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Formale Erkenntnistheorie
ОглавлениеErkenntnistheorie und epistemische Logik. Die epistemische Logik ist die Logik des Begriffs „wissen, dass“. Aber auch die Logik des Begriffs „glauben, dass“ (im Sinne von „überzeugt sein, dass“) (die doxastische Logik) wird zur epistemischen Logik gezählt. Die Logik des Wissens beschäftigt sich nicht nur mit formalen Sprachen, in denen einzelnen Subjekten Wissen zugeschrieben wird, sondern auch mit der Frage, wie sich das Wissen von Gruppen von Subjekten modellieren lässt, und der Frage, welcher Dynamik Überzeugungssysteme unterliegen.
Die moderne Geschichte der epistemischen Logik begann mit J. Hintikkas The Logic of Knowledge and Belief (1962); ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der epistemischen Logik ist die Monographie Reasoning about Knowledge (Fagin et al. 1995). Die Diskussion der Dynamik von Überzeugungssystemen, zusammengefasst unter dem Schlagwort „Belief Revision“, erhielt einen wesentlichen Anstoß durch den Aufsatz von C. Alchourrón, P. Gärdenfors und D. Makinson (1985). In van Benthem 2011 wird die epistemische Logik als Bestandteil einer generellen Theorie Information verarbeitender Akteure aufgefasst.
Obschon die Erkenntnistheorie als allgemeine Theorie des Wissens und die Logik des Wissens als formale Epistemologie sich gegenseitig ergänzen sollten, ist das Verhältnis der beiden Disziplinen zueinander de facto bislang nicht besonders symbiotisch.
Nach der klassischen, auf Platons Dialoge Theaitetos und Menon zurückgehenden Definition des Wissensbegriffs weiß ein Subjekt α, dass φ genau dann, wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind: (i) α ist überzeugt, dass φ, (ii) φ ist wahr und (iii) α ist gerechtfertigt in der Überzeugung, dass φ. Während die Erkenntnistheorie vor allem auf die Bedingung (iii) der Rechtfertigung von Wissen eingeht, ist die epistemische Logik in erster Linie als eine Theorie wahrer Überzeugungen (Bedingungen [i] und [ii]) entwickelt worden. Trotz dieser keineswegs unüberwindbaren Diskrepanz besteht dennoch eine fruchtbare Wechselwirkung zwischen der philosophischen Erkenntnistheorie und der Logik des Wissens und Glaubens. Zudem greifen neuere Ansätze zur epistemischen Logik auch die Bedingung (iii) auf, vgl. Abschnitt 7.
Epistemische Logik als angewandte normale Modallogik. In den 1950er und 1960er Jahren wurde durch die Einführung der Mögliche-Welten-Semantik ein neues Kapitel in der Modallogik aufgeschlagen. Modale Operatoren werden in dieser Semantik als Quantoren interpretiert, die universell (in Falle der Notwendigkeit) bzw. existentiell (im Falle der Möglichkeit) über zugängliche mögliche Welten quantifizieren. (Eine sehr gute deutschsprachige Einführung in die Modallogik bietet Friedrichsdorf [1992].) Hintikkas (1962) Beitrag kann als Vorschlag verstanden werden, die Zugänglichkeitsrelation der Modallogik epistemisch [doxastisch] zu interpretieren. Eine Aussage der Gestalt:
αweiß, dass φ [α glaubt, dass φ]ist wahr in einer möglichen Welt (einem Zustand) w genau dann, wenn (gdw) φ in allen Welten (Zuständen) w’ wahr ist, die für α von w aus epistemisch [doxastisch] zugänglich sind. Anstatt von epistemischer [doxastischer] Zugänglichkeit spricht Hintikka von Kompatibilität mit dem, was α in w weiß [glaubt]. Die Welten (Zustände) sind für das Subjekt epistemische [doxastische] Alternativen zu der aktualen Welt.
