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Xerxes Persepolis, 4. August (?) 465 v. Chr.

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Von Josef Wiesehöfer

„In diesem Jahre [465 / 4] fasste in Asien Artabanos, ein gebürtiger Hyrkaner, der sich bei König Xerxes größten Einflusses erfreute und die königliche Leibgarde befehligte, den Entschluss, Xerxes zu beseitigen und das Königtum an sich zu bringen. Er weihte den Eunuchen Mithridates, einen Kammerherrn des Königs und dessen engsten Vertrauten, in das Komplott ein, und dieser, zugleich auch ein Verwandter und Freund des Artabanos, war mit dem Anschlag einverstanden. So wurde denn Artabanos des Nachts von ihm in das Schlafgemach des Herrschers eingelassen, tötete Xerxes und eilte dann zu den Söhnen des Königs. Diese waren ihrer drei an Zahl: Dareios, der Älteste, sowie Artaxerxes hielten sich im Königspalast auf, während Hystaspes zu jenem Zeitpunkt fern weilte; er verwaltete nämlich die Provinz Baktrien. Nun begab sich Artabanos noch im Laufe der Nacht zu Artaxerxes und teilte ihm mit, dass sein Bruder Dareios zum Mörder am Vater geworden sei und die Königswürde an sich reißen wolle. Er riet ihm daher, ehe jener noch nach dem Thron greifen könne, darauf zu sehen, dass er sich nicht aus Gleichgültigkeit zum Sklaven mache, vielmehr den Mörder des Vaters bestrafe und selbst den Thron besteige. Als Hilfe versprach ihm Artabanos, die königliche Leibgarde zur Verfügung zu stellen. Artaxerxes ließ sich überzeugen und brachte, unterstützt von den Leibwächtern, seinen Bruder Dareios sogleich ums Leben. Angesichts des günstigen Verlaufs seines Unternehmens rief Artabanos seine Söhne zu sich und mit dem Ruf, jetzt habe er die Möglichkeit, die Königsherrschaft zu gewinnen, führte er einen Schwertstreich gegen Artaxerxes. Doch der wurde nur verwundet und erlitt durch den Schlag keinen ernsthaften Schaden; er konnte Artabanos abwehren und mit einem tödlichen Hieb niederstrecken. Nachdem Artaxerxes so wider Erwarten mit dem Leben davongekommen war und am Mörder seines Vaters Rache genommen hatte, übernahm er das Königtum über die Perser. Xerxes fand auf die erwähnte Weise den Tod, nachdem er mehr als zwanzig Jahre die Perser regiert hatte. Ihm folgte Artaxerxes auf den Thron und herrschte vierzig Jahre lang“ (Diodor [1. Jahrhundert v. Chr.], Historische Bibliothek 11,69,1 – 6; Übers. O. Veh).

Obgleich unsere antiken Zeugnisse für den Tod des Xerxes nicht eben zahlreich sind – außer Diodor berichten nur noch die griechisch-römischen Autoren Ktesias, Aristoteles, Pompeius Trogus und Ailian vom gewaltsamen Ende des Großkönigs aus der Dynastie der Achaimeniden –, reichen sie doch aus, einen Blick hinter die Kulissen des persischen Königshofes im Sommer des Jahres 465 v. Chr. werfen und Überlegungen darüber anstellen zu können, von wem und warum Xerxes ermordet wurde. Solche Überlegungen sind schon deshalb reizvoll, weil der iranische Monarch, dessen Niederlage gegen den Hellenenbund bei Salamis 479 v. Chr. noch heute den meisten europäischen Schulkindern ein Begriff ist, zu den antiken Herrschern zählt, die einen ausgesprochen schlechten Leumund besitzen. Steht vielleicht, so könnten wir uns deshalb fragen, das Attentat auf den Sohn des wohl größten Achaimeniden, Dareios I., in ursächlichem Zusammenhang mit den ihm von griechischen Autoren zugeschriebenen Gewalttaten und Vergehen? Oder ist es Folge ganz anderer, mit der Person des Opfers nur bedingt zusammenhängender Ursachenfaktoren? Ein unverstellter Blick auf Opfer und Täter und die Folgen des Mordes für das Perserreich und seine Nachbarn vermag diese Fragen zu beantworten. Zunächst sei jedoch ein kurzer Hinweis auf das Datum des Anschlages erlaubt.

