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Philipp II. von Makedonien Aigai, 336 v. Chr.

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Von Burkhard Meißner

Im Jahr 336 v. Chr. fand in der alten makedonischen Königsstadt Aigai ein prachtvolles Fest statt: Kleopatra, die Tochter König Philipps II., heiratete Alexander von Epirus, dem Philipp II. 342 selbst zur Herrschaft über Epirus und den Stamm der Molosser verholfen hatte. Der Brautvater Philipp II. gab für seine Gäste aus ganz Griechenland ein prächtiges Bankett; am Tag nach dem Festmahl zog er mit großem Gefolge zum Theater, wo Wettspiele und Vorführungen stattfinden sollten. Statuen der zwölf maßgeblichen griechischen Götter wurden in dem Festzug mitgeführt, dazu aber auch eine dreizehnte, die Philipp II. selbst zeigte, wie die anderen Götterfiguren auf einem Thron sitzend. Philipp stand nämlich unter Druck, seine Popularität bei den Griechen zu demonstrieren: Sein Angriff auf das unter persischer Herrschaft stehende Kleinasien, sein großer Krieg gegen das persische Reich der Achaimeniden, hatte gerade begonnen, und er musste den Rücken bei den Griechen frei haben. Er warb folglich um deren Unterstützung. Seine Leibwache hielt sich bei Philipps Auftritt daher zurück: Philipp gab sich also sowohl göttergleich als auch volksnah, weil er versuchte, griechische Erwartungen an die Gleichheit der Menschen ebenso zu erfüllen, wie er gleichzeitig orientalische Muster des Gottkönigtums schon übernahm.

Als Philipp, sein Sohn Alexander und sein Schwiegersohn Alexander von Epirus zusammen mit den sie begleitenden Höflingen gerade das Theater betraten und die sie schützenden Speerträger, wie angeordnet, Abstand hielten, stürzte Pausanias, einer der sieben Leibwächter Philipps, auf diesen zu, zückte ein heimlich mitgebrachtes keltisches Kurzschwert und durchbohrte den König. Philipp war sofort tot. Der Attentäter versuchte noch, sich zu seinen für die Flucht bereitgestellten Pferden zu retten, strauchelte jedoch und wurde von Philipps engsten Mitarbeitern getötet – entweder auf der Stelle, wie es die am Hof offiziell verbreitete Version wollte, oder nach einem Gerichtsverfahren zusammen mit anderen Mitverschwörern. Affekttat, Hofintrige, Verschwörung, Familientragödie: Diese vier Elemente verbinden sich in allen widersprüchlichen Versionen über dieses Geschehen, in der auf die offizielle Lesart des makedonischen Hofes zurückgehende Darstellung Diodors wie in der Darstellung der Philippgeschichte des Pompeius Trogus beziehungsweise ihrer Kurzfassung durch Iustinus, der zufolge der Attentäter hingerichtet wurde. Die Hintergründe des Attentates umgibt aufgrund dieser Mischung heterogenster Motive bis heute ein Nebel, weil diese Hintergründe offenbar bereits unmittelbar im Anschluss an die Ereignisse verdunkelt wurden. Zu viele Interessen und Interessenkonflikte galt es nämlich zu berücksichtigen und zu harmonisieren: Da waren die konkurrierenden Frauen Olympias und Kleopatra, da war der zeitweise vom Hof entfernte Thronfolger Alexander, dazu der Attentäter Pausanias, dem ein Teil der Überlieferung zunächst eine homoerotische Beziehung zu Philipp nachsagt und darüber hinaus einen tiefen persönlichen Konflikt mit Philipps Feldherrn seines Vorauskommandos für den geplanten Angriff auf das Perserreich, nämlich Attalos.