Es wird angenommen, dass die epistemische Zugänglichkeit eine Äquivalenzrelation ist, d.h., sie ist reflexiv und euklidisch (bzw. reflexiv, transitiv und symmetrisch). Die Reflexivität der epistemischen Zugänglichkeitsrelation sichert, dass, wenn α in w weiß, dass φ, φ in Welt w wahr ist, siehe Bedingung (ii) an Wissen. Die Verwendung einer Äquivalenzrelation sorgt dafür, dass ein Subjekt in allen epistemischen Alternativwelten dieselben Propositionen weiß und die aktuale Welt zu den Alternativwelten gehört. Da es für Überzeugungen nicht notwendig ist, dass der Überzeugungsinhalt aktual wahr ist, wird für die doxastische Zugänglichkeit eine serielle, transitive und symmetrische Relation angenommen. Die Serialität sichert, dass der Überzeugungsinhalt nicht inkonsistent ist. Auch wenn α in w glaubt, dass φ, kann φ in w falsch sein, solange es mindestens eine doxastisch zugängliche Welt gibt und φ in den doxastisch zugänglichen Welten wahr ist.
Eine naheliegende Art, eine epistemische Logik zu formulieren, besteht darin, in ein aussagenlogisches System für jedes Subjekt α aus einer nichtleeren Menge Agents von (zu Überzeugungen fähigen) Subjekten einen einstelligen Operator Kα („α knows that“) einzuführen. Um Formeln der Form Kαφ geeignet zu interpretieren, werden Modelle definiert. Ein Modell besteht dabei aus einem Rahmen und einer Bewertungsfunktion. Sei W eine nichtleere Menge von Welten (von Zuständen) und für jedes α ∈ Agents sei Rα eine zweistellige Relation über W (die epistemische Zugänglichkeitsrelation des Subjektes), dann bildet das Paar (W, {Rα | α ∈Agents}) einen sogenannten Rahmen (frame). Durch Hinzunahme einer Bewertungsfunktion v, die den atomaren Aussagen in jeder Welt w einen der Wahrheitswerte „wahr“ oder „falsch“ zuordnet, entsteht ein Modell M = (W, {Rα | α ∈Agents}, v).
Der Begriff der Wahrheit einer Formel φ in einer Welt w eines Modells M (symbolisch M, w ⊨φ) wird dann induktiv über den Formelaufbau (p |¬ φ | φ → φ | Kαφ) definiert. Für den Wissensoperator Kα wird dabei folgende Wahrheitsdefinition festgelegt: M, w ⊨ Kαφ gdw für jedes w’ ∈W: wenn (w, w’) G ∈Rα, dann M, w’ ⊨φ.
Demzufolge weiß α im Modell M in Welt w, dass φ, wenn in jeder für α von w aus epistemisch zugänglichen Welt w’ φ wahr ist. Anders ausgedrückt ist Kαφ wahr in w gdw in jeder Welt w’, die kompatibel mit dem ist, was α in w weiß, φ wahr ist. Eine Formel ist gültig in einem Modell genau dann, wenn sie in jeder Welt des Modells wahr ist. Sie ist gültig in einem Rahmen (W, {Rα | α ∈ ε Agents}) genau dann, wenn sie in jedem auf dem Rahmen basierenden Modell (W, {Rα | α ∈ Agents}, v) gültig ist.
Die Logik des Wissens wird üblicherweise axiomatisiert, indem zu einer Axiomatisierung der klassischen Aussagenlogik (etwa in den Junktoren→ (Implikation) und¬ (Negation)) die Beweisregel der Necessitation (Wenn φ beweisbar ist, dann auch Kαφ) und die
Axiome:
K Kα (φ → Ψ) → (Kαφ) → KαΨ)
T Kαφ → φ
B ¬ φ → Kα¬ Kα φ
4 Kαφ → KαKαφ
5 ¬ Kαφ → Kα¬ Kαφ
hinzugenommen werden, für jedes Subjekt α ∈ Agents. Die Logik des Wissens ist die normale Modallogik S5 (auch bekannt als KT5 bzw. KT4B). Das Axiom K gibt wieder, dass Wissen abgeschlossen unter gewusster Implikation ist. Das heißt, sobald α weiß, dass die Proposition φ die Proposition Ψ impliziert, und α weiß, dass φ, so weiß α auch, dass Ψ. Das Schema T sichert, dass alles, was α weiß, auch wahr ist. Das Axiom B besagt, dass, falls eine Proposition falsch ist, ein Subjekt α weiß, dass es sie nicht weiß. Die Axiome 4 und 5 sind sogenannte Introspektionsaxiome. Das Axiom 4 spiegelt die sogenannte positive Introspektion wider (↗ K2-Prinzip). Insbesondere die negative Introspektion (Axiom 5) ist sicherlich kritisch zu sehen. Axiom 5 drückt aus, dass das Subjekt α von jeder Proposition, die α nicht weiß, weiß, dass es diese Proposition nicht weiß.