Wie eigentlich fast immer in Datierungsfragen der persischen Geschichte, so sind es auch in diesem Fall die Keilschriftzeugnisse aus dem Zweistromland, einer der Kernregionen des Perserreiches, die uns weiterhelfen. Babylonische Texte verlegen den Mord an Xerxes in die Zeit zwischen dem 4. und 8. August des Jahres 465; vermutlich war der 4. Tag dieses Monats der Tag des Anschlags. In einem astronomischen Text heißt es nämlich: „Am 14. (?) Tag des Monats Ab [des 21. Jahres des Xerxes], Xerxes – sein Sohn tötete ihn.“ Vom 11. August stammt im Übrigen der letzte Keilschrifttext, der nach „Xerxes, dem König der Länder“ datiert; offensichtlich erreichte die offizielle Nachricht vom Tode des Herrschers bestimmte Schreiber erst mit einiger Verzögerung. Nach Xerxes’ Ableben datierten alle weiteren babylonischen Zeugnisse ausschließlich nach dem Xerxes-Sohn Arses, der inzwischen den Thronnamen Artaxerxes („dessen Herrschaft sich durch Wahrheit auszeichnet“?) angenommen hatte.

Auf die Griechen machte die Nachricht von der Ermordung des Xerxes offensichtlich großen Eindruck, liefen doch bald – neben bildlichen Darstellungen der Tat – auch zahlreiche, zum Teil recht unterschiedliche literarische Versionen der Ereignisse am persischen Königshof um. Dabei zeichnen sich die Berichte von Ktesias, Diodor und Trogus, trotz aller Unterschiede im Detail, gemeinsam dadurch aus, dass sie sich eines Schatzes griechischer heroisch-literarischer Motive bedienen, die wir im Übrigen auch in anderen griechischen Erzählungen von Intrigen und Morden am Achaimenidenhof wiederfinden: Ein hochrangiger Verschwörer verschafft sich einen Komplizen bei Hofe, tötet den König im Bett, wird vom Mitverschwörer verraten oder durch ein Mitglied des Herrscherhauses schließlich getötet. Die dynastische Ordnung hat das letzte Wort: Ein Sohn des Königs tritt die Nachfolge des Vaters an und bricht jeglichen verbliebenen Widerstand. Die Nutzung solcher literarischer Motive durch unsere Autoren macht nun zwar nicht von vornherein ihre Berichte unglaubwürdig, spiegelt sich doch etwa die besondere Gefährdung des Großkönigs in seinen Privatgemächern (wo ihm der Schutz durch die Leibwache fehlt) in der griechischen Überlieferung ebenso wider wie in der Palastarchitektur (mit ihren zahlreichen Toren und Türen) und mancher Dienststellung bei Hofe (Vorkoster, Türwächter etc.). Es sind aber die Häufung der Motive und die spezifische narrative Struktur der Erzählungen, die uns zur Vorsicht zwingen und eine detaillierte ereignisgeschichtliche Nutzung der Quellen erschweren.

Trotzdem dürfen wir wohl Diodors oben zitierter und vermutlich vom Historiker Ephoros (4. Jahrhundert v. Chr.) übernommener Nachricht vertrauen, dass Xerxes – neben seinen illegitimen Kindern – drei Söhne aus der Ehe mit der Königin Amestris besaß. Nach Trogus war der älteste Sohn (und vom Vater anerkannte Kronprinz) Dareios beim Tode des Xerxes noch ein Jugendlicher, sein Bruder Artaxerxes gar ein Kind. Viel spricht dafür, dass Hystaspes, der dritte Sohn, zwar jünger als Dareios, aber älter als Artaxerxes war, befand er sich damals doch – nach Diodor – als Statthalter in Baktrien, von wo aus er erfolglos gegen den Bruder und letztlichen Thronerben Artaxerxes rebelliert haben soll (nach Ktesias, der den Aufständischen dort allerdings Artabanos nennt).

