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II.

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Die vorsichtig-tastende Nähe, wie sie in Jonas’ und Scholems persönlichen Zeugnissen aufscheint, hat sich offenbar nach Jonas’ Übersiedlung nach Kanada 1949 nie wieder eingestellt. Statt dessen sollte es schon bald zu einem Konflikt kommen, der ihre Beziehung dauerhaft überschattete. Zunächst ging es dabei konkret um die Frage nach der Treue gegenüber dem Zionismus und dem jungen Staat Israel. Jonas war nach seinem Militärdienst 1945 nach Palästina zurückgekehrt, fand jedoch keine akademische Wirkungsmöglichkeit und wurde 1948 bei Ausbruch des israelischen Unabhängigkeitskrieges sofort wieder eingezogen. 1949 übersiedelte er daher mit seiner Familie nach Kanada, sein weiterer Weg führte ihn dann von dort 1955 als Professor an die New School for Social Research nach New York. Dort fiel die endgültige Entscheidung, die Perspektive eines Lebens und philosophischen Lehrens in Jerusalem aufzugeben und sein Glück auf dem amerikanischen Kontinent zu versuchen. Als Jonas 1951 einen Ruf als Philosophieprofessor an die Hebräische Universität Jerusalem, für den sich Scholem persönlich eingesetzt hatte, aus familiären Gründen und weil er in den USA bereits Fuß gefaßt hatte, ablehnte, kam es zu einem scharfen Streit, in dessen Verlauf der Vorwurf des „Verrats am Zionismus“ laut wurde, den Scholem ihm über Jahrzehnte halb ernst, halb scherzhaft vorhielt.36 Was blieb, war eine zwiespältige Freundschaft, die sich fortan in einer eigentümlichen Mischung aus Zuneigung, Ironie und Streitbarkeit Ausdruck verschaffte. Mit der Zeit kam es dann zu Differenzen, die sachlich mit der unterschiedlichen Entwicklung der Forschungsschwerpunkte beider Gelehrter zu tun hatte. Jonas hatte die Gnosisforschung zu dieser Zeit längst hinter sich gelassen, um sich ganz seiner neuen Philosophie des Organischen zu widmen. Zwar wurde er auf Grund des Ruhmes seines Gnosiswerkes noch gelegentlich zu wichtigen Kongressen eingeladen, doch er verfolgte die Entwicklungen innerhalb der Disziplin nur noch am Rande, so daß die Forschung, wie er bereitwillig zugestand, in der Fülle der Details der religionsgeschichtlichen Quellenerschließung und -deutung rasch über ihn hinwegschritt.37 Im Zentrum der heftigen Dissonanzen zwischen beiden Gelehrten stand die vieldiskutierte und nach wie vor kontroverse Frage nach dem Verhältnis von Gnosis und Judentum, also immerhin einer der zentralen Aspekte der Bestimmung des Wesens und Ursprunges der gnostischen Bewegung. Seit dem neunzehnten Jahrhundert hatten sich auch jüdische Forscher mit dieser Frage auseinandergesetzt und entweder – so Heinrich Graetz – einen gnostischen Einfluß auf rabbinische Traditionen oder umgekehrt einen jüdischen Einfluß auf die Gnosis vorausgesetzt.38 Unter dem Einfluß der Religionsgeschichtlichen Schule hatte sich die Aufmerksamkeit jedoch vom Judentum hin zur iranischen Religion verlagert – der sogenannte orientalisierende Ansatz, der auch Hans Jonas prägte.39 Er postulierte von Beginn an eine dialektische, letztlich jedoch durch einen fundamentalen Gegensatz geprägte Beziehung zwischen jüdischer und gnostischer Religion. Er bestritt zwar nicht, daß sich die Gnosis jüdischer Motive und Elemente bediente, und wollte auch einen Zusammenhang der Gnosis mit einem heterodoxen okkulten Judentum nicht ausschließen, akzentuierte aber den antijüdischen Impetus, den er in ihrem vehementen Antinomismus und in der Identifikation des verhaßten gnostischen „Demiurgen“ Jaldabaoth mit dem Gott der Hebräischen Bibel verspürte. Der juden- und judentumsfeindliche Affekt galt Jonas als wesentliches Merkmal der gnostischen