In der Logik des Glaubens werden anstelle von Wissensoperatoren Kα Operatoren Bα (für „α believes that“) verwendet. Da Glauben keine faktive Einstellung ist, wird das Axiom T durch das Axiom D (Bαφ → ¬Bα¬φ) ersetzt, so dass die Logik des Glaubens durch die normale Modallogik KD45 (oder „weak S5“) axiomatisiert wird.
Da es sich bei Kα und Bα um normale Modaloperatoren handelt, gelten bestimmte Korrespondenzbeziehungen zwischen der Gültigkeit von Axiomenschemata und Rahmeneigenschaften (Eigenschaften der Zugänglichkeitsrelation). Das Axiom K ist gültig in jedem Rahmen. Für die anderen Axiome gilt, dass sie in einem Rahmen (W, {Rα | α ∈ Agents}) genau dann gültig sind, wenn jede Zugänglichkeitsrelation Rα die schon genannten Eigenschaften besitzt:
D | Rα ist seriell | ∀w∃u: (wu) ∈ Rα |
T | Rα ist reflexiv | ∀w: (w, w) ∈ Rα |
B | Rα ist symmetrisch | ∀w∀u: (w, u) ∈ Rα → (u, w) ∈ Rα |
4 | Rα ist transitiv | ∀w∀u∀v: ((w, u) ∈ Rα ∧ (u, v) ∈ Rα) → (w, v) ∈ Rα |
5 | Rαφ ist euklidisch | ∀w∀u∀v: ((w, u) ∈ Rα ∧ (w, v) ∈ Rα) → (u, v) ∈ Rα. |
Hält man sich vor Augen, dass aus der Reflexivität und Euklidizität die Transitivität und Symmetrie einer Relation folgen, ist es offensichtlich, dass die Logik S5 sowohl durch KT5 als auch durch KT4B axiomatisiert werden kann.
In einer Logik, die sowohl Wissens- als auch Glaubensoperatoren enthält, sollte die Formel Kαφ → Bαφ gültig sein, siehe Bedingung (i) an Wissen. Wenn weiß, dass φ, dann glaubt α, dass φ. Für die Relationen RαK (epistemische Zugänglichkeit) und RαB (doxastische Zugänglichkeit) wird daher postuliert, dass RαB ⊆ RαK. Diese Enthaltenseinsbeziehung besagt zum einen, dass es in jeder Welt für α mindestens so viele epistemisch zugängliche wie doxastisch zugängliche Alternativwelten gibt. Zum anderen besagt sie, dass jede doxastische Alternativwelt auch epistemisch eine Alternativwelt ist. Wenn die Lesart der Kompatibilität verwendet wird, heißt das, dass jede Welt w’, wenn sie mit dem kompatibel ist, was α in w glaubt, auch kompatibel ist mit dem, was α in w weiß. Philosophisch relevant ist sicherlich auch das Zusammenspiel von Glauben und Wissen mit anderen kognitiven Einstellungen. Die Interaktion von Überzeugungen, Wünschen und Absichten ist innerhalb der Belief-Desire-Intention (BDI)-Logik untersucht worden (z.B. Georgeff/Rao 1998; Semmling/Wansing 2008).
