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Das Massaker von Samaria Samaria, 845 – 841 v. Chr.

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Von Gerhard Bodendorfer

Zwei Könige, eine Königsmutter, 70 Königssöhne, 42 Königsverwandte, eine unbestimmte Anzahl von höheren Beamten der Königspartei und von Beratern, der gesamte regierungsnahe Klerus sowie sämtliche Priester des Baalskultes, so lautet die Opferbilanz des Umsturzes bzw. des Militärputsches des Jehu.

Ort und Zeit: Juda und Israel in einem der Jahre zwischen 845 – 841 v. Chr.

Die Hauptquelle: Kapitel 9 und 10 im 2. Buch der Könige im Alten Testament, der jüdischen Bibel.

Die Quelle allein mag bei vielen Misstrauen erzeugen. Wie kann ein Bericht aus einem Buch, das vor allem der kulturell-religiösen Identitätsbildung dient, für einen politischen und auch kriminalistischen Befund herangezogen werden?

Nun ist die Bibel zwar kein Geschichtswerk, aber auch kein religiöses Erbauungs- und Lehrbuch. Man darf also weder einen historischen Bericht noch eine rein fiktive religiöse Parabel erwarten. Gerade in den Samuel- und Königsbüchern erweist sie sich als durchaus seriöse Geschichtsquelle, ohne den religiösen Zweck der Erzählungen zu verschleiern. Hier ist nach dem Zweck, den Motiven zu fragen, ebenso aber auch nach den Beteiligten und somit „(Mit-)Schuldigen“. Da der biblische Befund den einzigen vorhandenen umfassenden Bericht darstellt, ist er zunächst zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn er in seiner heutigen Form einige Jahrhunderte jünger ist.

Die Erzählung lässt sich in drei Abschnitte oder Szenen teilen, die sich durch Personen und Orte gliedern.

1. Der erste Abschnitt (2 Kön 9,1 – 13) schildert den Auftrag des Propheten Elischa an einen seiner Jünger, den Hauptmann der Wagenlenker, Jehu ben Joschafat ben Nimschi, in Ramot Gilead ausfindig zu machen und – gegen den amtierenden Herrscher – zum König zu salben. Die Initiative für den politischen Umsturz geht somit nicht von Jehu selbst, sondern von einem Vertreter der religionspolitisch äußerst aktiven Gottesmänner aus. Nach biblischer Ansicht handelt Jehu nicht von sich aus, sondern im Auftrag einer Bewegung, die sich auf keinen Geringeren als Gott selbst beruft, auf JHWH – wobei der Gottesname Jahwe im religiösen Judentum und aus Respekt auch in vielen christlichen Gruppen nicht ausgesprochen und mit „adonaj“ oder „adoshem“ umschrieben und in wissenschaftlichen Kreisen oft mit JHWH wiedergegeben wird. Der Prophetenjünger tut wie ihm geheißen, findet den Hauptmann am angegebenen Ort bei seinen Waffenbrüdern in froher Runde und salbt ihn mit dem Auftrag, dem Haus Ahabs schwere Schläge zu versetzen.

Der politische Mord an den Eliten wird in den Versen 7 – 10 schließlich als Strafgericht Gottes geschildert, als Vergeltung für einen Mord, den die Dynastie des Königs Ahab, des Vaters des regierenden Königs, und vor allem seine ausländische – phönikische – Frau Isebel verschuldet haben. Der Vorwurf bleibt unklar, man erfährt nur, dass Propheten JHWHs getötet worden sind. Und es wird ergänzt: Der Dynastie Ahabs wird es damit ebenso ergehen wie den beiden vorangegangenen Jerobeams und Baschas, womit gleich eine ganze Kette von Schuldverstrickungen angesprochen wird. Abkehr vom wahren Glauben an JHWH und Verfolgung von Propheten stehen als Vorwürfe im Raum. Doch das würde uns derzeit von Jehu ablenken. Jehu erscheint als Werkzeug Gottes. Ob er selbst seinen Auftrag so verstanden hat, gehört in den Bereich der Vermutungen, von denen wir hier vorerst Abstand nehmen.

Auffällig ist allerdings die Vorsicht, mit der er seinen Offizierskollegen die Botschaft nahe bringt. Trotz vereinzelter Distanz gegenüber dem Prophetenjünger (ein Offizier nennt diesen „meschugga“ = „einen Verrückten“) endet die Szene mit der Proklamation Jehus als König.

