Читать книгу Politische Morde - Группа авторов - Страница 13

Caligula Rom, 24. Januar 41 n. Chr.

Оглавление

Von Tobias Arand

Caligula gilt in der römischen Historiographie der Kaiserzeit als ein besonderer Ausbund an imperialer Schlechtigkeit. Auch vielen neuzeitlichen Historikern galt seine Herrschaft als Paradebeispiel einer vom ‘Cäsarenwahn’ gezeichneten Regierung. Das jedoch, was wir über den Tod Caligulas zu wissen glauben, entnehmen wir hauptsächlich antiken, mitnichten immer glaubwürdigen Schriftstellern. Eine Darstellung des Todes des Caligula kann daher nicht ohne grundsätzliches Nachdenken über die Absichten und Hintergründe der Autoren und die zeitliche Entwicklung der historischen Narration ‘Caligulas Ende’ auskommen.

Anders als über Caligulas Sterben geben über sein Leben auch andere Quellen, die Archäologie, Münzen und Inschriften, Auskunft.

Die Situation des Prinzipats war zu Caligulas Amtsantritt im Jahre 37 durchaus kritisch. Begründet hatte ihn einst der Urgroßvater des Caligula, Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.), der so vollendete, was ähnlich bereits Iulius Caesar (100 v. Chr.–44 v. Chr.) angestrebt hatte (vgl. Beitrag Zecchini): die Umwandlung der Republik in eine faktische Monarchie unter lediglich symbolischer Beibehaltung der alten republikanischen Institutionen. Der Nachfolger des Augustus, sein Adoptivsohn Tiberius (42 v. Chr.– 37 n. Chr.), hatte die vorher mühsam erarbeitete Akzeptanz dieser Institution durch eine häufig unpopuläre Politik gefährdet. Insbesondere den seit Augustus fast vollständig entmachteten Senat, in dem alteingesessene Aristokraten und wohlhabende Ritter zwar die Farce eines politischen Gremiums ohne wirkliche politische Entscheidungsgewalt aufführten, in dem zugleich aber auch die wirtschaftliche Elite zusammenkam, hatte sich Tiberius, der ‘traurige Kaiser’, zum Feind gemacht. Auf Caligula, der seinem Großonkel Tiberius auf dem Thron folgte, ruhten somit die Hoffnungen des für kaiserliche Eskapaden bei aller Machtlosigkeit sensibilisierten Senats.

Geboren wurde Caligula im Jahre 12 unter dem Namen Gaius Iulius Caesar Germanicus in Antium. Seine Eltern waren Germanicus, ein Großneffe des Augustus, und die ältere Agrippina, eine Enkelin des Kaisers. Da Germanicus Befehlshaber der römischen Legionen am Rhein war, verbrachte Caligula seine Kindheit hauptsächlich in Militärlagern. Dort erhielt er auch seinen Spitznamen Caligula – ‘Soldatenstiefelchen’.

Seine Thronbesteigung am 18. März 37 verdankte Caligula dem Umstand, dass Tiberius keinen eigenen leiblichen Nachfolger hinterließ, andere geeignet erscheinende Kandidaten der Dynastie zuvor gestorben waren und sich vermutlich der Prätorianerpräfekt Macro bereits zuvor beim Kaiser für Caligula eingesetzt hatte. Zuvor hatte Caligula längere Zeit am Hofe des Kaisers auf Capri verbracht. Mit List und Glück hatte er dort auch die Anfeindungen der Getreuen des Tiberius überstanden, die im jungen Caligula nur einen lästigen Konkurrenten sahen.

Die antiken Schriftsteller zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Bild des Herrschers Caligula. Er gilt ihnen als brutal, unfähig und verrückt. Das Bild des ‘wahnsinnigen Kaisers’, das diese Autoren zeichnen, gilt einer jüngst erschienenen Biographie jedoch als „Erfindung“ (Winterling 2003). Caligulas Herrschaft war vermutlich weder schwarz noch weiß, die Triebfedern seines Handelns keineswegs nur, wie von den Quellen unterstellt, irrational.

