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Vorwort zur dritten Auflage
ОглавлениеDie Frage, ob ein philosophisches Metaphern-Wörterbuch möglich sei, gehört zu den Standards der Metapherndiskussion. Der Hintersinn der Frage ist eindeutig und besagt, daß die lexikalische Erfassung von Metaphern ein Unding ist. Es sei denn – und auf diese Bedingung kommt es nun entscheidend an –, ein solches Lexikon würde den antilexikalischen Vorbehalten Rechnung tragen und sie in seine Konzeption mit einbauen. Dazu müßte es als erstes auf den Anspruch verbindlicher Angaben, wie sie in vergleichbaren Fällen denkbar sein mögen, verzichten: auf Bedeutungsbestimmungen, wie sie im Fall des Symbols, und auf Definitionen, wie sie im Fall des Begriffs erwartet werden.
Das Wörterbuch der philosophischen Metaphern folgt genau in diesem Sinne einer Heuristik des Verzichts. Es hat sich die Unmöglichkeitsthese und damit zugleich die Devise zueigen gemacht, daß Metaphern – lebendige Metaphern – anders funktionieren als Begriffe oder Symbole. Im Unterschied zu diesen nämlich sind Metaphern nicht lexikalisierbar, und das heißt: Sie lassen sich nicht in Formeln übersetzen. Metaphern bleiben, gerade wenn sie ihren Zweck erfüllen, übersetzungs- und reduktionsresistent. Die Lösung des lexikalischen Problems konnte demnach für das WPM nur darin bestehen, auf die Enthüllung des Sinns und die Angabe einer lexikalischen Bedeutung zu verzichten, um sich den Metaphern statt dessen indirekt und auf Umwegen zu nähern. Die Richtung dieser Umwege, auf denen sich Abhängigkeiten, Wechselwirkungen und funktionale Bezüge weit umfassender und prägnanter erschließen lassen als auf der dirittissima der Definition, ist vertraut, ja konventionell, und heißt: Geschichte.
Das WPM bietet Metaphern in Geschichten – nicht, um Metaphern auf Einwortkarrieren festzulegen oder um über die Identität des Wortes eine Identität in der Sache zu unterstellen, sondern um Vielfalt zu vergegenwärtigen und mit Blick auf den konkreten Fall exemplarisch das Panorama der Deutungsmöglichkeiten zu entrollen. Denn wenn die Metapher auch keine eindeutig fixierbare, allgemeine Bedeutung hat, die sich in Form einer lexikalischen Definition wiedergeben ließe, so sind doch weder ihre Funktion noch ihr Gehalt beliebig. Metaphern induzieren Redekonsequenzen. Ihre sprachliche Form stellt jeweils bestimmte nichtsprachliche, mithin bildhafte, situative, epistemische und kulturelle Verbindungen her und hält sie präsent. Gerade weil eine allgemeine Definition nicht gegeben werden kann, müssen diese Verbindungen und Funktionen, muß die Leistung der Metapher im Milieu eines konkreten Text- und Kontextzusammenhangs gesucht, erschlossen und verdeutlicht, und das heißt in der Summe: Diese Leistung muß dargestellt werden. Genau dies, die Darstellung der Funktion, ist Aufgabe und Zweck einer guten Metapherngeschichte.
Bekanntlich definiert ARISTOTELES die Metapher als „Übertragung eines fremden Nomens“. Daraufhin ist ihm vorgeworfen worden – man begegnet diesem Vorwurf bis heute –, seine Bestimmung sei zirkulär. Tatsächlich heißt metapherein nicht nur verlegen, wegtragen, anwenden und übersehen, sondern auch übertragen – Metaphern sind „Übertragungen“. Ist nun diese aristotelische Bestimmung bloß eine Tautologie? Jedenfalls ist sie etwas anderes als das, was man eine saubere Definition nennen würde. Ich zögere dennoch, die Selbstbezüglichkeit dieses Bestimmungsversuchs, diesen regressus, als Schwäche oder handwerkliche Nachlässigkeit zu behandeln und als untauglich zu verwerfen. Viel wahrscheinlicher ist, daß es sich um eine Problemanzeige und um die Aufforderung handelt, genau zu beobachten, was hier auf der Ebene des Metatextes geschieht. Tatsächlich beschränkt sich Aristoteles bei seiner Erläuterung der Metapher nicht auf die Angabe der Wortbedeutung, sondern entfaltet einen Sprechakt, so daß wir sagen können: Indirekt, durch die Art und Weise ihres Vorgehens, macht die aristotelische Begriffsbestimmung den Akt der Bestimmung zum Problem und demonstriert an sich selbst, wo Metaphern in der Philosophie und überhaupt im Raum der Theorie ihren Ort haben – dort nämlich, wo die Standards der klaren und eindeutigen, der objektiven Sprache, wo also Begriffe und Definitionen entbehrt werden müssen.
