Читать книгу Politische Morde - Группа авторов - Страница 12
C. Iulius Caesar Rom, 15. März 44 v. Chr.
ОглавлениеVon Giuseppe Zecchini
Ende Dezember des Jahres 45 v. Chr. erließ der römische Senat den so genannten ‘großen’ Senatsbeschluss, in dem Caesar, zum vierten Mal Diktator, außergewöhnliche Ehren und Befugnisse erteilt wurden: Die Ehren kündigten seine Vergottung schon zu Lebzeiten oder eher seine postume Apotheose an; die Befugnisse sollten seiner Macht über die Republik die endgültige Ausprägung einer lebenslänglichen Diktatur verleihen.
Nach römischer Denkweise war eine Magistratur auf Lebenszeit ein Widerspruch in sich selbst sowie eine schwere Verletzung der Sitten und Traditionen: Deswegen zögerte Caesar eineinhalb Monate lang, dieses Amt anzutreten; das tat er aber privat am 13. und öffentlich am 15. Februar 44, als er anlässlich der Luperkalien – einer sakralen Zeremonie – ein für allemal jene Gerüchte dementieren wollte, nach denen er sich selbst zum König ernennen wollte: Jupiter sei alleiniger König der Römer, ließ er bei jenem Anlass kundtun.
Dennoch war das am 13. Februar von Caesar dargebrachte Opfertier ohne Herz gefunden worden und der etruskische Wahrsager, der Haruspex Spurinna, der der religiösen Opferung beiwohnte, um sie zu deuten, hatte das Fehlen des Herzens als eine Todesvoraussage ausgelegt. Die römische Überlieferung möchte uns glauben machen, der Haruspex habe damals auch die Frist der verhängnisvollen Voraussage angegeben (in dreißig Tagen/bis zu den Iden des März). Doch berichtet Cicero, unsere wichtigste Quelle, nur von der drohenden Weissagung, nicht aber von ihrer Zeitbestimmung. Auf jeden Fall warnte Spurinna – höchstwahrscheinlich das Oberhaupt des Kollegiums der Haruspices – Caesar zum letzten Mal: „Beharrst du darauf, die Diktatur auf Lebenszeit übernehmen zu wollen, so bringen wir dich um.“
Es gab schon eine Gruppe von Unzufriedenen, die mit dem Tyrannenmord liebäugelte. Cicero war ohne Zweifel ihr intellektueller und politischer Mentor: Schon im Jahre 45 hatte er angekündigt, dass sich Caesar wie ein Gebieter und König benehmen werde, sobald er von seinem letzten, siegreichen Feldzug gegen die Pompeianer in Spanien zurückkommen werde. Gleichzeitig widmete Cicero den letzten Teil seines philosophischen Schaffens einer leidenschaftlichen Anklage gegen die Tyrannei. Ihr Vorbild war Cato, der 46 in Utica Selbstmord begangen hatte, nachdem er die Vergebung Caesars abgelehnt hatte: Sie hätte die Anerkennung der eigenen Schuld bedingt, und Cato meinte, er habe ja gar keinen Fehler begangen, indem er die Republik verteidigte. Sein stoischer Selbstmord wurde von hellenisierten Adligen und Intellektuellen hoch gepriesen, aber von Caesar streng angeprangert, da er – mit Recht – den Freitod für eine Haltung hielt, die gegen römische Sitten verstieß.