Die Bevölkerung soll Caligulas Regierungsantritt begeistert aufgenommen haben. Auch gegenüber der Aristokratie verhielt sich der junge Kaiser anfangs so, dass es offensichtlich keinen weiteren Grund zur Klage gab. Die römischen Historiographen machen hierfür vor allem den Einfluss seiner Berater verantwortlich. Offensichtlich eiferte Caligula in seinen Herrschaftspraktiken Augustus nach. Er erwies den alten republikanischen Einrichtungen die angestammten Ehren und gab sich ‘bürgerlich bescheiden’, ließ aber an seiner faktischen Alleinherrschaft intern keine Zweifel aufkommen. Da sich der Senat mit seiner faktischen Machtlosigkeit durchaus so lange anzufreunden verstand, wie Ehrenrechte, Leben und Geschäfte seiner Mitglieder nicht gefährdet waren, sich der Prinzeps nicht unverblümt als Alleinherrscher gerierte und er die unterwürfigen Schmeicheleien seiner Senatoren als hierarchisch-ritualisierte Kommunikation nicht allzu ernst nahm, hätte diese Konstellation eine aus Sicht der Machteliten akzeptable Kaiserherrschaft begründen können.

Doch dann erkrankte Caligula im Oktober 37 lebensgefährlich. Welcher Art die Krankheit war, ist unklar. Die antiken Autoren sehen hier den Auslöser des vermeintlichen Cäsarenwahns. Während der Krankheit Caligulas hatte sich Macro bereits um einen potentiellen Nachfolger gekümmert – eine Tat, die der überraschend wiedergenesene Kaiser nicht ganz ohne Grund als Verrat empfand. Er soll Macro und seinen ehemaligen Schwiegervater, den Exkonsul Silanus, in den Selbstmord getrieben haben. Eine weitere Anzahl angeblicher oder tatsächlicher Verschwörer wurde hingerichtet. Caligula handelte im Sinn des Machterhalts, nicht irrational, allenfalls skrupellos.

Zur Ablenkung von den blutigen Ereignissen traf Caligula einige populäre und vernünftige politische Entscheidungen. Er reformierte das überlastete Gerichtswesen, bezog den Senat stärker in die Kontrolle der Finanz- und Militärverwaltung des Reiches ein, entließ unwürdige Ritter aus ihren Ämtern und entlastete schließlich durch Steuersenkungen die Einkommen der unteren Schichten. Auch die Infrastruktur und Sicherheit des Reiches lagen Caligula am Herzen. So bereiste er selbst Provinzen, um sich ein Bild von den jeweiligen Zuständen vor Ort zu machen. Er ließ Häfen und Wasserleitungen bauen.

Wiewohl seine Entscheidungen vernünftig waren und dem Senat keineswegs schadeten, offenbarten sie doch die faktische Autokratie. Auch im persönlichen Auftreten war Caligula seit seiner Krankheit vom maßvollen Stil des Augustus abgerückt. Er bevorzugte nun den üppigen Luxus eines wahren Monarchen und provozierte so vielleicht im Jahr 39 eine weitere Verschwörung unter Beteiligung hochrangiger Senatoren. Die Verschwörer wurden vor Gericht gestellt und verurteilt,

Dass Caligula nach zwei Verschwörungen gegen ihn mißtrauisch wurde und eine zunehmende Aversion gegen die so unterwürfigen wie illoyalen Senatoren hegte, kann kaum überraschen. Mit einer Rede, die Caligula als Reaktion auf die Verschwörung im Senat hielt, verscherzte er sich die Sympathien der Senatoren endgültig. Er rügte das heuchlerische Gebaren der Senatoren, mit denen sie nur ihre Machtlosigkeit verdecken wollten. Die Senatoren empfanden die Offenheit des Kaisers als Affront und Verletzung der kommunikativen Spielregeln – und zettelten die nächste Verschwörung an, die ihrerseits aufflog.