2. Der König Israels, Joram, zog sich in Jesreel nach einer Verwundung, die er im Kampf gegen die Aramäer erlitten hatte, zurück. Für die kritische Betrachtung der Handlungsabläufe ist der Umstand von Bedeutung, dass sich der König Judas, Ahasja, ebenfalls in Jesreel befindet. Er steht in verwandtschaftlicher Verbindung zu Joram und unterstützt ihn im Krieg gegen Aram.

Jehu steuert seine Heeresabteilung im Höllentempo auf Jesreel zu (daher „Jehu“ im Englischen für einen schnellen Fahrer), was dort nicht unbemerkt bleibt. Joram schickt zwei Boten, die jedoch nicht zurückkehren. Ihr Auftrag war es jeweils, bei Jehu anzufragen, ob „Schalom“ (Friede) sei, was noch mehrfach gedeutet wird. Jehu lässt die Boten in sein Heer einreihen. Joram und Ahasja wollen daraufhin selbst die Sachlage erkunden und lassen ihre Wagen anspannen. Sie vermuten wohl keinen Umsturz, da sie ihm ohne große militärische Unterstützung entgegenreiten. Auch sie fragen nach dem „Schalom“. Erst die Rede des Jehu versetzt sie in Panik: „Wie sollte ‘Schalom’ sein, solange die Unzucht deiner Mutter Isebel und ihre vielen Zaubereien andauern?“

Der folgende Fluchtversuch Jorams scheitert, Jehu schießt ihm einen Pfeil durch die Brust. Daraufhin befielt er einem Adjutanten, ihn auf dem Acker Nabots zu begraben, um ein Gotteswort einzulösen: „Fürwahr, ich habe gestern das Blut Nabots und seiner Söhne gesehen – Spruch des Herrn. Ich werde an dir auf diesem Acker Vergeltung üben – Spruch des Herrn. Nimm ihn also, und wirf ihn auf den Acker, wie es der Herr gesagt hat.“

Der Bericht ist an dieser Stelle sehr dicht und ohne weitere Texte aus dem Alten Testament unverständlich. Das Handeln Jehus wird von den Königen als Verrat gedeutet, während Jehu konsequent sein Verhalten religiös – als gegen Zauberei und Götzendienst gerichtet – motiviert. Jehu erinnert auch an das in 1 Kön 21 geschilderte Verbrechen an Nabot, wobei er selbst die Verbindung von Religion und angestammten sozialen Normen herstellt. Der Vater König Jorams, Ahab hatte den Weinberg eines gewissen Nabot kaufen wollen. Doch der weigerte sich, zu verkaufen. Daraufhin ersann Ahabs Frau Isebel einen Plan. Nabot sollte durch eine List als Gotteslästerer entlarvt und gesteinigt werden, was schließlich auch geschah. Auf politisch-sozialer Ebene schimmert hier die Kritik an der durch den kanaanäischen Einfluss gestärkten Feudalverwaltung der Omriden durch, einem über Leichen gehenden königlichen Herrschaftsgebaren. Gott selbst hatte dafür Genugtuung angekündigt. Eine Generation später wird nun durch Jehu die Schandtat vergolten. Diesmal ist es allerdings Jehu selbst, der sein Vorgehen als Umsetzung des Gotteswillens interpretiert, nicht mehr ein Prophet.

Nun ist die Reihe an Ahasja von Juda, der von den Soldaten Jehus auf der Flucht verwundet wird und sich noch bis Megiddo schleppen kann, wo er schließlich stirbt. Der Mord an ihm wird nicht religiös begründet. Jehu eilt inzwischen nach Jesreel, wo sich Isebel, über den Umsturz bereits informiert, auf ihn vorbereitet, sich schminkt und schmückt und ihn trotzig vom Fenster herab anblickt.

