Читать книгу Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte - Группа авторов - Страница 52

4 Sprachwissenschaftliche Aspekte 4.1 Sprachursprungstheorie

Оглавление

Ausgehend von der nicht möglichen Beweisbarkeit, wer der erste Mensch war der einst zu sprechen begann bzw. wie sich die menschliche Sprache entwickelte und was ihr Ursprung war, zieht La Mettrie verschiedene Parallelen zu anderen, empirisch beobachtbaren und damit beweisbaren Phänomenen im Zusammenhang mit Sprache, nämlich der Sprache im Tierreich, dem kindlichen Erstsprachenerwerb sowie sprachlichen Defiziten beim Menschen (Wolfskinder, Taubstumme). Damit folgt er ganz den Argumentationsschemata seiner Zeit,1 ist aber entsprechend seinem philosophischen Gedankengebäude in manchen Schlussfolgerungen weitaus radikaler. Das grundsätzliche Nichtwissen-Können (cf. Descartes 1960:52–53, § 33; 1992:31–41, § 17–24) formuliert er dabei folgendermaßen:

Mais qui a parlé le premier? Qui a été le premier Précepteur du Genre humain? Qui a inventé les moiens de mettre à profit la docilité de notre organisation? Je n’en sai rien; le nom de ces heureux et premiers Génies a été perdu dans la nuit de tems. (La Mettrie, HM 1990:54)

Da La Mettrie in seiner materialistischen Philosophie Tier und Mensch als aus der gleichen Materie aufbauend annimmt und zwischen beiden ein Kontinuum sieht, liegt es für ihn auch nahe, bei dem Menschen nah verwandten Tieren wie dem Affen grundsätzlich ein Vermögen zur Erlernung der Sprache zu postulieren. Die Sprechorgane (organes de la parole) seien beim Affen zwar nicht ganz ausreichend, doch glaubt er, dass es durch einen evtl. kleinen operativen Eingriff (ähnlich wie man es an der Eustachischen Röhre bei den Tauben macht) und durch anhaltende Lehrbemühungen möglich wäre, Affen das Sprechen beizubringen; schon allein deshalb, weil diese im inneren und äußerem Bau dem Menschen so sehr ähneln würden (cf. Haßler/Neis 2009:182–183).2

Seine diesbezügliche Schlussfolgerung ist modern, radikal und blasphemisch, denn für ihn ist der Mensch letztlich nichts anderes als ein Tier einer bestimmten Gattung, was für ihn durchaus positiv konnotiert ist (cf. Christensen 1996:187); dabei sei der Übergang zwischen Affen und Menschen als fließend anzunehmen.

Des Animaux à l’Homme, la transition n’est pas violente; les vrais Philosophes en conviendront. (La Mettrie, HM 1990:52)

Für die Frage nach dem Ursprung der Sprache bedeutet das letztendlich, ohne dass er dies expliziert, ebenfalls ein Kontinuum bzw. eine Entwicklung von der Sprache der Tiere zu der des Menschen. Das von seinen Zeitgenossen, wie z.B. Condillac oder Herder, formulierte klare Abgrenzungsmerkmal derÜberlegenheit des Menschen gegenüber dem Tier, nämlich die Sprache, wird damit eindeutig relativiert (cf. Haßler/Neis 2009:183).3

Letztlich sei es auf das größere Gehirnvolumen des Menschen zurückzuführen, dass seine Sprache elaborierter sei als die der Tiere, wie er in seinem Traité de l’âme (1751) darlegt.4 Dadurch hätte der Mensch mehr Ideen, diversifiziertere Vorstellungen, was sich wiederum auf die Sprache auswirken würde. Wenn man nun die Frage mit der Erlernbarkeit der menschliche Sprache durch die Affen und die reine Nachahmung der Laute bei Papageien außer Acht läßt, dann besteht der wesentliche Merkmalsunterschied zwischen tierischer und menschlicher Sprache darin, dass erstere aus Gestik besteht, während die der Menschen sich durch Worte konstituiert, was nicht immer von Vorteil sein müsse, da dies mitunter auch in Schwatzhaftigkeit münden könne (cf. Christensen 1996:88; Haßler/Neis 2009:182).