Durch die Art des Verfahrens lenkt die aristotelische Bestimmung die Aufmerksamkeit auf den Modus metaphorischer Rede, auf die Doppelung von „Sagen“ und „Zeigen“. Sie ersetzt die essentialistisch getönte Frage, was eine Metapher ist, durch die funktionalistische Frage, wie die Metapher das textuelle Umfeld ordnet, wie sie also in ihrer bestimmten Umgebung agiert und was sie leistet. Demnach erzielen, wie Aristoteles den Sachverhalt erläutert, Metaphern ihre Effekte durch die Operation einer „Übertragung“, in der einander „fremde“, semantisch nicht zusammengehörige „Nomina“ und Sinneinheiten nebeneinander gestellt und durch diesen Akt der Kombination in die Lage versetzt werden, einen neuen Sinnbezug zu stiften. Metaphern, so können wir an dieser Stelle im Anschluß an Aristoteles festhalten, improvisieren Bezeichnungen, für die paßgenaue Formulierungen nicht verfügbar sind, und kompensieren das Fehlen von Sprach- und Wissensformen. Es zeigt sich darin, daß dieses Benennen eines anders nicht Benennbaren durch die Metapher nicht bloß ein abundantes Bereitstellen und Anbieten ist, nicht bloß die Erfüllung einer Dienst- und Ausschmückungsfunktion, sondern eine Eigenleistung und ein, wie NIETZSCHE im gleichen Zusammenhang sagt, „aktives Bestimmen“ durch die sprachliche energeia. Es ist die erfolgreiche Stiftung des neuen Sinns, die es den Metaphern gestattet, wie Kunstwerke ihren Platz in der kulturellen Ordnung des Wissens zu behaupten – so lange jedenfalls, wie Erklärungen und Begriffe nicht verfügbar oder außerstande sind, die Welterschließungsfunktion der Metapher zu überbieten oder auch nur zu ersetzen. Genau dies ist der Beweggrund der Maxime, die PAUL RICŒUR dem Metapherntheoretiker an die Hand gegeben hat: seinen Gegenstand wie „ein Werk en miniature“ zu behandeln. Zwar kennt bereits VICOS Neue Wissenschaft diese pragmatische Verdeutlichung der Metapher als Kunstwerk und kleiner Mythos (cap. 404), doch schon ein grober Vergleich zwischen Vico und Ricœur zeigt, daß die Implikationen unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Vico das Werk in die Ordnung seiner Korrespondenzen stellt, die es per analogiam erfaßt und zurückspiegelt, ist Ricœurs „Kunstwerk“ autonom und hat sich vom Bedingungszusammenhang seiner unmittelbaren Umgebung emphatisch losgesagt. Die Verschiebung zeigt, daß, wie die einzelnen Metaphern und Titelmetaphern, auch das Konzept der Metapher eine Geschichte hat. Erst die im Modell des autonomen Werks gedachte Metapher entzieht sich dem Anspruch der Rückübertragbarkeit, erst sie ist im nachdrücklichen Verständnis dieses Prädikats „absolut“.
Das philosophische Interesse an Metaphern beschränkt sich nicht auf das Funktionieren von Sprachbildern in Texten, und das heißt: Die Metaphorologie ist mehr als nur eine Theorie der Metapher. In der neueren Forschung hat sich die Tendenz verstärkt, Metaphern sowohl in ihrer wissensgeschichtlichen als auch in ihrer kulturellen Vernetzung wahrzunehmen. Demnach operieren Metaphern als Figuren des Wissens, die Erkenntnisprozesse anregen, steuern und zweifellos auch begrenzen können, darüber hinaus aber auch als kulturelle Tatsachen, deren imaginatives Potential einer Kultur ihr Gesicht verleiht. Schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts, bei ERNST ROBERT CURTIUS und ANDRÉ MALRAUX, bei MAX HORKHEIMER und EMILE BENVENISTE, findet sich die Vorstellung eines kollektiven Imaginationsraums, der stabil genug ist, um Wiedererkennbarkeit zu gewährleisten und auf diese Weise kulturelle Identität zu stiften. Indem Metaphern Evidenzen erzeugen, nehmen sie entscheidend Einfluß auf die Art und Weise, wie die Menschen einer Kultur die Welt und sich selbst sehen, wie sie mit Raum und Zeit umgehen, wie – und ob – sie Innen und Außen, Oben und Unten, Vorn und Hinten unterscheiden, hierarchisieren und besetzen. Die Metapher PASCALS: „Vous êtes embarqués“, deren Übersetzung ins Deutsche offenbar nicht gelingen will, resümiert in diesem Sinne eine ganze Weltsicht. Die im Prinzip unauslotbare, über unergründlichen Meerestiefen schwebende und zugleich von ihnen getragene Situation des Menschen wird durch die Metapher der Einschiffung auf eine Reihe von Attributen bezogen und tritt plastisch hervor: „Bewegtheit“, „Ausgesetztheit“, „Unentrinnbarkeit“, „Selbstverwiesenheit“. Nun ist es an den Angesprochenen, den über die Evidenzen der Metapher erschlossenen Ernst ihrer Lage zu begreifen und sich ihm gewachsen zu zeigen.