Isebel, die Mutter des Königs, die in der Erzählung schon von Jehu als eigentlicher Auslöser des Umsturzes ins Spiel gebracht wird, stellt sich heldenhaft dem Usurpator entgegen und zeigt durch ihr Auftreten, dass sie keineswegs gewillt ist, ihre Position aufzugeben, vielleicht mit dem Erscheinen am Fenster sogar ihren Thronanspruch nach dem Tod des Sohnes kundtut. Isebel nennt schließlich, wie schon Ahasja, das Vorgehen Jehus Verrat. Sie nennt Jehu „Simri“ nach dem Mann, der nach 1 Kön 16 König Asa, den Sohn Baschas, erschlug. Er war nach nur sieben Tagen von Omri, dem Ahnherrn der Dynastie und Vater Ahabs abgelöst worden und fand den Tod durch Selbstmord. Isebel will nun Jehu auf dieselbe Stufe stellen und droht ihm das gleiche Schicksal an. Aber Jehu lässt sich nicht beirren. Diesmal nimmt sein Vorgehen eine weitere Wendung. Zu seinen eigenen Morden und denen der direkt von ihm Kommandierten kommt nun der Aufruf an das Personal Isebels, sich ihm anzuschließen und Isebel aus dem Fenster zu stürzen. Die Frage, ob es jemand gebe, der zu ihm hält, ist als Indiz zu werten, dass sein Putsch nicht so spontan vonstatten ging, wie der Bericht vermuten lässt, sondern bereits vorbereitet war. Oder hat man einfach mit der Angst der Hofleute vor eigener Verfolgung zu rechnen? Immerhin handeln sie rasch und entsprechen dem Wunsch Jehus, der sich auf diese Weise nicht selbst die Hand schmutzig macht. Dies wird er auch in der Folge nicht mehr tun.

Das weitere Vorgehen ist als bewusste Inbesitznahme der Königsherrschaft zu deuten. Jehu isst und trinkt ostentativ als eine Art Symbolhandlung, die ebenfalls an das Essen Ahabs erinnert, mit der er nach 1 Kön 18,40 das Ende der nationalen Krise nach dem Tod der Baalspriester „feierte“. Dieser Akt ist auch schon Vorschau auf das Kommende.

Vorerst vollzieht sich aber an Isebel erneut schriftgemäß das Strafgericht Gottes, da die Hunde ihren Leichnam bis zur Unkenntlichkeit auffressen und sich damit ein Prophetenwort Elijas bewahrheitet.

3. Sehr geschickt agiert nun Jehu weiter. Er versendet diplomatische Schreiben an die Stadtoberhäupter, Ältesten und Prinzenerzieher in der Hauptstadt Samaria, um sie auf ihn einzuschwören. Der Beste und Rechtschaffenste soll zum König ernannt werden. Sollten also die Notabeln einen in den Reihen der Nachkommen Jorams finden, der diesen Voraussetzungen entspricht, müsste der gegen ihn antreten. Militärisch würden sie ihm wahrscheinlich unterliegen. Zumindest fürchteten sie das. So handeln sie selbst, töten die 70 Königssöhne und senden die Köpfe an Jehu, der sich nun vor der Öffentlichkeit rechtfertigt: „Am nächsten Morgen ging er hinaus, trat vor das Volk und sagte: Ihr seid ohne Schuld. Ich bin es, der die Verschwörung gegen meinen Herrn angezettelt und ihn getötet hat. Doch wer hat diese alle erschlagen? Erkennt also, dass keine der Drohungen unerfüllt bleibt, die der Herr gegen das Haus Ahab ausgesprochen hat. Der Herr hat das getan, was er durch seinen Knecht Elija verkündet hat.“

Jehu macht sich die Dienstbereitschaft der Notabeln in Samaria zunutze und kann seine „Hände in Unschuld waschen“, zugleich beruft er sich erneut auf das Strafgericht Gottes, um auch noch die letzten einflussreichen Anhänger des Hauses Ahab zu vernichten.

Er lässt nun alle Vertrauten und den Ahab-treuen Klerus töten. Als er daraufhin nach Samaria zieht, trifft er wie zufällig auf 42 völlig ahnungslose Verwandte Ahasjas von Juda, die sich wieder nach dem „Schalom“ erkunden. Er lässt sie ergreifen und schließlich am Brunnen von Bet Eked töten.

In 2 Kön 10,15 – 28 wird geschildert, wie sich Jehu schlau und mit äußerster Brutalität des Baalsklerus entledigt. Dazu bedient er sich einer propagandistischen Figur, Jonadabs des Rechabiters, eines Eiferers gegen den Baalskult. Wiederum scheint er ihn zufällig zu treffen und lässt ihn auf seinem Wagen mitfahren. In Samaria befiehlt er, alle noch lebenden Angehörigen Ahabs zu erschlagen. Erneut beruft er sich auf Elija.

