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Von geistiger Heimatund anderer

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Als aufschlußreichen „Spiegel der Zeit“ wertet auch Bernhard Doppler die irritierende Haltung Enrica von Handel-Mazzettis, den offensichtlichen Konflikt zwischen antisemitischen Szenen im Roman und gleichzeitiger Verbundenheit mit einem „liberalen vielfach jüdisch bestimmten kulturellen Leben“ weder zu bearbeiten noch gar zu lösen. Für Enrica von Handel-Mazzetti, so Bernhard Doppler, stellte sich hier kein augenfälliges Problem, wie sie selbst waren ihre Romane fest an die Werte und Normen der katholischen Kirche gebunden: „Nicht die Entwicklung einer Persönlichkeit, sondern Konversionen vom Unglauben zum wahren Glauben, vom Sünder zum Heiligen, vom Irrenden zum wahrhaft Glaubenden bestimmen die Dynamik“ (S. 241). Indessen war die Schriftstellerin nicht einmal im katholischen Milieu unumstritten: Was konservativen Katholiken gefiel, stieß bei liberalen Kritikern auf Mißfallen. Bernhard Doppler zeigt, wie die Autorin ohne ihr Zutun in das Zentrum eines Literaturstreits geriet, in dem ihr Roman Jesse und Maria des Modernismus und der Mithilfe der „Zersetzung des katholischen Glaubens durch den Zeitgeist“ verdächtigt wurde.

Auffällig an diesem Eklat war, daß er sich nicht vom Roman selbst, sondern vom Vorwort des Herausgebers herleiten ließ, der ihn zusammen mit der Forderung nach Integration der katholischen Kunst in die moderne Hochliteratur veröffentlicht hatte. Er rechtfertigt insofern die Warnung Viktor Žmegačs, Nietzsche als den geistigen Brandstifter der Jahrhundertwende zu rezipieren und darüber die Bedeutung ebenso prägender rückwärtsgewandter Tendenzen in der Literatur der Jahrhundertwende zu vernachlässigen. Zu diesen gehört mit Sicherheit Langbehns nationalkonservative Apologie Rembrandt als Erzieher, die noch im Erscheinungsjahr ihre vierzigste Auflage erlebte.

Zusammen mit der relativ kurzlebigen Zeitschrift Heimat stellte Langbehns Buch im wesentlichen das Programm der Heimatkunstbewegung vor. Zunächst als Medium der ländlichen Szene zugeordnet, ging die „volkhaft monumentale Dichtung“, in der das Lied der Scholle gesungen, heimatliche Gebräuche und Sitten gepflegt und der unverdorbene Mensch gepriesen wurden, bald über die agrarisch-konservativen Interessen hinaus, bündelte nationale Kräfte und setzte der „ästhetisierenden“ und „psychologisierenden“ Literatur der Décadence ein positives Korrektiv entgegen. Boten diese sentimentalisierenden Geschichten aus der Heimat die Illusion, auf dem Lande die Schäden der Zivilisation auskurieren zu können, so leitete zum Beispiel der bäuerliche Entwicklungsroman Jörn Uhl (1901) einen neue Richtung der Heimatkunst ein, die nationalliberale Tendenzen aufgriff und im „gemeinsamen Dienst am Fortschritt“ ihr Heil suchte.131

Gegen eine allzu enge Definition des Begriffs Heimatkunst wendet sich auch Hermann Gelhaus in seinem Beitrag über Clara Viebig. Er illustriert an ihrem Werk, wie die Schriftstellerin ganz gegensätzlich scheinende Strömungen wie Naturalismus und Heimatkunst zu vereinigen verstand. Zwar lassen sich durchaus Implikationen von „Heimat“ finden, die in die Nähe der „Agrarromantik“ weisen, die Viebig jedoch nicht veranlassen konnten, sich von den realen gesellschaftlichen Problemen abzukehren: „‘Naturalistische’ Darstellung“, so Hermann Gelhaus, „d.h. wahre, detailgetreue, nichts beschönigende Schilderung, Kritik an der Gesellschaft, Aufdeckung sozialen Elends sind gerade hervorstechende Züge des Viebigschen Romanwerkes“ (S. 339). An Hermann Gelhaus’ Interpretation des Viebigschen Werkes wird jene Beurteilung der literarischen Moderne als transitäre Zeit, in der sich scheinbar Gegensätzliches zu einer gewinnbringenden Synthese verbinden konnte, nachdrücklich bestätigt.

Von allen Ausläufern der verschiedenen und widersprüchlichen Stilrichtungen begleitet, beendete der Expressionismus das literarische Fin de siècle – auch wenn „das sogenannte expressionistische Jahrzehnt weniger expressionistisch [war] als uns das manche Augenzeugen und spätere Interpreten glauben machen möchten“132. Wieder einmal wurde die Literatur durch Tendenzen in der bildenden Kunst beeinflußt, Inhalts- und Formprinzip zu überdenken. Abstraktion des Gesehenen und Verfremdung des Dargestellten führten schließlich zur gänzlichen Ablösung vom Gegenstand. Hier fanden diejenigen Literaten eine geistige Heimat, die sich der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ (Lukács) preisgegeben sahen und jede Suche nach sinnhafter Ordnung als sinnlos empfanden. Das Gefühl der Entfremdung von der Natur, von der Gesellschaft und sich selbst schärfte den „bösen Blick“ der literarischen Expressionisten, den sie fortan auf die Wirklichkeit hefteten. Kaum eine Frau fand im Expressionismus eine geistige und künstlerische Heimat, und die Ausnahmen unter ihnen taten es den Männern gleich: Sie mieden die Prosa und gingen neue Wege in der Lyrik. Eine dieser Ausnahmeerscheinungen war Else Lasker-Schüler, die nach Gottfried Benn „größte Lyrikerin, die Deutschland je besessen hat“. Aber das ist eine andere Geschichte.

Deutschsprachige Schriftstellerinnen des Fin de siècle

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