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Dorothea Rohde „Eine Natur und Geistesgeschichte verbindende Betrachtungsweise“ Fritz Schachermeyr über: Karthago in rassengeschichtlicher Betrachtung*
ОглавлениеNicht selten sagen Buchbesprechungen mindestens ebenso viel über den Rezensenten aus wie über das anzuzeigende Werk. Dies gilt zweifelsohne für eine Rezension, die im Gnomon des Jahres 1937 erschien. Dort unterrichtete Fritz Schachermeyr den altertumswissenschaftlichen Leserkreis über Die nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens von Hans Günther, dessen Œuvre der Rezensent sowohl schroffe Ablehnung als auch grundsätzliche Zustimmung bescheinigte.1 Schachermeyr war sich demnach darüber im Klaren, dass die grundlegenden Prämissen des im Jahr 1934 erschienenen Buches keine vermittelnden Positionen zulassen und in der Gelehrtenwelt schwerlich bedingungslose Akzeptanz finden würden. Umso enthusiastischer feierte er den ihm persönlich bekannten „Rasse-Günther“2 als „Bahnbrecher einer neuen und rettenden Welt des Erkennens und Wertens“,3 da er „für alle geisteswissenschaftlichen Fächer Aufgaben und Programm“4 stelle. Nicht weniger als ein „wissenschaftliches Neubeginnen“5 begleitet von neuen Methoden habe der Autor initiiert – Methoden, die den deutschen Geisteswissenschaftlern eine „Fülle von neuen Erkenntnismöglichkeiten“6 durch eine „neue, Natur und Geisteswelt verbindende wissenschaftliche Betrachtungsweise“7 offeriere.8
Wie sehr Fritz Schachermeyr die von Hans Günther beeinflusste Rassengeschichte in der Althistorie zu etablieren wünschte, zeigt eine weitere Rezension aus seiner Feder. In der Zeitschrift Rasse besprach Fritz Schachermeyr die beiden als „Kriegseinsatz der Altertumswissenschaften“ von Helmut Berve 1942 herausgegebenen Bände Das Neue Bild der Antike. Einen Kritikpunkt bildete vor allem die mangelnde Verklammerung der Aufsätze zur griechischen Geschichte bzw. zur Kaiserzeit: „Hätte der Herausgeber hier den Rassengedanken zum Ausgang einer gemeinsamen Betrachtung erhoben, so hätten die Beiträge darin den ihr mangelnden gemeinsamen Sinn (und Nenner) wohl zu finden vermocht.“9
Man kann sich leicht vorstellen, dass sich Schachermeyr bei dem mehrtägigen Vorbereitungstreffen für das zweite Unternehmen des „Kriegseinsatzes der Altertumswissenschaften“ außerordentlich freute, den „Rassengedanken“ zur Grundlage für das Sammelwerk Rom und Karthago zu machen.10 Sein Aufsatz Karthago in rassengeschichtlicher Betrachtung sollte daher sowohl den Anschluss an aktuelle Forschungsfragen und neueste Methodik herstellen als auch programmatisch an die Spitze der Aufsatzsammlung gestellt der inneren Kohärenz des Sammelbandes dienen.11 Nirgendwo sonst machte Schachermeyr die nationalsozialistische Rassenlehre so konsequent zur Basis seiner Ausführungen. Aus diesem Grund ist es angebracht, den Schachermeyr’schen Beitrag von 1943 en détail zu analysieren und ihn in sein Leben und Gesamtwerk einzuordnen, um so den damaligen wissenschaftlichen Kontext sowie Kontinuitäten bzw. Brüche seiner Geschichtskonzeption deutlich zu machen.
Leben und Werk Fritz Schachermeyrs
Fritz Schachermeyr wurde 1895 in Österreich geboren.12 Er war das vierte Kind einer großdeutsch und antijüdisch eingestellten Familie.13 Er verlor früh seinen Vater; seine Mutter unterstützte ihn schon in jungen Jahren – auch nach dem weitgehenden Verlust des Familienvermögens – in seinen altertumswissenschaftlichen Bestrebungen. Er besuchte das humanistische Gymnasium und nahm das Studium der Alten Geschichte 1914 in Graz bei Adolf Bauer auf, wechselte 1915 kurzzeitig nach Berlin (u.a. zu Eduard Meyer) und Wien (Adolf Wilhelm), ehe er Ende 1915 eingezogen wurde. Nachdem Schachermeyr an der italienischen Front und in Siebenbürgen seinen Wehrdienst geleistet hatte, erreichte Adolf Bauer, dass sein Schüler weitgehend unbehelligt von direkten Kämpfen seine Interessen am Alten Orient in Kleinasien und Mesopotamien ausbauen konnte.14 Es war daher folgerichtig, dass Schachermeyr sein Studium in Innsbruck bei dem Altorientalisten und Althistoriker Carl Friedrich Lehmann-Haupt wiederaufnahm,15 wo er 1920 mit einer Dissertation über das Ägypten der 18. und 19. Dynastie in seinen Beziehungen zu Vorderasien promoviert wurde.16 Während seiner zehnjährigen Lehrtätigkeit an einem Mädchenrealgymnasium von 1919 bis 1929 habilitierte er sich 1928 ebenfalls an der Universität Innsbruck mit einer streckenweise altorientalistischen Arbeit über die etruskische Frühgeschichte.17 Durch einen für ihn günstigen Umstand erhielt er 1931 ein Extraordinariat für Alte Geschichte in Jena.18 Sein Mentor Lehmann-Haupt übertrug ihm sogleich die Mitherausgeberschaft der Zeitschrift Klio.
Den Ruf an seine Alma Mater als Nachfolger des eigenen Lehrers lehnte Schachermeyr nach längerem Hin und Her 1933 ab, konnte jedoch 1936 in Heidelberg den Lehrstuhl des zunächst beurlaubten, dann in den Ruhestand gedrängten deutsch-jüdischen Gelehrten Eugen Täubler übernehmen.19 Er profitierte nochmals von dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, indem er 1941 die Professur an der Universität Graz anstelle des aus ‚rassischen‘ Gründen in den Ruhestand versetzten Katholiken Franz Schehl erhielt.20
Schachermeyr wurde im Oktober 1945 wegen seines nationalsozialistischen Engagements entlassen; einen Monat später wurden ihm jedoch bereits die nur geringfügig gekürzten Rentenbezüge zugesichert, die dann ab 1947 ausgezahlt wurden.21 Seine Entbindung von der Lehrtätigkeit nutzte er für weitere Forschungen,22 bis er 1952 seine akademische Karriere mit einer Professur für griechische Geschichte in Wien als Nachfolger Josef Keils krönte.23 Dort blieb er bis zu seiner Emeritierung 1963 und darüber hinaus bis 1970 tätig. Er verstarb 1987 im hohen Alter von fast 93 Jahren.