Logische Allwissenheit. Es wird oft kritisiert, dass die Subjekte, deren Glauben und Wissen in KD45 und KT5 modelliert wird, aufgrund der Beweisregel der Necessitation logisch allwissend sind. In jedem beliebigen Zustand weiß jedes Subjekt α, dass φ, falls φ beweisbar ist; d.h., jede Tautologie wird gewusst. Dazu gelten weitere logische Allwissenheitsprinzipien. Glauben und Wissen sind z.B. unter beweisbarer Äquivalenz bzw. unter beweisbarer Implikation abgeschlossen: Kαφ ↔ KαΨ und Kαφ → Kα Ψ sind wahr, falls φ ↔ Ψ bzw. Ψ → Ψ beweisbar ist. Die Logiken KD45 und KT45 sind daher extrem idealisierend und deskriptiv inadäquat unabhängig davon, welche Einwände es möglicherweise gegen die Axiome K, 4 oder 5 gibt. Die Diskussion des Problems der logischen Allwissenheit hat zu einer Unterscheidung zwischen implizitem und explizitem Glauben und Wissen geführt. Während für die impliziten Überzeugungen rationaler Subjekte die Allwissenheitseigenschaften angenommen werden, betrachtet man die Subjekte hinsichtlich ihrer expliziten Überzeugungen keineswegs als logisch allwissend.
Es finden sich mehrere Ansätze zur Modellierung dieser expliziten Überzeugungen. Eine Möglichkeit ist die Annahme von nicht normalen Zuständen, in denen die Wahrheitsbedingungen der Formeln nicht rekursiv spezifiziert sind. Insbesondere müssen nicht alle Tautologien in jedem nicht-normalen Zustand wahr sein. Auch ist es möglich, dass in einer Welt w sowohl Kαφ als auch Kα (φ → Ψ) wahr ist, KαΨ aber nicht wahr ist, da es für α eine nicht-normale epistemische Alternative zu w gibt, in der zwar (φ → Ψ) und φ wahr sind, Ψ aber nicht wahr ist. Eine Diskussion nicht-normaler möglicher Welten findet sich z.B. in Jago 2006.
Eine andere, äquivalente Möglichkeit zur Vermeidung von logischer Allwissenheit ist die Einführung von syntaktischen Filtern („awareness sets“ “) (Fagin/Halpern 1988). Hierbei glaubt α explizit, dass φ, genau dann, wenn α in Hintikkas Sinn implizit glaubt, dass φ, und sich α zudem des Ausdrucks φ bewusst ist. In jedem Zustand wird jedem Akteur eine Menge von Formeln zugeordnet, die dem Akteur in dem Zustand bewusst sind. Eine Formel Aαφ ist dann wahr in einem Zustand w, wenn φ zu den Formeln gehört, die α in w bewusst sind. Die Menge der einem Subjekt α bewussten Formeln kann dann einigen Bedingungen genügen, bspw. abgeschlossen unter Teilformeln zusein oder für jede Formel φ aus der Menge auch die Formel Aαφ zu enthalten.
Es besteht auch die Möglichkeit, einige Allwissenheitseigenschaften durch die Verwendung einer modalen „Nachbarschaftssemantik“ zu vermeiden. Jedem Subjekt α wird statt einer Zugänglichkeitsrelation Rα in jedem Zustand w ∈ W eine Familie Nα (w) von Zustandsmengen („Nachbarschaften“) zugeordnet. Bildet die Menge aller Zustände, in denen φ wahr ist, eine Nachbarschaft von w, dann glaubt α in w, dass φ:
M, w ⊨ Bαφ gdw {u|M,u ⊨ φ} ∈ Nα (w). Wird Wissen mit wahrer Überzeugung identifiziert, dann werden in einer solchen Nachbarschaftssemantik nicht in jedem Zustand alle beweisbaren Formeln gewusst, da für den Glaubensoperator die Necessitationsregel nicht gültig ist. Ebenso ist die Abgeschlossenheit der Überzeugungen unter beweisbarer Implikation ungültig. Die Abgeschlossenheit unter beweisbarer Äquivalenz ist allerdings auch in einer Nachbarschaftssemantik allgemeingültig, wenn Wissen als wahre Überzeugung aufgefasst wird.