Aus dieser relativ beschränkten Gruppe von Adligen und deren Anhängern stammten die etwa sechzig Verschwörer, von denen uns lediglich zwanzig namentlich bekannt sind. Es handelte sich um Senatoren und Ritter, überzeugte Republikaner und enttäuschte Parteigänger Caesars; manche waren von persönlichem Groll gegen den Diktator angespornt, aber zweifellos waren sie alle letzten Endes durch dasselbe politische Ideal vereint, die Republik vom Tyrannen zu befreien. Führend waren C. Cassius Longinus und M. Iunius Brutus; jener war der einzige Senator gewesen, der sich dem ‘großen’ Senatsbeschluss über die Ehren an Caesar widersetzt hatte, und vereinigte in sich den Mut einer offenen Meinungsverschiedenheit mit einer ziemlich guten Militärerfahrung; dieser der Sohn von Servilia, Caesars ehemaliger Geliebter und treuen Freundin; er war mit Pompeius in Pharsalos gewesen, hatte sich dann der Gunst des Diktators erfreut und war ein ehrlicher Caesarianer mindestens bis zum August 45 geblieben. Man schrieb ihm die Abstammung von jenem L. Iunius Brutus zu, der den letzten römischen König, Tarquinius Superbus, vertrieben hatte und erster Consul der Republik gewesen war; außerdem war er ein Stoiker und stand im Ruf eines unbestechlichen Idealisten. Er war aber auch schwach und unentschlossen: Nur die starke Persönlichkeit seiner neuen Frau Porcia, der Tochter Catos, die er im Sommer 45 geheiratet hatte, konnte ihn überreden, sich an der Verschwörung zu beteiligen.
Cassius war also der eigentliche Organisator des Komplotts. Die Entscheidung, so bald wie möglich zu handeln, fiel, als Caesar die Diktatur auf Lebenszeit annahm. Die Zeit drängte, denn der Partherprinz Pacorus hatte Ende 45 v. Chr. Syrien besetzt. Entsprechend hielt Caesar ein militärisches Eingreifen gegen die Parther für unaufschiebbar. Nach sorgfältigen Kriegsvorbereitungen sollte der Diktator die in Epirus schon versammelten Truppen am 18. März erreichen. Da es unvorstellbar war, Caesar zu töten, während er den Oberbefehl über das in einem Außenkrieg eingesetzte Heer innehatte, musste man schon vor seiner Abfahrt handeln, und deswegen wählte man die für den Morgen des 15. März bei der Curie des Pompeius einberufene Senatssitzung.
Einen Monat zuvor hatte Caesar seine Leibwache verabschiedet, um nicht als Tyrann zu gelten. Caesar nahm böse Omina und die Träume seiner Gattin Calpurnia während der Nacht auf den 15. ernst, aber nicht ernst genug. Der Diktator schien dazu geneigt, sich nicht zur Senatssitzung zu begeben. Die Verschwörer waren aber kaltblütig genug, um warten zu können, und schickten einen aus ihrem Kreis, D. Iunius Brutus, zum Diktator nach Hause, um ihm zu sagen, er solle sich beeilen, es sei besser, den empfindlichen und leicht zu kränkenden Senat nicht warten zu lassen. Caesar ließ sich überreden. Er hatte auf jede gewalttätige Unterdrückung abweichender Meinungen verzichtet und mit seiner Entscheidung, als Sieger keine Rache, sondern nur Barmherzigkeit und Vergebung üben zu wollen, sein Leben riskiert. Würden seine Widersacher den Mut haben, einen Wehrlosen zu töten?
Cassius hätte auch den anderen Konsul, M. Antonius, beseitigen wollen, aber Brutus erhob Einspruch dagegen, was Cicero als schweren Fehler ansah. So wurde Antonius von C. Trebonius vor der Curie aufgehalten, während drinnen Caesar, von dreiundzwanzig Dolchstößen getroffen, fiel: Eine kurze Zeit lang verteidigte er sich nach Kräften, dann verschleierte er sich das Haupt und gab auf; wahrscheinlich richtete er auf Griechisch seine letzten Worte an Brutus: „Du auch, mein Sohn?“ Unter den Hunderten von Anwesenden versuchten nur zwei Senatoren vergeblich, ihm zu helfen. Die anderen standen wie versteinert da, und als sich Brutus ihnen zuwandte, um ihre Billigung zu bekommen, flohen sie entsetzt. Es war ungefähr Mittag.
