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„Männer männlich, Weiber weiblich!“
ОглавлениеDie Parole „Männer männlich, Weiber weiblich!“, die Fontane den alten Briest (aus Effis Munde) mit aller Überzeugung verkünden ließ, deutete auf eine unumstößliche Wahrheit – für die Generation, die er vertrat, oder anders: für die Generation der Väter und Mütter der um 1860 geborenen Schriftstellerinnen. Dieser feste Glaube an eine naturgerechte Verknüpfung von gesellschaftlicher Rolle und Geschlecht prägte eine Vorstellung von Geschlechtsidentität, über die seit der Neuzeit Einigkeit herrschte. Verdienst des 18. Jahrhunderts war es zweifellos gewesen, eine Diskussion zu entfachen, die diesen Konsens mit der Forderung der Frühaufklärer nach einem breiteren Bildungsangebot für Frauen ins Wanken gebracht hatte – bis er mit Hilfe versierter Theoretiker wieder in der traditionellen Denkweise fest verankert werden konnte. Rousseaus Anteil an der folgenschweren Bestimmung des weiblichen Menschen als dem Manne untertan war nicht gering: Die rechte Erziehung, propagierte er, solle der natürlichen Bestimmung der Frau auf die Sprünge helfen. Ideologisch gelang Rousseau ein wertvoller Schachzug, von dem mancher Nachfolger in seinem Geiste profitieren konnte, verkündete der große Pädagoge doch Gleichwertigkeit bei aller Verschiedenheit.
Seit mehr als hundert Jahren hatte das Preußische Allgemeine Landrecht (1794) wie auch das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs (1811) die Kontrolle über Tochter und Ehefrau in die nicht immer gütigen männlichen Hände gelegt. Während hier argumentiert wurde, die lediglich ohnehin geltenden Naturgesetze nun der Jurisprudenz übergeben zu haben, hatten auf philosophischer Ebene äußerst langlebige Kampagnen stattgefunden, die jeder klugen Frau die freiwillige Unterwerfung unter die Gesetze der Geschlechterdichotomie empfahlen.85 Scheinbar unveränderliche geschlechtsspezifische Charaktereigenschaften lieferten die Begründung, Frauen bei gleichzeitiger Qualifizierung als Mutter und Ehefrau rigoros vom öffentlichen Leben auszuschließen. Um das Angebot einer freiwilligen Identifizierung zu erhöhen, tat Idealisierung not. Jegliches Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern ignorierend, wurde nun aus dem biologischen Unterschied die natürliche Disposition der Frau zur Unterordnung unter den Mann hergeleitet. Folgte sie diesem Naturgesetz (frei)willig, wurde sie als Krone der Schöpfung bejubelt.
Und die Männer? Gewiß waren sie nicht weniger „substantiell“ bestimmt. 1818 fügte Hegel den Grundlinien der Philosophie des Rechts einen Passus bei, in dem er dem Mann „sein wirklich substantielles Leben im Staate, der Wissenschaft u. dergl., und sonst im Kampfe und der Arbeit mit der Außenwelt und sich selbst“ beschied und der Frau – in überaus platzsparender Präzision – „in der Familie“.86 Offensichtlich wurde den männlichen Zeitgenossen bei allen Versuchen der Festlegung Handlungsspielraum zur Gestaltung ihrer Persönlichkeit eingeräumt. Denn während Frauen ja gerade in der Pflege und Fürsorge nächster Angehöriger ihre individuellen Bedürfnisse vergessen bzw. gar nicht erst entwickeln sollten, bot sich Männern, ihr Rollenprofil entscheidend selbst zu schärfen. Unterdessen wurde aber auch am männlichen Charakter heftig gefeilt und die (auch heute noch) durchaus berechtigte Frage gestellt: „Wann ist der Mann ein Mann?“87 Die Beantwortung hatte einen ganzen Katalog typisch männlicher Eigenschaften zur Folge:
Es entstand ein neuer patriotisch-militärischer Männlichkeitsentwurf, der um solche Schlüsselbegriffe wie „Ehre“, „Freiheitssinn“, „Frömmigkeit“, „Kraft“, „Kameradschaft“, „Manneszucht“, „Mut“, „Ruhm“, „Treue“, vor allem „Patriotismus“ und „Wehrhaftigkeit“ kreiste.88
Da hatte er es nun. Mit der diskursiven Bestimmung der mentalen Geschlechtsunterschiede waren auch dem männlichen Menschen Richtlinien an die Hand gegeben, die manchem Hasenfuß das Leben vergällen sollten. Aktivität, Aggressivität, Kraft, Kreativität, Leidenschaftlichkeit, Mut, Stärke, Tapferkeit sollten noch weit bis in das 20. Jahrhundert hinein Orientierung für zögernde Mannsbilder bieten.