Daraufhin lässt er die „Propheten, Diener und Priester“ des Gottes Baal in Samaria unter dem Vorwand, er wolle Baal „mehr als Ahab“ dienen, zu einem Schlachtopfer versammeln und im Baalstempel eigene Kleider reichen. 80 Soldaten Jehus machen die Ahnungslosen nieder. Schließlich lässt er den Tempel vernichten, das Steinmal des Baal niederreißen und zu einem „Ort, wo man seine Notdurft verrichtet“, umwandeln. So weit die Schilderung der Bibel zum Umsturz Jehus, die mit einigen Notizen über Jehus Regierung und seinen Tod schließt.

Noch vor wenigen Jahren hätten wohl westlich-europäische Leser hinter der Geschichte einen politische Umsturz vermutet, der nachträglich religiös aufgeladen und so im Kontext der biblischen Verehrung des einen Gottes JHWH verteidigt wurde. Allerspätestens nach dem 11. September 2001 denken auch aufgeklärte westliche Geister komplexer. War Jehu ein religiöser Fanatiker, der alles ausrotten wollte, was nicht seinem Gottesbild entsprach? Oder gar ein brutales Werkzeug fanatischer religiöser Kreise rund um die Prophetentradition Elijas und Elischas? Wollte Jehu den clash of civilizations für sich nutzen oder war er schlicht ein politischer Usurpator?

Der biblische Text, wie er heute vorliegt, lässt keinen Raum für andere geschichtsmächtige Faktoren außerhalb des Willens Gottes, ein Strafgericht über die Dynastie Ahabs zu vollziehen. Daher war es verständlich, dass man versuchte, über den biblischen Befund hinaus den Sturz der Omriden-Herrschaft im Rahmen einer „immanenten“ Geschichtsbetrachtung zu deuten. In der Forschung mangelt es nicht an Versuchen, die Ursachen für den Umsturz und somit auch die Motive Jehus zu erklären. Dabei gibt es Ansätze, die vom biblischen Befund, wieder andere, die gänzlich von außerbiblischen – archäologischen und epigrafischen – Quellen ausgehen, sozio-anthropologischen Rekonstruktionen ebenso wie soziologischen. Manche sehen in innenpolitischen Gegebenheiten den Grund, wieder andere ausschließlich in außenpolitischen.

Bei kritischer Betrachtung lässt sich Jehu weder ausschließlich als religiöser Fanatiker noch als rein politischer Umstürzler verstehen. Mit der Vernichtung der Baalspriester, der radikalen Ausrottung aller männlichen Omriden und des gesamten Joram und Isebel loyalen Beamtenapparats beendet er mit einem Mal den Einfluss des kanaanäischen Elements in Israel und seiner Protegés. Die gesamte Aktion wirkt trotz eiligen Vorgehens niemals überhastet und spontan. Abgesehen von der Eingangserzählung über die überfallsartige Salbung durch Elischas Jünger erhält man den Eindruck eines gezielten Militärputsches. Auch schien Jehu bereits auf Anhänger in den Eliten zählen zu können und besaß daher eine gewisse Machtbasis. In beinahe allen Aktionen nach seiner Proklamation zum Gegenkönig hat Jehu federführend die Kontrolle. Weder Elischa noch Jonadab ben Rechab agieren autonom.

Der Zeitpunkt seiner Aktion scheint entgegen mancher Ansicht weniger von der konkreten Aramäer-Bedrohung her bestimmt zu sein, die im Übrigen auch außerbiblisch, durch eine Inschrift, belegt ist, als von der Gleichzeitigkeit des Aufenthaltes eines geschwächten Königs Israels und seines judäischen „Amtskollegen“ und Verwandten in Jesreel. Jehu nutzt das Vertrauen, das ihm beide entgegenbringen, für einen raschen und für sie völlig überraschenden Putsch, der von Anfang an die Kontrolle über beide Reiche anstrebt. Jehu beendet die Herrschaft der Omriden und ist bestrebt, die davidische Linie in Juda auszulöschen.