Rebellion gegen die Vorstellung von einer nach dem Ebenbild Gottes gestalteten guten Schöpfung. Daß die Gnosis in Gegensatz zum Judentum trat und „an dem jüdischen Weltgott ihr ganzes angesammeltes Ressentiment ausließ“, war aus seiner Sicht gerade das untrügliche Kennzeichen ihres revolutionären Charakters, der in der antidualistischen Natur des jüdischen Monotheismus seinen natürlichen Widerpart finden mußte.40 Jonas wußte sich darin mit Scholem einig, der ihm gegenüber in den dreißiger Jahren bei einem Gespräch in Jerusalem die Gnosis als bedeutendsten Entwurf eines – nicht gegen das jüdische Volk, sondern gegen den jüdischen Gott gerichteten – „metaphysischen Antisemitismus“ bezeichnet hatte.41 Diese Einschätzung wirkt bis heute nach, wenn etwa Micha Brumlik vermutet, es sei „historisch kein Zufall […], daß Antijudaismus und Antisemitismus bis heute von gnostischem Denken zehren“, da die Gnosis das Judentum auf Grund seines Glaubens an einen rationalen Weltschöpfer stets als schlimmsten Feind betrachtet habe. Allerdings, darin urteilt Brumlik anders als Jonas, ändere dies nichts daran, „daß die Gnosis wahrscheinlich im Schoß jüdischer Sekten entstanden ist und daß im Judentum selbst, in Kabbala und Chassidismus, gnostische Tendenzen einen erheblichen Raum einnahmen“.42 In dieser Feststellung spiegeln sich neue Tendenzen sowohl der Gnosisforschung als auch zeitgenössischer Arbeiten zu den mystischen, esoterischen Überlieferungen des Judentums von der Antike über die mittelalterliche Kabbala bis zur Frühen Neuzeit, die immer deutlicher Zusammenhänge mit gnostischem Denken sichtbar machen. Letzteres thematisierte Gershom Scholem, der in seinem Werk Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen die These vertrat, die antike jüdische Mystik trage eindeutig auch gnostische Züge. Scholem beschrieb die Gnosis als Reaktion gegen das rabbinische Judentum, später sogar als von apokalyptischen Schriften inspirierte innerjüdische Entwicklung. Sein Begriff eines „jüdischen Gnostizismus“ postulierte zwar keinen historischen Zusammenhang zwischen der antiken jüdischen Mystik und der gnostischen Bewegung des zweiten und dritten Jahrhunderts, beschrieb aber eine der Gnosis phänomenologisch verwandte religiös-mystische Bewegung, die aus alten jüdischen religiösen Ideen und Symbolen entstanden sei; diese wiederum hätten auch dem nicht-jüdischen Gnostizismus als Material gedient. Einschränkend machte er immerhin auf grundsätzliche Differenzen aufmerksam, die darin begründet seien, daß sich die Merkabah-Mystik, anders als die dualistische gnostische Mythologie, in Anlehnung an das orthodoxe Judentum um strikte Bewahrung des Monotheismus bemüht habe. Bahnbrechend ist Scholems Versuch geworden, die Wirkungsgeschichte gnostischen oder gnostisierenden Denkens in der mittelalterlichen Kabbala – vom Buch Bahir im zwölften Jahrhundert über den Sohar bis hin zur lurianischen Kabbala des sechzehnten Jahrhunderts – nachzuweisen.43 Jonas dagegen drang darauf, den Begriff des Gnostischen mit Blick auf die spätantike jüdische Mystik wesentlich zurückhaltender zu verwenden,44 auch wenn er selbst seine Haltung weiter differenzierte und die Möglichkeit jüdischer „Vorläufer“ und der Entstehung der Gnosis „an den Rändern“ des Judentums zugestand, sie also als jüdischen Motiven und Denkversuchen nahe und von ihnen herausgefordert zu begreifen begann.45 Zu einem „Eklat“ zwischen beiden Forschern kam es, als Jonas 1965 einen Aufsatz veröffentlichte, in dem er seine massive Kritik an einer einseitigen Herleitung der Gnosis aus dem Judentum durch Gilles Quispel mit einem sanften polemischen Seitenhieb auf Scholems Terminologie einer jüdischen Gnosis verband: Die