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1.9 Seelenheil vs. Heilung der Seele bei Frankl
ОглавлениеZiel der Logotherapie als angewandte Psychotherapie ist die seelische Heilung. Diesbezüglich klärt Frankl den Unterschied zur Religion: Deren Ziel ist das Seelenheil. Allerdings schließt er nicht aus, dass bei einer religiös seelsorglichen Begleitung per effectum eine seelische Heilung erreicht werden kann. In diesem Sinne kann es umgekehrt auch durchaus möglich sein, dass eine logotherapeutische „Behandlung“ des Menschen per effectum zu seinem Seelenheil beitragen kann. Offenkundig ist, dass Frankl die Religiosität des Menschen nicht missachtet, aber auch nicht als eine notwendige Voraussetzung für die Sinnsuche betrachtet.20 So bedeutet der religiöse Glaube für die Logotherapie und Existenzanalyse „ein Glauben an den Übersinn – ein Vertrauen auf den Übersinn“21, mit dem – wenn vorhanden – therapeutisch gut gearbeitet werden kann. Glauben ist damit für Frankl eine existenzielle Entscheidung und kann als Ausdruck der allermenschlichsten Phänomene verstanden werden, der sich in der Sinnmotivation des Menschen Ausdruck verschaffen kann. Darin eingeschlossen ist „das Erleben der eigenen Fragmentarität und der eigenen Relativität auf einem absoluten Hintergrund“22.
Der Mensch als geistige Person steht also im Mittelpunkt der Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl. Er, der Mensch ist es, dem das Leben Fragen stellt, die er nicht zu beantworten, sondern zu verantworten hat. Gesund zu sein, wohlauf zu sein, heißt damit, die Sinnmöglichkeiten im Leben, das Gesollte immer wieder zu erkennen und dementsprechend das Leben zu gestalten. Hilfe bei der Sinn-Suche erfährt der Mensch von seinem Gewissen als „Sinnorgan“23. Abweichend allerdings vom herkömmlichen psychoanalytischen Verständnis von Gewissen meint Frankl, dass es den Zugang zum Werthorizont der geistigen Person eröffnet und dessen Sinnmöglichkeiten erschließt. Es nimmt somit nicht einen subjektiven Sinn wahr (im Dienst einer Bedürfnisbefriedigung), sondern arbeitet transsubjektiv, das heißt, es peilt „Werte in der Welt, ihre Erhaltung und Vermehrung“ an.24