Quelle différence y a-t-il donc entre notre faculté de discourir, & celle des bêtes? La leur sé fait entendre quoique muette, ce sont d’excellents pantomines; la notre est verbeuse, nous sommes souvent de vrais babillards. […] Ces signes sont perpétuels, intelligibles à tout animal du même genre, & même d’une espece différente, puisqu’ils le sont aux hommes mêmes. (La Mettrie, TA 1774:120, §III)

Entsprechend der beim Menschen gegenüber den Tieren ausgefeilteren Gehirntätigkeit stellt sich La Mettrie die Erschaffung der Sprache eng verbunden mit der zunehmenden komplexen geistigen Entwicklung des Menschen vor: Durch Gefühl und Instinkt hätten die Menschen Geist erworben, durch den Geist Kenntnisse. Dadurch hätten sich wiederum neue Ideen und die Fähigkeit ergeben, verschiedene Wahrnehmungen besser zu unterscheiden. Um die Welt diversifizierter aufnehmen zu können, braucht es wiederum Zeichen und mit Hilfe der zum exakteren Denken entstandenen Zeichen, konnten die Menschen dann auch kommunizieren.

Voilà comme je conçois que les Hommes ont emploié leur sentiment, ou leur instinct, pour avoir de l’esprit, et enfin leur esprit, pour avoir des connoissances. Voilá par quels moiens, autant que je peux les saisir, on s’est rempli le cerveau des idées, pour la reception desquelles la Nature l’avoit formé. (La Mettrie, HM 1990:54)

[…] dès que qu’une fois les yeux bien formés pour l’Optique, ont reçu la peinture des objets, le cerveau ne peut pas ne pas voir leurs images et leurs différences; de même, lorsque les Signes de ces différences ont été marqés, ou gravés dans le cerveau, l’Ame en a nécessairement examiné les rapports; examen qui lui étoit impossible, sans la découverte des Signes, ou l’invention des Langues. (La Mettrie, HM 1990:56)

Hier scheint eine wechselseitige Abhängigkeit vorzuliegen, denn durch die Sprache, bzw. die Wörter und Zeichen schärfte sich laut La Mettrie wiederum der Geist des Menschen.5

Les Mots, Les Langues, Les Loix, Les sciences, les Beaux Arts sont venus; et par eux enfin le Diamant brut de notre esprit a été poli. (La Mettrie, HM 1990:52)

Bezüglich des kindlichen Spracherwerbs stellt La Mettrie wiederum das Kind in gewisser Weise auf eine Stufe mit dem Tier, indem er postuliert, dass die Erlernung der Laute ähnlich wie bei einem Papageien zunächst nur auf Imitation beruhen.

Quelle différence y a-t il entre l’enfant & le perroquet qu’on instruit? ne redisent-ils pas également les sons dont on frappe leurs oreilles, & cela avec tout aussi peu d’intelligence l’un que l’autre. (La Mettrie, TA 1774:121, §III)

Dabei beschreibt er ganz mechanisch bzw. medizinisch den Zusammenhang zwischen den äußeren Sinnen (dem Gehör) und den inneren Sinne (Willen zur Artikulation) und die dadurch ausgelösten Muskelkontraktion (Sprechen) (cf. Haßler/Neis 2009:183).

Dass die Frage nach dem Sprachursprung für ihn mit dem kindlichen Spracherwerb zusammenhängt, zeigt sich implizit daran, dass er bestimmte Parallelen zieht: So kann das Kind zwar z.B. Strohhalme oder Holzstäbchen in seiner Hand erkennen, aber noch nicht zählen oder diese nach ihrer Art unterscheiden, und zwar aufgrund des Mangels der noch nicht entwickelten Sprache bzw. der für diese Unterscheidung notwendigen Zeichen in der Vorstellung (cf. La Mettrie, HM 1990:56). Das Kind befinde sich geradezu auf einer noch niedrigeren Stufe als die Tiere, da es zu Beginn seines Lebens die Fähigkeiten des menschlichen Geistes noch nicht ausgebildet habe und gleichzeitig aber weniger Instinkt als das Tier besitze und damit klar im Nachteil sei (cf. La Mettrie, HM 1990:70).

Ebenfalls auf eine Stufe mit den Tieren stellt La Mettrie sogenannte Wolfskinder und Taubstumme,6 die man nur unter günstigen Umständen die Sprache lehren könne, wobei er wiederum dies zur Möglichkeit der Erlernung der Sprache bei einem Affen parallelisiert (cf. Haßler/Neis 2009:365–357).

Das Besondere an La Mettries Sprachursprungtheorie ist sicherlich die Nivellierung des Unterschieds von Mensch und Tier und das wenig spekulative, sondern eher empirisch Ausgerichtete seiner Forschung sowie die Negierung eines göttlichen Ursprungs der Sprache – zweifellos auch in der Epoche der Aufklärung hochgradig brisante Postulate.

Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte

Подняться наверх