Schachermeyr war seit 1954 korrespondierendes, seit 1957 ordentliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, sodann korrespondierendes Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften sowie der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften. Von den Universitäten Athen und Wien erhielt er 1961 bzw. 1984 jeweils die Ehrendoktorwürde. 1963 nahm er den Wilhelm-Hartel-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften entgegen. Er wurde 1967 mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse (für seine Verdienste um den Komponisten Hugo Wolf), 1972 mit dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 1985 mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich, mit der Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold und schließlich mit der Medaille für Verdienste auf dem Gebiet der Wissenschaft seiner Heimatstadt Linz geehrt.24 Er erhielt somit die höchsten akademischen und staatlichen Auszeichnungen und war damit einer der prominentesten Wissenschaftler der Zweiten Republik.25
Die Rezeption nationalsozialistischer Ideologie und sein Engagement in entsprechenden Kreisen wirkte sich für ihn also nur kurzzeitig und verhältnismäßig milde aus. Dabei hatte sich Schachermeyr schon früh positioniert:26 Bald nach Dienstantritt in Jena 1931 warb er jedenfalls bei der Studentenschaft für die NSDAP, unterschrieb im März 1933 den Wahlaufruf „Die deutsche Geisteswelt für Liste 1“, avancierte Ende 1933 zum Gauleiter von Thüringen des von ihm mitgegründeten „Kampfrings der Deutsch-Österreicher im Reich“ und trat Anfang November 1934 dem Nationalsozialistischen Lehrerbund bei. Im Juni 1937 wurde er nach der Lockerung der Aufnahmesperre rückwirkend zum 1. Mai 1933 in die NSDAP aufgenommen.27 Er übernahm während seiner Grazer Professur das „Amt Wissenschaft“ und war damit auch gleichzeitig Amtsträger im Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund.28 Dort profilierte er sich mit Vorträgen als besonders engagierter Vertreter des NS-Gedankengutes. Als Grazer Professor kooperierte er auch mit dem Kulturreferat der „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“.29 Gleichzeitig fertigte er Gutachten für das konkurrierende Hauptamt Wissenschaft der Dienststelle Rosenberg an.30
Wenn es einen Vorzeige-Althistoriker des „Dritten Reiches“ gab, dann war es sicherlich Schachermeyr, der gerne die Rolle des ‚neuen Intellektuellen‘ übernahm. Doch er stieß auch auf Ablehnung. So vertraute Berve 1943 in einem Brief seinem Kollegen Walter Herwig Schuchardt an: „Denn so begrüßenswert es ist, daß Schachermeyr fast als einziger unter den Althistorikern sich der antiken Rassengeschichte mit Eifer angenommen hat, so wenig zuverlässig erscheint mir seine Methode, so wenig präzise seine Formulierungen und seine Darstellung.“31
Nun ist Berve ganz sicher nicht für seine Distanz zum Nationalsozialismus bekannt. Möchte man seine Bewertung nicht nur als persönliche Animosität gegenüber einem Konkurrenten um die führende Stellung in der deutschen Althistorie deuten, sondern seine Kritik auch stellvertretend für eine fachwissenschaftliche Ablehnung nehmen,32 dann zeigt ein Blick auf methodische Konzeption, Darstellung und Begrifflichkeiten Schachermeyrs, warum seine Arbeiten auf Missbilligung selbst bei überzeugten nationalsozialistischen Althistorikern stoßen konnten.
Schachermeyrs Beitrag: Methodik, Argumentation und Terminologie
Schachermeyrs Beitrag Karthago in rassengeschichtlicher Betrachtung in dem Sammelwerk Rom und Karthago von 1943 ist in einer Hinsicht geradezu innovativ: Er ist theoriegeleitet. Schachermeyr ging dabei nicht vom antiken Rassenverständnis aus – einen Rassebegriff kannte die Antike ja nicht –, sondern verwendete ein theoretisches Konstrukt der „Anthropologie“ als Grundlage für seine Untersuchung, die damit sogar das Prädikat „interdisziplinär“ verdient. So abstrus sich die rassengeschichtliche Betrachtung auch lesen mag, das Vorgehen mutet erstaunlich modern an: Eine Theorie wird an den historischen Gegenstand angelegt, um ein Phänomen genauer zu fassen. Was heute also so befremdlich erscheint, ist nicht das methodische Vorgehen an sich, sondern die Ernsthaftigkeit, mit welcher Schachermeyr eine Theorie anwendet, die allgemein und zu Recht als obsolet gilt, nämlich die Übertragung der Mendel’schen Regeln auf die Evolution der menschlichen Gesellschaft, die Verknüpfung von Physiognomie mit vererbbaren Charaktereigenschaften und die Unterscheidung zwischen höher- bzw. minderwertigen Rassen als historisches Erklärungsmuster.
Diese „realen Tatbestände“, wie Schachermeyr sie nennt,33 entnahm er aus der zeitgenössischen Literatur, allen voran selbstverständlich aus den Publikationen von Hans Günther und Eugen Fischer.34 Damit hob sich Schachermeyr deutlich bei der Verwendung des Begriffs und vor allem des Konzepts von Rasse von anderen Altertumswissenschaftlern ab. Schachermeyr setzte nicht einfach „Volk“ mit „Rasse“ gleich, sondern er machte die Arbeiten fachfremder Rassentheoretiker zum Ausgangspunkt seiner Untersuchungen.35
Seinen Vorstellungen gemäß verfügte jede Rasse über eine bestimmte Physiognomie36 und eine spezifische „Rassenseele“37 bzw. ein eigenes „Charakterbild“.38 Dazu gehören beispielsweise religiöse Vorstellungen,39 die Kunstproduktion,40 die Art der Kriegführung41 oder die bevorzugte Wirtschaftsform. All dies sei genetisch festgeschrieben und demzufolge vererbbar. Daher könne anhand biologischer Regeln im Umkehrschluss eine Rasse aus dem körperlichen Erscheinungsbild und aus den „geistigen und seelischen Grundhaltungen“,42 die sich in kulturellen Zeugnissen und historischen Handlungen manifestieren, bestimmt werden.
