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6. Kulturelle Nachhaltigkeit und literarisches Lernen mit Plant Studies
ОглавлениеEine pflanzenorientierte Lektüre der hier vorgestellten Texte kann Schülerinnen und Schülern den Kerngedanken eines Konzepts der Natur vermitteln, von dem sowohl die aktuellen Naturwissenschaften als auch die Environmental Humanities ausgehen: dass Menschliches und Nichtmenschliches in der Natur nicht kategorisch voneinander zu trennen, sondern in komplizierten Interaktionen miteinander verwoben sind.7 Dieses Naturkonzept liegt gegenwärtigen Theorien der Nachhaltigkeit zugrunde (für einen Überblick vgl. Kluwick & Zemanek 2019). Es ist die Voraussetzung, um komplexe ökologische Zusammenhänge z.B. des Klimawandels oder des Artensterbens zu begreifen. Deshalb ist ein Verständnis dieses Naturkonzepts zentraler Bestandteil einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, die im UNESCO-Weltaktionsprogramm gefordert und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in einem nationalen Aktionsplan umgesetzt wird: „Bildung für nachhaltige Entwicklung ermöglicht es jedem Einzelnen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.“8 Anders als in den naturwissenschaftlichen Fächern können im Literaturunterricht die ökologischen Zusammenhänge nicht nur aufgezeigt und kognitiv begreiflich gemacht, sondern als individuelle ästhetische Erfahrung emotional erfassbar werden. Diese Lernprozesse beschreibt die kulturökologische Literaturdidaktik, sie stellt deshalb die Basis einer Adaption der Plant Studies im Literaturunterricht dar (vgl. z. B. Grimm & Wanning 2016).
Ein von den Plant Studies informierter Ansatz im Literaturunterricht kann zudem ein Instrument sein, um literarisches Lernen zu fördern. Den Blick auf die Pflanzen in einem Text zu fokussieren, kann als Methode eingesetzt werden, um komplexe Texte zu erschließen. Eine pflanzenorientierte Lektüre eröffnet neue Möglichkeiten zum literarischen Lernen, indem sie (1) zur genauen Textwahrnehmung anleitet, (2) Strategien zur Bewältigung komplexer Texte vermittelt und (3) Literatur als Medium der Übertragung, Vermittlung und Produktion kulturhistorischen Pflanzen-Wissens und damit als „nachhaltige For[m] kultureller Praxis“ (Zapf 2019, 361) präsentiert. Wie funktioniert das? Auf welche Weise kann ein pflanzenorientierter Ansatz dazu beitragen, den Schülerinnen und Schülern bei schwierigen Texten die Augen für ein „intensives, vertieftes literarisches Verstehen“ zu öffnen und ihnen „den Erwerb literarischer Kompetenz als Gewinn erfahrbar“ (Spinner 2006, 7) zu machen, also die von Kaspar Spinner formulierten Ziele jeden Literaturunterrichts zu erreichen?
Die themenorientierte Literaturdidaktik schlägt vor, im Unterricht thematische Achsen zu legen, anhand derer die Schülerinnen und Schüler sich den Text erarbeiten.9 Die Perspektive in einer Unterrichtseinheit auf die Pflanzen zu fokussieren, eröffnet einen gangbaren Weg durch den komplexen Text, eine thematische Achse des Verstehens, die in weiteren Unterrichtseinheiten durch weitere Achsen ergänzt werden kann: Im Fall von Tiecks Elfen wären dies etwa die Themen romantische Erkundung des Unbewussten, frühromantische Poesie, Architektur, Industrialisierung und Modernisierung; auch die Tiere wären einer eigenen Betrachtung wert.
Im Unterrichtsgespräch der Pflanzen-Einheit ist zu fragen: Wo kommen im Text Pflanzen vor? Sind sie an dieser Stelle Metapher oder Teil der erzählten Wirklichkeit? Wer findet noch eine versteckte Pflanze, die bisher niemand genannt hat? Welche Funktion haben die Pflanzen jeweils, welche Bedeutungen sind an welchen Stellen mit ihnen verknüpft, welche menschlichen Figuren interagieren auf welche Weise und mit welchem Ergebnis mit ihnen, was bewirken sie, und mit Bruno Latour: welchen Unterschied machen die Pflanzen in der jeweils erzählten Situation?
Ein pflanzenorientierter Ansatz im Literaturunterricht kann auf diese Weise einen Beitrag zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung leisten, der auch die „kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit“ (Kluwick & Zemanek 2019b, 11) sichtbar macht. Eine Literaturdidaktik der Pflanzen zu entwickeln, ist deshalb dringend geboten.