Während die Motive und Umstände dieses Mordes daher zunächst undeutlich sind und es nicht einmal klar ist, ob es sich bei der Ermordung Philipps II. von Makedonien überhaupt um einen politischen Mord handelt, sind unmittelbare und mittelbare Folgen dieses Attentates bekannt: Nicht die mit Philipp gerade neu vermählte Frau, Kleopatra, die Nichte des Attalos, des für Philipps Kriegsplanungen so wichtigen Offiziers, gab in der Folge bei Hofe den Ton an, sondern Olympias, die Mutter Alexanders; Philipps junge Frau Kleopatra unterlag in der Konkurrenz gegen Olympias und kam zusammen mit ihrem und Philipps Kind um. Nicht allein Philipps Freunde und Vertraute führten die Operationen gegen das Perserreich schließlich durch; sie wurden vielmehr zunehmend durch Alexanders Männer ersetzt, die Verwandten von Philipps junger Witwe Kleopatra sogar zum großen Teil umgebracht. Nicht Philipp, sondern sein Sohn Alexander eroberte schließlich das Perserreich und gestaltete die ägäische Welt und den Vorderen Orient neu.

Worin aber lagen Ursachen und Voraussetzungen des Mordes an Philipp II. während der Hochzeitsfeier seiner Tochter? Welche Affekte, persönlichen, familiären und politischen Interessen, welche Strukturen und Kausalitäten bündelten sich und führten zu dem blutigen Geschehen auf offener Bühne? Die Tat ereignete sich im zeitlichen und kausalen Schnittpunkt mehrerer Komplexe: Philipp stand vor einer langjährigen Abwesenheit von Griechenland und Makedonien, und mit ihm würde der größte Teil seiner Truppen und seiner Funktionäre auf Jahre hinaus in Asien sein; Philipp musste deshalb seine Dynastie, seine Herrschaft und sein Verhältnis zu Adel und Notabeln der Makedonen neu einstellen. Er hatte zweitens an der Nordfront seiner Stammländer Kriege und Feldzüge geführt und hier doch auch weiterhin zu rechnen mit kriegerischen Stämmen von Thrakern und Illyrern. Philipp hatte drittens seine politischen Allianzen durch Heiratsbündnisse bekräftigt; so wandlungsfähig und widersprüchlich wie seine Parteinahmen waren daher seine familiären Verbindungen; am Vorabend des Perserkrieges war er damit befasst, diese Verhältnisse neu zu stabilisieren. Viertens hatte Philipp auch die Nebenfolgen dieser Neuordnung seiner Familienverhältnisse selbst zu kompensieren.

Philipp hatte 337 v. Chr. zusätzlich zu seiner Frau Olympias, der Schwester Alexanders von Epirus, eine junge adlige Makedonin geheiratet: Kleopatra. Es war Philipps einzige Ehe mit einer Frau aus dem hohen Adel der Makedonen neben sechs Ehen mit Nichtmakedoninnen. Philipp hatte mit Kleopatra ein Kind gezeugt und dadurch die Exklusivität seiner Verbindung mit der Familie der Molosser-Herrscher verringert. Um aber diesen Bedeutungsverlust zu relativieren, verheiratete er seine und der Olympias Tochter mit Alexander von Epirus, um diesen wieder nah mit seiner Familie zu verbinden: Dies war die Absicht der prächtigen Hochzeit, der der König schließlich zum Opfer fiel. Immer hatte Philipp durch seine wechselnden Ehen und eheähnlichen Verhältnisse versucht, das labile Kräftegleichgewicht in Nordgriechenland zu stabilisieren, dadurch aber die Instabilität dieses Kräftegleichgewichtes zum Teil der eigenen Familienstruktur und des Hoflebens gemacht, und so bestanden Konflikte unter den Protagonisten, zwischen denen der König nicht immer wirksam vermitteln konnte: im Kräftefeld zwischen makedonischen Adligen, Thrakern, Illyrern und Griechen. Zur Vorgeschichte von Philipps Ermordung gehört daher die Entwicklung des labilen innerfamiliären und regionalpolitischen Gleichgewichtes, das Philipp aufbaute, um seine außenpolitischen Spielräume zu erweitern; zu dessen Vorgeschichte gehört aber auch der Umgang mit seinen Soldaten und Offizieren, das komplizierte wechselseitige Erwartungsgeflecht, das sich mit Philipps immer komplizierterem familiärem Beziehungsgeflecht verquickte. Viertens gehört zur Geschichte dieses Mordes seine tatsächliche und rechtliche Würdigung, und zu den Rahmenbedingungen für Philipps Ende gehört schließlich die Tatsache, dass Mord und Gewalt die Entscheidungen in der makedonischen Königsfamilie über Nachfolgefragen seit langem charakterisierten. In dieser Reihenfolge werden im Folgenden die Zusammenhänge dargestellt, in denen der Mord Philipps steht, um zu beurteilen: War dieser Mord ein politisches Attentat?