Als Konsequenz ging Caligula dazu über, ohne weitere Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten der Senatsaristokratie seine kaiserliche Rolle neu zu interpretieren (seit 40 n. Chr.). Offen ließ er sich nun wie ein hellenistischer König behandeln. Er erniedrigte und bedrohte systematisch die Senatoren. Die Bezeichnung ‘Gott’ hielt er nun für die einzig angemessene – möglicherweise, um so abermals die senatorische Servilität zu verspotten. Nach Auskunft der Quellen plagte den Kaiser Argwohn auch gegen seine engsten Helfer. Er habe die Absicht gehegt, sie fallen zu lassen, Rom zu verlassen und künftig von Alexandria aus zu herrschen. In dieser Situation fiel der Kaiser einem Mordanschlag zum Opfer.

Der den Ereignissen zeitlich nächste und umfangreichste Bericht zum Tod des Caligula stammt aus der Feder des jüdischen Historikers Flavius Josephus (37 / 38–nach 100). Josephus war Günstling des Kaisers Vespasian, der seine Macht in einem blutigen Bürgerkrieg nach der Ermordung des letzten julisch-claudischen Herrschers Nero errungen hatte. Objektivität gegen die Vorgänger Vespasians darf von Josephus also nicht unbedingt erwartet werden. In seinen Jüdischen Altertümern (nach 93 / 94) behandelt Josephus en passant auch die Geschichte der römischen Kaiser bis Claudius, dem Nachfolger Caligulas. Sein Caligula gerät ihm zu einem wahnsinnigen, perversen, religiös okkulten und grausamen Despoten.

Das Ende Caligulas und die Gründe für die Verschwörung schildert er ausführlich. Er beginnt mit der Feststellung, dass die erfolglosen Verschwörungen gegen den Kaisers stets „von den edelsten Männern ausgegangen“ seien. Nun habe aber ein gewisser Cassius Chaerea, Prätorianertribun und enger Vertrauter des Caligula, beschlossen, den Kaiser „aus dem Weg zu schaffen und die Menschheit von einem solchen Ungeheuer zu befreien“. Da Chaerea, den Caligula zum Eintreiber der drückenden Steuern ernannt hatte, gegen die Steuerpflichtigen „seinem eigenen Herzen mehr als den kaiserlichen Befehlen“ gehorcht habe, soll ihn der Kaiser häufig als ‘Weib’ beschimpft und bei den anderen Tribunen lächerlich gemacht haben. Diese Kränkungen habe Chaerea durch einen Mord sühnen wollen. Habe sich Chaerea aber zuvor noch nicht zum Mordanschlag durchringen können, sei nun ein weiteres Ereignis ausschlaggebend gewesen. Caligula habe ihn zum Beweis seiner Männlichkeit dazu gezwungen, eine Frau derart grausam zu foltern, dass selbst dem Kaiser vor Mitleid die Tränen gekommen seien. Nun habe sich Chaerea in Angst vor der Grausamkeit des Kaisers, vor möglichen Strafen und von schlechtem Gewissen geplagt, mit einer Freiheitsrede im altrömischen Stil an einige Kameraden gewandt: „Obgleich es bei uns stände, solchem Unrecht gegen Bürger und Untertanen ein Ende zu machen, sind wir überall zu Willen, lassen uns statt als Soldaten als Henker gebrauchen, führen unsere Waffen nicht für die Freiheit und das Vaterland, sondern für einen Menschen, der die Römer an Leib und Seele knechtet, und beflecken uns täglich mit dem Blut derjenigen, die wir töten oder foltern, bis wir auf sein Geheiß von anderen ebenso behandelt werden.“ Sodann schildert Josephus, wie sich der unfreiwillige Folterknecht Chaerea in Militärkreisen, aber auch in hohen Senatskreisen Mitverschwörer gesucht habe und es kaum abwarten konnte, den Kaiser für die Freiheit zu töten und sich selbst von seiner Schuld zu reinigen. Seine zögernden Mitverschwörer habe der Tyrannenmörder zur Eile treiben müssen, wobei ihm insbesondere die bevorstehende Abfahrt Caligulas nach Alexandria als hilfreiches Argument gedient habe. Schließlich habe man beschlossen, Caligula nach dem Ende einer Theateraufführung auf dem Palatin zu ermorden.

