklassen, die in ihrer Arbeit auf unterschiedlichen curricularen und methodischen Konzepten beruhen. Anstatt (wie bisher) einzelne Unterrichtsprinzipien zu kontrastieren, die – wie oben dargelegt – gar nicht einander entgegengesetzt sind, sondern miteinander interagieren, sollten nur solche grundlegenden Entscheidungen in ihren Konsequenzen für die Wirksamkeit geprüft werden, die sich tatsächlich ausschließen. Dazu gehören z.B.:

 Einführung neuen Sprachmaterials durch vorgegebene Lektionstexte, die der grammatischen Progression folgen (rezeptiv: Form-Inhalt-Verknüpfungen) vs. Einführung sur demande zur Versprachlichung eigener Äußerungswünsche (produktiv: Inhalt-Form-Verknüpfungen)

 Lernen von Einzelwörtern vs. Lernen von lexiko-grammatischen Konstruktionen

 Getrenntes Anwenden von metakognitivem Wissen (lexikalische, grammatische, phonetische / orthographische Kenntnisse) vs. Integrierendes Versprachlichen von thematisch geordneten Inhaltskonzepten unter Rückgriff auf lexiko-grammatische Einheiten und Strukturmuster

 Unterscheidung von formalen Übungen und mitteilungsbezogenen Transferübungen vs. Durchgängig kommunikatives Üben als Ausübung der Sprachtätigkeiten: dialogisches Sprechen und beschreibendes, erzählendes, argumentierendes Schreiben

 Systematisierung nach grammatischen Erscheinungen und semantischen Beziehungen zwischen Einzelwörtern vs. Systematisierung nach Inhalt-Form-Entsprechungen und Klang-Schrift-Entsprechungen

 Lese- und Hörverstehens-Übungen mit didaktisch aufbereiteten Texten vs. Entwicklung der rezeptiven Fähigkeiten anhand möglichst authentischer Hör- und Lesetexte, die über dem Produktionsniveau liegen

Aufgrund ihrer grundlegenden Verschiedenheit dürften die oben beschriebenen methodischen Variablen tragfähig genug sein, um ein Untersuchungsdesign zu erstellen, mit dessen Hilfe signifikante Leistungsunterschiede bezüglich der kommunikativen Kompetenz der Probanden – bei ausreichend großer Zahl – feststellbar werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch hier – wie bei jedem Unterricht – der Faktor der Lehrerpersönlichkeit in seiner positiven bzw. negativen Wirksamkeit für den messbaren Erfolg kaum hoch genug eingeschätzt werden kann.83 Nach einer sorgfältigen Analyse der Ergebnisse (unter interpretatorischer Einbeziehung der theoretischen Grundlagen) könnten differenziertere Möglichkeiten kreativer Ausgestaltung der innovativen Konzepte ausgelotet werden. Auf diese Weise könnte die empirische Erprobung tatsächlich zur Modell- und Hypothesen-Bildung beitragen, so dass sich Theorie und Empirie sinnvoll ergänzen.

Am Ende meines historischen Beitrags möchte ich einen positiven Ausblick wagen. Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass die soziologische Struktur der Fremdsprachendidaktik im Wandel begriffen ist, und zwar in dem Sinne, dass sie sich als angewandte Wissenschaft wieder verstärkt auf ihre eigentliche gesellschaftliche Aufgabe, die Optimierung des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs, besinnt. Dies hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass die frei werdenden Didaktik-Stellen zur Zeit vermehrt mit Personen besetzt werden, die der Unterrichtspraxis durch eigene Lehrerfahrung in den allgemeinbildenden Schulen näher stehen als manche Wortführende von einst. Es besteht demnach die Hoffnung, dass die in den letzten Jahrzehnten durch ein einseitiges Verständnis von ‚Wissenschaftlichkeit‘ aufgerissene‚ unselige Kluft zwischen Hochschule und Schule sich verringert und einer fruchtbaren Kooperation Platz macht. Eine solche Entwicklung werden auch die sozio-ökonomischen Kräfte honorieren, so dass die akute Bedrohung der Fremdsprachendidaktik als wissenschaftliche Disziplin abgewendet werden könnte.84

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