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„The Crucible“: Die Feuerprobe

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1692. Junge Mädchen haben nachts unter der rituellen Anleitung Titubas, einer farbigen Sklavin aus Barbados, eine Art Hexensabbat veranstaltet und nackt im Wald getanzt. Dabei sind sie vom puritanischen Pfarrer beobachtet worden. Zwei der Mädchen gehören zu seinem Haushalt, die Schwarze ist seine Haushälterin. Betty, seine Tochter, liegt regungslos im Bett. Abigail, seine Nichte, wird von den anderen Mädchen aus Angst vor Strafe genötigt, den Mund zu halten: Sie würden sonst verraten, dass die Siebzehnjährige einen Zaubertrank geschluckt hat, um den Bauern Proctor, bei dem sie gedient und mit dem sie geschlafen hat, zurückzugewinnen und dessen Frau, die ihr die Tür wies, unschädlich zu machen. Abigail schweigt. Ist schwarze Magie im Spiel? Ist Betty vom Teufel besessen? Furcht vor Geistern erregt die Nachbarschaft. Als Kenner im Kampf mit dem bösen Feind wird Pfarrer Hale gerufen. Nun bezichtigt Abigail die Sklavin, Tituba gesteht in panischer Angst, sie habe Umgang mit Satan gehabt, und nennt die Namen anderer Frauen, die in seinem Auftrag ihr Unwesen treiben. Nun schaltet Abigail sich ein, schreit die Namen weiterer Hexen aus und wirft sich im Weiteren zur Anführerin einer Rotte von Mädchen auf, die sich, als daraufhin Verhaftungen, gerichtliche Verhöre und Todesurteile erfolgen, wie vom Teufel Besessene aufführen, ihre vermeintlichen Peiniger hysterisch beschreien und damit an den Galgen bringen. Auch Proctors Frau wird vor den Richtertisch gezerrt. Der Bauer selbst, der seine Frau retten und den Betrug aufdecken will, wird angeklagt und zum Tode verurteilt.

Als es soweit ist und das Urteil an Proctor und einigen Mitgefangenen vollstreckt werden soll, ist der Hexenwahn verflogen, die Stimmung in der Bevölkerung ist umgeschlagen. Abigail ist außer Landes geflohen. Um der Hinrichtung beizuwohnen, ist der Vizegouverneur, mein Danforth, nach Salem zurückgekehrt. Er weigert sich, der Forderung, Gnade ergehen zu lassen, nachzugeben. Zwar befürchtet er Unruhen, wenn nun der allseits beliebte Bauer Proctor wirklich gehängt wird. Doch es gäbe einen Ausweg: Wenn der Delinquent seinen Umgang mit dem Bösen gesteht und weitere Namen preisgibt, bleibt er am Leben: Dann hat er sich vom Bündnis mit Satan freigemacht. Und es gelingt sogar, dem von der Kerkerhaft zermürbten Proctor die Unterschrift unter sein erlogenes Geständnis zu entlocken. Doch angesichts der anderen Todeskandidaten, die standhaft bleiben, die der menschlichen Gerichtsbarkeit sich nicht beugen, weil sie nicht lügen und vor Gott unglaubwürdig erscheinen wollen, die lieber sterben als ein Leben in Furcht vor einem Jenseits, das kein Paradies mehr sein kann, zu führen, zerreißt er das Dokument und damit seine Lüge und begibt sich in die Hand des Henkers. Die Scham vor den anderen leitet Proctor – er aber stirbt selbstbestimmt.

