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Normiertes Glück: Ehe und Mutterschaft
ОглавлениеAuch die Lebenssituation ihrer bürgerlichen Mitschwestern lud keineswegs zur Nachahmung ein. Zum besonderen Symbol für die gesellschaftlich angesehene Stellung des Mannes gedieh im 19. Jahrhundert der „demonstrative Müßiggang“ der Ehefrau, der allerdings hinter den Kulissen häufig genug äußerst anstrengend war, galt es doch hier ein Herr von Dienstboten zu befehligen – einschließlich Kinderfrauen, Gouvernanten und Hauslehrer. Als mindestens ebenso kräftezehrend erwiesen sich die gesellschaftlichen Repräsentationspflichten, die als fester Bestandteil jeder Karriere Ruf und Stellung des Mannes voranzubringen und zu festigen hatten.122 Potenziert wurden diese Belastungen durch die angemessene Versorgung der Kinder: Den Söhnen mußte eine kostspielige Ausbildung finanziert werden, die Töchter galt es vorteilhaft unter die Haube zu bringen. Gerade letzteres war häufig genug nervenaufreibend, denn in den Köpfen vieler junger Damen spukte die Vorstellung, nur die wahre Liebe führe zum Traualtar. Eltern sahen die Sache meistens nüchterner als eine Frage der Kalkulation, oder noch nüchterner: als eine Frage des Geldes. Sich gleich in einen standesgemäß zu verlieben vereinfachte das Unternehmen und verhieß Lebensglück – ein Weg, der mancher Heldin jener Schriftstellerinnen, von denen in diesem Band die Rede ist, allerdings nicht vergönnt ist.
Janitschek, Dohm, Böhme, Jerusalem, Reuter, Böhlau, Kautsky, Boy-Ed, ja selbst Reventlow zeigten auf desillusionierende Weise, daß sich hinter der romantischen Liebe bestenfalls ein hormonell gesteuertes Vergnügen verberge – von dem meistens nur der Mann profitiere. Romantische Liebe, so wurde den zeitgenössischen Leserinnen eröffnet, gliche einer Mogeltüte: nach kurzem Glück folge die alsbaldige Ernüchterung.
Weder Mütter noch Töchter ließen sich von diesen düsteren Prognosen abschrecken. Gelang schließlich die Transaktion der Braut, war sie auf dem besten Wege, zur Krönung ihres weiblichen Daseins zu schreiten. Die hieß Mutterschaft. Noch bis weit über die Jahrhundertwende hinaus war dieses Wort für viele männliche Theoretiker die Zauberformel, mit deren Hilfe das Rollenklischee des Heimchens am Herd legitimiert werden sollte. Hier fand auch die weibliche Sexualität ein Legitimationsforum, durfte doch die verheiratete Frau „die Freuden der Venus“ durchaus genießen, wenn sie sich als „unbeirrbare Sehnsucht nach ehrbarer Mutterschaft“ äußerte.
Doch selbst ehrbaren Müttern wurden nicht nur freundliche Beurteilungen zuteil. Schopenhauers haarsträubende Ansichten über die „Weiber“, im Zuge von Melancholie und Weltschmerz zur Jahrhundertwende neu entdeckt, fand eine unverdrossen misogyne Anhängerschar. Bei Betrachtung der körperlichen Beschaffenheit der Frauen, so hatte er vermeldet, verwundere nicht die „schwache Vernunft“ und die Unfähigkeit zur Abstraktion. Aufgrund dieser beklagenswerten Disposition neige die Frau nun mal zu charakterlichen Schwächen: „Falschheit, Treulosigkeit, Verrat, Undank“.123 Möbius, vielbeachteter und -gelesener Psychiater aus Leipzig, vermochte auch Positives zu entdecken. Ihm zufolge verfüge auch die Frau über reiche Gaben, so sei sie beispielsweise „kindähnlich, heiter, geduldig, und schlichten Geistes“. In einem Punkt sei ihre Existenzberechtigung überdies nicht zu leugnen: in der Fortpflanzung. Mit Hilfe biologischer Fakten, wie z.B. der schlechter entwickelten Windungen des weiblichen Stirn- und Schläfenlappens, konstatierte er die Unzurechnungsfähigkeit des weiblichen Menschen und wies ihm die eine Aufgabe zu:
Mütterliche Liebe und Treue will die Natur vom Weibe … Nach alledem ist der weibliche Schwachsinn nicht nur vorhanden, sondern auch notwendig, er ist nicht nur ein physiologisches Faktum, sondern auch ein physiologisches Postulat … Übermäßige Gehirntätigkeit macht das Weib nicht nur verkehrt, sondern auch krank. Wir sehen das leider tagtäglich vor Augen.124
Noch populärer und langlebiger erwies sich Otto Weiningers Schrift Geschlecht und Charakter, in der er einen absolut männlichen Typus (M) einem absolut weiblichen Typus (W) entgegenstellte. Variable Anteile von M und W schrieb er jedem Menschen zu, schauderhaft allerdings das Schicksal des armen Menschen, der mit reichlich W bedacht sei. Denn W sei alogisch, amoralisch, kupplerisch und polygam und weder im Besitz von Ich noch von Seele. Das reine Modell gäbe es nur in zwei Ausführungen, Dirne oder Mutter, wobei letztere ob ihrer getarnten Sexualität noch mißlicher sei als erstere.125 Zeitlebens sei die Frau ihrer Geschlechtlichkeit unterworfen – der Mann hingegen nur punktuell –126, denn schließlich kenne der Mann „noch ein Dutzend andere Dinge: Kampf und Spiel, Geselligkeit und Gelage, Diskussion und Wissenschaft, Geschäft und Politik, Religion und Kunst“127. Auch die Sünde blieb Weininger zufolge in Evas gebärfreudigem Schoß: Das Weib nämlich sündige nicht, es sei die Sünde selbst – und als Anteil W eben bedauerlicherweise häufig auch im Manne. Der reine Mann schließlich sündige selbstverständlich nicht, er nämlich sei das Ebenbild Gottes.
Aber auch für gemäßigtere Naturen blieb „Mütterlichkeit“, also die spezifisch weibliche Natur, deren Existenzberechtigung sich im Gebären und Pflegen erfülle, ein Reizwort. Allerdings ging es auch um viel. Im „Jahrhundert des Kindes“ wurde die genuin weibliche (körperliche) Fähigkeit der Empfängnis und Schwangerschaft, des Gebärens und Stillens radikal aufgewertet und auf psychische Elemente ausgedehnt. Der Typus der „mütterlichen“ Mutter, die ihr Kind liebt, versorgt und behütet, entstand. Zu leisten war diese zeitraubende, kräftezehrende, hingebungsvolle und vor allem vollkommen selbstlose Lebensaufgabe nur, wenn sie in der „Natur“ der Frau verankert war. Der Umkehrschluß war fatal: War eine Frau in dem Maße die rechte Vertreterin ihres Geschlechts, wie sie Mütterlichkeit besaß, kam ihr die Geschlechtsidentität ebenso schnell abhanden, wie sie sich weigerte, ihrer scheinbar gottgewollten Bestimmung nachzukommen.
Nun stellten aber die vermeintlich natürlichen Muttertriebe auch eine ungeheure Gefahrenquelle dar. So unentbehrlich sie einerseits für die Konstitution der bürgerlichen Kleinfamilie waren, so bedrohlich waren sie andererseits, wenn sie sich Bahn brachen in Frauen, die dazu nicht mittels eines Trauscheins legitimiert waren. Rigide gesellschaftliche Ausschlußverfahren für „Gefallene“ versuchten hier der Versuchung vorzubeugen. Während also die schlechten Naturen draußen vor der Tür bleiben mußten, blieben die Türen bürgerlicher Wohnhäuser hinter den guten verschlossen, ein nicht minder wirksames Verfahren, sie von allem fernzuhalten, was nicht mit der natürlichen Berufung zu vereinbaren war. Gleichwohl bleibt die gute Mutter noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein das Ideal einer vollkommenen Frau.