Was den Mord an Xerxes betrifft, so hat der Hauptverschwörer der griechischen Überlieferung, der Chef der Leibwache Artabanos, wohl kaum aus eigenem Antrieb gehandelt oder gar selbst den Thron zu besteigen beabsichtigt; zum Ersten wäre er der einzige Nicht-Achaimenide gewesen, der dies versucht hätte, zum Zweiten führt ihn keines unserer babylonischen Zeugnisse als Nachfolger des Xerxes auf, zum Dritten schließlich sprechen unser astronomischer Text und Ailian ja ausdrücklich von einem Prinzen als Mörder des Xerxes. Eine Beteiligung des Artabanos an einem innerdynastischen Thronstreit im Sinne einer Komplizenschaft ist dagegen durchaus erwägenswert (wenn auch letztlich nicht endgültig beweisbar). Doch wer von den drei Brüdern ist dann der Hauptverantwortliche für den Mord? Zunächst fällt auf, dass der Kronprinz Dareios selbst im Zuge der Verschwörung ums Leben kommt, während sein Bruder Artaxerxes, der in den antiken Berichten den Tod des Vaters fälschlicherweise am unschuldigen älteren Bruder rächt, in der Verschwörung eine ausgesprochen positive Rolle spielt: Wenn er nicht gar von jedem Verdacht der eigenen Vorteilssuche freigesprochen wird, so ist er höchstens der ‘Bauer’ im intriganten Spiel des Artabanos. Und verdient Artaxerxes nicht wirklich unsere Hochachtung, wenn er den angeblichen Hauptverschwörer Artabanos mit seinen eigenen Händen ‘zur Strecke bringt’ und bei fast allen antiken Autoren wegen seiner Tapferkeit und Menschenfreundlichkeit gerühmt wird?

Andererseits ist dieses überaus positive Artaxerxes-Bild verdächtig: Da der astronomische Text und Ailian ausdrücklich einen Sohn des Xerxes als Mörder bezeichnen, kommen wirklich nur Dareios und Artaxerxes als Täter in Frage. Schließlich war Hystaspes nach Ausweis aller Quellen während der Verschwörung nicht am Ort des Geschehens. Gegen eine Täterschaft des Dareios spricht zum einen, dass unsere griechischen Gewährsleute ihn ausdrücklich als unschuldig und als Opfer der Intrige des Artabanos bezeichnen. Zum anderen kommt hinzu, dass der Kronprinz mit dem Mord an seinem Vater nicht mehr hätte erreichen können als eine frühere Herrschaftsübernahme; gleichzeitig wäre der Vatermord vermutlich auf den heftigen Widerstand der Brüder und der Xerxes-Vertrauten bei Hofe und im Reich gestoßen. Deutlich mehr spricht für eine Täterschaft des Arses/Artaxerxes: Er hatte, angesichts zweier älterer Brüder, kaum Aussichten auf den Thron, und die Tötung von Dareios und Artabanos ist durchaus auch als Tat zur Ausschaltung der Personen interpretierbar, die um die wahren Zusammenhänge wussten: Dareios als loyaler Sohn seines Vaters, Artabanos als Mitverschwörer und ‘Bauer’ im Spiel des Artaxerxes. Ailian und der Autor unseres astronomischen Textes hätten dann zwar gewusst, dass ein Königssohn den Mord an Xerxes ausführte, ihn aber nicht benennen können oder wollen; Diodor und die anderen griechisch-römischen Autoren wiederum wären der ‘offiziellen’ Version des Hofes Artaxerxes’ I. aufgesessen. Die Rebellion des Hystaspes in Baktrien schließlich könnte zwar auch eine Reaktion auf seine übergangenen Thronansprüche nach dem Tod von Vater und Bruder, ebensogut allerdings auch der Versuch gewesen sein, beider Tod am dafür verantwortlichen Artaxerxes zu rächen.

