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5 Aktuelle Tendenzen der Farbbezeichnungen im Französischen und Deutschen

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Bei den neueren Farbbezeichnungen im Französischen fällt auf, dass es sich in zahlreichen Fällen um unveränderliche Adjektive handelt. Sie schwächen die Kategorie ‚Genus‘ nicht nur im gesprochenen, sondern auch im geschriebenen Französisch und verstärken damit die Tendenz zur Prädetermination. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle sind sie von Substantiven durch Konversion abgeleitet und entsprechen so einem verbreiteten Wortbildungstrend des modernen Französischen. Außerdem erhöhen sie die semantische Differenzierung im Lexikon bzw. die Polysemie. Eine Besonderheit im Französischen bilden Dubletten wie rose/rosé, orange/orangé, ocre/ocré und saumon/saumoné.

Als Quelle für diesen lexikalischen Reichtum des modernen Französisch dienen in erster Linie Blumen bzw. Pflanzen im allgemeinen, (exotische) Früchte und Gemüsesorten, die in ihrer Farbgebung auffällig bzw. neu sind, daneben auch einzelne Vertreter aus dem Tierreich (flamant (rose), saumon, renard). Seltener sind Tanz- (tango) oder Städtebezeichnungen (parme) die Grundlage.

Grundsätzlich stellt sich die Frage: Brauchen wir solch differenzierte Farbsysteme? Warum reichen die Grundfarben und nicht einmal die Sekundärfarben mehr aus?

Zunächst denkt man in diesem Kontext sicher an den Bereich der Mode: Modefarben wechseln fast jede Saison, so dass hier spezifische und immer wieder neue Bezeichnungen geradezu notwendig erscheinen (auch Autofarben wären ein lohnendes Untersuchungsgebiet). Ähnliches gilt für die Bereiche Dekoration und Einrichtung, die ebenfalls einer gewissen Mode unterworfen sind.1 Ich habe daher einige Zeitschriften zu diesen Feldern auf das Vorkommen von Farbbezeichnungen hin analysiert – mit teils überraschenden Ergebnissen.

Ich beginne mit einer Textstelle aus Brigitte Nr. 13 (8.6.2016). Dort heißt es S. 82:

Die frischen Beauty-Farben für diesen Sommer machen gute Laune und Lust auf Obst! Erdbeer, Orange oder Melone für den Mund, Drachenfrucht-Pink oder Aprikose auf den Wangen.

Auch im Bereich ‚Kosmetik‘ benötigen wir also eine stark differenzierte Farbskala. Was hier für das Deutsche illustriert wird, lässt sich zumindest teilweise auf das Französische übertragen, wenngleich melon als Farbbezeichnung im PR nicht ausgewiesen ist und es sich bei Drachenfrucht-Pink wohl nur um eine Augenblicksbildung handelt. Dennoch verdeutlicht letzteres den Entstehungsprozess zahlreicher Farbbezeichnungen. Eine bisher weitgehend unbekannte Frucht liefert die Grundlage für einen neuen Farbton, der auch nach ihr benannt wird, cf. papaye, nectarine etc., die ebenfalls den ORANGE-Bereich ausweiten. Fraise ist (ebenso wie framboise) im Französischen eher ein Rotton, während er im Deutschen wohl dem Rosa-Spektrum zuzurechnen ist.

Die Analyse von marie claire idées no 116 (septembre-octobre 2016) – eine an ein weibliches Publikum gerichtete Zeitschrift aus dem Kreativbereich – hat die Rosa-Skala um folgende Töne erweitert: rose poudré, rose sable und vieux rose (S. 127), ebenfalls eine häufige Wortbildungsmöglichkeit im französischen Farbwortschatz, wobei das Farbadjektiv durch ein weiteres Adjektiv oder ein Substantiv näher determiniert wird. Auch das Deutsche kennt derartige Determinativkomposita (Puderrosa, Altrosa). Sogar der aus dem Englischen entlehnte Farbton nude findet sich in einer Farbpalette von Dior.

Ein besonders treffendes Beispiel für die fantasievolle Benennung von Farben zeigt folgende Textpassage aus marie claire idées no 116 (septembre-octobre 2016, S. 38), bei der es darum geht, ein Skateboard mit Sprühfarben zu gestalten:

Bombes de peinture coloris discret, chrome cuivré, argenté glitter, moberry, bleu polaire, fluoro pink, potion.

