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Herrschen als Pflicht der Vorsehung: Ein Lesevorschlag im Kontext der Zeitgeschichte

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Statt einer bilanzierenden Zuordnung hier die Frage, wie sich Akteure zu neuen programmatischen Begriffen und Diskursen stellten, die zugleich als Loyalität des Staatsbeamten zu seinem Staat gewertet werden konnten: Karl Christ, der 1965 auf den neu begründeten zweiten Lehrstuhl in Marburg berufen wurde – also gewissermaßen dessen Nachfolger war –, bescheinigt Taeger „eine weitgehende Unabhängigkeit“.81 Dagegen kommt Ursula Wolf zu dem Schluss: „Taeger hat den Nationalsozialismus nicht abgelehnt. Es konnten in den Quellen keine Hinweise auf eine Distanzierung vom Dritten Reich gefunden werden“.82 Am Ende bilanziert sie aber: „Trotz zum Teil eklatanter Konvergenz in der politischen Zielsetzung und Normenvorstellung zwischen Nationalsozialisten und Historikern kann, dies hat die Analyse von Taegers Werk ergeben, nicht von einer generellen Subordination der Historiografie unter die nationalsozialistische Weltanschauung und Geschichtsideologie gesprochen werden. Die Mehrheit der Ordinarien blieb gegenüber einer ‚Totalmobilmachung‘ der Althistorie resistent und opferte die allein eine wissenschaftliche Arbeit garantierende Autonomie nicht auf dem Altar eines neuen und starken Deutschen Reiches.“83 Es geht heute nicht mehr darum, die Entnazifizierung zu wiederholen. Stimmt die Behauptung von der Zurückhaltung, ja Abstinenz von der Frage, wofür Alte Geschichte „kriegswichtig“ sei? Ich komme für Taegers Beitrag zum gegenteiligen Ergebnis.

Man sollte den Text nicht allgemein auf „den Nationalsozialismus“ hin untersuchen. Hier kann man eine defensive Bewegung der deutschen Universitätsprofessoren erkennen gegen die außeruniversitären Institute,84 d.h. innerhalb des Nationalsozialismus lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. Der Weg zu den „Grundbegriffen“ führt bei den Universitätsprofessoren über die Quellen.85 Die außeruniversitären Institute und ihre lokalen Vertreter in den NS-Organisationen in den Universitäten setzten mit politischen Beurteilungen die Professoren unter Druck.

Mein Vorschlag ist hier, den Text genau auf die Situation 1943 hin zu lesen, nicht mehr auf das „Dritte Reich“ als Wiedergewinnung deutscher Stärke, sondern des Gegenteils, als der Krieg umschlug von der deutschen Eroberung Europas in die katastrophé des totalen Krieges, der Neuordnung der Welt und des Untergangs Deutschlands. Konkret geht es 1943 um den Krieg, von dem die Frontkämpfer-Generation des Ersten Weltkriegs erfahrungsgesättigt die Pflicht hatte, die Gegenwart zu autorisieren und das Ziel des Krieges zu definieren: den Kriegseinsatz der Historiker. Auf dem Hintergrund des Jahres 1943 zeichnete sich ab, dass der Krieg seinen Zenit 1942 überschritten hatte. Bis 1942 war ganz Europa faschistisch/nationalsozialistisch beherrscht bis an die Wolga. So wurde England zum einzigen Feind, zu Karthago.86 In der Regierung des United Kingdom amtierte als Kriegsminister 1937–40 mit Isaac Leslie Hore-Belisha ein Jude.87 In der Erinnerung war noch der zweimalige Premierminister Benjamin Disraeli (1804–1881) präsent, der aus einer sephardischen Familie stammte: Beweis für ein „verjudetes“ Großbritannien.88 England mit dem semitischen Karthago zu vergleichen, bedeutet zunächst, dass die merkantilen Interessen in einem Schein-Reich ohne imperiales Ethos und moralischer Indifferenz nicht, jedenfalls nicht allein auf rassische Gründe zurückzuführen sind.89 Mit Cato bestätigt Taeger den Anspruch, der Gegner müsse vernichtet werden. Vernichtungsschlacht, Völkerhass! In Aufgriff von Vogts Stichworten in der Fragestellung verwendet Taeger die tagesaktuellen Begriffe „Endsieg“ (72) und „Schlusskampf“ (82).