Darauf, dass Artaxerxes nicht die Rolle des Rächers, sondern des Mörders seines Vaters gespielt hat, könnten nun, wenn die im Folgenden vorgestellte Interpretation zutrifft, zwei in ihrer Ikonographie identische archäologische Zeugnisse verweisen, die jeder Iran-Reisende kennt. Gemeint sind die berühmten „Schatzhausreliefs“, so genannt nach ihrem antiken Aufbewahrungs- und modernen Fundort, dem „Schatzhaus“ der Achaimeniden-Residenz zu Persepolis. Auf ihnen ist im Zentrum der Großkönig, auf einem Thron sitzend, abgebildet; hinter ihm stehen der Kronprinz, Bedienstete und Wachen, vor ihm der Chiliarch, das heißt der Chef der Leibwache, die Proskynese, den Handkuss, vollziehend, und weitere Angehörige der Leibwache. Nun haben Ann Britt und Giuseppe Tilia, die Ausgräber von Persepolis in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, zeigen können, dass diese beiden Reliefs ursprünglich die jeweilige Stirnseite der Treppenanlagen an der Nord- und Ostseite des Apadana, des großen Audienzgebäudes in Persepolis, geschmückt haben, später aber ins Schatzhaus verbracht und durch – noch heute sichtbare – neutrale Darstellungen von Wachsoldaten ersetzt worden sein müssen. Es verwundert nicht, dass schon bald nach dieser Entdeckung die beiden Reliefs mit den Ereignissen des Jahres 465 v. Chr. in Zusammenhang gebracht wurden, und der Autor gesteht, dass er dieser Theorie selbst viel abgewinnen kann: Sie besagt zunächst, dass auf den Reliefs Xerxes und sein Sohn Dareios (und möglicherweise als Chiliarch [Kommandant der Leibwache] auch der ‘Verschwörer’ Artabanos) abgebildet seien. Nach dem Tod von Vater und Bruder und der eigenen Machtübernahme habe Artaxerxes I. dann aus Pietätsgründen oder, nach den obigen Ausführungen, wohl eher, weil er selbst in das Mordkomplott verwickelt war, die Reliefs abnehmen, archivieren und durch die unverfänglichen Wachenreliefs ersetzen lassen. Es sei jedoch erwähnt, dass ein Teil der Gelehrten bis heute die Anbringung der ursprünglichen Reliefs in die Zeit Dareios’ I. (521 – 486 v. Chr.) verlegt und in den zwei königlichen Personen in seinem Zentrum eben diesen König und seinen Sohn und Nachfolger Xerxes erkennen möchte.

Welche Lösung auch immer die richtige ist und welche Rolle auch immer die Xerxes-Söhne bei der Ermordung ihres Vaters gespielt haben, die zahlreichen, dieser ersten blutigen Nachfolgeregelung folgenden, nicht weniger gewaltsamen dynastischen Auseinandersetzungen im Achaimeniden-Hause lassen erkennen, dass die größte Gefahr für den Bestand der persischen Monarchie bis zum Erscheinen Alexanders nicht von auswärtigen Feinden ausging, sondern von innerdynastischem Streit. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Artaxerxes II. und seinem Bruder Kyros dem Jüngeren gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr., über die der griechische Historiker Xenophon in seiner Anabasis als Augenzeuge ausführlich berichtet. Diese Gefahr haben auch weder die Machtfülle und Autorität des persischen Königtums noch irgendwelche Thronfolgeregelungen (zugunsten des ältesten oder des ältesten purpurgeborenen Sohnes) je bannen können. Als eine besondere Zeit der Krise schildern die griechisch-römischen Autoren die Zeit zwischen dem Tod eines Perserkönigs und der Thronbesteigung seines Nachfolgers: Sie sprechen von ihr als einer Zeit der anomia, der Aussetzung gesetzlicher Zustände, und so verwundert nicht, dass die nächste Umgebung des Königs im Kriege alles tat, um den Tod des Herrschers auf dem Schlachtfeld zu verhindern. Die von seinen engsten Vertrauten initiierte Flucht Dareios’ III. von den Schlachtfeldern in Issos und Gaugamela ist so und nicht mit der Feigheit des Königs zu erklären, und auch die angebliche Teilnahmslosigkeit des Xerxes auf seinem Thron oberhalb der Bucht von Salamis erhält unter diesen und dem Vorzeichen eines dem König gebührenden Verhaltens einen anderen Sinn. Wie die Ermordung Xerxes’ I. (465) und einiger späterer Könige sowie die erwähnten Vorkehrungen gegen Attentatsversuche bei Hofe beweisen, waren die dynastischen Auseinandersetzungen allerdings nicht immer die Folge des natürlichen Ablebens eines Herrschers.