Innerhalb der Frauenbewegung existierten mehrere Variationen, wie mit dem Segen oder Fluch einer biologischen Disposition umzugehen sei. Befürworterinnen traditioneller Rollenverteilungen wie Ellen Key und Laura Marholm betonten die psychische Abhängigkeit vom Körperlichen, eine Position, die Lou Andreas-Salomé in einer Naturkonzeption des Weibes verherrlichte. Hierin wurde Mutterschaft zur genuin weiblichen Seinsweise. Eine Frau, die sich ganz der Mutterschaft hingebe, so suggerierte Salomé in ihrem Roman Ma. Ein Portrait (1901), stehe mit dem Quellgrund des Lebens in unmittelbarer Verbindung und werde zur Allegorie der Vitalität.128
Als „Wesensbestimmtheit“ bezeichnete auch die gemäßigte Frauenbewegung die Mütterlichkeit. „Geistige Mütterlichkeit“ wurde verbunden mit der Vorstellung von zwei kulturellen Sphären und den daraus resultierenden unterschiedlichen kulturellen Aufgaben von Männern und Frauen. Körperliche Disposition bedinge psychische Eigenart und bringe, so Helene Lange, „in die weibliche Eigenart jenen bekannten Zug zum Persönlichen, Konkreten, jene schnellere und tiefere Fühlung mit menschlicher Eigenart“, sie sei „der Urgrund des psychischen Altruismus, des Mitleids, der Liebe“.129 Es ist leicht verständlich, daß Mütterlichkeit sich nicht unbedingt mit den Strapazen eines Berufes außerhalb des Hauses verbinden ließ und sich am besten in pädagogischen und heilenden Berufen entfalten konnte.
Dieser Position widersprachen Hedwig Dohm und Helene Stöcker entschieden. Dohm, in ihrer Argumentation wie gewohnt praktisch orientiert, zeigte ein Schreckenskabinett mütterlicher Verhaltensweisen und verwies auf himmelschreiende Auswüchse mütterlicher Fürsorge, die, schon für den Nutzen des eigenen Nachwuchses überaus fraglich, in bezug auf fremde Kinder wohl niemand mit Begriffen wie Altruismus und Liebe vereinbaren könne. Helene Stöcker dachte theoretischer. Als langjährige Vorsitzende des Bundes für Mutterschutz diskutierte sie eine reichsgesetzliche Mutterschaftsversicherung, kämpfte für die Anerkennung freier Verbindungen und die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung, stritt für die Gleichstellung illegitimer Kinder und setzte sich für die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen ein.
Mit ihren Ideen, die Mutterschaft betreffend, gewann Stöcker viele Mitstreiterinnen, hinsichtlich ihrer Forderungen nach freier Liebe allerdings nicht. Die „Hurra-Erotik“ ihres allgemeinen Beglückungsprogrammes, so zeterte Helene Lange 1909, forciere die „Herrenmoral“130 und mache die Frauen noch rechtloser als in der Ehe. Käthe Schirmacher bezog gar den materiellen Aspekt ein und forderte eine bezahlte Mutterschaft.
Bei den Schriftstellerinnen des Fin de siècle herrschte bezüglich des Themas „Mutterschaft“ noch weniger Übereinstimmung als bei den Frauenrechtlerinnen. Ja, der Diskurs über Mutterschaft eröffnet einen ganz ausgezeichneten Einblick in ganz unterschiedliche literarische Produktionen. Beharrte Böhlau auf dem Recht der Mutter, auch auf „illegitimen“ Umwegen an die gewünschte Schwangerschaft zu kommen, ohne sich jedoch in ihren Romanen mit den gesellschaftlichen Konsequenzen auseinanderzusetzen, ging es Gabriele Reuter im Tränenhaus gerade um eine Kritik an der Ausgrenzung unverheirateter Mütter und an den Auswirkungen auf die Mutterliebe.
Am Beispiel von Isolde Kurz demonstriert Sandra Singer in diesem Buch den schwierigen Balanceakt zwischen wertfreier Analyse und kritischer Rezeption. Sie illustriert, wie Isolde Kurz die hehre Mutterpflicht an eine Vorstellung von Weiblichkeit knüpfte, die durchaus als eine dem Manne untertan gedacht war – solange die Herren der Schöpfung auch dem ihnen zugedachten Part gerecht würden: die Frauen zu ehren und finanziell zu unterhalten. Sandra Singer zufolge sah Isolde Kurz die Geschlechterrollen im Dienste der kulturellen Weiterentwicklung der Rasse, machte ihre Vorstellung in ihren Novellen an einer ideellen – im Zeittrend liegenden – Rezeption der Renaissance deutlich und lancierte sich damit bereits um 1900 in eine Position, die denen das Wort redete, die Kurz dreißig Jahre später bewunderte: den Nationalsozialisten.