Auch Caesars Mörder gingen hinaus, mit gezückten Dolchen; dabei riefen sie den Namen Ciceros an und trugen die Mütze der soeben freigelassenen Sklaven. Doch wurden sie von den Römern kühl empfangen: Die Straßen waren öde, die Türen verrammelt. So flüchteten sie sich auf das Kapitol, das sie erst gegen Abend verließen. Brutus stieg nochmals allein am 16. herab, um – ergebnislos – eine Ansprache an das Volk zu richten. Inzwischen reorganisierten sich die Caesarianer: Caesars Reiteroberst, M. Aemilius Lepidus, besetzte die Stadt mit Truppen, und Antonius, der sich zuerst bei Freunden versteckt hatte, erschien wieder im Vollbesitz seiner konsularischen Amtsbefugnis. Lepidus wollte das Kapitol stürmen, Antonius hielt ihn im Zaum, da er nach einer unparteiischen Rolle strebte, die ihn de facto zum Herrn der Stadt machen würde. So berief er eine Senatssitzung am 17. ein und ließ dabei alle Verfügungen des Diktators als rechtmäßig anerkennen, als Gegenleistung für die von Cicero empfohlene Amnestie für die Verschwörer; außerdem wurde die öffentliche Bestattung auf den 20. festgelegt.
Am 15. gegen Abend war die verstümmelte Leiche Caesars von seinen drei Sklaven geborgen worden. Die Verlesung seines Testaments bestätigte seine außergewöhnliche Großzügigkeit dem römischen Volke gegenüber. Antonius’ ungestüme Grabrede, bekannt durch die berühmte Nachdichtung Shakespeares, wurde Auslöser unbeherrschter Volkswut. Die Caesarmörder mussten Hals über Kopf aus der Stadt flüchten.
Im Sommer verließen sie Italien, wo im April inzwischen Oktavian, der jugendliche Adoptivsohn des Diktators, gelandet war. An die Stelle von Caesars Politik der Vergebung setzte er die Verpflichtung zur Rache, die er mit erbarmungslosem Eigensinn verfolgte. Bei oberflächlicher Betrachtung zeigt die Ermordung Caesars eine stark hellenisierende Einfärbung. Seit Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. waren die Athener Harmodios und Aristogeiton die Tyrannenmörder schlechthin gewesen (vgl. Beitrag Möller). Der unversöhnliche Gegensatz zwischen dem Tyrannen und dem intellektuellen Verteidiger der Freiheit war ein auch in Rom wohlbekannter literarischer Topos. Die griechischen Vorbilder beeinflussten den Stoiker Cato, der sich das Leben nahm, während er Platons Phaidon las, den Stoiker Brutus, der im Jahr der Schlacht von Philippi an einer Epitome des Polybios arbeitete, den Eklektiker Cicero, der am 17. März die Amnestie für die Mörder Caesars nach dem Beispiel der athenischen Amnestie von 404 empfahl und seinerseits „Philippiken“ gegen M. Antonius verfasste. Vom stoischen Philosophen Chrysipp ließ sich Cicero zu seinem Traktat Von den Pflichten inspirieren, der die Ermordung des Diktators rechtfertigte.
Eine solche Rechtfertigung trug unverkennbar hellenische Züge: Caesar gegenüber, der nach absoluter und persönlicher Macht auf Lebenszeit strebte, war es Pflicht jedes Bürgers, die republikanischen Institutionen und insbesondere die zentrale Rolle des Senats zu verteidigen, da das Wohl der Gemeinschaft wichtiger als die Rechte des Einzelnen war. Der Vorrang der Gemeinschaft vor dem Einzelnen war in der griechischen politischen Philosophie fest verwurzelt.
Bei den Verschwörern vermischten sich diese Elemente mit anderen echt römischen Ursprungs: Einerseits hegte man einen tief eingewurzelten Hass gegen das Königtum, das nomen regium, das als unvereinbar mit der Freiheit des Bürgers galt, und eine heftige Abneigung gegen jede offene wie verschleierte Form der Monarchie, als die man die Diktatur auf Lebenszeit nicht zu Unrecht ansah. Eifrige Verteidiger fand die Freiheit. Als „Freiheit“ galt die Gleichberechtigung der Adligen, deren Ehrsucht und Rivalität nur die Autorität des Senats zügeln konnte. Das Unwirksamwerden dieser Autorität war eine der Ursachen der Bürgerkriege gewesen. Nach aristokratischem Ehrenkodex konnte der Sieger über Leben und Güter des Besiegten entscheiden, und so endete jeder Zwist üblicherweise mit dem Tod eines der beiden Gegner. Deswegen gehörte auch der Entschluss, Caesar zu beseitigen, zur Abrechnung zwischen Feinden innerhalb des Adels: Er war die blutige Aufösung einer persönlichen Fehde, die sich zwischen Caesar und den anderen Mitgliedern seines Standes entwickelt hatte, seitdem er während seines ersten „umstürzlerischen“ Konsulats im Jahre 59 demagogisch regiert, bewaffnete Banden eingesetzt, die Rechte des anderen Konsuls und Kollegen mit Füßen getreten und sogar einen Teil des Grundbesitzes der Adligen in Kampanien beschlagnahmt hatte.