Aber die Szene Pascals ist auch historisch, und um sie zu erschließen, muß der heutige Interpret den Umweg der geschichtlichen Rekonstruktion inkauf nehmen. Der Ertrag dieses Umwegs besteht darin, Mißverständnisse und Anachronismen vermeiden zu helfen. So liegen zur Zeit Pascals Wort und Sache der „Solidarität“ noch in weiter Ferne, und keineswegs zeigt seine Metapher die Angesprochenen, wie sie „im gleichen Boot sitzen“ und gemeinsam die Lage bewältigen. Ihre Situation ist existentiell, nicht zivilgesellschaftlich definiert. Dementsprechend gilt die ganze Hoffnung dieser Passagiere der Aussicht, daß sie sich auf einem Schiff befinden, wie es in den Pensées heißt, „das nicht untergehen kann“. Als Diagnostiker steht Pascal schon auf dem Boden der Neuzeit, und stellt, indem er mit dem Mythos der Heimkehr auch das Kosmosvertrauen der Antike widerruft, die elementaren Gegebenheiten des menschlichen Daseins heraus. Der Mensch ist schwach, sagt Pascal, und sein Überleben an die außerhalb seiner Reichweite liegende Bedingung gebunden, daß die Welt ihm nicht ganz und gar feindselig gegenübersteht – daß sie ihn trägt und erträgt. Es ist die kulturelle Passung dieser Implikation, die die Zitierbarkeit der Metapher gesichert hat bis hin zu THÉODORE GÉRICAULTS Radeau de la Méduse, EDGAR ALLAN POES Arthur Gordon Pym, MAURICE RAVELS Barque sur l’Océan und FEDERICO FELLINIS E la nave va. Solche Wiederaufnahmen steigern, was gemeinhin als „Anschaulichkeit der Metapher“ beschrieben wird und sich als kulturelle Präsenz faktisch geltend macht. Für substanzmetaphysische Spekulationen ist hier kein Raum. Die philosophische Metaphernforschung, in dieser Prämisse kommen die Beiträge des WPM ungeachtet ihrer methodischen Vielfalt überein, analysiert die Abrufbarkeit sprachlicher Möglichkeiten, deren Leistungsumfang sie mit Rücksicht auf ihre Einbindung in die situativen Zusammenhänge zu bestimmen versucht. Verstanden als kulturelle Tatsache, liegt die Metapher bereit wie ein geschlossener Fächer, der, solange die Kultur ihr Gedächtnis bewahrt, jederzeit aufgeschlagen werden kann.
Angesichts der konzeptionellen Risiken, mit denen das WPM konfrontiert war (von den Risiken und Hindernissen der Durchführung zu schweigen), ist sein Erfolg, der es nun bereits im dritten Jahr nach Erscheinen zur dritten Auflage geführt hat, eine große Überraschung. Die Leser haben das Werk angenommen – eine überzeugendere Bestätigung ist schwerlich denkbar. Herausgeber und Verlag empfanden dieses Interesse als Verpflichtung, das Erscheinen der dritten Auflage für die Überarbeitung zu nutzen. Die Hinweise der Rezensenten haben wir bei der Durchsicht, die zugleich eine Erweiterung und Aktualisierung ist, dankbar genutzt. Das ursprünglich dem Vorwort angehängte Literaturverzeichnis ist nach hinten gerückt und wird unter dem neuen Titel nun deutlicher sichtbar sein. Das Metaphernverzeichnis ist überprüft und ergänzt, außerdem ist ihm, auf vielfachen Wunsch der Kritik, ein Namenverzeichnis zur Seite gestellt. Alle Texte sind nochmals durchgesehen, Fehler und Errata nach Möglichkeit beseitigt. Den Verbesserungs- und Erweiterungswünschen der Autoren wurde entsprochen. Schließlich ist es ein eindrucksvolles Zeichen für die Lebendigkeit der längst international geführten metaphorologischen und metapherngeschichtlichen Diskussion, daß in der neu eingerichteten Auswahlbibliographie und ebenso in fast allen Einzelbeiträgen aktuelle Literaturhinweise zu ergänzen waren.