Auch wenn Artaxerxes, nach Ausweis unserer Zeugnisse, rasch Anerkennung in großen Teilen des Reiches fand, so zeigen doch der Aufstand des Bruders in Baktrien, die von dem neuen König vorgenommene Neuordnung der Hofgesellschaft und Artaxerxes’ ‘milde’ Regentschaft, zu der auch die ehrenvolle Aufnahme des aus Athen vertriebenen Xerxes-Bezwingers Themistokles passt, dass der Xerxes-Mord innenpolitisch nicht folgenlos geblieben war. Als besonders gefährlich erwies sich die Lage an der außenpolitischen Front, hatten doch die Ägypter unter ihrem libyschen Anführer Inaros im Herrschaftswechsel eine günstige Gelegenheit gesehen, die persische Fremdherrschaft abzuschütteln. Dass sich bald darauf auch die Athener und ihre Bundesgenossen zum Zwecke der Schwächung der Macht des persischen ‘Erzfeindes’ in Ägypten zu engagieren begannen, verschärfte die Lage zusätzlich. Erst 454 v. Chr. gelang es Artaxerxes’ Feldherren und Truppen, den ägyptischen Aufstand niederzuschlagen und die Athener in ihre Schranken zu verweisen. Nach ersten vergleichbaren Rückschlägen war der Großkönig ähnlich erfolgreich auch auf Zypern, das er dem Reich – wiederum gegen athenische Interventionen – endgültig zu sichern vermochte. Als die Athener 449 / 8 v. Chr. allerdings die Festschreibung der territorialen Interessensphären des Achaimeniden-Reiches und des Delisch-Attischen Seebunds vorschlugen, stimmte Artaxerxes, vermutlich aufgrund militärischer Rückschläge in Kleinasien, einem solchen Kompromiss zu.

Reichen die politischen Ambitionen eines seiner Söhne aus, um den Tod des Xerxes zu erklären? Könnten dem König vielleicht sein nicht zu leugnender militärischer Misserfolg in Hellas und seine ihm von griechischen Autoren unterstellten Missetaten auf dem Griechenlandfeldzug und im Reich zum Verhängnis geworden sein? Ist ein Herrscher, der, nach dem Bericht des griechischen Autors Herodot, die Wasser des unruhigen Hellespontes auspeitschen, die Warnungen seines gutmeinenden Onkels Artabanos in den Wind schlagen und die Heiligtümer auf der Athener Akropolis in Brand stecken lässt, nicht auch gegenüber der nächsten Umgebung zu Brutalität und Despotismus fähig?

Bis heute sieht eine breite gebildete europäische Öffentlichkeit in Xerxes den Prototypen eines orientalischen Despoten, unberechenbar, brutal, rücksichts- und zugleich phantasielos, nicht fähig, dem großen erfolgreichen Vater Dareios das Wasser zu reichen und verantwortlich für den unaufhaltsamen Niedergang des Perser-Reiches nach Salamis und Plataiai. Der Thronname des Königs, altpersisch Chschajarscha („der über Helden herrscht“), den die Griechen zu Xerxes verballhornten, muss demgegenüber regelrecht anmaßend klingen. Zuweilen werden ihm allerdings, aufgrund mangelhafter Quellenkenntnisse und gewagter Auswertungen archäologischer Befunde, Untaten unterstellt, die er nie begangen hat: die Verschleppung oder Einschmelzung der Statue des Stadtgottes von Babylon, Marduk, etwa oder gar die Zerstörung ebendieser Stadt. Die Forschung zeichnet inzwischen durch Nutzung der indigenen Überlieferung ein deutlich positiveres Bild dieses Königs, eines Herrschers, der das Reich seines Vaters, trotz der Schlappe im Westen, zu sichern und stärken verstand, der sich, darin ganz ähnlich seinen Vorgängern Kyros und Dareios, darum bemühte, durch die Verbindung von gewährter Lokalautonomie und verordneter strenger Aufsicht Aufständen im Reiche vorzubeugen und dabei überaus erfolgreich war, der in seinen inschriftlichen Verlautbarungen dem Vorbild des Vaters folgte, nicht weil er phantasielos war, sondern weil ihm die Maximen des Dareios (Belohnung des loyalen Untertanen, Bestrafung des Aufrührers) Richtschnur auch des eigenen Handelns waren und der als der große ‘Bauherr’ in Persepolis der achaimenidischen Kunst und Kultur ‘Weltgeltung’ verschaffte.