Ein Vorteil der Nachbarschaftssemantik ist jedoch, dass im Gegensatz zur relationalen Semantik zwischen konfligierenden und inkonsistenten Überzeugungen unterschieden werden kann. Unter der Annahme, dass jede Nachbarschaft nicht leer ist, ist eine Formel Bαφ unerfüllbar, falls φ inkonsistent ist. Jedoch sind Konjunktionen der Gestalt Bαφ ∧ Bα¬φ durchaus erfüllbar. Motiviert wird eine solche Erfüllbarkeit dadurch, dass epistemische Subjekte als „societies of minds“ angesehen werden, die z.B. in Bezug auf unterschiedliche wissenschaftliche Paradigmen sich widersprechende Überzeugungen besitzen können. Für eine kurze Übersicht dieser Ansätze zur Vermeidung der logischen Allwissenheit vergleiche man Fagin et al. 1995.
Common Knowledge. Erfolgreiche, auf Konventionen beruhende soziale Interaktion erfordert eine besondere Form von Allgemeinwissen. In einer Gruppe ist es möglich, dass es Propositionen φ gibt, so dass jeder in der Gruppe weiß, dass φ (General Knowledge), aber auch, dass jeder weiß, dass jeder weiß, dass φ. Von Common Knowledge (Allgemeinwissen) einer Gruppe Γ, dass φ, wird gesprochen, wenn jeder in der Gruppe weiß, dass φ, und wenn jeder weiß, dass jeder weiß, dass φ, und wenn jeder weiß, dass jeder weiß, dass jeder weiß, dass φ, usw. Dieser Begriff des Allgemeinwissens wurde zuerst von D. Lewis (1969) untersucht und von R. Aumann (1976) mengentheoretisch charakterisiert. Die formale Explikation dieser Form von Wissen kann als ein wichtiger Beitrag der Logik des Wissens zur Erkenntnistheorie gewertet werden.
Sei Γ eine nichtleere Teilmenge von Agents. Die Formel KΓφ („Gruppe Γ weiß, dass φ“) ist wahr in einem Zustand w genau dann, wenn für jedes einzelne Subjekt α ∈ Γ gilt, dass Kα φ wahr ist in w. Die Interpretation von Common Knowledge CΓ φ („es ist Common Knowledge in Γ, dass φ“) erfolgt durch eine infinitäre Wahrheitsdefinition:
M, w ⊨ CΓφ gdw M, w ⊨ KΓnφ, für jedes n ∈ ℕ, wobei KΓ0φ = φ und KΓl+1φ = KΓKΓlφ. Es kann gezeigt werden, dass M, w ⊨ CΓφ genau dann, wenn M, w ⊨ KΓCΓφ, da KΓφ faktiv ist. Das heißt, für den Fall, dass die Gruppe Common Knowledge hat, weiß die Gruppe auch, dass sie dieses Common Knowledge hat. (↗ Soziale Erkenntnistheorie, ↗ Wissenssoziologie)
Dynamische Epistemische Logik. Wahre Propositionen werden Gehalte von Common Knowledge z.B. durch öffentliche Verlautbarungen (public announcements). In der Logik öffentlicher Verlautbarungen (Plaza 1989, Ditmarsch/Hoek/Kooi 2005 oder Benthem 2006) wird das öffentliche Verlautbaren als ein Handlungstyp betrachtet. Für jede Formel φ wird ein Modaloperator [φ] eingeführt, der als „nach der Verlautbarung von φ ist es der Fall, dass“ gelesen wird. Der Begriff der Wahrheit einer Formel [φ]Ψ in einem Zustand w eines Modells M ist wie folgt definiert:
M, w ⊨ [φ] Ψ gdw (M, w ⊨ φ impliziert Mφ, w ⊨ Ψ).