Im offiziellen oder offiziösen Bericht über Philipps Ermordung aus der Sicht des makedonischen Hofes bildete eine Liebesgeschichte den Kern dieser Tat; diese war demnach eine Affekttat: Philipp II. soll nämlich zunächst homoerotische Neigungen Pausanias gegenüber gezeigt, diesen dann aber wegen eines gleichnamigen anderen Mannes fallen gelassen haben; Pausanias soll seinen gleichnamigen Konkurrenten darauf so sehr beleidigt haben, dass dieser in der Schlacht den Tod suchte, allerdings nicht ohne Attalos, Philipps Feldherrn, zuvor von dem Konflikt zu berichten. Attalos wiederum sorgte für die Rache an Pausanias, indem er diesen betrunken machte und seinen Stallburschen zur sexuellen Misshandlung überantwortete. Pausanias wiederum soll daraufhin vom König die Bestrafung des Attalos verlangt haben. Dieser aber förderte und beschenkte seinen Leibgardisten Pausanias zwar, eine Bestrafung des Attalos aber unterließ er: Attalos war ja ein Onkel von Philipps neuer Ehefrau Kleopatra, und Attalos wurde – fähiger Militär, der er war – als Militärführer gebraucht, zur Kriegführung nach Kleinasien abkommandiert und damit zugleich als Konfliktpotential vom Hof entfernt. Pausanias habe daher, so fährt die Darstellung fort, massiven Zorn gegen Attalos selbst gehegt, aber auch gegenüber Philipp; Pausanias’ Lehrer, der Philosoph Hermokrates, habe ihn in seinem Rechtsgefühl noch bestärkt, indem er dem Mörder eines Prominenten selbst Prominenz vorausgesagt habe.

Derjenigen Version der Erzählung zufolge, die Justin wiedergibt, haben nicht nur Attalos’ Stallburschen, sondern auch dieser selbst den Attentäter vergewaltigt. Der Zorn nicht nur auf den Übeltäter, sondern auch gegen den Herrscher selbst, der Ablauf des Ereignisses – all dies passt auch zu der bei Diodor gegebenen Version. Unterschiedlich behandeln beide Versionen jedoch Motive und Schicksal des Attentäters: In der Version Justins ist es die von Philipp verstoßene Olympias, die den Mord angestiftet habe, im Einvernehmen mit ihrem Sohn Alexander, der um sein Erbe gefürchtet habe. Als Indizien für die Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Alexander und Olympias einerseits, Philipp andererseits werden angeführt: der Streit zwischen Philipp und Alexander, die Entfernung Alexanders und der Olympias vom Hof sowie die Behauptung, die Hochzeit zwischen Alexander von Epirus und Kleopatra habe gerade noch einen Krieg verhindern können, den Alexander von Epirus auf Veranlassung seiner Schwester Olympias gegen Philipp habe beginnen wollen. Creditum est beziehungsweise creduntur heißt es in dem Bericht: Die Erzählung referiert also diese Version der Motive und Umstände der Tat als Meinung Dritter. Als sicher aber behandelt sie ein weiteres Indiz: Die Pferde für die Flucht des Attentäters habe Olympias gestellt, und sie habe nach ihrer Rückkehr an den Hof den hingerichteten Attentäter geehrt und bestattet. Die Ausmalung von Olympias’ Pietät gegenüber dem Mörder ihres Mannes folgt dabei aber römischen Vorstellungen und setzt voraus, der Täter sei nach römischer Art durch Kreuzigung hingerichtet worden. Auch Olympias’ Druck auf Philipps neue Frau Kleopatra, Selbstmord zu begehen, und der Mord deren Tochter sollen belegen, dass Olympias es war, die ihren ehemaligen Gatten hatte umbringen lassen.