Von diesem rassischen Idealtypus in Reinform ergäben sich allerdings Abweichungen, die bei der Identifizierung von Rassen zu beachten seien. Erstens hätten sich in der Geschichte der Menschheit die verschiedenen Rassen vermischt. Dabei seien, wie die roten und weißen Erbsenblüten des Herrn Mendel, manche Rasseneigenschaften dominant, andere dagegen rezessiv.43 Da nicht jede Rasse nur dominante bzw. rezessive Merkmale habe, können „Rassenmischungen“ körperliche bzw. seelisch-geistige Merkmale der einen und der anderen Rasse aufweisen.44 Die daraus resultierenden Volksgruppen entsprächen wiederum einem bestimmten Typus, der über eine spezifische äußerliche Gestalt und Charaktereigenschaften verfüge. Auch hier lasse sich jedes einzelne Merkmal einer bestimmten Rasse zuordnen und so die ursprünglichen Rassen bestimmen. Allerdings müsse hier mit gebotener Vorsicht ans Werk gegangen werden, da es Rasseneigenschaften gäbe, die besonders leicht identifiziert werden können und daher den falschen Eindruck vermitteln, dieses Merkmal sei auf eine bestimmte „Rassenkomponente“ zurückzuführen.45
Zweitens verfüge jede Rasse zwar über ein bestimmtes „Charakterbild“, das jedoch in einem gewissen Rahmen variieren könne. Diese seelisch-geistige Abweichung werde von Umweltbedingungen hervorgerufen, die eine Anpassung der Rassenangehörigen notwendig machen. Die umweltbedingten Varianten können sich umso stärker ausprägen, je lockerer die sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und/oder politischen Bindungen zwischen den verschiedenen Gruppen einer Rasse seien.46 Drittens könne eine Rasse kulturelle Versatzstücke übernehmen und so quasi ein höheres Kulturniveau vorspiegeln.47 Viertens können Individuen „Sonderfähigkeiten“ entwickeln. Einzelne geniale Persönlichkeiten seien daher Ausnahmen der „normalen Rassenmanifestation“.48
Warum sollte man aber überhaupt die Rassenzugehörigkeit bestimmen wollen? Die Antwort lautet im Sinne der Schachermeyr’schen Rassenkonzeption: Je reiner eine Rasse ist, desto stärker ist sie auch. Die Stärke wiederum bemisst sich an der Dominanz der „Leitkomponente“.49 Unabhängig davon, welcher Rasse man angehöre, Reinrassige seien wegen ihrer angenommenen mentalen Homogenität stets Mischlingen überlegen.50 Zudem gebe es höherwertigere und minderwertigere Rassen. Die nordische Rasse zeichne sich beispielsweise durch ihren Leistungswillen, ihre Rationalität und Ideale aus.51
Das ist in groben Zügen das methodische Grundgerüst Schachermeyrs. Davon ausgehend bestimmt er die „rassischen Wesenszüge“ und die „rassische Struktur“ der Punier. Im Folgenden erübrigt es sich, weiter auf Einzelheiten einzugehen, zu krude und naiv klingt die Argumentation – eine Naivität, die allein dadurch erklärt werden kann, dass Schachermeyr tatsächlich die anthropologisch-biologische Rassenkunde für bare Münze nahm. Dabei setzt er die Theorie absolut, denn alles muss auf ein Ziel hinauslaufen: die quasi natürliche und damit unabänderliche Verschiedenheit zwischen den nordisch geprägten Römern und den Puniern, die als Chiffre für die zeitgenössischen Juden fungieren. Die Ungleichheit müsse geradezu zu Konflikten und aufgrund der Überlegenheit der nordischen Rasse als „Leitkomponente“ zum Sieg der Römer führen.52
Von der Wahrheit seiner Theorie und der Zuverlässigkeit seiner Methode war Schachermeyr offensichtlich fest überzeugt, weshalb der Primat der Theorie vor den Quellen die gesamte Darstellung durchzieht. Dies beginnt bereits bei seinen einleitenden Bemerkungen zur dünnen und einseitigen Quellenlage.53 Doch er zieht daraus nicht die Konsequenz, von einer Untersuchung abzusehen, sondern interpretiert sowohl die positiven als auch die negativen antiken Aussagen als Ausdruck eines völligen Unverständnisses, das sich wiederum auf die grundlegende Fremdheit zwischen Griechen und Römern auf der einen und Puniern auf der anderen Seite gründe.54 Überhaupt stützt Schachermeyr sich nur begrenzt auf Quellen, die er zudem aus allen Regionen und Zeiten zusammenklaubt.55
Noch deutlicher wird seine theoriegeleitete Perspektive, die keine Einwände duldet und andere althistorische Arbeiten weitgehend ignorieren kann, in den auf die Bemerkungen zur Quellenlage folgenden Darstellungsabschnitten: In einem ersten Schritt wendet sich Schachermeyr der genetischen Herkunft der Karthager zu. Mit naturwissenschaftlicher Pseudo-Genauigkeit resümiert Schachermeyr: Die Phöniker, die sich aufmachten, Karthago zu gründen, seien wüstenländisch-armenoid-mediterrane Mischlinge mit einer deutlichen armenoiden Prägung gewesen.56 Diese Angehörigen des „charakterlosen, levantinischen Randsemitentums der syrischen Küsten“57 hätten sich mit den in Libyen siedelnden Berbern vermischten, die er mit einem Zweig der sogenannten Hamiten identifiziert.58
Was nun in einem zweiten Schritt folgt, ist eine „rassendiagnostische Überprüfung“59 des „seelisch-geistigen Wesens des Puniertums“.60 Da auch die „seelisch-geistige“ Beschaffenheit in der Schachermeyr’schen Logik vererbbar und allen Rassenangehörigen gemeinsam sei, kann er die von ihm als typisch punisch erkannten Merkmale auf die von ihm postulierten vier Rassen, nämlich die wüstenländische, armenoide, hamitische und mediterrane, zurückführen. Dabei wendet er sich zunächst dem Kriterium der Religion zu.61 Als typisches Beispiel seiner Argumentationsweise sei hier ein längeres Zitat angeführt:
„Von der punischen Religion wissen wir leider zu wenig, um angeben zu können, wie weit im einzelnen die in Frage kommenden Rassenkomponenten an ihrer Ausformung beteiligt waren. […] Aber eines fällt uns auf: In Zeiten der Not, da lernt der Punier opfern, opfern um jeden Preis. Hamilkar leitete während der Schlacht von Himera nicht die Armee, sondern verschwendete all die kostbare Zeit mit seinem Opferritual. Drohte höchste Gefahr, so opferten die vornehmen Karthager sogar ihre eigenen Söhne. Nach der Eroberung von Himera im Jahre 409 aber wanderten dreitausend Gefangene zur Schlachtbank. Aus all dem spricht ein Glaube zu der weltgebietenden Kraft der punischen Götter, zugleich aber auch die Auffassung, daß erzürnte Götter mitunter einfach nicht wollen. Wenn sie aber nicht wollen, so muß man ihnen etwas Besonderes bieten. Wollen sie dann noch immer nicht, so muß man ihnen noch mehr bieten. Dieser extreme Fall der Übertragung eines feilschenden Nimm-und-Gib-Standpunktes auf die Götter dürfte wohl mit Recht der armenoiden Rassenkomponente zugeschrieben werden. Leider wissen wir zu wenig vom punischen Ritualismus, doch werden auch da armenoide Züge eine Rolle gespielt haben.“62
Es besteht keine Notwendigkeit, alle von Schachermeyr angelegten Kriterien durchzugehen; die Darstellungs- und Argumentationsweise unterscheiden sich nur in Nuancen von dem angeführten Zitat. Daher mag ein Blick auf die unten stehende Tabelle genügen, um zu verdeutlichen, mit welchem Formalismus Schachermeyr auch die anderen Bereiche Kunst, Wirtschaft und Wirtschaftsethik, Kriegführung, Charaktereigenschaften, intellektuelle und organisatorische Fähigkeiten, Lebensform, Weltherrschaftsambitionen und so etwas Unspezifisches wie den „merkwürdigen Bruch im punischen Wesen“63 durchgeht.