In dem Maße nun, wie die polarisierten Geschlechtscharaktere zur Jahrhundertwende vor allem von streitbaren Frauenrechtlerinnen in Frage gestellt wurden und sich in den öffentlichen Diskurs einschlichen,89 tauchten in der von Männern produzierten Literatur Frauentypen auf, die, von geisterhafter Schwäche heimgesucht, herumirrten (femme fragile) oder mit bedrohlicher Sexualität die männlichen Protagonisten in ihrer Existenz gefährdeten. Weiblichkeitsimaginationen entstanden, in denen die Frau auf Geschlechtlichkeit, Naturhaftigkeit, Irrationalität und Kreatürlichkeit reduziert wurde und die vor allem in drei Bildtypen der Frau, die als „Resonanzkörper“ eines kulturellen Zeitgeistes Anspruch erheben können, nachzuweisen sind: dem Bild der Ehefrau, der Kindfrau und der femme fatale90:
Vor dem Hintergrund des erschütterten Sicherheitsgefühls des bürgerlichen Individuums im Zeichen der Modernisierung, des latenten Machtverlustes im privaten wie im öffentlichen Leben und einer ersatzweisen Rückbesinnung auf „Ehe“ und „Familie“ als Orte von Stabilität und Ordnung wird deutlich, wie die dämonischen Weiblichkeitskonstruktionen einer Mischung aus Angst und Faszination entspringen und das zu bannen bemüht sind, was sich in der Sozialhierarchie zu entziehen droht.91
Den vielfältigen, nicht immer zum Lobe der Frauen ersonnenen männlichen Imaginationen setzten die Schriftstellerinnen um 1900 Frauenbilder entgegen, die vor allem ein Ziel verfolgten: Sie sollten jene durch Männer geschaffenen dekonstruieren. Kaum eine Schriftstellerin versäumt es, alternative Frauenportraits zu zeigen. An den Werken Ida Boy-Eds demonstriert zum Beispiel Gabriele Wagner-Zereini, wie um 1900 das Problem des mangelnden weiblichen Subjekt-Seins thematisiert wurde und die Protagonistinnen gegen die zeitgenössische Geschlechtsrollenbestimmung, die sie grundsätzlich passiv ihrem Schicksal aussetzte, revoltieren ließ. Hier zeigt sich eine besondere Ästhetik des Dekonstruktionsverfahrens: „In Form von Spiegelverhältnissen werden unterschiedliche weibliche Lebensentwürfe aufeinander bezogen, die offenbaren, daß der den Protagonistinnen mögliche Entscheidungsspielraum letztlich nur aus der ‘Scheinalternative Tugend oder Laster’ besteht“ (S. 73). Gabriele Wagner-Zereini zeigt Boy-Ed als Schriftstellerin, die sich jedoch in keiner einfachen Täter-Opfer-Struktur verstrickt, sondern das Verhältnis der Geschlechter als wechselseitige Beziehung von Herrschaft und Unterwerfung ins Blickfeld rückt. Eine Eigeninitiative wies Boy-Ed den Frauen auch in ihrem Sexualverhalten zu und forderte eine Sexualerziehung, die den Frauen den „Mut zur Sinnlichkeit“ vermittele.