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III.

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Nicht nur ein umfassender Systembau, auch die spezifisch transzendentale Denkform ist Jonas fremd geblieben. Zwar spielen Selbstaufhebungsargumente in seiner Kritik am Epiphänomenalismus eine Rolle,39 aber vermutlich hat Jonas auch die Abneigung gegenüber dem Transzendentalismus von Heidegger übernommen, und zwar auf Grundlage der falschen Annahme, transzendentale Argumente führten zum Subjektivismus. Nun zeigt sicher Kants theoretische Philosophie eine Verbindung von Transzendentalismus und Subjektivismus, aber seine praktische Philosophie kann ganz gewiß nicht als subjektivistisch bezeichnet werden. Und in der Tat ist es so, daß die zentralen Intuitionen von Jonas’ Ethik kantianisch sind, auch wenn das angesichts von Jonas’ Polemik gegen den Kantischen Formalismus40 dem Leser von Das Prinzip Verantwortung nicht leicht auffällt. Immerhin hat Jonas vom ersten Satz der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, die er früh las, gesagt, er habe „wie ein Donnerwort durch mein Leben geklungen.“41 Es ist dieses Donnerwort, das ihn vor der moralischen und ethischen Paralyse bewahrt hat, die von Heideggers Denken ausging, und ihn befähigt hat, die neben der Diskursethik innovativste ethische Theorie der deutschen Nachkriegsphilosophie vorzulegen, die lange gebraucht hat, um auch nur das Desiderat einer praktischen Philosophie einzusehen.

Jonas’ bleibende Leistungen in der Ethik bestehen darin, erstens die Objektivität moralischer Verpflichtungen und zweitens ihre Irreduzibilität auf das wohlverstandene Eigeninteresse hervorgehoben zu haben – und dabei handelt es sich um zwei entscheidende Ideen Kants.42 Bei intergenerationellen Verpflichtungen, so Jonas, falle die Reziprozität weg, und allgemein gehe es in der Ethik darum, kategorische, nicht hypothetische Imperative zu fundieren.43 Damit ist der Eudämonismus der aristotelischen Ethik verlassen, und auch die nicht-hypothetischen Imperative des Utilitarismus und der Diskursethik werden in ihrem materialen Inhalt zurückgewiesen, weil Jonas in einem mit der Würde und der Berufung des Menschen erkauften Einverständnis und Wohlgefühl späterer Generationen nicht nur nichts Positives, sondern sogar eine Vergrößerung der Schuld der dafür verantwortlichen früheren Generationen sieht. „Es bedeutet, daß wir im letzten nicht das antizipierte Wünschen der Späteren konsultieren (das unser eigenes Erzeugnis sein kann), sondern ihr Sollen, das nicht von uns gemacht ist und über uns beiden steht. Ihnen ihr Sollen unmöglich machen ist das eigentliche Verbrechen, dem alle Vereitelungen ihres Wollens, schuldhaft genug wie sie sein mögen, erst an zweiter Stelle folgen. Das bedeutet aber, daß wir nicht so sehr über das Recht künftiger Menschen zu wachen haben […] wie über ihre Pflicht […]“.44

Jonas’ Kritik an Kant ist sicher insofern unfair, als Jonas nur eine der verschiedenen Formulierungen von Kants kategorischem Imperativ diskutiert und nicht sieht, daß dieser aus den anderen Formulierungen materiale Gehalte abzuleiten sucht, die von den Jonasschen nicht sehr entfernt sind. Ja, es mag sogar sein, daß Jonas’ alternativer kategorischer Imperativ „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“45 Kant nicht nur nicht über-, sondern sogar unterbietet, weil er vielleicht nicht ausreicht, um Individualrechte zu begründen – das hängt jedenfalls von seiner Interpretation ab.46 Auch die Begründung des Jonasschen Imperativs ist in Das Prinzip Verantwortung recht dunkel – ein Appell an Intuitionen47 findet sich merkwürdigerweise am Ende eines komplexen Arguments, nach dem in der Natur nicht nur Zwecke, sondern auch Werte zu finden seien. Das Argument ist nicht einfach zu rekonstruieren, aber sein Zentrum scheint der Gedanke zu sein, daß der Selbstzweckcharakter des Lebens ein wichtiger Zweck der Natur selbst, ja ein Gut an sich oder Wert sein müsse,48 weil es nicht möglich sei, Zweckhaftigkeit selbst zu negieren, ohne sich diese Negation selbst zum Zweck zu machen. Jonas sagt: Zwar sei etwas relativ gut – also nur de facto, aber nicht de jure gut – bloß im Lichte faktischer Zwecke, aber bei Zweckhaftigkeit an sich liege die Sache anders. „In der Fähigkeit, überhaupt Zwecke zu haben, können wir ein Gut-an-sich sehen, von dem intuitiv gewiß ist, daß es aller Zwecklosigkeit des Seins unendlich überlegen ist.“49 Jonas läßt offen, ob es sich dabei um einen analytischen oder synthetischen Satz handle, und er schwankt zwischen der Berufung auf die Evidenz des Satzes und der Verwendung eines apagogischen Argumentes: Die Nirvanalehre sei selbstwidersprüchlich, weil sie die Befreiung von allen Zwecken zum Zwecke mache. Zwar meint Jonas, daß die Unmöglichkeit eines negativen Urteils nicht ausreiche, um zu einem bejahenden Urteil zu verpflichten,50 und daher bleibt jener Satz bei ihm letztlich axiomatisch. Aber wer von apagogischen Begründungen höher denkt als Jonas, wird in jenen Reflexionen den argumentativen Kern von Das Prinzip Verantwortung erblicken.