Beide Versionen enthalten topische Züge, die auf die unterschiedlichen Umstände der Ausschmückung der Erzählung hinweisen: Die Vorstellung einer Kreuzigung verweist zeitlich auf das Römische Reich; die Idee andererseits, ein Hofintellektueller habe den Attentäter angestiftet, hat eine Parallele in der Geschichte von der „Pagenverschwörung“ unter Alexander (327 v. Chr.). Der Ablauf des Attentats an Philipp selbst wiederum wird in beiden Versionen ähnlich erzählt; die Unterschiede zwischen den Erzählungen liegen in der Darstellung der Hintermänner, der Motive, der rechtlichen und politischen Folgen und damit zugleich in der Bewertung des Geschehens: Im Zentrum der Auseinandersetzung um den Mord an Philipp stand die Frage, inwiefern Olympias und Alexander in das Komplott involviert waren.

Dass die Rolle von Olympias und Alexander zum Gegenstand einer solchen literarisch-propagandistischen Auseinandersetzung werden konnte, hatte damit zu tun, dass Philipp, wie zahlreiche makedonische Herrscher und Adlige, mit mehreren mächtigen Häusern Makedoniens und seiner Nachbarschaft in familiäre Beziehungen getreten war. Durch solche Verbindungen räumten sich die großen Familien jeweils wechselseitige Erbchancen ein, je nach Lage und Bedarf gestuft in eheliche, legitime und außereheliche Verbindungen. Allemal aber ging es darum, Herrschaft und Eigentum zu sichern, zu arrondieren und Bündnisse zu schmieden.

Einer der Gründe für die besondere Flexibilität gerade Philipps II. beim Eingehen und Beenden solcher bisweilen kurzzeitigen Ehen und außerehelichen Verhältnisse lag in seiner prekären Stellung. Philipp II. hatte nämlich innerhalb der königlichen Familie wie nach außen, als Machtpolitiker, ein labiles Gleichgewicht zu wahren, schon weil die Legitimität seiner Herrschaft selbst nicht über alle Zweifel erhaben war, denn Philipp war nach dem Tod von Perdikkas II. für dessen minderjährigen Sohn Amyntas, Philipps Neffen, zunächst nur Regent geworden, hatte dann aber Amyntas immer mehr an die Seite gedrängt und schließlich selbst den Königstitel angenommen. Philipp tat dies, nachdem er gegen die Illyrer, in Thrakien und an der Küste Makedoniens Krieg geführt hatte, immer mit dem Ziel, ein geschlossenes Herrschaftsgebiet mit einem Zugang zum Meer und mit den Voraussetzungen einer sich entwickelnden Urbanität zusammenzubringen.