Der Anschlag verläuft in der Version des Josephus dramatisch. Weil Caligula länger im Theater geblieben sei als geplant, seien die Verschwörer, die auf verabredeten Plätzen längs des erwarteten Rückwegs des Kaisers zu seinem Palast gewartet haben sollen, nervös geworden. Schließlich aber sei der Kaiser gekommen und auf dem Weg ins Bad mit Chaerea zusammengestoßen, der ihn um eine Beglaubigung bat: „Er erhielt wieder ein beschimpfendes Aktenstück, und nun stieß er wilde Flüche gegen den Kaiser aus, riss das Schwert aus der Scheide und brachte ihm eine tiefe, aber nicht tödliche Wunde bei. Man sagt, Chaerea habe absichtlich vermieden, ihn zu töten, um ihn nicht sogleich aus dem Leben zu schaffen, sondern ihn durch langsames Hinschlachten desto mehr zu quälen. […] Gaius [Caligula] nun, der von furchtbarem Schmerz zerrissen war – das Schwert war zwischen Schulter und Hals eingedrungen und hier vom Schlüsselbein aufgehalten worden –, schrie in seiner Bestürzung weder auf noch rief er seine Freunde zu Hilfe, sei es, weil er niemanden traute oder weil er nicht daran dachte. Nur einmal stöhnte er vor ungeheurem Schmerz auf und versuchte dann zu fliehen. In demselben Augenblicke traf er jedoch auf Cornelius Sabinus, der schon darauf vorbereitet war und ihn auf die Knie zwang. Nun drang man von allen Seiten mit Schwertern auf ihn ein […].“ Die Verschwörer fliehen in Panik aus dem Palast, bedroht von den germanischen Leibwächtern des Kaisers, die jeden, den sie für einen Attentäter halten, niedermetzeln. Die stadtrömische plebs, bei der Caligula noch immer populär war, sollen die Senatoren und Verschwörer mit dem stets beliebten Versprechen rascher Steuererleichterungen beruhigt haben.

Den Senatoren und Verschwörern unterstellt Josephus, nicht ohne Kritik, „größte Zuversicht und Kühnheit“. Die Früchte der Mordtat hätten sie leichtfertig verspielt, die Handlungshoheit anderen überlassen: Die Prätorianer, die sich von einem durch die Senatoren bestimmten Kaiser nichts Gutes erhoffen konnten, appellierten an Claudius, den Onkel des Caligula, die Nachfolge des Ermordeten anzutreten. Nach einigem Zögern habe sich der Gebetene bereit erklärt und sei dann von den Prätorianern zum Kaiser ausgerufen worden. Der Senat, der seine Chance durch seine Zögerlichkeit vertan hatte, habe unter dem Druck der Umstände zustimmen müssen. Chaerea, dessen „Überlegung, Entschiedenheit und Tapferkeit“ Josephus lobt, soll Claudius mit einigen anderen untergeordneten Verschwörern zum Tode verurteilt haben. Die Leiche des entstellten Kaisers habe schließlich der jüdische König Agrippa, ein Vertrauter des Kaisers, geborgen, auf ein Bett gelegt und dort notdürftig bedeckt.