wüstenländisch | armenoid | hamitisch | mediterran | |
Religion | x | |||
Kunst | x | |||
fides punica | x | x | ||
Fremdartigkeit | x | |||
händlerische Begabung | x | x | x | |
Geldgier | x | |||
Kriegführung | x | x | x | x |
Arroganz & Willkür | x | x | x | x |
Scharfzüngigkeit & Wortklauberei | x | x | x | x |
Parasitentum | x | |||
fehlendes Charisma | x | x | ||
Feigheit | x | |||
ungezügeltes Hassen | x | |||
Organisationstalent | x | |||
Bruch im Wesen | x | x |
Der Vollständigkeit halber sei noch der Inhalt des restlichen Beitrages resümiert: Im dritten Abschnitt wendet sich Schachermeyr offenen Fragen zu, also dem angeblichen Einfluss der Griechen64 und der rassischen Zugehörigkeit der großen Einzelpersönlichkeiten.65 Ein Fazit beschließt den Aufsatz.66 Hier betont Schachermeyr nochmals den Wert der rassenkundlichen Betrachtung, die seiner Meinung nach darin besteht, eine „tiefere Begründung“ für intuitiv erkannte Gegensätzlichkeiten geliefert zu haben.67 Eine stakkatoähnliche Gegenüberstellung Roms und Karthagos, bei der schon einmal das eine oder andere Prädikat verloren geht, kulminiert in der Begründung, Rom sei wegen seiner nordischen Prägung den Puniern überlegen gewesen.68
Knapp 35 Seiten, um das herauszufinden und vor allem zu begründen! Wie vermag es Schachermeyr, zumindest vordergründig den wissenschaftlichen Schein zu wahren? Drei argumentative Kunstgriffe eröffnen Schachermeyr die Möglichkeit, Zeugnisse beliebig – und das meint im Sinne seines Argumentationsziels – zu interpretieren. Erstens: Äußerliche Erscheinung und „seelisch-geistige“ Beschaffenheit müssen nicht korrespondieren.69 So kann er beispielsweise postulieren, dass die gefundenen Skelette zwar dem hamitischen Typus entsprechen, kann sich aber gleichzeitig die Tür dafür offen halten, dass die mentalen Merkmale von anderen Rassen stammen würden.70 Zweitens: Abweichungen vom Idealtypus können auf Umwelteinflüsse zurückgeführt, sogar Rassenuntypisches könne von anderen übernommen werden – ohne dass diese Übernahmen Einfluss auf die Gene und damit auf die Wertigkeit der Rasse hätten.71 Drittens: Ausnahmen bestätigen die Regel. Geniale Individuen können „aus der Art“ schlagen; ihre Fähigkeiten sagen also nichts über „die Rasse an sich“ aus.72
Zusätzlich zu diesen argumentativen Kunstgriffen suggeriert Schachermeyr methodische Reflexion und differenzierte Analyse. Er beurteilt den Quellenwert der zur Verfügung stehenden Zeugnisse,73 macht immer wieder auf Leerstellen aufmerksam74 und orientiert sich damit an gängiger Quellenkritik. Er gesteht Nichtwissen ein und suggeriert auf diese Weise, dass das, was postuliert wird, verlässlich sei und wissenschaftlichen Ansprüchen genüge.75 Der Verweis auf die aktuelle „anthropologische Forschungsliteratur“ ahmt das nach, was wir heute als Darstellung des Forschungsstandes bezeichnen würden.76 Er führt Sekundärliteratur (allerdings so gut wie keine althistorische) an, macht so seine Ergebnisse nachvollziehbar und evoziert Intersubjektivität. Er benennt Forschungslücken der „Rassendiagnostik“77 und beweist damit, dass er die Forschung überblickt und bewerten kann.78 Eine Bemerkung zu seinen während seines längeren Aufenthaltes in Mesopotamien, Syrien und Ostkleinasien gesammelten Eindrücken erweckt die Vorstellung empirischer Feldstudien.79 Den Anschein von Wissenschaftlichkeit erreicht Schachermeyr zudem durch die Differenzierung in Rassen und Untergruppen.80 Dabei formuliert er Gegenpositionen und vermittelt den Eindruck, hier könnten Sachargumente gegeneinander objektiv abgewogen werden.81 Die Diskussion von scheinbaren Analogien82 sowie von feinen Differenzierungen83 und das Zurückweisen von voreiligen Schlüssen84 entsprechen gängiger wissenschaftlicher Praxis.
Ebenso wie Argumentation und Darstellungsweise deutet seine Terminologie Wissenschaftlichkeit an – auch wenn er zuweilen in nationalsozialistischen Pamphletenjargon abrutscht.85 Schachermeyr verwendet aus der Naturwissenschaft entlehntes Vokabular, das den Ausführungen sprachliche Präzession und Objektivität verleihen soll.86 Zusätzlich vermitteln Definitionen,87 die Abwägung zwischen Begrifflichkeiten88 oder die Erörterung der Brauchbarkeit von Termini89 auch den Formulierungen einen wissenschaftlichen Anstrich; er führt sogar eigene Bezeichnungen ein.90 Das Bemühen um exakte Formulierungen macht deutlich, dass Schachermeyr nicht einfach mit Begriffen und Denkmustern hantiert, sondern tatsächlich von der Wissenschaftlichkeit seiner Methode überzeugt war.