Olympias war von Philipp nicht zuletzt deswegen 356 v. Chr. geheiratet worden, um in der Familie der Molosserfürsten von Epirus, der sie entstammte, einen Verbündeten zu besitzen und Einfluss auf ihr Gebiet zu nehmen; König Arybbas wiederum erhoffte sich von dem Bündnis eine Stabilisierung seiner Position. Derartige Heiratsverbindungen boten in der Regel also beiden Seiten Vorteile, entfalteten aber oft eine destabilisierende Dynamik: Philipp beispielsweise hatte sich die von den Molossern kontrollierte Landschaft Orestis unterworfen, die Molosser Mitte des 4. Jahrhunderts in seine Abhängigkeit gebracht und schließlich 342 v. Chr. den molossischen König Arybbas durch seinen Neffen, Olympias’ Bruder Alexander, ersetzt. Der Erfolg von Philipps Expansion in den Westen Nordgriechenlands hing daher ebenso wie die Herrschaft der dortigen lokalen Elite direkt ab von der Stabilität des fragilen familiären Netzwerkes, das Philipp geknüpft hatte. Arybbas z. B. hatte nach seiner Absetzung sogleich in den Athenern Verbündete gefunden, die seine Herrschafts- und Besitzansprüche anerkannten und so ein zusätzliches Konfliktpotential darstellten.

Dass Philipp seine Ehen und eheähnlichen Verbindungen sowie den aus ihnen erwachsenden Nachwuchs als Mittel der politischen und diplomatischen Auseinandersetzung einsetzte, fiel schon Athenaeus auf, einem Buntschriftsteller der römischen Kaiserzeit: „Philipp heiratete immer im Zusammenhang eines Krieges.“ Athenaeus zählt dann die Verbindungen Philipps auf, wie sie der hellenistische Biograph Satyros zusammengestellt hat: Demnach heiratete Philipp beziehungsweise hatte er Kinder mit der Illyrerin Audata, mit der elymiotischen Prinzessin Phila, mit zwei Thessalierinnen aus den Landeszentren Pherai und Larisa namens Nikesipolis und Philinna, mit Olympias, mit der Thrakerprinzessin Meda und schließlich mit der makedonischen Adligen Kleopatra. Das Motiv Philipps für alle diese Verbindungen dürfte dasselbe gewesen sein, das Satyros seiner Ehe mit Olympias zuschreibt, „durch diese Heirat das molossische Königtum auf seine Seite“ zu bringen. Philipps Ehe mit Kleopatra stellte dieser Biograph dagegen als eine Ausnahme dar: Persönliche Liebe, nicht politisch-ökonomisches Kalkül habe seine Verbindung mit der jungen Adligen bestimmt; für Athenaeus, den kaiserzeitlichen Literaten über Luxus, Feste und Gelage, ist Philipp ohnehin nur ein Frauenheld. Tatsächlich aber gehört auch Philipps Verbindung mit der jungen adligen Makedonin Kleopatra in den Zusammenhang seiner Bemühungen, durch Familienbande und Nachwuchs Verpflichtungsnetze zu knüpfen, um politische Absichten, Herrschafts- und Besitzansprüche durchzusetzen. Diesen Zweck seiner neuerlichen Eheschließung deutet nämlich eine Anekdote an, die auch Satyros überliefert: Attalos, Onkel der jungen Kleopatra, soll Alexander gegenüber, Philipps Sohn von Olympias, betont haben, dass von Philipp und Kleopatra nunmehr legitimer königlicher Nachwuchs zu erwarten sei; Alexander erregte sich in der allgemeinen Trunkenheit des Hochzeitsfestes, auf dem diese Bemerkung fiel, darüber, als Bastard zu gelten, und er bewarf Attalos mit seinem Trinkgefäß. Die Hochzeit und den Angriff des makedonischen Adligen auf die Legitimität Alexanders als Nachfolger Philipps macht diese Geschichte zur Ursache dafür, dass Olympias und Alexander, jeweils mit einer entsprechenden Anhängerschaft, den Hof Philipps verließen und ins heimatliche Epirus beziehungsweise ins benachbarte Illyrien ins Exil gingen. Die Anekdote zeigt, wie sehr die Geltungsansprüche des makedonischen Hochadels einerseits und von Philipps Klientelfürsten andererseits am Vorabend des Krieges gegen Persien miteinander in Konflikt geraten konnten. Philipp bedurfte für diesen Krieg nämlich sowohl der griechischen Bundesgenossen als auch seiner illyrischen und epirotischen Nachbarn, vor allem aber des makedonischen Adels; er brauchte dessen Mobilisierungspotential und Loyalität, und daher wuchs das Gewicht des makedonischen Hochadels am Vorabend des Krieges. Um andererseits eine große, stabile Koalition griechischer Staaten und schlagkräftige griechische Soldtruppen unter seinem Kommando versammeln zu können, musste Philipp Distanz zu den Barbaren des Nordens wahren – und doch für Ruhe an dieser Front sorgen: Er hatte also ein labiles System gegensätzlichster Beziehungen und potentieller Gefahren auszutarieren. Diesem Zweck diente die Heirat mit Kleopatra, aber auch die Verheiratung der eigenen Tochter mit Alexander von Epirus, dessen Familie auf diese Weise entschädigt wurde für den Verlust der Exklusivität ihrer Verbindung mit Philipp; zugleich gewann Philipp Einfluss auf die Verhältnisse innerhalb der molossischen Herrscherfamilie.

