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6.2.1 Infrage Stellung tradierter Curriculum-Entscheidungen

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Fremdsprachlicher Unterricht ist – im Gegensatz zu ungesteuertem Spracherwerb – durch eine Reihe von Entscheidungen geprägt, die alle gleichermaßen in einer systematischen Analyse berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören neben dem methodischen Aspekt (dem Wie der Vermittlung) zuvörderst die sog. curricularen Entscheidungen, die die Zielvorstellung (das Wozu) und den Gegenstand oder Inhalt (das Was) betreffen. Auch wenn die curricularen Entscheidungen durch übergeordnete bildungspolitische Gremien getroffen werden, folgt daraus nicht, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Entscheidungen unterbleiben kann oder darf. Selbst das unterrichtliche Lehr-/Lernziel, das im Zuge einer gesellschaftlichen Setzung61 erfolgt, bedarf in seiner Formulierung und Interpretation der wissenschaftlichen Durchleuchtung.62 Das konsensfähige Ziel des heutigen Fremdsprachenunterrichts kann allgemein etwa als „Interkulturelle Kommunikationsfähigkeit oder Befähigung zur Verständigung im Kontext der fremden Sprache und Kultur“ bezeichnet werden und hat als solches eine prioritäre Funktion. Das Was und Wie des Unterrichts bestimmt sich nach dem, was letztlich erreicht werden soll.

Gegenstand oder Inhalt scheinen ebenfalls schon vor allem Unterricht festgelegt zu sein, und zwar von Generation zu Generation tradiert in Lehrplänen und Lehrbüchern. Eine ernsthafte wissenschaftliche Hinterfragung dieser schwerwiegenden curricularen Entscheidungen durch die fremdsprachendidaktische Disziplin ist bis heute unterblieben. Dabei hätte die Entdeckung der sog. „pragmatischen Dimension“ (cf. Hüllen 1973) und die sog. „kommunikative Wende“ (cf. Piepho 1974) der Diskussion über Inhalte neue Impulse geben können, indem sie die Aufmerksamkeit „von dem scheinbar alles auf sich versammelnden Fokus der Syntax auf […] den Sprachgebrauch“ (Hüllen 1973, 96) gelenkt hätte, doch das theoretische wie praktische Festhalten an dem Postulat einer systematischen Progression verhinderte eine voraussetzungslose Neuorientierung.63 Erinnert sei hier jedoch an das Positionspapier Barrera-Vidals von 1981, der dort die Klärung des Verhältnisses „zwischen dem neuen Prinzip einer kommunikativen Progression und den traditionellen Grundsätzen einer lexikalischen und grammatischen Progression“ als „dringendes Desiderat“ der Forschung angesprochen hatte (cf. Kapitel 4). Die Forschung schwieg, weil curriculare Entscheidungen höchstens in Form von „Lehrwerkkritik“64 unter die Lupe genommen wurden, nicht aber als grundsätzlich zu eruierende alternative Möglichkeiten der Auswahl und Stufung des Sprachmaterials. Eine systematische Unterrichtsanalyse65 muss jedoch genau dort ansetzen, indem sie zuvörderst die Frage nach den sprachlichen Lerneinheiten stellt, die einem Lehrgang zugrunde gelegt, d.h. ausgewählt und in einer bestimmten Reihenfolge oder Stufung präsentiert werden (cf. Segermann 2014a).

Da der Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts – im Unterschied zu anderen Fächern – nicht ein bestimmter Stoff66 ist, sondern die Sprache selbst, also die sprachlichen Mittel, die für eine erfolgreiche Kommunikation gebraucht werden, wäre es an der Zeit, die von jeher geltende und nie in Frage gestellte Auffassung vom Spracherwerb als dem Lernen von Wörtern/Vokabeln und grammatischen Regeln im Lichte aktueller Forschungsergebnisse zur Sprachverwendung einer wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen. Es spricht vieles dafür, dass lexikalisch-grammatische Konstruktionen, die die unnatürliche Trennung von Lexik und Grammatik überwinden, sich sehr viel besser als Lerneinheiten eignen, weil sie näher am Sprachgebrauch sind.67 Diese größeren lexiko-grammatischen Einheiten könnten als Pendant zu semantisch-syntaktischen Funktionseinheiten (wer tut was mit wem unter welchen Umständen) konzipiert werden68, die in spezifischer Abfolge vorkommen und damit die grundlegenden (Satz)-Strukturen einer Sprache repräsentieren. Die Auswahl der neuen sprachlichen Einheiten müsste aus einem noch zu erstellendem Inventar solcher lexiko-grammatischen Konstruktionen und Satzstrukturen erfolgen. Dieses Inventar könnte nach Themen geordnet sein und damit den Anspruch einer formal-grammatischen Progression69 aufgeben zugunsten strikter Inhaltsorientierung. Eine progressive ‚Systematik‘ der Vermittlung würde von der wachsenden Komplexität der Funktionseinheiten und Satzstrukturen übernommen werden. Damit könnte das motivationsfördernde Prinzip der Inhaltsorientierung mit dem für den gesteuerten Fremdsprachenunterricht unverzichtbaren Prinzip der sprachlichen Systematik in Einklang gebracht werden (cf. Segermann 2014a).

Sprachliche Mittel im Unterricht der romanischen Sprachen

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