Hierbei ist das Modell Mφ die Restriktion von M auf diejenigen Zustände, in denen φ wahr ist, Mφ = (W* {R*α | α ∈ Agents}, v*). Dabei ist W*:= {u ∈ W | M, u, | = φ}. Für alle u, v ∈ W* gilt dann, dass (u, v) ∈ R*α gdw (u, v) ∈ Rα, und für alle u ∈ W* und atomaren Formeln p gilt, dass v* (p, u) = v (p, u). Damit ist es beispielsweise möglich auszudrücken, dass nach der Verlautbarung von φ es für die Gruppe Γ General Knowledge ist, dass φ, bzw. sogar Common Knowledge ist, dass φ, [φ]KΓφ bzw. [φ]CΓφ.
Andere dynamische Modallogiken für Handlungstypen werden verwendet, um die von C. Alchourrón, P. Gärdenfors und D. Makinson untersuchten Operationen für rationalen Theorien- und Überzeugungswandel (Belief Revision) in einer formalen Objektsprache zu beschreiben. C. Alchouron, P. Gärdenfors und D. Makinson haben Postulate aufgestellt, die angeben, wie sich Überzeugungssysteme verhalten, sollten Überzeugungen hinzukommen (Expansions), revidiert werden (Revisions) oder verworfen werden (Contractions).
In van Benthems (1991) und de Rijkes (1994) Dynamic Modal Logic, DML, werden für jede Formel φ Modaloperatoren [+φ] („nach jeder Expansion um die Überzeugung, dass φ, ist es der Fall, dass“) und [*φ] („nach jeder Revision um die Überzeugung, dass φ, ist es der Fall, dass“) definiert. Revision um die Überzeugung, dass φ („revision by φ“), bedeutet hierbei, dass die Überzeugung, dass φ, zum Überzeugungssystem hinzukommt. Zudem werden im Lichte dieser hinzukommenden Überzeugung bestehende Überzeugungen verworfen, wenn sie mit der Überzeugung, dass φ, konfligieren, so dass nach der Revision das Überzeugungssystem die Überzeugung, dass φ, enthält und immer noch bestimmten Ansprüchen wie Konsistenz, Kohärenz, Abgeschlossenheit unter logischer Folgerung usw. genügt. Die Sprache von K. Segerbergs Dynamic Doxastic Logic (Leitgeb/Segerberg 2007) enthält neben den dynamischen Modaloperatoren [*φ], [+φ] und [-φ] („nach jeder Kontraktion um die Überzeugung, dass φ, ist es der Fall, dass“) für jede Formel φ auch einen modalen Überzeugungsoperator B, so dass z.B. Formeln der Form [*φ]Bφ gültig sind. Nach der Revision um die Überzeugung, dass φ, wird geglaubt, dass φ.
G. Bonanno (2005) präsentiert eine modale Logik der Überzeugungsrevision für ein einzelnes Glaubenssubjekt. Er verwendet zeitabhängige Operatoren B0φ, B1φ, um Überzeugungsänderungen als das Ergebnis des Empfangs von Information, Iφ, zu beschreiben. Die Operatoren B0 („zum Zeitpunkt 0 glaubt das Subjekt, dass“) und B1 („zum Zeitpunkt 1 nach der Revision seiner Überzeugung im Lichte der erhaltenen Information glaubt das Subjekt, dass“) werden durch gewöhnliche doxastische Zugänglichkeitsrelationen B0, B1; interpretiert, wobei Bi, (w) = {w’ | (w, w’)∈ Bi;} (i = 0, 1) die Menge der Zustände ist, die dem Subjekt zum Zeitpunkt i doxastisch zugänglich sind. Der Operator I (das Subjekt wird informiert, dass) wird ebenfalls durch eine zweistellige Relation I interpretiert, allerdings ist eine Formel Iφ in einem Zustand w genau dann wahr, wenn die Menge I (w) = {w’ | (w, w’)∈ I} identisch mit der Menge derjenigen Zustände ist, in denen φ wahr ist. Bonanno führt drei Axiome ein, die zusammen die Qualitative Bayes Regel (QBR) ∀ w, wenn B0(w) ∩ I(w) ≠ Ø dann B1(w) = B0(w) ∩ I (w)
charakterisieren. Die Axiome sind:
Qualifizierte Akzeptanz (I φ∧ ¬ B0 ¬φ) ⊃ B1φ Persistenz (Iφ ∧ ¬B0¬Ψ) ⊃ (B0Ψ ⊃ B1Ψ) Minimalität (Iφ ∧ B1Ψ) ⊃ B0(φ ⊃ Ψ).