Die Tötung des judäischen Königs und seiner Verwandten kann am ehesten damit erklärt werden, dass Jehu auch versucht, seine Machtbasis auf Juda auszuweiten und es mit Israel zu einer Personalunion zu vereinen. Dafür hat er im Rückgriff auf die religiöse Tradition und im Kampf gegen das kanaanäische Element eine Gemeinsamkeit beschworen. Doch kann er weder alle Davididen ausrotten noch rechtzeitig die Machtbasis im Süden ausbauen. Historisch ist ihm die Vereinigung daher nicht gelungen. Anders als Isebel kann sich nämlich dort die Königsmutter Atalja die Loyalität des Beamtenapparats sichern und selbst sechs Jahre lang auf dem Thron halten, ehe sie durch eine innerjudäische Verschwörung entmachtet und hingerichtet wird. Aber Nutznießer ist nicht Jehu. Ein siebenjähriger Davidide namens Joasch übernimmt offiziell den Thron.

Für das Verständnis der innenpolitischen Situation als Hintergrund der Aktion Jehus ist entscheidend, dass die Omriden Zug um Zug den Übergang von einem dezentralen Nationalstaat in einen hierarchisch aufgebauten Territorialstaat forcierten. Während die klassische israelitische Herrschaftskonzeption auf der Volksversammlung und auf Verwandtschaft beruhte, errichteten die Omriden ein auf der Basis des Militärs und Beamtenapparats bestehendes territorialistisches System. Die Stammesautoritäten wurden auf die Funktion von einfachen Lokalverwaltern zurückgestutzt, während die Macht auf eine aristokratische Beamtenschaft überging. Ein geschickter, auf Integration der kanaanäischen Bevölkerung zielender Schachzug war die Bündnispolitik mit dem mächtigen kanaanäisch-phönizischen Königreich. Daher bezieht auch die Hochzeit mit der Tochter des Phöniziers Ittobaal, Isebel, ihren Sinn. Mit der Heirat verbanden sich Zugeständnisse an die kanaanäische Seite in Kult- und Religionsausübung. Ahab dürfte neben handels- und bündnispolitischen Erwägungen aber nicht zuletzt um des nationalen Zusammenhalts und Friedens (Schalom) willen um eine paritätische Religionspolitik bemüht gewesen sein.

Es gibt nun Stimmen, die Jehus Umsturz als Versuch deuten, die territorialistische Struktur des Staates zugunsten einer voromridischen Nationalstaatsidee gewaltsam zu verändern. Doch sind die Zeugnisse aus der Zeit Jehus dazu nur wenig aussagekräftig. Auch Jehu belässt im Großen und Ganzen die vorhandene Herrschaftsstruktur, baut jedoch die alten Stammeseliten stärker als Hoffunktionäre ein, wie sich aus Ostraka erschließen lässt. Sein Umsturz liquidiert den kanaanäischen Kultapparat und setzt damit der Religionspolitik Ahabs ebenso ein Ende wie dem bestehenden royal establishment. Jehus Vorgehen gegen die Baalspriester und die Repräsentanten Judas ist erstaunlicherweise auch biblisch nicht durch ein Gotteswort „gedeckt“. Vielmehr erhält man den Eindruck, dass Jehu politische Tatsachen schaffen will. Dazu bedient er sich nicht zufällig eines Mannes wie Jonadab ben Rechab, der als Repräsentant einer zivilisationskritischen Existenzweise mit rigorosen Lebensregeln gilt, die an das Ideal eines Israel in der „Wüstenzeit“ anknüpfen will und jeder Kanaanisierung feindselig gegenübersteht. Dass Jonadab Mitglied einer urbanen Oberschicht ist, kann nur vermutet werden, würde aber in das immer wieder gezeichnete Bild passen, dass Jehu von bestimmten einflussreichen israelitischen Eliten Unterstützung erfährt, die sich vom kanaanäischen Hofapparat in ihrem Einfluss zurückgedrängt fühlen. Im biblischen Text erscheint Jehu darauf bedacht, den Eindruck zu vermitteln, in seinem Umsturz das Strafgericht Gottes zu vollstrecken. Und dort, wo er über dieses Ziel hinauszuschießen scheint, bedient er sich geschickt eines anerkannten Mannes der konservativ-reaktionären Elite als Rückendeckung.