„Quel flamine del razzismo che continua a essere“:91 Kontinuitäten des Denkens
War der Schachermeyr’sche Beitrag in dem Sammelwerk Rom und Karthago ein Anbiedern an den Zeitgeist oder vielleicht Ausdruck des Bemühens, der Alten Geschichte auch in einer nationalsozialistischen Geschichtsschreibung das Überleben zu sichern? Immerhin bescheinigte Ernst Badian dem Autor einen „unparalleled genius“;92 überhaupt sei Schachermeyr „the greatest Austrian historian of antiquity“93 gewesen. Stellt man die einem Nachruf angemessene Übertreibung in Rechnung, dann mag sich die positive Einschätzung darauf gründen, dass Schachermeyrs Leistungen vor allem in seinem zweiten akademischen Leben tatsächlich von einer herausragenden Kombinationsgabe und exzeptionellen Kenntnis der Quellen sowie Sekundärliteratur zeugen.94
Was die Thematik der rassengeschichtlichen Betrachtung angeht, so ist sie in einer Hinsicht atypisch für Schachermeyr. Er war keineswegs ein Experte für die römische Geschichte, auch wenn er bereits 1930 einen Aufsatz zu den punisch-römischen Verträgen vorgelegt hatte.95 Er publizierte hauptsächlich zur griechischen Geschichte, zu Themen der Ur- und Frühgeschichte, der Archäologie, der Altorientalistik bzw. Hethitologie, Mykenologie, Etruskologie, Sprach- und Religionsgeschichte und der Geschichtsphilosophie.96 In einer anderen Hinsicht war die „rassengeschichtliche Betrachtung“ jedoch sehr wohl typisch für Schachermeyr, so typisch, dass er nach 1945 letztlich nur in geringfügigen Modifikationen daran festhielt: und zwar in seiner Geschichtskonzeption und in der Funktion der Geschichtswissenschaft für die Gegenwart.97
Schachermeyr trat schon früh mit großem Engagement für die Nutzbarmachung der Rassenlehre ein, nicht zuletzt, um der Alten Geschichte einen Platz in der akademischen Lehre zu sichern und seine eigene wissenschaftliche Karriere zu fördern.98 Bereits 1933 veröffentlichte er im Völkischen Beobachter den Beitrag Die nordische Führerpersönlichkeit im Altertum.99 Einen Sonderdruck der erweiterten Fassung schickte er dem Reichsinnenminister Frick.100 Im selben Jahr legte er den Aufsatz Die Aufgabe der Alten Geschichte im Rahmen der nordischen Weltgeschichte vor.101 Um die Regierungsstellen von der Existenzberechtigung der Althistorie zu überzeugen, nahm er die Ausführungen von Hans Günther als Basis und erkannte eine Pflicht der Alten Geschichte, das „klassische Erbe in seine nordische und seine uns rassenfremde Komponente“102 zu scheiden. Aus dieser Sorge um die Verortung des Faches begann er etwa zeitgleich (1934) eine Vorlesungsreihe mit dem Titel „Geschichte der nordisch-indogermanischen Völker im Altertum“.103 Im Jahr 1941 positionierte er sich zudem im „Lager des Fachkreises Altertumswissenschaft in Würzburg“ mit einem Vortrag über „Rassenkunde und Altertumsforschung“.104
Doch Schachermeyr war kein Mitläufer, der sich nur oberflächlich eine politisch genehme Terminologie aneignete, um systemkonformes Forschen und eine entsprechende Lehrtätigkeit vorzuspiegeln – dazu sind seine Schriften viel zu sehr von einer erbbiologisch abgeleiteten Rassenkonzeption durchdrungen, wie ein Blick auf sein 1940 erschienenes Hauptwerk Lebensgesetzlichkeit in der Geschichte. Versuch einer Einführung in das geschichtsbiologische Denken zeigt.105 Darin verknüpfte er das von ihm kritisierte Spengler’sche Dekadenzmodell mit der Rassenlehre und identifizierte bessere bzw. optimale Zustände:106 Da sein Interesse für Geschichte von den „erhaltenen Meisterwerken des Geistes und von der grossen [sic] Kunst“107 herrührte, er seit seiner Zeit als Lehrer am Mädchenrealgymnasium zudem von universalen Gesetzmäßigkeiten ausging und vergleichende Geschichtsbetrachtung betrieb, lag es für ihn nahe, bestimmte Kulturen als minderwertig oder im Verfall begriffen zu interpretieren.108 Dementsprechend erklärte er beispielsweise den Untergang der griechischen Kultur im Hellenismus als Folge von „Rassenmischung“ und „Entnordung“.109 Er idealisierte die Antike also nicht und verschloss sich beispielsweise auch dem Dritten Humanismus;110 die Beschäftigung mit der Alten Geschichte diente ihm nicht dazu, Vorbilder zu identifizieren, sondern aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Daher warnte er den zeitgenössischen Leser vor der „Vermischung“ mit Juden und der daraus folgenden angeblichen „Bastardisierung“.111
Nach 1945 blieb Schachermeyr seinen alten Deutungen treu und modifizierte nur geringfügig seine Begriffe und Vorstellungen.112 Seine Griechische Geschichte von 1960 bzw. 1969, seine Alexander-Biografie (1949 und 1973) und die 1981 erschienene Tragik der Voll-Endung sind hier besonders aufschlussreich. Darin legte er dar, dass ein spezifisches Bewusstsein die Struktur und Form einer Kultur bestimme.113 Das kulturelle Bewusstsein lasse sich fassen in den kulturellen Leistungen, in den religiösen Vorstellungen und in der Gesellschafts-, Wirtschafts- sowie Staatsordnung.114 Kultur, also die reale Ausprägung des kulturellen Bewusstseins, werde durch drei Faktoren bestimmt: durch die genetische Basis, geografische Bedingungen und historische Umstände.115 Dass es nicht bei statischen Zuständen bleibe, dafür macht Schachermeyr zwei Aspekte verantwortlich:116 Erstens können Individuen mit außerordentlicher Genialität das kulturelle Bewusstsein eines Kollektivs verändern (oder zumindest Veränderungen initiieren).117 Er denkt dabei beispielsweise an Lenin, Stalin und Mao Zedong.118 Zweitens entwickeln sich Kulturen wie Lebewesen nach biologischen Grundsätzen. Gemäß ihrer genetischen Grunddisposition gedeihen, erblühen und vergehen sie. Während die erste Epoche gleichsam die Vorbereitung für die zweite, die von kulturellen Spitzenleistungen geprägte Reifeperiode darstelle, ist die Spätphase bei Schachermeyr stark negativ konnotiert. Sie werde durch die Auflösung von Hierarchien und Individualismus herbeigeführt und ende in einem trostlosen Zustand, in dem nichts Bedeutendes mehr zustande gebracht werden könne.119
Dass er selbst hierin eine direkte Kontinuität seines Werkes erblickte, lässt sich aus seinen eigenen Worten erschließen: In seiner 1984 erschienenen Autobiografie verschweigt, beschönigt oder verleugnet er seine nazistischen Aktivitäten.120 Aber ein kurzes Kapitel mit dem Titel Was ich Jena verdanke?121 wirft ein bezeichnendes Licht auf seine mangelnde Distanzierung von seinen während des Nationalsozialismus entwickelten Ideen. Während seiner Lehrtätigkeit an der Jenaer Universität entstand die erwähnte Lebensgesetzlichkeit in der Geschichte, die er seinen „studentischen Kameraden“122 widmete. Ihnen verdanke er – so in der Rückschau von 1984 – „eine andere Art zu denken“:123
„Erst mit Hilfe eines schärfer umreißenden Denkens gewann ich dann etwas ganz Neues, […] es wurde mir zur entscheidenden Notwendigkeit, den ‚Wert‘ und die ‚Werthaltung‘ an bevorzugter Stellung in mein Begriffssystem einzubauen. Damit tat ich einen Schritt in Richtung auf eine neue Geschichtsphilosophie, die sich nun immer mehr auch zu einer Wertphilosophie entwickelte.“124
Schluss: Eine Frage des Glaubens
Genauso wenig wie Fritz Schachermeyrs Œuvre repräsentativ für die Gesamtheit der deutschen Altertumswissenschaftler während des Nationalsozialismus war, ebenso wenig war sein Beitrag Karthago in rassengeschichtlicher Betrachtung zum Sammelwerk Rom und Karthago von 1943 in methodischer Hinsicht richtungsweisend – er verkörperte ein Extrem. Schachermeyr entdeckte früh die Rassenlehre für sich und formte sie zu einer wert- und strukturorientierten Geschichtsbiologie.125 Während andere Althistoriker „Rasse“ nur als Begriff einführten und an völkische Vorstellungen anknüpften, machte Schachermeyr Rasse zur Grundlage seiner Geschichtsbetrachtung.