Andererseits führte Philipps politische Polygamie dazu, dass sich äußere Konflikte innerhalb der Hofgesellschaft und in der Herrscherfamilie reproduzierten, und diese Verschränkung des Politischen und des Familiären kulminierte in Philipps letzten Jahren, weil seine Kriegs- und Expansionspläne ihn abhängig machten von der Kooperation der Griechen, der Loyalität des makedonischen Adels und der Stabilität auf dem Balkan.

Alexander wurde von Philipp aus seinem Exil in Illyrien zurückgerufen, um die Reiterei auf dem Kriegszug gegen Persien zu kommandieren, aber auch, um Alexander unter Kontrolle zu halten; zu diesem Zweck waren die prominentesten Jung-Makedonen aus Alexanders Umgebung vom Hof verbannt worden. Alexander seinerseits dürfte daran interessiert gewesen sein, sich beim Heer aufzuhalten, dem entscheidenden Königsmacher in Makedonien, um seine Chance auf eine Thronfolge zu wahren. Von allen Söhnen Philipps war ohnehin nur Alexander regierungsfähig, denn Arrhidaios, Sohn der Thessalerin Philinna, war geistig behindert. Dass Philipp sich zusammen mit seinem Thronfolger den Risiken eines Feldzugs ausgesetzt hätte, hätte die Kontinuität des makedonischen Königtums daher erheblich gefährden können.

Obwohl Philipp zu Lebzeiten Alexander entsprechend als seinen Nachfolger designiert hatte, war die Lage nach der Ermordung Philipps dennoch gespannt: Bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen und Aufstände in Griechenland lagen in der Luft. Antipatros, der Fürst Alexander aus der Lynkestis und Alexander der Große selbst sowie dessen Gefolge mussten bewaffnet und gepanzert vor den im Theater versammelten makedonischen Soldaten und Notabeln Alexanders Thronfolge propagieren, damit diese Alexander zum König wählten.

Eine seiner ersten Maßnahmen war es, die Umstände des Mordes an Philipp untersuchen zu lassen: Obwohl der Mörder mehrere Fluchtpferde, möglicherweise für weitere Komplizen, vorbereitet hatte, wird sich diese Untersuchung auf den Einzeltäter und seine persönlichen Motive konzentriert haben, wie sie der mit den Verhältnissen am Hof vertraute Aristoteles darstellt: eine Konfliktgeschichte aus homoerotischer Eifersucht und verletzter Ehre, in der sich der von Attalos und seinen Dienstleuten vergewaltigte Pausanias vom König zurückgesetzt und in seinen Rechtsansprüchen verletzt sah. Gerade wenn es eine weit reichende Verschwörung gegen Philipps Leben gab, mussten Hof und Herrscher in der labilen Übergangssituation ein Interesse daran haben, dies durch die offenkundig persönlichen Motive des Pausanias zu verdecken.