Doch habe, so die Schlussnotiz in 2 Kön 10,29 kritisch, Jehu die „goldenen Kälber“ in Dan und Bet-El nicht abgeschafft und sei daher JHWH nicht mit ganzem Herzen gefolgt. Doch kommen diese beiden Heiligtümer wohl erst in späterer Zeit in den Ruf eines nicht legitimen JHWH-Heiligtums. Über die Förderung kanaanäischer Kultstätten hört man nichts. Allein aus der Vernichtung der Baalspriester und der Zerstörung des kanaanäischen Heiligtums in Samaria lässt sich andererseits nicht auf eine flächendeckende Verfolgung des Baalskultes schließen. Willfähriges Werkzeug fanatischer JHWH-Anhänger ist Jehu nicht, vielmehr scheint er sich zwar mit ihnen verbündet und sein politisches Vorgehen propagandistisch ganz ihrem Kampf untergeordnet zu haben, er wirkt dabei aber nie „ferngesteuert“. Wenn man die Bezüge zu Elischa (und Elija) nicht als spätere Bearbeitungen ausscheidet, so unterhält Jehu hervorragende Beziehungen zu den konservativen prophetischen Kreisen. Ob Jehu so einen clash of civilizations zwischen Kanaanäern und JHWH-Anhängern vertieft und instrumentalisiert hat, ließe sich nur auf Basis weiteren epigrafischen oder archäologischen Materials entscheiden.

Will man das im Text mehrfach auftretende Stichwort „Schalom“ aufnehmen, so scheint Jehu tatsächlich der Meinung gewesen zu sein, dass es unter den Auspizien eines von Isebel protegierten kanaanäischen Kultur- und (wohl auch) Politikeinflusses keinen „Frieden“ in Israel geben konnte. Dies rechtfertigte auch Gewalt, in den Augen der biblischen Schriftsteller (so auch in 2 Chr 22,7 – 9) als Umsetzung des Gotteswillens.

Ob der Putsch Jehus, wie immer wieder behauptet, Israel innen- und außenpolitisch in die Krise führte, lässt sich nicht entscheiden. Doch überwog wohl Kontinuität. Jehu scheint sogar die handelsökonomischen Verhältnisse der Omriden weitergeführt zu haben. Er regierte immerhin 28 Jahre, und seine Dynastie konnte sich länger behaupten als die Omris.

Literarisch ließ sich Alexandre Dumas der Ältere für seinen Roman Les Compagnons de Jéhu (1857) von der biblischen Figur inspirieren. Die Compagnons sind Royalisten, die sich gegen Napoleon stellen. Ein royalistischer Abbé stellt die Verbindung zu Jehu her und identifiziert ihn mit Ludwig XVIII. Der Roman wurde auch verfilmt und lief im deutschen Fernsehen unter dem Titel „Das Geheimnis der weißen Masken“ (1966).

Der Umsturz Jehus hat in der jüdischen Rezeption kaum nennenswerten Widerhall gefunden. Auch wenn die Geschichte durch mittelalterliche Kommentatoren noch ausgeschmückt wird, erlangt sie nie den Stellenwert einer für die kollektive Erinnerung maßgeblichen Erzählung.

Umso interessanter sind jene Stimmen der religiösen Rechten, die in Jehu ein Sinnbild des gerechten innerjüdischen Kampfes gegen Verräter sehen. Die israelische Schriftstellerin Miriam Benyaacov etwa stellte in einem Internetartikel eine Verbindung zwischen der Ahab-Dynastie und der „verräterischen“ Politik Premierminister Rabins sowie zwischen Isebel und Lea Rabin her (2000). Wie Ahab schädliche Kompromisse mit den Aramäern eingegangen sei und diese darauf Israel attackiert hätten, so habe auch Rabin Arafat einen Frieden angeboten, der nur dazu diente, die Position Israels zu schwächen. Damit wird der Mord an Rabin zur nationalen Heldentat umgedeutet. Zweifellos handelt es sich hier um eine kleine Minderheit von Extremisten, die im vorliegenden Fall einer verbotenen Gruppe (Meir Kahanes „Kach“) angehören, doch spricht in ihnen ein nicht zu unterschätzendes gewaltbereites Potential.

Jehu kommt dadurch zu zweifelhaften späten Ehren. Ob sie dem komplexen Bild gerecht werden, das dieser Beitrag von seinem Umsturz zeichnet, bleibt mehr als dahingestellt.

Literatur: M. Benyaacov: Funerals, http://www.geocities.com/​mbenyaacov/​ funerals.htm; W. Gugler: Jehu und seine Revolution. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen, Kampen 1996; S. Otto: Jehu, Elia und Elisa. Die Erzählung von der Jehu-Revolution und die Komposition der Elia-Elisa-Erzählungen (BWANT 152), Stuttgart – Berlin – Köln 2001 (dort umfangreiches Literaturverzeichnis).

Politische Morde

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