Fröhlich werden hier Anglizismen und originär französische Bestandteile gemixt. Auch über diesen Weg können Anglizismen relativ unbemerkt ins Französische gelangen. Die Skala der hier ins Auge gefassten Farben erweitert sich stetig, wobei davon auszugehen ist, dass viele dieser Farbnuancen bzw. ihre Bezeichnungen dem einzelnen Sprecher wohl kaum bekannt sind, auch wenn wir im Normalfall nach Kronberger (2017) ca. 100 000 Farbtöne unterscheiden können.

Cf. zu dieser Thematik auch den Kommentar von Klaus Schamberger, einem bekannten Nürnberger Kolumnisten, in einem Artikel der Nürnberger Zeitung vom 10. Oktober 2016, S. 10:

Jetzt drängt es mich aber noch zur löblichen Erwähnung eines sehr schönen Möbelhauses, dessen Prospektdichter einen Kleiderschrank in Form einer nahezu nobelpreisverdächtigen Sensationsmeldung anbietet. „Der Kleiderschrank […] bietet durch endlose Kombinationsmöglichkeiten jede Menge Stauraum.“ […] Noch dazu in folgenden scheint’s extra für mich erfundenen Farben: in Macchiato, Vulcan, Lava, Pacific blue, Lilac grey, und obacht! in Wildeiche. Bei der Wildeiche erheben sich in mir allerdings zwei Fragen […]: 1. Warum heißt die Farbe nicht Wild Oak, und 2. Gibt es neben der Wildeiche auch eine Zahmeiche?

Die Entwicklung von Farben bzw. ihren Bezeichnungen steht zweifelsohne stark mit kulturellen und gesellschaftlichen Tendenzen in Verbindung (cf. in diesem Sinne ebenso Pastoureau 2013), auch wenn diese im Einzelfall noch näheruntersucht werden müssten. So ist auffällig, dass heute, wo Kochshows eine große Rolle spielen, viele Farbtöne nach Gewürzen benannt werden. Im Katalog der Textilfirma Landsʼ End finden sich z.B. Dunkel Ingwer (für ein dunkles Orange), Vintage Zimt (braunorange), Dunkel Koriander (heller Braunton), Dunkel Gewürz Braun (dunkelbraun) sowie Orangenzeste für ein dunkles Orange (burnt orange). Die deutsche Vogue (4/2016) präsentiert auf S. 68 ein À la carte Modemenü unter dem Motto „von Safran bis Zimt“ (beide fungieren auch im Französischen als Farbwörter). InStyle (April 2017, S. 36) propagiert Curry als aktuelle Modefarbe.

Noch deutlicher werden diese Zusammenhänge im Eintrag für die Farbe Orange auf der Website der Einrichtungszeitschrift Schöner Wohnen:

Orange ist eine Modefarbe. Das erkennt man schon daran, dass die Farbpsychologie vor ein paar Jahren feststellte, von Orange sei niemand sonderlich angetan, Frauen nur wenig, Männer gar nicht. Wie oft sieht man Orange heute! Seit der „orangenen Revolution“ in der Ukraine im Winter 2004/05, seit sich politische Parteien, große Firmen und Fernsehsender eine Corporate Identity in Orange zulegen, boomt die Farbe und demonstriert, wie schnell die Stimmungen wechseln können. Mit Orange zeigen sich die Bereitschaft zum Verändern und die Lust zum Trend. (Schöner Wohnen Farbe, online: s.v. Orange)

Trend ist als Wohnfarbe laut Schöner Wohnen Farbe aktuell u.a. Sahara, das sehr poetisch beschrieben wird:

Dieses Goldorange ist wie ein Spüren von Geräuschen, ein Horchen in die Natur, ein Nachfühlen über frohe Gedanken; „Sahara“ hat eine intensive Gefühlslage. Wer sein Zuhause zum Erlebnis machen möchte, das die Atmosphäre durchweht, das Freude macht, das die Wärme schenkt, liegt mit „Sahara“ goldrichtig. (Schöner Wohnen Farbe, online: s.v. Sahara)

Farben vermitteln Emotionen, wie uns diese Passage deutlich vor Augen führt. Sie wirken auf uns, oft ohne dass wir uns dieser Wirkung bewusst sind. Dieses Potential lässt sich u.a. für die Behandlung von Krankheiten nutzen (cf. u.a. Riedel 51986; Eberhard 81990). So können z.B. Orange- und Pinktöne bei der Behandlung von Depressionen unterstützend eingesetzt werden.

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