Die Verwendung von Glaubensoperatoren, die mit Zeitindizes versehen sind, ermöglicht es, Überzeugungsänderungen als das Ergebnis des Empfangs von Information zu beschreiben. Die Axiome der qualifizierten Akzeptanz und Persistenz besagen, dass, falls zum Zeitpunkt 0 keine Überzeugung, dass φ falsch ist, vorliegt, die Information, dass φ, geglaubt wird und jede andere Glaubenseinstellung beibehalten wird. Das Axiom der Minimalität sorgt dafür, dass nicht mehr Propositionen zum Zeitpunkt 1 geglaubt werden, als sich aufgrund der neu hinzukommenden Information, dass φ, und der Überzeugungen zum Zeitpunkt 0 ergeben.
Das Paradox des möglichen Wissens. Das Paradox des möglichen Wissens (das Fitch-Paradox oder Church-Fitch-Paradox) wurde erstmals von F. Fitch (1963) publiziert und blieb lange Zeit wenig beachtet, obschon es von großer Bedeutung für die formale Erkenntnistheorie ist (↗ Paradox, Fitchs). Das Paradox ergibt sich mit einer simplen Ableitung in einem einfachen System der modalen epistemischen Logik. Aus der anti-realistischen These, der zufolge alle Wahrheiten möglicherweise gewusst werden, zusammen mit der Annahme, dass es nicht gewusste Wahrheiten gibt (Nichtallwissenheit), wird abgeleitet, dass alle Wahrheiten tatsächlich gewusst werden. Dieser formal beweisbare Übergang von möglichem Wissen zu tatsächlichem Wissen wird in der modalen epistemischen Logik im Verschwinden des Möglichkeitsoperators ◊ („es ist möglich, dass“) deutlich.
Der Ausdruck ¬ΓK (φ ∧ ¬K φ) (*) ist für alle Formeln φ beweisbar und auch plausibel, wobei K für „es wird irgendwann von irgendjemandem gewusst, dass“ steht. Er besagt somit, dass es unmöglich ist, dass irgendjemand zu irgendeinem Zeitpunkt weiß, dass φ, und gleichzeitig weiß, dass φ von niemandem zu irgendeinem Zeitpunkt gewusst wird. Die folgende Argumentation zeigt jedoch, dass aus den eben genannten Annahmen der Nichtallwissenheit und der anti-realistischen These die Möglichkeit, eine Fitch-Konjunktion φ* ∧ ¬K φ* für ein φ* doch zu wissen, abgeleitet werden kann:
1. ∃φ (φ ∧ ¬Kφ) (Nichtallwissenheit)
2. ∀φ (φ → ◊ Kφ) (anti-realistische These)
3. φ * ∧ ¬Kφ* (Existenzquantorbeseitigung von 1.)
4. (φ* ∧ ¬ Kφ*) → ◊ K(φ* ∧ ¬Kφ*) (Einsetzung von 3. in 2.)