Das negative Xerxes-Bild ohne Grautöne verdankt sich demgegenüber vor allem den Alexander-Historikern, in deren Werken sich die Propaganda des Makedonen-Königs niedergeschlagen hat. Der Sohn Philipps II. hatte ja schließlich versucht, unter der (für die Makedonen als Verbündete des Xerxes selbst historisch höchst unpassenden) Parole „Rache für die Perserkriege“ griechische Bundesgenossen für den vor allem zum eigenen Vorteil geführten Persienfeldzug zu gewinnen und sie schließlich für die vielen Enttäuschungen dadurch zu entschädigen, dass er alle Gebäude des Xerxes in Persepolis in Schutt und Asche legen ließ. Dem genialen Geschichtenerzähler Herodot ist der historische Missetäter Xerxes, auch wenn dies in vielen Darstellungen immer wieder unterstellt wird, nur sehr bedingt geschuldet. Diesem ist weniger an einer historisch korrekten Charakterstudie des Großkönigs gelegen, als vielmehr daran, an der Figur des Xerxes, den die ältesten unter seinen athenischen Zuhörern sich wie den despotischen Protagonisten der 472 aufgeführten Perser des Aischylos vorgestellt haben dürften, zur Warnung der ähnlich überheblichen Athener die Gefahren unbegrenzter Machtfülle zu veranschaulichen: Der Xerxes Herodots ist nämlich einerseits ein unreifer Machthaber, der „zwischen hochfahrenden Plänen und Sorgen, das Falsche zu tun, schwankt“; andererseits ist er „verblendet [, …] respektiert sein Verlangen nach Herrschaft keine Grenzen auf dieser Welt“ (Bichler 2000). Es ist demnach kein Unschuldiger, den die listenreiche Gottheit die Träume falsch deuten lässt, die Warnungen seines weitsichtigen und erfahrenen Onkels Artabanos überhören und schließlich militärisch und moralisch auf ganzer Linie scheitern lässt. Der historische Xerxes hatte bescheidenere Ziele: Bestrafung der Athener (und ihrer Bundesgenossen) für ihren Bruch des Vertrages mit Dareios von 507 / 6 und ihre Unterstützung des Ionischen Aufstandes; Rache für Marathon und vermutlich die Neuordnung von Hellas durch die Einrichtung und Unterstützung perserfreundlicher Poleis und ein griechisches System von checks and balances. Die Siege über die Perser hatten große Bedeutung für die zeitgenössischen Athener, die daraus das Recht zur Barbarenverachtung und die Legitimation zur Herrschaft über Hellas ableiteten; als ‘Zeitenwende’ sehen sie bis heute auch die an, die sie als ‘Geburtsstunde Europas’ missverstehen. Für Xerxes wiederum war Salamis ein herber Rückschlag, allerdings nicht gravierend genug, die Stabilität seines Reiches ernsthaft zu gefährden.

Fazit: Der Tod des Xerxes war nicht die Folge seiner Politik in den über 20 Jahren seiner Herrschaft, auch nicht die Konsequenz eines despotischen Regimes gegenüber Familie und Hof. Er ist vielmehr kennzeichnend für die systemimmanenten Schwierigkeiten einer universalen monarchischen Ordnung, bei der sich eine bis dahin nicht gekannte Machtfülle und Autorität in einer Person konzentriert. Mochte auch die Notwendigkeit der Verstetigung dieser Herrschaft innerhalb der Dynastie unbestritten sein, der ‘Flaschenhals’ der Thronfolge musste immer wieder ambitionierte, jedoch letztlich nicht zum Zuge gekommene Prinzen dazu verleiten, ihr Heil im Bruder- oder gar Vatermord zu suchen.

Literatur: R. Bichler: Herodots Welt, Berlin 2000; P. Briant: From Cyrus to Alexander. A History of the Persian Empire, Winona Lake 1996; M. Brosius: The Persian Empire from Cyrus II to Artaxerxes I, London 2000 (Quellenband); J. Wiesehöfer: Das antike Persien, Düsseldorf 32002; J. Wiesehöfer: Das frühe Persien, München 22003.

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