Читать книгу Affektivität und Mehrsprachigkeit - Группа авторов - Страница 20
4 Dada als Kulturpolitik
ОглавлениеAlles in allem scheinen für die Kulturpolitik von Dada folgende Punkte entscheidend zu sein – unter der Voraussetzung, dass die hier in den Blick genommenen Texte einigermaßen repräsentativ sind: Erstens wehren sich die Texte gegen die Einschränkungen und die kulturpolitischen Konsequenzen von Einzel- und Muttersprachlichkeit und streben eine Aktivierung von Sprachkreativität an, die in den Bereich der dada-Muttersprachlichkeit zurückgeht. Dieses Streben richtet sich zweitens gegen die nicht nur für die Semantik der Muttersprache, sondern insbesondere auch für die kriegführenden Nationen charakteristische Ausblendung der Differenz zwischen triebhafter Selbstorganisation (nebst zugehöriger Gewalt und zugehörigem Leiden) und Zweckrationalität. In diesem Zusammenhang werden drittens unterschiedliche Formen literarischer Mehrsprachigkeit ausgetestet, die Sprachigkeiten kontrastieren, graduieren oder ganz auflösen.
Im Einzelnen bestehen klare Unterschiede zwischen den Texten: Das Simultangedicht bezieht sich sehr unmittelbar auf die Bigotterie des Militärs, relativiert durch klangliche Interferenzen zwischen den Sprachen die Eindeutigkeit der Sprachzuordnung und dekonstruiert so die Bedingungen der Möglichkeit von Kriegsbereitschaft. Mit anderen Techniken erreicht HuelsenbeckHuelsenbeck, Richards Gedicht eine ähnliche Verunsicherung der Sprachigkeiten, betreibt aber unter anderem durch die Nutzung von Afrikanismen eine primitivistische Verflachung der für die Moderne kennzeichnenden Kulturhierarchien, die allerdings ihrerseits in den Unsinn zurückgenommen wird. Diese Selbstrelativierung im Zeichen des Unsinns fehlt wiederum bei BallBall, Hugo, dessen Poetik des Lautgedichts, wie gesehen, zwar auf einen ‚Rückzug‘ ausgerichtet ist, aber gerade darin an eine konkretere, bestimmte Affektstruktur appelliert.1
BallBall, Hugo ist wahrscheinlich derjenige Vertreter des Dada, der noch am ehesten mit einer positiven Form von Kulturpolitik in Verbindung gebracht werden könnte – also mit konkreten Zielen und Programmen, denen sich die anderen konsequent verweigern. Von Beginn an gibt es diesen Kontrast zwischen BallBall, Hugo und den übrigen Mitgliedern des Zürcher Dada, die in ihrer Abwehrhaltung gegenüber jeder Form von Pathos und Bedeutsamkeitsgesten weitergehen und sich klarer gegen jegliche kulturpolitische Hypostasierung von Signifikanz stellen. Damit soll der in der Forschung verbreiteten Tendenz, das Alleinstellungsmerkmal von Dada gegenüber anderen Avantgarden in der absoluten Gegnerschaft zu Kunst und Kultur zu sehen und dem Dada so kulturpolitischen Nihilismus zu unterstellen, nicht das Wort geredet sein.2 Die konstruktive Dimension des Dada, wie sie beispielsweise auch HuelsenbeckHuelsenbeck, Richards, TzaraTzara, Tristans und JancoJanco, Marcels Schaffen prägt, sollte man nicht unterschlagen – immerhin geht es allen diesen Künstlern um die Entzündung von Kreativität.3 Dennoch muss man sehen, dass Dada zugleich ostentativ darauf verzichtet, kulturpolitische Konsequenzen aus dem eigenen Tun und Schaffen abzuleiten. So hat die Freisetzung sprachlicher Kreativität bei HuelsenbeckHuelsenbeck, Richard, TzaraTzara, Tristan und anderen zwar durchaus eine Form des ‚ursprünglicheren‘ Umgangs mit Sprache zum Ziel, dies aber entspringt weder – und hier bin ich bei BallBall, Hugo dann nicht so sicher – dem Wunsch nach kultureller Regression, noch lässt es sich in irgendeine Form von Ursprünglichkeitspathos übersetzen. Was die Autoren des Dada vermeiden wollen, ist, dass aus den qua Dada erweckten Affekten und der ihnen inhärenten Kreativität konkrete Kulturpolitik abgeleitet wird, wie das beispielsweise für viele Formen des Expressionismus der Fall gewesen ist. Dem verweigert man sich – und darin besteht der vierte und wichtigste Punkt von Dada als Kulturpolitik: Man will zwar Affekte erzeugen, diese aber, anders, als das gerade im Namen des Muttersprachennarrativs geschieht, weder nutzen noch mit ihnen identifiziert werden. Dada will die Kreativität, verzichtet aber auf kulturpolitische Konsequenz. Wenn es Dada um die Provokation von Affekten geht und dazu auf Bereiche jenseits von Sprachigkeit zugegriffen wird, dann ist die eigentliche Pointe aber doch die, dass zugleich programmatisch ausgeschlossen wird, dass daraus etwas folgen könnte.
Vielleicht liegt darin zumindest der Ansatz einer Erklärung für die Tatsache, dass die jeweiligen Dada-Bewegungen so kurzlebig gewesen sind bzw. in Bewegungen aufgegangen sind, die ein sehr viel dezidierteres kulturpolitisches Programm vertreten haben – wie zum Beispiel der Surrealismus. Jedenfalls aber liegt in Dadas Verzicht auf kulturpolitische Konsequenz eine gewisse Parallele zu SaussureSaussure, Ferdinand de. Nicht nur war die Geste des Rückzugs und des Verzichts auf kultur- oder wissenschaftspolitische Konsequenz für SaussureSaussure, Ferdinand de als Person charakteristisch. Vielmehr scheint de SaussureSaussure, Ferdinand des Konzentration auf die Beschreibung der Grundmechanismen sprachlicher Kreativität ihn geradewegs in den wissenschaftlichen Vorruhestand geführt zu haben. Er konnte la langue zwar als kreativen und vielleicht sogar als potentiell mehr- oder vor-sprachigen Mechanismus denken, leitete daraus aber kein operationalisierbares Forschungsprogramm ab. Die langue-Linguistik hat genau dies getan – aber eben um den Preis einer Hypostasierung des Muttersprachlers mit all seinen kulturpolitischen Begleiterscheinungen. Es wäre zu diskutieren, ob die Ummünzung der Impulse, die Dada gegeben hat, in konkrete Kulturpolitik durch anschließende Avantgarden ähnliche Einseitigkeiten zur Folge gehabt hat.