Bezeichnung der orthodox-monotheistischen jüdischen Mystik als Gnosis führe zur Nivellierung des radikalen Bruches zwischen Judentum und Gnosis, deren entscheidendes Merkmal aus Jonas’ Perspektive nach wie vor der häretische Dualismus zwischen dem wahren Gott des Lichts und dem gefallenen Gott der finsteren Schöpfung war.46 Als Scholem darauf offenbar höchst empört reagierte, entschuldigte sich Jonas in einem Brief vom 19. Mai 1966 und würdigte aufrichtig Scholems wissenschaftliche Überlegenheit auf dem Gebiet: „Lieber Scholem, ich schulde Ihnen ein Bekenntnis schlechten Benehmens und eine Bitte um Verzeihung, die ich nur mit der Hoffnung vorbringen kann, daß Sie sie um der Freundschaft willen gewähren, selbst wenn ich nichts vorbringen kann, was die Bitte rechtfertigt. […] Sie haben Ihren gerechten Unwillen und keinen Grund, ihn durch seine Anerkennung beschwichtigen zu lassen. Ich kann nur grandios von der ‚midat ha-din’ [hebr.: Recht; C. W.] an ‚midat ha-rachamim’ [hebr.: Gnade; C. W.] bei Ihnen appellieren und, wie gesagt, alte Freundschaft dabei zur Hilfe rufen. Bitte verzeihen Sie mir. Ich möchte noch sagen, daß ich zwar zugegebenermaßen nicht alles von Ihnen lese […], aber doch jedes Mal was immer mir von Ihnen in die Hände kommt, und jedes Mal mit der Bewunderung und Belehrung, die seit je alle Scholemiana bei mir bewirken.“47 Einen späten Nachhall fand dieses kleine Scharmützel, als Scholem eine für 1978 in Yale anberaumte große Gnosiskonferenz, bei der er gemeinsam mit Jonas auf dem Podium hätte diskutieren sollen, absagte. „Ihre Abwesenheit“, schrieb Jonas daraufhin, „ist für mich eine bittere persönliche Enttäuschung […]. Viel von dem Glanz der Konferenz und ein Hauptgrund meiner Zusage, ist in meinen Augen dahin. Die Aussicht, gerade unter den Auspizien dieses Themas noch einmal, am Lebensabend, die theoretische Bühne mit Ihnen teilen zu können […], hatte mich mit tiefer Vorfreude erfüllt.“48 Scholem erteilte ihm daraufhin eine deutliche Abfuhr, indem er den Gegensatz zwischen seiner eigenen religionsgeschichtlich bestimmten Position und Jonas’ philosophischer Interpretation der Gnosis scharf akzentuierte und eine öffentliche Diskussion darüber für sinnlos erklärte:

„Der Hauptgrund meiner Absage in Yale war die völlig unmögliche Zeit. […] Freilich kam auch die oder jene Erwägung hinzu, die mit völlig verschiedenen Begriffen zusammenhängen, die wir offenkundig über den Begriff ‚Gnosis’ haben, worüber Sie sich ja oft genug verbreitet haben. Was soll eigentlich aus solchem Gespräch, in dem man aneinander vorbeiredet, herauskommen? Ihre Definition der Gnosis ist nicht die meine, und darüber zu diskutieren, hätte gar keinen Sinn. Für mich ist Gnosis eine sich immer wieder reproduzierende Struktur im religiösen Denken, für Sie ist es ein einmaliges geschichtsphilosophisch bestimmtes Phänomen […]. Sie haben das Buch über Gnosis geschrieben, das unbedingt einmal geschrieben werden mußte, und wir alle, mich eingeschlossen, sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Die historische Forschung hat, so weit ich sie zu verstehen imstande bin, ganz andere Wege eingeschlagen, und ich habe mit großem Respekt und noch größeren Bedenken Ihre zwei oder drei Versuche gelesen, sich mit dieser Tatsache auseinanderzusetzen. Darüber eine öffentliche Diskussion mit Ihnen zu führen, würde bedeuten, mich einige Monate an dies Problem zu setzen, wofür bei meiner Arbeitslage und deren Programmierung ich keine absehbare Zeit sehen kann. […] Hoffentlich bleiben uns beiden noch einige Jahre guter Arbeit gegönnt. Das wünsche ich uns sehr. Mit herzlichen Grüßen Ihr Gershom Scholem.“49