5. ◊ K(φ* ∧ ¬ Kφ*) (modus ponens; im Widerspruch zu (*))
Mit reductio ad absurdum führt dies zur Verneinung von (1.), ∀ φ (φ → Kφ), alle Wahrheiten werden gewusst. Da die Annahme der Nichtallwissenheit (1.) für epistemische Subjekte plausibel erscheint, d.h., dass es mindestens eine wahre Proposition gibt, die von niemandem gewusst wird, stellt das Paradox des möglichen Wissens insbesondere für Anti-Realisten aufgrund der Annahme (2.) eine Herausforderung dar. Aber selbst, wenn man gewillt ist, die Annahme (1.) oder (2.) zu verwerfen, stellt dieses Paradox ein Problem für die modale epistemische Logik dar aufgrund des Verschwindens des ◊-Operators und des Kollapses von universell wissbaren zu universell tatsächlich gewussten Wahrheiten, vgl. Kvanvig 2006. Wie bereits Fitch bemerkt hat, besteht das Paradox darüber hinaus für jeden Satzoperator, der, wie der Wissensoperator, faktiv ist, sich über Konjunktionen verteilt und für den die Annahmen (1.) und (2.) gelten (oder plausibel sind). In der Literatur sind unterschiedliche Strategien zur Reaktion auf das Paradox vorgeschlagen und diskutiert worden, siehe Brogaard/Salerno 2008, Wansing 2002.
Epistemische Logik und Rechtfertigungen.
Hintikkas Wahrheitsdefinition für Formeln der Gestalt Kαφ lässt die Rechtfertigungsbedingung der klassischen Definition des Wissensbegriffs unberücksichtigt. Es sind diverse Versuche unternommen worden, diese Lücke zur Erkenntnistheorie zu schließen. So haben Artemov und Nogina epistemische Logiken mit Beweistermen t aufgestellt (Artemov/Nogina 2005, Artemov 2008). Eine Formel t: φ wird gelesen als: „t ist eine Rechtfertigung für φ“. Artemov und Nogina betrachten KT4 (alias S4) als die Logik wahrer Überzeugungen und definieren Logiken S4LPCS, die S4 und Artemovs Logic of Proofs LP umfassen, wobei CS eine Menge von Spezifikationen von Beweiskonstanten ist.
Ein Rahmen (für ein einzelnes Wissenssubjekt) ist nun eine Struktur (W, R, Re), bestehend aus einer nichtleeren Zustandsmenge W, einer reflexiven und transitiven epistemischen Zugänglichkeitsrelation R über W und einer „Evidenz-Zugänglichkeitsrelation“ Re über W mit R ⊆ Re. Eine Evidenzfunktion E auf (W, R, Re) ist eine Funktion, die jedem Paar (w, t) bestehend aus einem Zustand und einem Beweisterm eine Formelmenge zuordnet. Intuitiv gehört eine Formel φ zu E(w, t) genau dann, wenn φ eine Formel ist, für die im Zustand w der Term t eine mögliche Rechtfertigung darstellt. Eine Evidenzfunktion E muss gewisse Bedingungen erfüllen; u.a. wird verlangt, dass (w, u) ∈ Re impliziert, dass E (w, t) ⊆ E (u, t). Ein Modell ist eine Struktur (W, R, Re, E, v), wobei E eine Evidenzfunktion auf (W, R, Re) und v eine Bewertungsfunktion ist. Die Wahrheit von Kφ (gelesen als „φ ist wissbar“ bzw. als „φ wird implizit gewusst“) und t: φ in einem Zustand eines Modells (W, R, Re, E, v) ist wie folgt definiert: w ⊨ K φ gdw für jedes w’ ∈ W: wenn (w, w’) ∈ R, dann w’ ⊨ φ
w ⊨ t: φ gdw φ ∈ E(w, t) und für jedes w’ ∈ W: wenn (w, w’) ∈Re, dann w’ ⊨ φ.
Aufgrund der Enthaltenseinsrelation R ⊆ Re folgt, dass, falls es im Zustand w eine Rechtfertigung t für φ gibt, φ somit auch gewusst werden kann, t: φ → Kφ. Die Reflexivität von Re garantiert, dass, falls φ gerechtfertigt ist (t: φ wahr ist), auch φ wahr ist. Explizites Wissen ist somit gegeben, wenn es sich um wahre gerechtfertigte Überzeugung handelt. Ein Vorteil von epistemischer Logik mit Rechtfertigung liegt in der Vermeidung von logischer Allwissenheit. Zudem ist es durch die zwei Operatoren der Rechtfertigung und Wissbarkeit möglich, epistemische Prinzipien wie die negative Introspektion oder Definitionen wie die des Common Knowledge anders zu fassen.
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