Seine eigene Sicht der Ereignisse verhehlt Josephus nicht: „War doch nun zu ersehen, dass ein Tyrann durch die Lust an willkürlicher Grausamkeit sich wohl eine kurze Frist sättigen, aber kein glückliches Dasein erreichen kann, weil er durch den Haß aller Gutgesinnten zuletzt doch ein solches Schicksal findet […].“

Josephus’ Schilderung ist literarisch und rhetorisch geprägt, mit ausschmückenden Details, wie den in den Handlungsstrang eingeflochtenen Reden, angereichert und in ihrer Perspektive einseitig, parteiisch und möglicherweise durch den eigenen sozialen Status bestimmt. Sein Caligula ist ein Zerrbild. Die Darstellung ist obendrein in sich widersprüchlich und trägt einen deutlich moralisierenden Unterton. Wie viele andere schlechte Kaiser, von denen die römischen Geschichtsschreiber berichten, erhält auch Caligula durch sein Ende den verdienten Lohn für sein grausames Leben. Um den gewaltsamen, strafenden Tod dramatisch zu überhöhen, werden wenig glaubhafte Details erwähnt, die in der Todesdarstellung noch einmal typische, verurteilenswerte Handlungen im vorausgegangenen Leben aufgreifen. So wird Caligula nicht zufällig ermordet, nachdem er kurz zuvor noch einen Besuch bei seinen Lustknaben gemacht und Chaerea noch einmal gedemütigt hat. Daß der verweichlichte Luxuskaiser in der Darstellung des Josephus nicht einmal um sein Leben kämpft, passt ebenfalls in diese Tendenz.

Gleich zwei Versionen von der Ermordung liefert Sueton (70–Todesjahr unbekannt), Archivar am Hof des Kaisers Hadrian und Autor der Caesarenleben (um 130), einer deutlich auf skandalverliebte Unterhaltung abzielenden, von Iulius Caesar bis Domitian reichenden Sammlung von Kaiserviten. Auch ihm ist Caligula ein „verrückte[r] Wüterich“, Cassius Chaerea das Opfer unausgesetzter Drangsalierung: „Über den weiteren Verlauf der Dinge liegen zwei Berichte vor. Die einen erzählen: Während Caligula zu den Knaben sprach, hätte ihm Chaerea von hinten einen kräftigen Hieb mit dem Schwert in den Nacken versetzt. […] Darauf hätte der Tribun Cornelius Sabinus, der zweite Mitverschworene, dem Kaiser von vorn die Brust durchbohrt. Nach der anderen Überlieferung hätte Sabinus […] durch die in den Plan eingeweihten Zenturionen die umstehende Menge vom Kaiser entfernen lassen und dienstlich um Erteilung der Parole gebeten. Als Gaius als Losung ‘Jupiter’ ausgab, habe Chaerea gerufen: ‘So erfülle sich denn dein Schicksal!’ und ihm, als er sich nach dem Sprecher umsah, das Kinn gespalten. Während sich Caligula vor Schmerz am Boden wälzte und schrie: ‘Ich lebe noch!’, machten ihm die übrigen mit dreißig Wunden den Garaus. […] Einige Verschworene stießen ihm sogar das Schwert durch die Schamteile.“ Bei allen Ähnlichkeiten mit der Darstellung des Josephus sind jedoch einige Unterschiede bemerkenswert. Die Rolle der Senatoren ist zurückgenommen, die Zahl unglaubwürdiger, aber unterhaltsamer Details deutlich gestiegen.

Wie sehr mit wachsendem zeitlichem Abstand auch die Phantasieprojektionen der Autoren auf das Geschehen zunehmen, zeigt die Darstellung des bithynischen Senators Cassius Dio (ca. 155–ca. 235), die um etliche schaurige Details angereichert ist: „Als er schon zusammengebrochen war, konnte keiner der Anwesenden sich zurückhalten, Hand an den Toten zu legen, und so fügten sie auch noch der Leiche grauenvolle Verwundungen bei; einige kosteten sogar von seinem Fleisch. […]“ Ein gelungenes Bonmot Dios illustriert die Tendenz zur Rhetorisierung von Geschichte, deren Darstellung Unterhaltungswert haben musste: „Die Anwesenden erinnerten sich seiner Worte, die er einstmals an das Volk gerichtet hatte: ‘O wenn ihr doch nur einen einzigen Nacken hättet!’ Nun bewiesen sie ihm, dass er nur einen Nacken besaß, sie aber viele Hände.“ Dio berichtet schließlich auch noch, dass die Statuen und Bildnisse des Kaisers gestürzt worden seien, Caligula also der damnatio memoriae, einem offiziellen Akt der Gedächtnistilgung, anheimfiel.

