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Natur Natur sein lassen
ОглавлениеWas also macht einen Nationalpark in Deutschland aus? Die Frage geht an Volker Scherfose, den Verantwortlichen beim Bundesamt für Naturschutz (BfN). „Das wichtigste Ziel im Nationalpark ist der Prozessschutz“, sagt er. „Es soll überwiegend eine natürliche Dynamik der prägenden Ökosysteme ermöglicht werden.“ Es geht also im Nationalpark nicht darum, einzelne Arten zu schützen, etwa weil sie selten geworden sind, sondern vielmehr ganze Ökosysteme. Das Zusammenspiel zwischen vielen verschiedenen Tierund Pflanzenarten, das an anderen Stellen vom Menschen verändert wird, soll hier unbeeinflusst stattfinden können. Das Bundesnaturschutzgesetz nennt es den „möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik“. Das steckt hinter dem Begriff „Prozessschutz“. Mit diesem Schwerpunkt unterscheidet sich ein Nationalpark zum Beispiel von einem „Naturschutzgebiet“, in dem stärker der Schutz einzelner Arten im Vordergrund steht.
Das Bundesnaturschutzgesetz nennt noch weitere Voraussetzungen, die ein Nationalpark erfüllen muss. Die erste ist seine Größe. Ein Nationalpark ist demzufolge „großräumig, weitgehend unzerschnitten und von besonderer Eigenart“. Eine exakte Mindestgröße für einen Nationalpark legt das Gesetz jedoch nicht fest. Das BfN hat zwar eine Empfehlung dafür ausgesprochen, die bei 10.000 Hektar liegt, aber nicht von allen deutschen Parks erfüllt wird. Der Nationalpark Jasmund an den Rügener Kreidefelsen etwa ist nur gut 3000 Hektar groß und damit der kleinste unter den Deutschen Parks.
Darüber hinaus heißt es im Gesetz, dass Nationalparks sich „in einem vom Menschen nicht oder wenig beeinflussten Zustand befinden“ oder – und das ist ein entscheidender Zusatz – „geeignet sind, sich in einen Zustand zu entwickeln oder in einen Zustand entwickelt zu werden, der einen möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik gewährleistet“. In einem Nationalpark soll also möglichst das zu finden sein, was man umgangssprachlich vielleicht „unberührte Natur“ nennen würde, wobei „unberührt“ in unseren seit Jahrtausenden von Menschen bewohnten Landschaften ein unerreichbares Ideal ist. Wirkliche Urwälder gibt es in Deutschland keine mehr. Und auch wie eine Heide aussehen würde, wenn niemals Menschen mit Nutztieren in ihre Nähe gekommen wären wissen wir nicht. Das Ziel kann daher nur sein, weiteren menschlichen Einfluss zu verhindern und zu sehen, was passiert. Auch aus diesem Grund lässt das Gesetz die Möglichkeit zu, dass sich vom Menschen unbeeinflusste Gebiete im Nationalpark erst noch entwickeln können beziehungsweise sollen. In Übergangsphasen bedeutet das manchmal, zum Beispiel Wildbestände zu regulieren, damit in einem forstwirtschaftlich geprägten Wald nicht alle jungen Baumtriebe aufgefressen werden und ein „wilder“ Wald entstehen kann.
Insektenfallen im Nationalpark Unteres Odertal. Die vom Menschen weitgehend ungestörten Gebiete liefern wichtige Daten für Forschungsprojekte – etwa zur Artenvielfalt oder der Anpassung an den Klimawandel
„Dass im Nationalpark Natur Natur sein darf, ist gerade in Deutschland etwas ganz Besonderes“, sagt Julia Aspodien. Sie leitet beim Naturschutzbund (Nabu) das Team für Naturschutz und Landnutzung. „Es ist etwas Besonderes, weil es so selten vorkommt“, fügt sie hinzu. „Durch eine hohe Bevölkerungsdichte haben wir einen starken Nutzungsdruck auf die Flächen“, fügt sie hinzu. „Im Nationalpark kann man sehen, wie sich die Natur ohne menschliche Eingriffe ihr Habitat selbst zusammenbaut und es zurückerobert. Natürliche Prozesse können hier ungestört stattfinden und der Mensch wird vom Gestalter zum Beobachter.“ Magnus Wessel, verantwortlich beim BUND für Naturschutzpolitik, nennt Nationalparks außerdem „das größte Referenzlabor für die Anpassung an den Klimawandel.“ „Hier können wir beobachten: Welche Arten passen sich normalerweise wie an? Wie verändert sich die Vegetation jenseits der Land- und Forstwirtschaft? Viele natürliche Reaktionen sind sonst schwer zu beobachten, weil sie von den Folgen intensiver menschlicher Nutzung verdeckt werden“, sagt er.