Jonas’ Argument scheint nun, anders als etwa die transzendentalpragmatische Letztbegründung der Ethik, Möglichkeiten für eine Ethik zu eröffnen, die nicht stark anthropozentrisch ist, also nicht nur dem Menschen intrinsischen Wert zuschreibt. Zwar sind Jonas’ Aussagen zum sittlichen Eigenrecht der Natur sehr vorsichtig,51 und man spürt, daß er froh ist, daß sich die Frage praktisch gar nicht stellt, „da […] das Interesse des Menschen mit dem des übrigen Lebens als seiner Weltheimat im sublimsten Sinn zusammenfällt.“52 Und doch ist klar, daß es auf der Grundlage von Jonas’ philosophischer Biologie sehr schwierig ist, dem Lebendigen einen Eigenwert abzusprechen: Einerseits die Kontinuität der biotischen Evolution, zu der der Mensch wesentlich gehört, andererseits jene ontologisch so faszinierende Eigenart des Organischen legen nahe, es in einer Axiologie zu berücksichtigen. Hierin liegt nun in der Tat ein enormer Fortschritt Jonas’ über Kant hinaus, für den die Natur, auch und gerade die organische, in dem, was an ihr erkennbar ist, menschliches Konstrukt bleibt und damit bar jedes intrinsischen Wertes.

Ein umfassendes philosophisches System hat Jonas, wie gesagt, nicht vorgelegt. Aber er hat in einem Zeitalter immer weitergehender Spezialisierung nicht nur zwei sehr unterschiedliche Disziplinen, die Philosophie der Biologie und die Ethik, auf höchst originelle Weise behandelt, sondern auch viele Bezüge zwischen ihnen deutlich gemacht. Jonas’ Originalität besteht im wesentlichen darin, daß er Heideggers Tiefenanalyse von Zeitlichkeit ebenso wie seine Kritik des modernen technologischen Zeitalters weiterentwickelt hat zu einer Ontologie der Natur und einer Ethik, die nach der Heideggerschen Diagnose der Gegenwart eine Therapie zu bieten sucht. Er ist dabei, zum Teil ohne es selbst zu wissen, zu entscheidenden Theoriebestandteilen der Naturphilosophie des deutschen Idealismus und der Ethik Kants zurückgekehrt und hat in einer Welt, die von der deutschsprachigen Philosophie nicht mehr viel erwartete, die Gegenwart, ja Zukunftsbezogenheit einer scheinbar veralteten Tradition gezeigt. Etwas übertreibend kann man sagen: Jonas hat in seinem Denken wie in seiner Sprache nicht nur das Beste aus dem präfaschistischen Deutschland bewahrt, sondern ist wahrscheinlich auch der letzte deutsche Nationalphilosoph gewesen – vor dem Aufgehen der Nationalphilosophien in einer entscheidend im Medium des Englischen erfolgenden Weltphilosophie. Daß der letzte deutsche Nationalphilosoph ein Jude mit US-amerikanischem Paß war, war natürlich eine besonders schmerzliche, wenn auch auf eine höhere Gerechtigkeit verweisende Erfahrung, weil sie zeigte, daß das Erlöschen der deutschen Seele ganz entscheidend eine Folge der nationalsozialistischen Vernichtung des Judentums war.

Weiterwohnlichkeit der Welt

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