Im Hexenprozess hatten, schreibt Miller, die Urteile sogar eine solidere juristische Grundlage als die Untersuchungen der Kommunistenjäger. Wer der Hexerei überführt war, war ein Gesetzesbrecher nach geltendem Recht und daher zu bestrafen. Einen Verstoß gegen das Gesetz konnte der Ausschuss für Unamerikanische Aktivitäten den Verhörten nicht vorwerfen, „sondern nur ein geistiges Verbrechen (a spiritual crime) – und zwar die Übernahme der Ideologie und der Ziele eines politischen Feindes.“13 Nein, das Salem von 1692 ist nicht das Amerika der 50er-Jahre. Sollten sich die modernen Systemschützer etwa gefallen lassen, dass man sie mit Hexenjägern verglich? Schließlich habe es Hexen nie gegeben, wohl aber gebe es Kommunisten. Eric Bentley hatte diesen Einwand erhoben, Hans Sahl hat ihn 196214 kolportiert. Miller selbst schreibt in seinen Memoiren15, dieser Vorwurf sei verschiedentlich geäußert worden, treffe aber nicht den Kern der Sache. Auch abgesehen davon, dass die braven Christen von 1692, gestützt auf die Bibel, davon ausgehen konnten, dass Hexen existierten, seien die Hintergründe der Hatz sehr wohl vergleichbar. Es sei perfide, den religiösen Wahn von einst als Hirngespinst abzutun, um die eigenen Beweggründe streng davon abzugrenzen: „Die Hexenjagd war eine Art zu sagen: ‚Du musst zu uns in die Kirche kommen, denn nur wir stehen zwischen dir und dem Teufel, der die Welt erobert‘. Hinter diesem hohen moralischen Unwillen stand damals wie heute unsere alte Freundin, die Macht – und der Hunger nach Macht.“16 An anderer Stelle äußerte er sich so: „Mich bewegte nicht nur das Umsichgreifen des McCarthyismus, sondern etwas, das viel unheimlicher und rätselhafter war. Es war die Tatsache, dass ein politisch zielbewusster, geschickter Feldzug der äußersten Rechten es vermochte, nicht nur Schrecken zu verbreiten, sondern eine neue subjektive Wirklichkeit, eine wahre Mystik zu schaffen, die […] einen geradezu religiösen Widerhall fand.“17 Und Miller forschte weiter: Wie kann Terror von außen her erzeugt werden und Besitz von den fügsamen Seelen ergreifen? War es Schuldgefühl, weil man nicht so weit rechts stand, wie man eigentlich sollte, fragte er sich, ein „innerer Mechanismus des Bekennens und Vergebens von Sünden“? Die Schuld heimlich oder vor anderen Ohren geäußerter Kritik am System? Deren Bekenntnis sogar die immer wieder aufgedeckten Lügen McCarthys heiligte? Die Staatsräson über die Wahrheit stellte? Die eigentliche Entdeckung Millers war das Ergebnis, dass das Gewissen „keine Privatsache mehr sei, sondern eine Angelegenheit staatlicher Verwaltung.“ Und auf dieser Ebene war die Parallele nicht mehr abweisbar.

Aber das tertium comparationis ist nicht in den Vorgängen selbst zu finden. Wäre es nur um die historische Analogie gegangen, hätte er das Stück nicht schreiben können, wie Miller versichert. Seine Untersuchung ermittelt tief im Herzen menschlichen Verhaltens. So erst betrifft sie beide Jagden. Jagden? Nein, nicht das Gesetz der Jagd ist ins Visier genommen, sondern, was sie auslöst, und sodann die Entscheidung: Wild oder Jäger fordert. Mut oder Feigheit. Solidarität oder Egoismus. Anstand oder Gemeinheit. Bewähre ich mich unter diesem Druck oder gebe ich ihm nach, werde ich Denunziant und Kläger? Der Originaltitel des Dramas lautet nämlich nicht etwa Witchhunt, wie man glauben könnte, sondern „The Crucible“. Das ist ein Schmelztiegel und, im übertragenen Sinne, eine Feuerprobe. Und in dem Lehnwort aus dem Lateinischen schwingen weitere Konnotationen mit: Folter, Kreuzigung, das Beugen und Verbiegen von Menschen und Seelen.

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