Doch konnte Abstand zum historischen Ereignis auch eine Konzentration auf die nur noch grundsätzlichsten Inhalte bewirken und zugleich jede Differenziertheit zu Gunsten des einmal tradierten, einseitigen, aus Senatssicht geprägten Caligula-Bildes aufheben. Der Brevarien-Verfasser Aurelius Victor (um 320–um 389), Autor eines Kurzabrisses der römischen Kaisergeschichte (um 360), verkürzt das aus seiner Sicht hochverdiente Ende Caligulas auf einen Satz: „Daher haben von Chaerea angestiftete Leute, die noch römischen Mannesmut besaßen, den Staat von diesem furchtbaren Verderben befreit, indem sie Caligula erdolchten […].“

Die im Verlaufe der christlich-paganen Konflikte im 3. und 4. Jahrhundert zunehmende Abhängigkeit historiographischer Darstellungen vom religiösen Hintergrund des Autors tritt schließlich exemplarisch in der Darstellung des Presbyters Paulus Orosius (Lebensdaten unbekannt) an die Oberfläche, der um das Jahr 416 / 17 ein Geschichtswerk mit dem Titel ‘Weltgeschichte gegen die Heiden’ verfaßte. Orosius erweitert die Todesdarstellung des „allen Menschen äußerst feindselig gesonnen[en]“ heidnischen Caligula um ein originelles Detail, das seine christliche Geschichtssicht eindrucksvoll illustriert: „Er selbst aber wurde von seinen Leibwächtern umgebracht. Zwei Listen wurden in seinen Geheimfächern gefunden, von denen die eine den Titel ‘Dolch’ trug und die andere ‘Schwert’ betitelt war. Beide Listen enthielten die Namen auserwählter Leute aus dem Senatoren- und Ritterstand sowie Geheimzeichen bei den zum Tod Bestimmten. Man fand auch eine ungemein große Lade mit verschiedenen Giften. Als man sie […] bald darauf versenkte, wurden […] die Meere durch ein großes Fischsterben verseucht. […] Es handelte sich in der Tat um einen bedeutenden Hinweis auf das Mitleid Gottes, dass als Gnadenbezeugung gegenüber dem alsbald zum Teil glaubenden Volk und als Mäßigung im Zorn gegenüber einem Volk, das hartnäckig im Unglauben war, eine solche Menge von Menschen dem vorbereiteten Tod entrann. Wie viele es gewesen waren, lehrte die Menge der umgekommenen Fische.“

Die Akteure werden so bei Orosius, obgleich Heiden, zum Werkzeug Gottes und der Erfüllung des heilsgeschichtlichen Weltplanes. Bei allem zeitlichen Abstand der Darstellung zum historischen Geschehen hat sich die Tendenz, die Senatoren als zum Tyrannenmord gezwungene, um Leib und Leben bangende Opfer darzustellen, auch bei Orosius noch immer gehalten.