Der morbide Zauber des Tyrannenmordes nach griechischem Muster, die Verteidigung der Gesetzlichkeit und der republikanischen Institutionen gegen eine Diktatur auf Lebenszeit bildeten eine Kluft voll Hass zwischen Caesar und den Adligen: Diese drei Elemente trugen zu der Verschwörung, aber auch zu ihrem Scheitern bei, und zwar aus dem einzigen Grund, dass sie außerhalb der Aristokratie überhaupt nicht gebilligt wurden. Seit dem späten 2. Jahrhundert hatte die Elite jeden Kontakt zur Basis verloren. Weder die stadtrömische plebs noch die Soldaten noch die italische Öffentlichkeit waren hinreichend hellenisiert, um mit der Heldentat eines Tyrannenmordes zu sympathisieren. Keine dieser drei Gruppen hatte einen Grund, Caesar zu hassen. Die Verteidigung der Institutionen konnte höchstens die Ortsansässigen in Rom interessieren, die in den Komitien abstimmen konnten.
Caesar hingegen war der Erbe der Gracchen und, noch mehr, von C. Marius, dem Ehemann seiner Tante; er war der tapfere Feldherr, der den Alltag mit seinen Legionären teilte, und der pontifex maximus, der in der Öffentlichkeit den größten Respekt vor der traditionellen Religion zeigte. Als solcher passte er in die neue Wirklichkeit des römischen Italien. Im Gallischen Krieg hatte Caesar seine Macht auf eine charismatische Beziehung zum Heer aufgebaut; er hatte die Unterdrückung des römischen Volkes durch einen kleinen aristokratischen Klüngel, die so genannten Optimaten, heftig attackiert und konnte es wagen, mit seinen bedingungslos loyalen Truppen durch Überschreiten des Rubikon den Bürgerkrieg zu entfachen. Er hatte die Pompejaner, gestützt auf den Rückhalt in Italien, bekämpft und sich zur Herrschaft ohne Kompromisse mit dem Senat und den von der italischen Öffentlichkeit verabscheuten Optimaten verpflichtet; er war schließlich freigebig mit der Gewährung der Bürgerrechte (an das gesamte cisalpinische Gallien, 49 v. Chr.) und mit Schuldenerlass und testamentarischen Schenkungen an das Volk; er hatte sogar die jüdische Gemeinschaft Roms für sich gewonnen.
Nur ein Idealist wie Brutus oder ein vom Hass Verblendeter wie Cassius konnte annehmen, dass die römisch-italische Gesellschaft einen Mord gutheißen würde, der den Bürgerkrieg zwischen den Adelsparteien erneut anheizte und nur den eigennützigen Interessen einer Handvoll völlig isolierter Aristokraten diente. In der Debatte innerhalb der Aristokratie hatten Caesars Parteigänger gute Argumente, um die moralische Rechtfertigung der Caesarmörder zu bestreiten.
Caesar gewährte seinen Gegnern clementia (Gnade) und verpflichtete sie sich so dauerhaft. Bis zuletzt und mit äußerster Konsequenz verfolgte er seine Linie der Mäßigung und Barmherzigkeit. Laut Sallust bestand Caesars Zauber gerade darin, dass er spenden, helfen und vergeben konnte. Es war leicht, ihn zu töten, weil er auch auf den Diktatoren zustehenden Personenschutz verzichtet hatte, und daher hätte seine Ermordung Empörung und Mitleid erwecken sollen. Doch blieb seine Geste der Vergebung, die uns heute mit der 2000-jährigen Erfahrung des Christentums mit Bewunderung erfüllt, unverstanden. Für Sallust war die physische Vernichtung aristokratischer Gegner alternativlos, juristisch, mit Prozess und Todesurteil, das Mittel seiner Wahl, oder, schneller und grausamer, durch Proskriptionen (Ächtungen), wie es unter Oktavian und Antonius üblich wurde.