Die Kontinuität seiner Geschichtsauffassung nach 1945 signalisiert echte Überzeugung; trotz seines „Vergessens“ früherer Arbeiten blieb er sich im Grunde gleich. Als ein prägnantes Beispiel seines biologisch terminierten Geschichtsbildes kann der von ihm verfasste Beitrag in Rom und Karthago gelten. Er stützt sich dabei auf sechs Grundvoraussetzungen: Die Karthager seien Mischlinge aus vier Rassen; Rassen können variable Verhaltensweisen an den Tag legen; Verhaltensweisen und kulturelle Errungenschaften können von anderen Rassen übernommen werden; Rassenmerkmale können fälschlicherweise auf eine bestimmte Rasse hindeuten; es gibt individuelle Abweichungen; auch unter Angehörigen der minderwertigsten Rasse gäbe es zuweilen Manifestationen von Genialität. Diese Abweichungen vom Grundtypus eröffnen Schachermeyr einen argumentativen Weg, der nie in die Leere führen kann: Jegliche Verhaltensweise, Mentalität oder Kulturleistung kann von ihm als Charaktereigenschaft der einen oder anderen Rasse, als Variation ererbter Anlagen, als individuelle Eigenschaft, als Ausdruck eines Genius, als Übernahme oder schließlich als Missverständnis interpretiert werden. Diese interpretatorische Freiheit, gekoppelt mit seinem methodischen Vorgehen, eine Theorie absolut zu setzen und als holzschnittartiges Raster an einen historischen Gegenstand anzulegen, lässt ihn letztlich ins Leere laufen: Er kann nur das finden, wonach er sucht. Ein negativer Befund ist mit diesem Theoriegerüst überhaupt nicht möglich – wenn man daran glaubt.
Die Kontinuität des Schachermeyr’schen Denkens erstreckte sich daher nicht allein auf seine Deutungen. Die Unbeirrbarkeit, mit der Schachermeyr auch sonst die seinem Werk zugrunde liegende Theorie verfolgte, die ihn zugleich von der Enge der Quellen entband und ihm interpretatorische Freiheiten eröffnete,126 gründete auf der besten Legitimation, die man beibringen kann: auf göttlichen Willen. So sprach er selbst offen und voller Stolz davon, er habe seine 1949 erschienene Alexander-Biografie auf Weisung und mit Beistand von ‚oben‘ geschrieben.127 Damit hatte er sich als Mittler zwischen menschlicher und übernatürlicher Sphäre erwiesen, der mit göttlichem Auftrag versehen, eine Art Konversion erfuhr und der Menschheit als wertevermittelnde Instanz diente.128 Einem solchen Geschichtspropheten konnte Kritik nichts anhaben, er musste nicht geläutert werden oder Irrtümer eingestehen. In dieser Perspektive wird Historiografie zur Offenbarung, zu einer Frage des Glaubens.
* Für hilfreiche Hinweise danke ich herzlich Prof. Dr. Johannes Hahn (Münster) und Dr. Maria Osmers (Würzburg).
1 Schachermeyr 1937.
2 So bezeichnete Schachermeyr 1984, 148 ihn in seiner Autobiograie anlässlich seiner Schilderung einer Episode, die sich während seiner Zeit an der Jenaer Universität ereignete.
3 Schachermeyr 1937, 631.
4 Ebd.
5 Ebd., 635.
6 Ebd.
7 Ebd.
8 Nur an zwei Stellen (Schachermeyr 1937, 634 und 635) verspürt der Leser der Rezension einen Hauch von Kritik, die aber sofort relativiert wird. So konstatiert Schachermeyr erstens auf Seite 634 eine Leerstelle: „Hier müssen wir auf eine Lücke hinweisen. Im Rahmen der Centum-Gruppe hätten nämlich auch die Hethiter eine eingehendere Besprechung verdient. Das Bild, das sich G. von ihnen gemacht hat, beruht auf bereits überholten Darstellungen. […] Augenblicklich sind diese neuen Erkenntnisse allerdings nur aus einem Wust von Spezialliteratur zu gewinnen, und so können wir es wohl verstehen, wenn G. daran vorbeiging. Für eine zweite Auflage würde es sich aber empfehlen, den Hethitern eine erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken.“ Zweitens gibt er auf Seite 635 zu, dass Günther im Detail nicht durchgehend zu folgen ist: „Natürlich ist es keine Kunst und ein billiges Vergnügen, als Spezialforscher die Backen aufzublasen und G. allerhand kleinere Versehen wie Irrtümer nachzuweisen. Ich aber glaube, dass es wahrlich leicht genug ist, sich als Spezialforscher immer im engsten Kreise zu drehen; dass auch kein Grund vorliegt, dann mit den Spezialkenntnissen gar zu groß zu tun.“
8 Schachermeyr 1943, 119. Die Zeitschrift hatte sich, wie der Name deutlich macht, besonders dem Rassengedanken gewidmet. In diesem Sinne hebt er in der vorliegenden Rezension den Beitrag von Miltner besonders hervor: „Unter den von 38 Forschern stammenden, zumeist übrigens ganz vortrefflichen Beiträgen zeigt sich aber allein der am Schlusse stehende und in jeder Hinsicht höchst bedeutsame Aufsatz von Miltner in grundsätzlichem Sinne auf rassenkundliche Betrachtung ausgerichtet.“ (Schachermeyr 1943, 119).
10 Vgl. die von Vogt (RuK, 7) formulierten Leitfrage: „Ist dieser folgenschwere Konflikt [zwischen Rom und Karthago, D.R.] durch das Blutserbe der Völker bestimmt gewesen, durch die Tatsache also, dass dem wesentlich nordisch geprägten Rom die Welt Karthagos gegenüberstand, deren Fremdheit sich aus der rassischen Struktur des Puniertums ergibt? Und wie hat sich dieser Faktor des Rassengegensatzes ausgewirkt im Staatsaufbau und in der Wirtschaft, in der Diplomatie und Kriegführung, in Religion und Kunst und geschichtlichem Bewußtsein?“
11 Auf diese Weise konnte er zeigen, in welche Richtung seiner Meinung nach moderne Forschung zu gehen habe – schließlich war er der ausgewiesene Experte in diesem Feld: Für die dritte bis mindestens zehnte (mit Ausnahme der siebten) Ausgabe der Zeitschrift „Rasse“ übernahm Schachermeyr in der Zeit zwischen 1936 und (mindestens) 1943 den jährlichen Fachbericht für die Alte Geschichte. Dabei beurteilte er die altertumswissenschaftlichen Publikationen im Hinblick auf „success or failure to write true racially based history“ (Badian 1988, 7).
12 Zu Leben und Werk siehe die ausführliche Monografie von Pesditschek 2009 sowie zusammenfassend bzw. würdigend Badian 1988. Deger-Jalkotzky 1988; Dobesch 1988a; Simon 1990, 58–60; Schuller 2005a; Christ 2006, 65–68; Pesditschek 2007 und 2009, 737–738 (tabellarischer Lebenslauf); Drüll 2009; Heinhold-Krahmer 2009; Pesditschek 2012a.
