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6 Das Allgemeinheitsproblem
ОглавлениеDas sicherlich gravierendste Problem, das sogenannte „Allgemeinheitsproblem“, betrifft schon die Formulierung des reliabilistischen Standpunkts. Eine Überzeugung ist diesem Standpunkt zufolge gerechtfertigt, wenn der kognitive Prozess, der sie verursacht, verlässlich ist. Da Verlässlichkeit eine Eigenschaft eines Typs eines kognitiven Prozesses und nicht eines einzelnen Vorkommnisses eines solchen Prozesses ist, sind es Prozesstypen, die hinsichtlich ihrer Verlässlichkeit bewertet werden müssen. Das Problem taucht auf, wenn wir uns fragen, wie der relevante Prozesstyp identifiziert werden soll, auf welcher Stufe der Allgemeinheit er charakterisiert werden soll. Die Schwierigkeit liegt darin, dass es nicht so etwas wie den einzigen Typ gibt, dem die Bildung einer Überzeugung zugehört. Prozesse können, wie alle anderen Einzeldinge auch, auf viele Weisen individuiert werden. Wann immer eine bestimmte Überzeugung hervorgerufen wird, kann der bestimmte zugrunde liegende Prozess als ein Fall von zahlreichen Prozesstypen von unterschiedlicher Allgemeinheit angesehen werden. Zum Beispiel ist das Vorkommnis des Prozesses, der zu meiner gegenwärtigen Überzeugung führt, dass eine Katze auf dem Sofa sitzt, ein Fall der folgenden Prozesstypen: Wahrnehmung, visuelle Wahrnehmung, visuelle Wahrnehmung unter Standardbedingungen, visuelle Wahrnehmung unter Standardbedingungen an einem Sonntag etc. Offensichtlich besitzen diese verschiedenen Prozesstypen unterschiedliche Grade der Verlässlichkeit. Welcher dieser vielen Typen soll nun aber derjenige sein, dessen Verlässlichkeit relevant für die Bewertung der betreffenden Überzeugung ist? Sollten die relevanten Typen eng oder weit individuiert werden? Wenn die Typen sehr weit charakterisiert werden, so dass z.B. die Wahrnehmung unter unspezifizierten Bedingungen oder gar unter ungünstigen Bedingungen nicht ausgeschlossen wird, dann wird sich ein sehr niedriger Grad der Verlässlichkeit ergeben. Wenn die Typen hingegen sehr eng charakterisiert werden, so dass sie detaillierte Merkmale einer spezifischen Situation einschließen, dann könnte es sich herausstellen, dass sie nur eine einzige Instanz haben, nämlich das Vorkommnis des betreffenden Prozesses selbst. In diesem Szenario eines einzigen Falls wäre der Prozesstyp entweder zu 100 % verlässlich oder zu 100 % unverlässlich – abhängig davon, ob die betreffende Überzeugung wahr oder falsch ist. Und dies ist gewiss kein akzeptables Resultat. Welches ist nun der relevante Typ? Die Widersacher des R. machen geltend, dass es keine objektiven Tatsachen gibt, die den einzigen Typ bestimmen, dem ein Vorkommnis eines kognitiven Prozesses in einem privilegierten Sinn zugehört. Und bislang haben die Verteidiger des R. noch keine wirklich vollends überzeugende Lösung dieses diffizilen Problems gefunden.
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R. S.