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Danforth

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Wer war das, besser, welche Rolle spielt er in diesem Drama? Was für ein Mensch ist er? Der Vizegouverneur von Massachusetts, der Hexenjäger, der das Gesetz gegen den Teufel aufbringt, der jederzeit die Rolle des Staatsanwalts und des obersten Richters zugleich an sich ziehen kann; der die Beklagten in die Zange nimmt, der, ohne mit der Wimper zu zucken, Todesurteile unterzeichnet wie weiland Hitlers Bluthund Freisler? Aber nein, Danforth ist kein Fanatiker, seine Ausbrüche setzt er gezielt, er gibt sich gerne als kühler Rechercheur. Nur einmal verliert er die Fassung. Als ein zu hysterischer Selbsthypnose gesteigerter Ausbruch der Mädchen ihn von der Anwesenheit des Bösen überzeugt, hat er, für einen Moment, keine Selbstkontrolle mehr, fällt auf die Illusion herein und lässt sich anstecken von ihr. Erst im letzten Bild, in dem die Folgen seiner falschen Schlüsse offenkundig werden, zwingt er sich, auf seine Macht zu pochen – wider besseres Wissen. Sonst muss er seine Macht selten ausspielen, er besitzt sie qua Amt. Und die Angst der Leute spielt ihm zu.

Ich, der Darsteller, muss mich auf meine Persönlichkeit verlassen können, unterstützt freilich vom Verhalten der Spielpartner mir gegenüber. Ich muss nur dem Text folgen, um Nuancen zu finden, von freundlich-sachlicher Zuwendung, ironisch und sarkastisch hervorgekehrter Überlegenheit bis zur maliziös und schneidend hervorgekehrten Autorität. Danforth, ich, habe meine behaglichen Seiten, ich bin kein Frömmler, ich bin lebenserfahren und, soweit mein Glauben das zulässt, weltoffen, fühle mich auch am Wirtshaustisch wohl und stoße dort sogar mit meinem Sorgenkind Abigail an. Doch dem Gerichtssaal bleibt alles Persönliche fern. Ich bin Jurist durch und durch. Ich stehe zu meinem Amt, meiner Aufgabe, ich käme nicht im Geringsten auf die Idee, ich könnte die Rolle des Bösen übernommen haben. Ich bin das Gesetz, das ich vertrete. Ich glaube an die Existenz des Teufels, ich fühle seine Bedrohung und die Gefahr, die von denen ausgeht, die mit Satan paktieren. Ich bin hier, um die Auswüchse des Unglaubens zurückzuschneiden und die Allianz von Kirche und Gemeinde wiederherzustellen. Bemerke ich, dass ich mit meiner Methode der Wahrheitsfindung einen durch nichts zu erschütternden, undurchdringlichen Teufelskreis schaffe? Wie denn? Meine Argumentation ist unerschütterlich logisch.

An zwei Stellen macht Arthur Miller die wasserdichte, unzerreißbare Geschlossenheit dieser Denkweise als circulus vituosus, als nur sich selbst beweisende Logizität, dingfest: „Ich sah in diesem Gericht“, sagt Danforth, „sehr merkwürdige Dinge. Ich sah, wie Menschen vor meinen Augen von Geistern gewürgt wurden, ich habe sie gesehen, von Nadeln durchstochen, von Messern geschlitzt. Ich habe bis zu diesem Moment nicht den geringsten Grund zu der Annahme, dass die Mädchen mich betrügen.“ Es kann nicht anders sein: Diese Kinder, die sich in Exzesse steigern und durch ihre Aussagen andere Menschen an den Galgen bringen, wurden behext und sind vom Teufel besessen. Aber mit meiner und Gottes Hilfe kann man ihn austreiben. Den, der sich lossagt und andere preisgibt, kann ich retten. Oder, und das will man mir an diesem Gerichtstag weismachen, lügen sie etwa? Haben sich nicht vielmehr diejenigen, die sie des Betrugs bezichtigen, selbst ins Buch des Teufels eingeschrieben? Psychische Beweggründe erkenne ich nicht an. Ich denke nicht nach über Frustration, Hysterie, sexuellen Drang, der sich nicht ausleben darf. Der Mensch ist kein Maßstab für mich, den Puritaner, und der Maßstab meines Gesetzes ist die so wörtlich wie möglich genommene Bibel. Und dort liest man doch, dass mit Hexen zu rechnen ist. Davon muss ich doch ausgehen: „[…] wie verteidigt man einen Angeklagten? Man ruft Zeugen auf, seine Unschuld zu beweisen. Aber Hexerei ist ipso facto in ihrer äußeren Erscheinung wie ihrem inneren Wesen nach ein unsichtbares Verbrechen. Also, wer kann hier möglicherweise Zeuge sein? Die Hexe und das Opfer. Niemand sonst. Nun können wir nicht hoffen, dass sich die Hexe selbst anklagt. Zugegeben? – Deshalb müssen wir uns auf ihre Opfer verlassen – und sie bezeugen es, diese Kinder beweisen es, ohne jeden Zweifel.“ Irrationalität hinter der Maske des Rationalen.

Ich bin nicht bereit, meine Rechtsgrundlage selbst in Frage zu stellen. Ich ahnde nach Gesetz den Verstoß. Ich stehe für Recht und Ordnung. Ich sehe in der Justiz das geeignete Mittel, die Besessenheit zu bannen und der Gemeinde den Frieden zurückzugeben. Es gibt den Teufel, es gibt Hexerei; ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können. Selbst wo mir schwant, dass ich falsche Entscheidungen getroffen habe, selbst als offensichtlich wird, dass die Mädchen gelogen und sich nun der Justiz entzogen haben, beharre ich auf dem, was der Staat einmal bestimmt hat. Auch wenn mir der Schweiß dabei ausbricht. Auch wenn im Volk die Stimmung umgeschlagen ist, wenn McCarthys Ende absehbar ist, wenn ich mit Aufständen rechnen muss – gerade dann ist Beharren meine erste Bürgerpflicht. Es mag hinzukommen, ich bin ja nur Vize, dass ein Ukas des Gouverneurs, also ein politischer Auftrag meinen Zweifel nicht zulässt, selbst wenn die Dinge längst eine andere Wendung genommen haben. Zur Not müsste ich Waffengewalt gegen das bessere Wissen einsetzen. Um den Widerstand zu brechen und jedem Aufruhr vorzubeugen. Danforth ist zu intelligent, um nicht am Ende in Zweifel zu geraten – aber er stellt die Staatsräson, das einmal Entschiedene über das Bekenntnis zur Wahrheit – das er am Ende nur mit Phrasen zu übertönen vermag. Dem Gesetz ist Genüge getan.

Dem Entsetzen täglich in die Fratze sehen

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