13 Pesditschek 2007, 42.
14 Pesditschek 2010, 50–75.
15 Zu diesem siehe Bichler 2011.
16 Der Titel der Dissertation ist nicht sicher; sie wurde nie gedruckt und Exemplare sind unauffindbar, so Näf 1994, 89 Anm. 23.
17 Ein erster Versuch, nämlich die Attischen Tributlisten neu zu edieren, war hinfällig geworden. Näf 1994, 89.
18 Erst während des Berufungsverfahrens wurde die Jenaer Professur zu einer außerordentlichen zurückgestuft, sodass die vor Schachermeyr platzierten Professoren Josef Keil (Greifswald) und Johannes Hasebroek (Köln) den Weg für den noch nicht etablierten Privatdozenten frei machten. Siehe dazu Pesditschek 2007, 44f. und 2010, 179–184.
19 Pesditschek 2010, 273–275. Zur Singularität des Vorganges Losemann 1977, 50.
20 Pesditschek 2010, 323.
21 Pesditschek 2007, 59.
22 In dieser Zeit entstand beispielsweise seine Alexander-Biografie, die er 1949 veröffentlichte.
23 Josef Keil legte, wie damals üblich, die Liste vor. Franz Miltner und Fritz Schachermeyr waren infolge der Entnazifizierung außer Dienst gestellt; alle drei hatten im „Dozentenbund“ reüssiert. Zum Erfolg Schachermeyrs trugen die Fürsprache seines alten Freundes aus seiner Innsbrucker Zeit, des Geografen Johann Sölch, und ein Gutachten Friedrich Wilhelm Königs bei. Siehe dazu Pesditschek 2007, 61. – Vgl. dagegen seine verzerrte autobiografische Darstellung in Schachermeyr 1984, 182f. Schachermeyr stilisierte sich zum Opfer und usurpierte bzw. pervertierte damit den Widerstandsbegriff.
24 Siehe die Auflistung seiner Mitgliedschaften sowie der Ehrungen und Auszeichnungen Dobesch 1988a, 433f.
25 Pesditschek 2007, 41.
26 Siehe dazu ebd., 47.
27 Ebd., 54f.
28 Ebd., 56.
29 Ebd.
30 Ebd., 57.
31 Wirbelauer 2000, 116.
32 Christ 2006, 62.
33 Schachermeyr RuK, 11: „der reale Tatbestand des Puniertums“.
34 Siehe Schachermeyr RuK, 12 Anm. 1; 16 Anm. 2; 22 Anm. 2; 24 Anm. 1; – Zudem rezipierte er die Arbeiten von Graf, Böhm und Kühn (Schachermeyr RuK, 14 Anm. 1; 23 Anm. 34), Breitinger (Schachermeyr RuK, 17 Anm. 2) und Clauss (Schachermeyr RuK, 24f. mit Anm. 2 und 3).
35 Schachermeyr ist schon früh – auch persönlich – in Kontakt mit Günther gekommen: Günther war 1930 an die Universität Jena berufen worden, an die Schachermeyr selbst 1931 gelangte. Außerdem lässt sich mutmaßen, dass Günther, der im Herausgebergremium der Zeitschrift „Rasse“ tätig war, Schachermeyr als Verantwortlichen für die jährlichen Fachberichte zur Alten Geschichte vorschlug. So auch Badian 1988, Anm. auf S. 6f.
36 Schachermeyr RuK, 13.
37 Bzw. „Rassenpsyche“: Ebd., 13; 16; 28. Die Begriffe variieren, so z.B. nennt er das von ihm postulierte Phänomen auch den „Seelentypus“ (Seite 24) oder das „Seelisch-Geistige“ (Seiten 16; 22; 23; 24).
38 Ebd., 23; 25.
39 Ebd., 25–27. So würde die mediterrane Rasse sich eher zu weiblichen Gottheiten (Magna Mater, Isis und Madonna) hingezogen fühlen. Die wüstenländische Rasse (etwa der Islam) sei vor allem eine kämpferische Glaubensgemeinde mit herrschaftlichen, heroischen Gottheiten, die einem politischen oder militärischen Anführer glichen. Die armenoidische Rasse (Altkleinasien, Syrien) habe einen Hang zum rituellen Formalismus, Angst vor Sünde und kultischer Unreinheit. Der do-ut-des-Gedanke sei hier sehr präsent, wobei die Gottheiten auch auf die Einhaltung ritueller Vorschriften kleinlich bedacht seien. Ebd., 25f.
40 Ebd., 27f.
41 Ebd., 29; 31.
42 Ebd., 9.
43 Ebd., 22.
44 Ebd. Genauso wie die Blondhaarigkeit der nordischen Rasse rezessiv vererbt werde, aber die geistige Haltung (bei der Mischung mit anderen europäischen Rassen) dominant sei, genauso werde die geistige Haltung der Armenoiden dominant vererbt, so Schachermeyr, ebd., 22: „Um dieses Vorschlagen ihrer geistigen Art wußten schon die Juden des Altertums, scheuten sich daher auch nicht vor Proselytenmacherei und damit verbundener Mischung mit Andersrassigen; auf diese Tatsache gründet auch das moderne Judentum seine Aufgeschlossenheit gegenüber Mischheiraten. Der Mischling geht der andern Komponente ja verloren und bedeutet einen Zuwachs an jüdischer Art.“
45 Ebd., 41 Anm. 1.
46 Ebd., 23.
47 Ebd., 39f.
48 Ebd., 40f.
49 Ebd., 43.
50 Ebd.
51 Ebd.
52 Ebd.
53 Ebd., 9–12; 23.
54 Ebd., 10f.
55 Auf den ersten Seiten (ebd., 9–28) kommt er so gut wie vollständig ohne Quellenbelege aus, während er zwar auf den letzten Seiten (ebd., 29–39) antike literarische Zeugnisse angibt, hier aber weder nach Zeit noch nach Raum differenziert.
56 Ebd., 12f. Günther hatte in seiner „Rassenkunde des jüdischen Volkes“ von 1930 die zeitgenössischen Juden nicht als „reine Semiten“ angesehen, sondern als „Mischlinge“ aus Semiten und sog. Armenoiden.
57 Ebd., 42.
58 Ebd., 15f.
59 Ebd., 23.
60 Ebd.
61 Ebd., 25–27.
62 Ebd., 26f.
63 Ebd., 36. Mit dem „Bruch im punischen Wesen“ sind die angeblich widerstreitenden Charaktereigenschaften gemeint, die allen semitischen Völkern mit einem hohen Anteil armenoiden Bluts zu eigen und gleichzeitig von keiner „Leitkomponente“ geprägt seien.
64 Ebd., 37–40.
65 Ebd., 40f.
66 Ebd., 41–43.
67 Ebd., 42.
68 Ebd., 42f.
69 Ebd., 22.
70 Ebd., 21. Vgl. auch ebd., 23; 42.
71 Ebd., 15; 39.
72 Ebd., 41.
73 Ebd., 9–12; 15; 18; 20; 23; 29; 33.
74 Ebd., 11; 19f.; 23; 27; 41.
75 Ebd., 12; 14 mit Anm. 3; 18; 24; 26; 31; 40f.
76 Siehe dazu auch oben in Anm. 33.
77 Schachermeyr RuK, 24 Anm. 2; 25 Anm. 4. 18; 20; 23.
78 Dem dient auch der Verweis auf eigene Arbeiten, insbesondere seine „Lebensgesetzlichkeiten“ (Schachermeyr 1940), so in Schachermeyr RuK, 14 Anm. 4; 22 Anm. 3; 27 Anm. 4; 43 Anm. 1.