So folgte der Untersuchung ein Gerichtsverfahren, in dem aber zwei entfernte Verwandte des Königs, zwei Söhne des Aëropos aus der immer ihre Eigenständigkeit verteidigenden obermakedonischen Landschaft Lynkestis, zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Der nahe liegende Verdacht, Olympias oder Alexander seien in den Mord verwickelt, spielte dagegen keine Rolle. Dies kam den Beteiligten so sehr zugute wie die Verurteilung der schärfsten Konkurrenten um Alexanders Thronanspruch, der Lenkesten Heromenes und Arrhabaios; nur deren Bruder Alexandros, der sich früh für Alexanders Thronfolge eingesetzt hatte und mit einer Tochter des Antipatros verheiratet war, kam mit dem Leben davon. Amyntas IV., den von Philipp verdrängten Thronfolger, ließ Alexander ebenso hinrichten wie schließlich Attalos: Die Verratsprozesse nach dem Mord an Philipp, in denen Alexander ernsthafte Thronkonkurrenten eliminierte, scheinen so teilweise der offiziellen Version über die Beteilung an dem Attentat zu widersprechen.

Dass man eine Verschwörung unter Einschluss möglicherweise auch auswärtiger Akteure etwa aus Athen, einen politischen Zweck, eine dynastische Auseinandersetzung oder eine Hofintrige hinter dem Mord vermuten konnte, liegt daran, dass die Geschichte der makedonischen Herrscherdynastie nicht eben arm ist an dynastischem Streit, gewalttätigen Auseinandersetzungen und Morden, in denen sich persönliche, ökonomische und politische Motive verquickten, denn die Makedonen-Herrscher sicherten schon in der Zeit vor Philipp ihre Herrschaft durch eine Mischung aus Polygamie, Drohungen und Gewalt auch innerhalb der eigenen Familie. Politische Ehen, Vielehen, eine Vielzahl konkurrierender Prinzen und Familienzweige: All dies verhinderte, dass ein dynastisches Erbfolgeprinzip sich fest etablierte, und bewirkte, dass das Auswahlrecht der Heeresversammlung in der Nachfolgefrage wirksam werden konnte. Die Geschichte der makedonischen Dynastie im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. ist darum auch eine Geschichte heftiger, komplexer, oft gewalttätiger dynastischer Auseinandersetzungen. Einige Beispiele aus dieser Geschichte zeigen, wie etabliert der Mord in der Königsfamilie als Mittel einer – immerhin familieninternen – Nachfolgeregelung war.

Als man nämlich 452 v. Chr. drei der fünf Söhne Alexanders I. zu dessen Nachfolgern wählte, führte dies zu Rangstreitigkeiten und schließlich zur Wahl des Perdikkas II. zum Alleinherrscher; Perdikkas und sein Bruder Philipp beziehungsweise dessen Erben kämpften jedoch weiter um die Macht und versicherten sich dafür sogar auswärtiger Unterstützung. Nach 413 v. Chr. setzte sich Archelaos als Herrscher durch: Er ermordete dafür seinen Onkel, dessen Sohn und einen minderjährigen Halbbruder, wurde jedoch selbst 399 v. Chr. im Zuge einer Palastintrige getötet. Eine besondere Rolle spielten bei den raschen Herrscherwechseln auch der folgenden Jahre das Corps junger adliger Dienstleute am Hof, ihre homoerotischen Beziehungen zu Mitgliedern der königlichen Familie und die sich daraus ergebenden Konflikte sowie die Konkurrenz zweier Hauptlinien der Dynastie: Aëropos regierte als Vormund des Orestes, den er umbrachte, um selbst zu herrschen; Amyntas II. wurde in einer dubiosen Hofintrige ermordet, Pausanias vergiftet. Den Nachfolger des Amyntas III., Alexander, ermordete man 368 / 367 v. Chr. Sein Bruder Ptolemaios regierte für den noch minderjährigen Bruder Perdikkas; gegen beide führte ihr entfernterer Verwandter Pausanias Krieg um die Herrschaft; Ptolemaios wurde dann aber von Perdikkas III. selbst 365 v. Chr. beseitigt. Sein Bruder Philipp II. regierte dann an Stelle von Perdikkas’ minderjährigem Sohn Amyntas IV.; zur Sicherung seiner Herrschaft tötete Philipp seinen Halbbruder Archelaos und verdrängte schließlich auch Amyntas IV. aus der Herrschaft. Diesen ließ Alexander der Große schließlich nach Philipps Tod als Konkurrenten mit den legitimsten Thronansprüchen ebenso umbringen wie den eigenen Stiefbruder Karanos. Sterben mussten außerdem Kleopatra, ihre Tochter Europe und ihr Onkel Attalos. Nach Alexanders des Großen Tod ging das Morden in der makedonischen Dynastie weiter.