Außerdem hatte Caesar den Bürgerkrieg zur Verteidigung seiner dignitas begonnen. Wenn eine Führungsschicht ihre dignitas, ihr Ansehen und die Ehre eines ihrer hervorragenden Mitglieder nicht mehr aufrechterhalten konnte, sollte sie zu Recht beseitigt werden. Dieser personalistischen Anschauung hatte Cicero die Verteidigung der republikanischen Institutionen und der Autorität des Senats als eines absoluten und nicht verhandelbaren Wertes entgegengestellt: Wer – wie Caesar – sie nicht schützte oder, schlimmer, verachtete, da er sie für leeren Schein hielt, verdiente, beseitigt zu werden. Deswegen war es gerade Cicero, der nach den Iden des März den Parteigängern Caesars, dem Heerführer C. Asinius Pollio und dem Finanzier C. Matius, den Vorschlag machte, sich auf die Seite des Senats im Namen des öffentlichen Wohls zu stellen, denn das öffentliche Wohl sollte den Vorrang vor den privaten Werten der Freundschaft und der Dankbarkeit haben. Die im „Briefwechsel“ Ciceros erhaltenen Antworten sind allesamt entschieden ablehnend. Um keinen Preis waren jene Römer dazu bereit, ihre persönlichen Beziehungen zu Caesar auf dem Altar der Republik zu opfern, da sie ihn mit größter Hingabe und Treue geliebt hatten. Diesen Antworten entnehmen wir die grundlegende Verschiedenheit zwischen Ciceros hellenisierter Sichtweise – nach der die Verfassung das höchste Gut war – und der römisch-italischen Perspektive eines Pollio oder Matius: Für sie war fides, die zwischenmenschlichen Beziehungen, die privaten und vorstaatlichen Verpflichtungen, das höchste Gut. Entlang dieses Grabens, nicht in der Polarisierung zwischen Monarchie/Tyrannei vs. Republik/Demokratie, entzweite sich die Öffentlichkeit.
In Caesar schließlich hatten seine Mörder den Diktator auf Lebenszeit, den König de facto, den Tyrannen getötet, und so meinten sie, sie hätten sich selbst und das römische Volk von der Knechtschaft befreit. Caesar war aber keineswegs nur ein Diktator, er war auch pontifex maximus, das Oberhaupt der römischen Religion; wie Cicero selbst erklärt hatte, beruhte Rom auf zwei Fundamenten: seinen Institutionen, vor allem dem Senat, und den auspicia, seiner Beziehung zu den Göttern. Caesar hatte beide Fundamente – die Weltlichkeit des Diktators und die Heiligkeit des pontifex – in sich vereint. Die römisch-italische Öffentlichkeit verlangte in einer Epoche des Umbruchs nach Wiederherstellung der ursprünglichen religiösen Werte, wie sie Augustus bald verwirklichen sollte. Die Gefühle der schweigenden Mehrheit beschrieb der Dichter Ovid: „Diejenigen, die die Figur des pontifex befleckt hatten, die eine frevelhafte Tat gegen den Willen der Götter durchzuführen wagten, sind eines verdienten Todes gestorben.“ Die Ermordung Caesars war kein politischer Mord, sondern ein Sakrilegium gewesen, und als solches unentschuldbar.
