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Traumimmobilien für die Vogelwelt
ОглавлениеGünter Sellmayer begeistert sich für die Vögel, die hier „wie im Paradies leben“. Darunter seltene Arten wie Zwergschnäpper, Ringdrossel oder Dreizehenspecht. Seine Augen glänzen, wenn er vor seiner Gruppe den Waldkauz imitiert, der tatsächlich so ruft, wie man es aus Gruselfilmen kennt. Der Eichelhäher dagegen sei der „Wachhund im Wald“, erklärt er. Wenn sein heiserer Schrei ertönt, warnt er damit die restliche Tierwelt vor fremden Eindringlingen. Die Männer und Frauen nicken, sie konnten seinem Ruf soeben mehrmals lauschen.
Alena Lettenmaier zeigt derweil ihren Kindern das „Gewölle“, die Nahrungsrückstände der Greifvögel. Sie verraten, wo diese wohnen und was auf ihrem Speisezettel steht. Andächtig packen die Kinder die ausgeschiedenen Knochen aus dem unverdaulichen Filzknoten. Was hier wohl verspeist wurde? Ein Mädchen mit Zöpfen kennt die richtige Antwort: eine Maus.
Die Vogelwelt bewohnt hier Traumimmobilien: Fichten, Buchen, Tannen, Bergahorn, Ulmen, Eschen, Erben und Weiden. Aber auch Bodenbrüter wie das Auerhuhn haben es hier besser als anderswo. Wenn sie auf Ackerböden brüten, so Lettenmaier, ist die Gefahr groß, dass landwirtschaftliche Geräte sie überfahren. Überhaupt werden Wiesen oft mit Gülle gedüngt und fünf bis sieben Mal im Jahr geschnitten. So gehen den Bodenbrütern viele Lebensräume verloren. Hier hingegen gehören ihnen Wegränder, Brachland und Böschungen. Man kann es sehen: Rechts und links des Weges wuchern Farne wie verfilzte Koboldmähnen. Disteln und tote Äste versperren Besuchern das Durchkommen. Dazwischen locken Heidelbeer- und Himbeersträucher, von denen am Wegesrand genascht werden darf.
Laufend verändern sich die Wachstumsstadien des Waldes. Einsame und mächtige Welten, in denen der Mensch nur Zuschauer ist, schwärmt Sellmayer. Wenn er nach Wochen wieder in ein ihm vertrautes Gebiet zurückkommt, hat sich der der Bodenwuchs mitunter enorm ausgebreitet und ist vierzig Zentimeter in die Höhe geschossen. Über die Jahre haben manche Gebiete so stark ihr Aussehen variiert, dass der Ranger findet, das muss „man eigentlich alles fotografisch oder auf Film festhalten.“
Immer entwickelt sich etwas Neues. Das kann jeder sehen, wenn er seine Sinne schärft. Wer den Nationalpark besucht, taucht in eine andere Welt ein. Alte und tote Bäume, junges Gehölz mit neuem Leben, Felsblöcke: Besonders am Lusen in 1373 Metern Höhe gibt es eine geologische Besonderheit. Ein Meer aus unzähligen Granitquadern mit einem einmaligen Ausblick über den ganzen Bayerischen Wald, an schönen Tagen sogar bis in die Alpen.
Auf dem Lusen in 1373 Meter Höhe liegt das Blockmeer: Auf mehr als 200.000 Quadratmetern türmen sich zahllose Blöcke aus Granitgestein. Von hier hat man außerdem einen hervorragenden Ausblick
Der Rachelsee im Nationalpark Bayerischer Wald entstand nach der letzten Eiszeit aus dem Schmelzwasser eines Gletschers
Eine ganz andere, fast gruselige Atmosphäre herrscht in den Moorgebieten und Schachten – den ehemaligen Hochweiden zwischen Falkenstein und Rachel. Beim Anblick läuft vielen Gästen ein Schauer über den Rücken. Das hängt mit der Geschichte der Hochmoore zusammen, sagt Lettenmaier: „Früher sind die Menschen aus dem Moor teilweise nicht mehr herausgekommen.“ Heute führen gesicherte Bohlenwege durch das sumpfige Gebiet. Aber davon abgesehen gilt auch hier: Es ist gut, die Natur so gestalten zu lassen, wie sie es „von Natur aus“ tut.
Zum Ende seiner Führung lenkt Sellmayer seine Gruppe nun zum Rachelsee. Der See glitzert wie ein geheimnisvolles Wasserauge und ist so klar, dass es unwirklich scheint. Dort ist auch schon Lettenmaier mit den acht Kindern. Sie legt den Finger an die Lippen, damit die dem Ruf des Wanderfalken lauschen, des schnellsten Greifvogels im Sturzflug. Dann erklärt sie die Feder, die eins der Kinder gefunden hat und zeigt die schallschluckenden Härchen daran, mit denen der Raubvogel besonders leise fliegen kann. Zum Abschluss dürfen die kleinen Gäste am Fluss Ohe spielen, über Äste balancieren, durch Lettenmaiers Fernglas schauen, barfuß am Ufer entlang um die Wette laufen. Die gesammelten Federn, Kieselsteine und Tierknochen finden klimpernd Unterschlupf in Hosentaschen. Und als die Eltern ihre Töchter und Söhne wieder entgegennehmen, erzählen nicht nur die aufgeregten Kinder von ihren Abenteuern. Auch die Blätter und Zweige, die noch im Haar stecken, die erdverkrusteten Zehen und das Leuchten in den Augen zeigen den Ausflug in das lebendigste Biobuch Bayerns.
Am Treffpunkt am Fluss Ohe lässt Günter Sellmayer ein Mädchen durch sein Fernglas schauen
Für die Kinder sind Wald und Fluss ein einziger großer Spielplatz