Solche Worte, die nunmehr schonungslos aussprachen, was sich bis dahin stets im Bereich der Andeutung bewegt hatte, hinderten Jonas allerdings nicht, Scholem wenig später anläßlich von dessen achtzigsten Geburtstag noch einmal die Bedeutung ihrer Freundschaft für sich und seine persönliche Bewunderung vor Augen zu führen. „Ich weiß wohl“, so schloß er seinen herzlichen Brief, „daß Sie oft unzufrieden mit mir waren und es vielleicht permanent sind. Von mir darf ich bekennen, daß ich mich glücklich schätze, einmal in Ihrem näheren Umkreis gewesen zu sein und daß Sie eine bedeutende Figur in meinem Leben waren und geblieben sind. Ich verknüpfe meine Huldigung mit den wärmsten Wünschen für weiteres Leben und Schaffen. Ihr Hans Jonas.“50 Trotz aller Spannungen, die Jonas’ Freundschaft mit Gershom Scholem über die Jahrzehnte immer wieder trübten, und trotz aller Distanz, die wohl mit ihr Wesen ausmachte, kam es nie zum Bruch zwischen ihnen, offenbar weil das in Jerusalem gelegte Fundament tragfähig genug war, um das Aufeinanderprallen zweier starker Persönlichkeiten auszuhalten. Der von Achtung, aufrichtiger Trauer und Dankbarkeit gegenüber dem Freund zeugende Kondolenzbrief von Hans Jonas an Fania Scholem, der in der Charakterisierung Scholems unübersehbar Anklänge an den zu Beginn dieses Aufsatzes zitierten Text im Stile Thomas Manns aufweist, bringt den Wert, den er der in jungen Jahren gewachsenen Freundschaft auch im Alter noch beimaß, unvergleichlich zum Ausdruck:

„Liebe Fania, die Nachricht von Gershoms Tod erfüllt mich mit Trauer um den Verlust, den wir alle und Sie im besonderen erlitten haben. Für mich persönlich bedeutet das Nicht-mehr-Dasein dieses eigenartigsten Geistes, dem mir zu begegnen und zeitweise nahe zu sein vergönnt war, eine klaffende Lücke in der Welt, die ich als die meinige ansehe und trotz der eingetretenen persönlichen Entfernung mit ihm teilte. Erinnerungen, über mehr als fünfzig Jahre sich erstreckend, werden wach. Sein Bild ist unauslöschlich, intensiv, einzigartig, weder aus der Zeit dieses ganzen Jahrhunderts noch aus meinem eigenen Leben wegzudenken, und mit keiner anderen Figur vergleichbar. In ihm konzentrierte sich für mich Jerusalem: gedanklich, temperamentsmäßig, gestenhaft, im Getöse des leidenschaftlichen Gesprächs, in der elektrischen Hochspannung jedes Austauschs, der blitzenden Rede und Widerrede, der unerschöpflichen Originalität, der nie ermüdenden Neugier, dem immer frischen Interesse, der Streitbarkeit gepaart mit generösem Anerkennen des Anderen, souverän in Selbstsicherheit wie freigebigem Wohlwollen, mit Witz im Ernst und Ernst im Witz, Humor inmitten der Passion des Erkennens und Benennens, und in alledem fühlbar die dunklen, unheimlichen, erregenden Tiefen hinter der blendenden Helle des Intellekts – so beherrschte er unsern Kreis PILEGESCH unvergeßlichen Angedenkens, er war der Brennpunkt, wo er war, war das Zentrum, das Bewegende, der aus sich selbst immer neu sich aufladene Akkumulator für die hin und her zuckenden Energien, ein Urphänomen nach Goethes Wort. Vom gewaltigen Denkmal seines Werkes, das ihm in der Nachwelt die Unsterblichkeit sichert, die Sterblichen überhaupt beschieden sein kann, brauche ich nicht zu reden, und der höchsten Anerkennung, die ihm schon die Mitwelt zollte, habe ich nichts hinzuzufügen. Ich durfte mich eine Weile seiner Freundschaft erfreuen und möchte glauben, daß er mir eine gewisse Zuneigung auch in der Distanz noch bewahrte. Meine zu ihm blieb in allen Wechselfällen des Verhältnisses gleich. Sein Hingang ist das Ende einer Epoche. […] Bitte nehmen Sie diesen Ausdruck meines Beileids an und meines Glaubens. Von Ihrem und Gershoms altem Freunde, Hans Jonas.“51

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