Die Verschwörer erreichten mit dem Mord das Gegenteil von dem, was sie sich erwartet hatten, und das spricht gegen ihren politischen Weitblick. Auf kurze Sicht reagierte man auf die Tat mit Angst, Gleichgültigkeit und wachsender Missbilligung. Zwei Tage später sahen sich die Verschwörer gezwungen, eine Amnestie zu erbetteln, dann mussten sie Italien verlassen, während Caesars Bestattung spontane Sympathiekundgebungen der stadtrömischen plebs veranlasste. Mittelfristig entfachte der Tod des Diktators den Bürgerkrieg von neuem, bis 42 v. Chr. als Krieg der Parteigänger Caesars gegen seine Mörder, dann (bis 30) als Krieg zwischen Caesars Parteigängern, Oktavian und Antonius. Die „republikanische“ Partei hatte keine feste Grundlage: Die Frage war nur, wer unter den zahlreichen Kriegsteilnehmern am Ende die Oberhand gewinnen würde. Auf lange Sicht errichtete Caesars Adoptivsohn den Prinzipat, eine gemäßigte Monarchie, die republikanische Regierungsformen und den Senat mehr achtete, als es sich Caesar gewünscht hätte, und doch eine dynastische Monarchie der gens Iulia. Inzwischen (seit Anfang 42) war Caesar vergöttlicht worden, er war zum divus Iulius geworden, und die Debatte eröffnet, ob er oder Augustus der wahre Gründer des Kaiserreiches sei.
Caesars Schatten überwältigte seine Mörder. Sie glaubten, noch in einem Stadtstaat zu leben, in dem die Freiheit von wenigen die Geschichte bestimmte. Aber mindestens seit Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. war diese sozialpolitische Struktur den Verwandlungen im römischen Italien nicht mehr angemessen. Caesar war nicht die Ursache der Destabilisierung der römischen Republik, er beschleunigte sie aber und begann, jene monarchische Lösung zu entwerfen, die sein Adoptivsohn später realisieren sollte. Gewiss, Augustus’ diplomatisches Geschick, seine ausgleichende Bedächtigkeit und sein Maßhalten waren für die Verwirklichung der neuen Ordnung entscheidend und standen im Gegensatz zu Caesars Ungeduld und Radikalismus. Eben Caesars Tod war aber auch ein notwendiger Schritt, bewies er doch, dass die Probleme auch nach dem Verschwinden von Caesars übermächtiger Persönlichkeit bestehen blieben und Instabilität wie innere Zwistigkeiten fortdauerten. Man fügte sich also in den Prinzipat, der nicht die Freiheit von wenigen, sondern den Frieden von allen schützte, wie es schon Caesar vorhatte, wenngleich unter anderen Modalitäten.
Hypothetisch lässt sich fragen, ob sich die Republik hätte reformieren lassen, wenn die Verschwörer einen politischen Plan, einen konstruktiven Vorschlag für die Nach-Caesar-Zeit entworfen hätten, statt sich auf eine so blutige wie unfruchtbare Tat zu beschränken. Doch standen die wirklich schöpferischen Geister auf der anderen Seite. So betrachtet, wird der politische Mord sinnlos, er wird eine Tat von absurder, planloser Gewalt.
Jahrhundertelang war das Andenken der Verschwörer in Vergessenheit geraten oder wurde mit Abscheu betrachtet, während Caesars voll Ehrfurcht gedacht wurde. Sein Name wurde zum Titel des designierten Thronerben (nobilissimus Caesar) und dann, während des germanischen und slawischen Mittelalters, zum Namen der legitimen und von Gott geweihten Macht selbst, Kaiser oder czar. Entsprechend galten seine Mörder als Frevler, die sich gegen Gottes Willen aufgelehnt hatten. Symptomatisch ist das Urteil Dantes, der Brutus und Cassius in zwei der drei Mäuler Luzifers zur ewigen Strafe verdammt, während er Judas das dritte, zentrale Maul zuweist. Die Sünde des Kaisermordes steht nur jener des Gottesmordes nach.
Während der Renaissance stieg Brutus zum Heros republikanischer Freiheit auf, im Kontext ephemerer politischer Erfahrungen wie der florentinischen Republik Machiavellis und Michelangelos (dessen Büste von Brutus man im Nationalmuseum des Bargello in Florenz bewundern kann). Obgleich Revolutionen wie die Englische von 1649 und die Amerikanische von 1776 antimonarchisch waren, unterlagen sie Brutus’ Zauber nicht, vielleicht auch weil Shakespeares Urteil im angelsächsischen Raum zu großes Gewicht hatte.