Der Mord an Philipp ist alles andere als ein politisches Attentat, betrachtet man die Motive des Attentäters: Rache für eine ungesühnte Ehrverletzung, nicht ein politischer Zweck oder ideologische Erwartungen. Die Folgen dieses Attentates aber ordnen es der Klasse politischer Morde zu: Das Personaltableau für den Krieg gegen das Perserreich, dessen Größenordnung und die neue Struktur der orientalisch-griechisch-makedonischen Herrschaft Alexanders waren anderer Art als sie es unter Philipp gewesen wären. Vor allem aber machen seine Umstände diesen Mord zu einer politischen Tat: Tötung war ein verbreitetes Mittel dynastischer Auseinandersetzung in Makedonien, Mord ein Strukturmerkmal der Königssippe. Wenn aber Zwistigkeiten zwischen konkurrierenden Mitgliedern der Herrscherfamilie regelmäßig zu Gewalt und Mord führten, dann lag der Umkehrschluss nahe: Für einen Königsmord muss ein Streit innerhalb der Dynastie oder des Adels die Ursache bilden. Historische Überlieferung und politische Propaganda haben diesen Schluss aus Philipps Tod teilweise gezogen, und sie belegen damit: Einen unpolitischen, das heißt für Adel, Heer und Bevölkerung der Makedonen sowie die griechischen Stadt- und Flächenstaaten bedeutungslosen Königsmord konnte es in Makedonien in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts nicht mehr geben.

Alexanders Tod in Babylon 323 v. Chr. wurde zum Anlass für noch viel weitreichendere Spekulationen als der seines Vaters: über dessen Ursachen, die Verantwortlichen, die letzten Pläne Alexanders; eine blühende Alexanderliteratur gab diesen Spekulationen breiten Raum, weil der Tod eines makedonischen Königs in der griechischen Welt bereits als solcher zum Politikum geworden war. Unpolitisch war der Tod des Herrschers aber deswegen nicht mehr, weil Leben und Politik in der griechischen Welt nunmehr monarchisch geprägt waren.

Für den Prozess der zunehmenden Monarchisierung der Politik und der Monarchie-Zentrierung der politischen Kultur in Griechenland aber ist schon der Mord an Philipp II. im Jahre 336 v. Chr. ein Epochendatum; dass nämlich höfische Ehrhändel in Makedonien Phantasie und literarische Ausschmückung in der griechischen Welt provozierten, belegt, wie sehr diese Welt bereits monarchisch bestimmt war. Kaum ein anderes Ereignis markiert daher den Beginn des hellenistischen Zeitalters der Monarchien deutlicher als die Tötung Philipps II. Der Mord an ihm musste daher ein politischer sein, obwohl den Täter ganz persönliche Motive leiteten.

Literatur: G. L. Cawkwell: Philip of Macedon, London/Boston 1978; J.-N. Corvisier: Philippe II. de Macédoine, Paris 2002; M. Errington: Geschichte Makedoniens. Von den Anfängen bis zum Untergang des Königreiches, München 1986; N. G. L. Hammond: Philip of Macedon, Baltimore 1994.

Politische Morde

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