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Nationalsozialistische Vorstellungswelt
ОглавлениеDie laut ihrem NS-Bürgermeister Willy Liebel „deutscheste aller deutschen Städte“ kann auf die Unterstützung des „Frankenführers“ Julius Streicher zählen. Sie bietet ein einmaliges historisches Ensemble, in dessen Zentrum die unzähligen Paraden abgehalten werden können, und der Status der Stadt als Freie Reichsstadt und Sitz zahlreicher Reichstage des Mittelalters lässt sie als „reine“ und ewige Verkörperung des Großreichs darstellen, so, wie etwa die Große Straße mit ihrer Breite von 60 Metern und einer Länge von zwei Kilometern durch ihre Ausrichtung symbolisch das neue Deutschland mit der Kaiserburg verbindet. Das Reichsparteitagsgelände sollte zwei Gründungsmythen des „Dritten Reichs“ miteinander verknüpfen: denjenigen des Führers, des obersten Bauherrn, auf den sich – wie auf der Zentraltribüne des Zeppelinfeldes – alle Blicke richteten, und denjenigen der Volksgemeinschaft, den die eine Million Besucher verkörperte, symbolisiert durch die Verkleidung mit Marmor, der aus so gut wie allen deutschen Lagerstätten stammte.
Der Komplex sollte auch der architektursprachliche Ausdruck der Macht des Regimes sein, dessen Bauten, wie Adolf Hitler 1937 sagte, nicht für 1940 konzipiert sein sollten, auch nicht für das Jahr 2000, sondern so wie die Kathedralen für künftige Jahrhunderte: Dazu zählte die Luitpold-Arena, die für Aufmärsche für bis zu 150.000 Personen sowie für Feiern zu Ehren der „Märtyrer der Bewegung“ gedacht war, das Zeppelinfeld (der einzig fertiggestellte Bestandteil), dem der Pergamon-Altar zum Vorbild gedient hatte, dieses herausragende Beispiel für hellenistische Kunst; das Deutsche Stadion, das anlässlich der Deutschen Olympischen Spiele 400.000 Zuschauern Platz bieten sollte, das Märzfeld, dessen 63 Hektar für Paraden der Wehrmacht gedacht waren. Die Monumentalität der Bauwerke dieser Zeit verweist zum einen auf die totalitären Ansprüche des Regimes und die Einheit von Staat und Partei, zum anderen wollte sie die neuen Volksgenossen beeindrucken, die das Gefühl der Gemeinschaft erleben und dadurch begreifen sollten, dass das Individuum hinter die kollektive Disziplin zurückzutreten hatte. Die „Kongresshalle“, dieser „Koloss“ (Hitler) mit seinen 50.000 Sitzplätzen, nahm schon beim Baustopp wegen Kriegsbeginn eine Grundfläche von 275 mal 265 Metern ein.
Die Festveranstaltungen sollten die Errungenschaften des Regimes darstellen und sich dabei auf alle mit der nationalsozialistischen Partei verbundenen Organisationen beziehen, die SA, die SS, den Reichsarbeitsdienst, die Hitler-Jugend, den Bund Deutscher Mädel (BDM), die Wehrmacht und den Reichsarbeitsdienst. Deren Vertreter wurden nach Maßgabe ihrer Übereinstimmung mit den physischen Kriterien der Nationalsozialisten ausgewählt. Der Zeitraum, der den Stützen des Regimes geweiht war, erstreckte sich 1933 auf fünf, aber 1937 bereits auf acht Tage, darunter der Tag von SA und SS, bei dem 100.000 neue Mitglieder ihren Eid ablegten; den Höhepunkt bildete die Totenehrung, bei der auch die blutgetränkte Fahne vom Putsch des Jahres 1923 eine wesentliche Rolle spielte.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs setzt diesen alljährlichen Versammlungen ein Ende, aber Nürnberg bleibt bis 1945 der Ort, der am besten das Verhältnis zwischen einer idealisierten Vergangenheit, einer Gegenwart, die ganz auf den inneren Wiederaufbau gerichtet ist, und einer Zukunft, die sich dem Aufbau von Großdeutschland widmet, zum Ausdruck bringt. Die jährlichen Parolen beschwören einen unaufhaltsamen Marsch, den der Geschichte. In Nürnberg haben die Nationalsozialisten eine Bilderwelt aufgebaut, deren Schatten noch heute auf der Stadt liegt und von den Besuchern wahrgenommen wird.