Erst mit der Aufklärung und dann der Französischen Revolution des Jahres 1789 (die ausgerechnet mit der Veröffentlichung des Bruto secondo von Vittorio Alfieri in Paris zusammenfiel) brandete eine Welle der Freiheitssehnsucht und des neu-heidnischen Klassizismus über Europa. Sie veranlasste eine radikale Neubewertung des Caesarmordes. Der zu beseitigende Caesar war bald Ludwig XVI., dann Napoleon I., schließlich Napoleon III., der nichts unversucht ließ, sich als neuer Caesar darzustellen.
Doch war die Lobpreisung der Mörder so verworren wie unkritisch. Mitte des 19. Jahrhunderts stellte sich eine endlich gereifte Geschichtswissenschaft dank Theodor Mommsen der Aufgabe, die Bedeutung der Iden des März auf das rechte Maß zurückzuführen. Das 20. Jahrhundert hat allmählich von Mommsens einseitig positivem Caesarbild Abstand genommen, während es Cicero (H. Strasburger), die römische Aristokratie insgesamt (R. Syme) oder die Unverletzlichkeit der republikanischen Institutionen rehabilitiert hat (K. M. Girardet, für den sie der heutigen parlamentarischen Demokratie entsprachen), aber gewiss nicht Brutus oder Cassius. Sie gelten als erfolglose Verteidiger des sozialen und politischen Konservativismus, aber auf keinen Fall als Revolutionäre oder gar als Helden der Freiheit. Ihr Mythos ist historischer Forschung zum Opfer gefallen.
Erst die Mitte des 19. Jahrhunderts sah die vielleicht getreueste moderne Nachahmung des alten Caesarmordes: Als J. W. Booth 1865 in einem Theater in Washington mit einem Schuss Abraham Lincoln tötete und „Sic semper tyrannis“ ausrief („So mag es Tyrannen immer ergehen“), dachte er zweifellos ans Beispiel von Brutus und Cassius. Er war ein Besiegter, ein Südstaatler, der sich nach einer sozialen Ordnung sehnte, die mit dem Sezessionskrieg untergegangen war: In Lincoln sah er den autoritären und zentralisierenden Präsidenten eines neuen imperialistischen Amerika, zu dem er sich nicht bekannte. Seine Mordtat gereichte dem Süden in der Nachkriegsordnung nur zum Schaden. Sonst blieb sie völlig folgenlos.
Literatur: J. P. V. D. Balsdon: The Ides of March, Historia 7 (1958), 80 – 94; M. L. Clarke: The Noblest Roman: Marcus Brutus and his Reputation, London 1981; W. Dahlheim: Die Iden des März 44 v. Chr., in: A. Demandt: Das Attentat in der Geschichte, Köln 1996, 39 – 59; D. F. Epstein: Caesar’s Personal Enemies on the Ides of March, Latomus 46 (1987), 566 – 570; R. Etienne: Les Ides de Mars. L’assassinat de César ou de la dictature?, Paris 1973; K. M. Girardet: Politische Verantwortung im Ernstfall. Cicero, die Diktatur und der Diktator Caesar, Festschrift C. W. Müller, Stuttgart 1996, 217 – 251; M. Jehne: Die Ermordung des Diktators Caesar und das Ende der römischen Republik, in: U. Schultz (Hrsg.): Große Verschwörungen, München 1998, 33 – 47 und 256 – 261; P. M. Martin: Tuer César!, Paris 1988; E. Rawson: Cassius and Brutus. The Memory of the Liberators, in: I. S. Moxon, J. D. Smart u. A. J. Woodmann (Hrsg.): Past Perspectives. Studies in Greek and Roman Historical Writing, Cambridge 1986, 101 – 119; W. Schmitthenner: Das Attentat auf Caesar am 15. März 44 v. Chr., Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 13 (1962), 685 – 695; H. Strasburger: Ciceros philosophisches Spätwerk als Aufruf gegen die Herrschaft Caesars, Hildesheim 1990; G. Wylie: The Ides of March and the immovable Icon, in: C. Deroux (Hrsg.): Studies in Latin Literature and Roman History IX, Brüssel 1998, 167 – 185; G. Zecchini: Cesare e il mos maiorum, Stuttgart 2001.