Die andere Front, gegen die Kommunisten und die Sowjetunion scheint demgegenüber zurückzutreten.90 Die Niederlage in der Schlacht von Stalingrad im Februar 1943 erwies sich auf Dauer als die entscheidende Wende.91 Aber dieser Gegner92 ist in Begriffen und mit dem Codenamen Persien präsent.93 Für den Kommunismus findet Taeger als Gegensatz zum (deutschen) Auftrag zur Machtpolitik die Perversion zweier nicht zusammengehöriger Werte: „den Traum vom Frieden und Glück“.94 Vielleicht ist das Bündnis Persien mit Karthago ein Stellvertreter für „Alliierte“.95 In seinem Kriegsvortrag Themistokles jedenfalls sah Ernst Bickel 1943 schon in der Schlacht von Salamis Griechenland von zwei Seiten angegriffen, „einem bewussten Plane der asiatisch-afrikanischen Mittelmeerwelt entsprungen“, von Karthago, das lebhafte Beziehungen mit Syrien unterhalten habe, und Persien, das zwar zur indogermanischen Rasse gehört habe, aber den Mächten des Orients verfallen g ewesen sei.96 Zwar habe gleichzeitig mit Salamis die Schlacht um Sizilien stattgefunden, aber „der eigentliche Halteruf und das ‚Hände weg von Europa‘ mußte im Osten gesprochen werden.“ Dem Mittelmeer als Chiffre für Weltpolitik, nicht mehr nur dem ‚Generalplan Ost‘ galt das Vorbild weisende Augenmerk der Althistoriker. 1943 war der Traum von der Wiederherstellung des Imperium Romanum bereits ausgeträumt. Die Italiener hatten ein neues Impero Romano beschworen, auf der Via dell’lmpero Romano an der Maxentius-Basilika Karten vom römischen Reich aufgehängt,97 in Nordafrika und Ostafrika Kolonien besetzt (1935 Äthiopien, dann Eritrea und Somalia), aber schon 1941 wieder verloren. Im Frühjahr 1939 hatte Mussolini Albanien besetzt, war aber beim Versuch, Griechenland zu erobern, kläglich gescheitert. Nur dank der deutschen Feldzüge in den Balkan (6. April 1941) blieben italienische Heeresverbände jenseits der Adria. Was Taeger für die Raumbeherrschung auf den zwei südlichsten Inseln Sizilien und Kreta sagt,98 war Prinzip der aktuellen Kriegsführung: Um einen unversenkbaren Flugzeugträger für die Eroberung Nordafrikas zu gewinnen und den Briten wegzunehmen, ordnete Hitler im Mai 1941 „die Operation Merkur“ an.99 Wie Hitler vor der Generalstabskarte, so ordneten die Historiker geopolitisch die Welt. Sizilien und Kreta sind Riegel, in deren Besitz man die ganze Region beherrschen kann. Hitler sparte seine besten Soldaten nicht für den Feldzug gegen die Sowjet-Union (der einen Monat später begann), sondern schickte sie in das Luftlandemanöver, wo sie beim Niedersinken der Fallschirme leichtes Ziel für Maschinengewehre waren. Berve bemerkte mit Bezug auf die Spartiaten an den Thermopylen, man missverstehe die spartanische Kriegführung, wenn man nach ihrem Nutzen frage. „Wie die Größe, so lag auch die Wirkung der Tat gerade in ihrer Nutzlosigkeit.“100 Im Juni 1943 begann die alliierte Besetzung Siziliens, ab September die des italienischen Festlandes.

Die Staatsform für das Weltreich ist die Militärmonarchie unter Führung einer charismatischen Persönlichkeit. Der neue Thukydides findet seinen Perikles: nicht im Zwang, sondern in freiwilliger Unterordnung, der Pflicht, sich der Machtpolitik zur Verfügung zu stellen. Das Wort Reich ist für die Historiker unverzichtbar. Aber seit 1938 gab es eine neue Sprachregelung. In den Herbsttagungen verbietet Hitler, weiter das Wort „Drittes Reich“ zu verwenden. Darin steckten zu viele religiöse und mystische Konnotationen. Die solle und könne man den Kirchen überlassen.101 Ab jetzt, nach dem Anschluss Österreichs, Tschechiens, des Saarlands, dokumentiere das Wort „Großdeutsches Reich“, dass die NS-Führung ganz rational Machtpolitik betreibe. Deutschland ist sich seiner selbst bewusst geworden, jetzt beginnt Weltreichspolitik. 1942/43 ist noch eine ganz andere Phase erreicht: Mit der Beherrschung ganz Europas ist Deutschland die Weltmacht. Gegen Karthago und Persien, Codewörter für England und vielleicht die Alliierten, muss der „Schlusskampf“ geschlagen werden bis zum „Endsieg“. Nein, das sind nicht zufällige Wörter aufgeschnappt und der Geschichte aktualisierend aufgeputzt. Der Kriegseinsatz des im Ersten Weltkrieg ausgezeichneten und verwundeten Historikers vermittelt eine klare Botschaft für den Zweiten Weltkrieg: kein Friedensvertrag, kein Nachlassen! Jetzt ist die Weltenstunde, der kairós für das Nordische Volk, das, sich seiner selbst bewusst geworden, nun sich der Berufung stellen muss, das Reich zu bauen und anderen Völkern die Herrschaft aufzuzwingen, die Deutschland im geopolitischen Herzen des Abendlandes ausüben muss. Wie es seinerzeit Rom getan hat im Herzen der Mittelmeerwelt. Und wie unter Augustus aus dem schmutzigen Krieg der Friede in Form der harten, aber Ordnung schaffenden Militärmonarchie wurde. Karthago nicht zu vernichten (oder doch erst spät), war der Fehler der Römer. Daraus muss man die Lehren der Geschichte ziehen.

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