Dass sich ein subalterner Handlanger vom Schlage eines Chaerea, der für einen durch mehrere Verschwörungsversuche argwöhnisch und zynisch-brutal gewordenen Kaiser die schmutzigen Aufgaben erledigte, aus Angst, das Mißtrauen des Kaisers könne sich auch gegen ihn wenden, ein Mordkomplott schmiedet, um die Ursache seiner Angst zu beseitigen, ist denkbar. Auch die Sorge um sein Überleben, wenn der Kaiser tatsächlich Rom und ihn verlassen und von Alexandria aus regieren sollte, könnte Chaerea glaubhaft zur Tat getrieben haben. Die unmittelbare Ausführung der Tat, wie sie die Hauptquellen Josephus, Sueton und Dio schildern, ist ebenfalls so vorstellbar. Die Wut der Leibwachen, das Verhalten des durch Versprechungen beruhigten Volkes, die Behandlung der kaiserlichen Leiche und des Andenkens – dies sind alles Details, die insgesamt ein Bild ergeben, wie es gewesen sein könnte. Und auch die Schilderung eines zögernden Senats, der auf Druck der unruhigen Soldateska einen neuen Kaiser bestätigt, muss nicht grundsätzlich bezweifelt werden, nur weil die Autoren ein Zerrbild Caligulas entwerfen.

Die Freiheitsreden, die Tapferkeit und die behauptete Selbstlosigkeit des Chaerea indes darf man getrost in den Bereich der literarischen Fiktion verweisen. Die aktive Rolle, die der Senat besonders bei Josephus spielt, ist insgesamt wenig glaubwürdig. So ist kaum vorstellbar, dass die Verschwörer, die bei Josephus ja ursprünglich Militärs sind, tatsächlich senatorische Kreise oder wichtige Freigelassene in ihre Pläne einbezogen und von ihnen Unterstützung empfangen haben. Nach mehreren bereits wohl von Senatoren verratenen Verschwörungsversuchen wäre es mehr als unklug gewesen, so den Kreis potentieller Spitzel unnötig zu erweitern. Viel eher waren die zuvor ahnungslosen Senatoren mehrheitlich vom Mord an Caligula zwar begeistert, überließen die Tat, von der sie zu profitieren trachteten, aber gern anderen niederen Chargen. Die anschließende Opferung der nunmehr überflüssigen, aber potentiell gefährlichen Attentäter passt ebenfalls logisch ins Bild.

Dass die senatorischen Kreise kein Interesse daran haben konnten, im Andenken an die verwegene Tat ausgerechnet ehemaligen Spießgesellen des „kaiserlichen Monsters“ die Hauptrolle zu überlassen, ist politisch wie menschlich nachvollziehbar. So schuf die senatorische Geschichtsschreibung die literarische Fiktion des wahnsinnigen Kaisers und des selbstlosen Komplotts unter Beteiligung mutiger Senatoren. Die Erfindung des wahnsinnigen Kaisers ermöglichte es den Senatoren, die Nachwelt über das eigene Verhalten zu Caligulas Lebzeiten zu täuschen, und die Erfindung einer wirksamen senatorischen Beteiligung am Tyrannenmord samt der wundersamen Wandlung des reuigen Mörders Chaerea zum altrömischen Freiheitshelden stilisierte den Senat zum Wächter über alte republikanische Tugenden.

Für die kaiserzeitliche, meist senatorische Geschichtsschreibung der folgenden Jahrhunderte bildete die Schilderung des Anschlags auf Caligula in der engen Verbindung von Lebens- und Todesdarstellung, in der psychologisierenden Hinführung zur Handlung und Motivation der Handelnden, in der Propagierung einer Ideologie der ‘guten’ Verschwörung, in der Darstellung der Behandlung der Leiche und in der moralisierenden Absicht das auch auf spätere Kaiser immer wieder angewandte literarische Grundmuster des ‘Tyrannenmordes’.

Literatur: T. Arand: Das schmähliche Ende. Der Tod des schlechten Kaisers und seine literarische Gestaltung in der römischen Historiographie, Frankfurt a. M. u. a. 2002 (= Prismata 13); J. Bleicken: Augustus, Berlin 1998; F. Meijer: Kaiser sterben nicht im Bett. Die etwas andere Geschichte der römischen Kaiserzeit, Darmstadt 2003; Al. Winterling: Caligula. Eine Biographie, München 2003; Z. Yavetz: Tiberius. Der traurige Kaiser, München 1999.

Politische Morde

Подняться наверх