79 Ebd., 25.
80 Ebd., 16.
81 Ebd., 25.
82 Ebd., 31f.
83 Ebd., 21.
84 Ebd., 15; 17; 33; 35 Anm. 3; 38f.; 41 Anm. 41.
85 So beispielsweise ebd., 28: „Das Verhältnis der Phoeniker und Punier zu dem übernommenen Fremdgut kennt weder fremde noch eigene Würde, es ist dasjenige des Schmarotzers, des Parasiten.“ Vgl. auch ebd.: „armenoide Schmiegsamkeit“; 31: „armenoide[s] Kriechertum“; 32: „parasitäre Erscheinungsform“; 34: „Neben dem vorbesprochenen Expansionstypus hat nun in Vorderasien noch ein anderer und ganz andersartiger seine Heimat. Es handelt sich bei ihm um eine Unterwanderung‘ durch einzelne parasitäre Individuen oder Cliquen, vielfach ohne festere Organisation und ohne Zuhilfenahme von Machtmitteln, wohl aber befähigt zu geschickter Anpassung und Tarnung. Solche Art der Expansion entspricht dem wüstenländischen Rassentypus nur schlecht, paßt aber um so besser zu dem uns geläufigen Bilde der armenoiden Rassenseele. Damit stimmt überein, daß die Ausgangsbereiche derartiger schleichender Infiltrationen in Ländern mit überwiegender oder wenigstens sehr starker armenoider Komponente zu finden sind […]“; 35: „de[r] im wesentlichen von armenoidem Blute bestimmte parasitäre Händler der ostmittelmeerischen Küstenstädte“; „die jüdische Expansion […], welche […] von den Armenoiden hingegen die einschleicherischen Methoden entlehnte“; 42: Punier als „Wechselbalg zwischen Rassen und Welten“.
86 Beispielsweise ebd.; 18; 21: „Brachykephale“ (und verwandte Begriffe). Ebd., 21: „Dolichokephalie (und verwandte Begriffe). Ebd., 21: „Mesokephalie“. Ebd., 14 Anm. 3: „spontane Analogie (Konvergenz)“. Ebd.: „analoge Siedlungsverhältnisse“. Ebd., 22: „Phänotypus“. Ebd., 24: „differentialdiagnostisch“. Ebd., 30 und 24 Anm. 2: „Expressivität“ in Abgrenzung zu „Intensität“ und „Penetranz“.
87 Beispielsweise ebd., 14 Anm. 1.
88 Ebd., 24 Anm. 2.
89 Ebd., 23 Anm. 1.
90 Ebd., 14 Anm. 2; 24 Anm. 2.
91 Momigliano (1969), 54.
92 Badian 1988, 3.
93 Ebd., 1.
94 Pesditschek 2007, 41, die Schachermeyr sonst distanziert betrachtet und kritisch gegenübersteht. Vgl. auch Näf 1994, 89 und 99.
95 Schachermeyr 1930.
96 Siehe das offizielle Schriftenverzeichnis bei Dobesch 1988b und Rehrenböck 1988 bzw. das ausführliche bei Pesditschek 2010, 765–846.
97 Siehe zur Geschichtskonzeption Schachermeyrs seit den 1960er-Jahren Pesditschek 2007, 51 und insbesondere Näf 1994.
98 Wiesehöfer 1990, 159. Siehe zur prekären Rolle der Altertumswissenschaften in dieser Zeit ausführlich Losemann 1980. Speziell zu Schachermeyr Losemann 1977, 48 und 1980, 54–63.
99 Schachermeyr 1933. Eine ausführlichere Version erschien im gleichen Jahr in Humanistische Bildung im nationalsozialistischen Staate (= Schachermeyr 1933a). Losemann 1980, 54–59.
100 Losemann 1977, 47 und 1980, 56.
101 Schachermeyr 1933b.
102 Ebd., 599. Losemann 1977, 47.
103 Näf 1994, 94.
104 Losemann 1977, 98–102; Pesditschek 2010, 324.
105 Schachermeyr 1940.
106 Ebd., 149f.; Pesditschek 2007, 50.
107 Vortrag gehalten zu seinem 80. Geburtstag (Nachlass Wien, Mappe 3), zitiert von Näf 1994, 84.
108 Seine Lehrtätigkeit an dem Mädchenrealgymnasium in Innsbruck zwang ihn dazu, sich mit allen historischen Epochen auseinanderzusetzen und komplexe Sachverhalte didaktisch zu reduzieren, indem er Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte identifizierte. Dabei erkannte Schachermeyr (1984, 136) „die wunderbare Logik, die uns in der Entwicklung des Abendlandes entgegentritt […].“ Das Erkennen von Analogien, Rhythmen und Regelhaftigkeiten von der Antike bis zur Neuzeit legte den Grundstein für seine Tragik der Voll-Endung (Schachermeyr 1981), wie er selbst schildert: „So habe ich im Obergymnasium den Schülerinnen einen Unterricht geboten, den ich in meiner Geschichtsdarstellung in der Tragik der Voll-Endung nur noch etwas auszubauen brauchte, einen Unterricht, der schon damals eine Menge von neuen Erkenntnissen vermittelte, die unseren fachzuständigen Neuhistorikern ferner geblieben, da sie wegen der vielen Bäume den Wald nicht sahen. Im Grunde habe ich ja für die abendländische Geschichte vielleicht sogar mehr Neues erschlossen als für meine eigene antike Geschichte. Das alles machte mich erst zum Kulturmorphologen und Geschichtsphilosophen.“
109 Schachermeyr 1940, 124f.; 129.
110 Losemann 1980, 61.
111 Schachermeyr 1940, 221.
112 So auch Näf 1994, 92 und 97f.; Pesditschek 2007, 63–65. Vgl. dagegen Badian 1976 und 1988.
113 Näf 1994, 86.
114 Ebd., 86.
115 Ebd.
116 Ebd., 86f.
117 Ebd., 87.
118 Schachermeyr 1973, 630f.; Pesditschek 2007, 50f.
119 Näf 1994, 87 und 96f.
120 Vgl. auch die treffenden Worte von Badian 1988, 3.
121 Schachermeyr 1984, 150–152.
122 Schachermeyr 1940, Widmungsseite der Titelei.
123 Schachermeyr 1984, 150.
124 Ebd., 151
125 Näf 1994, 95.
126 Vgl. beispielsweise die Rezension zu Schachermeyrs 1949 erschienenen Alexander-Biografie von Laistner 1951, besonders 337: „The ‚facts‘ are made to fit a preconceived theory“. Ähnliches wird ihm auch von Hooker 1985 vorgeworfen.
127 Schachermeyr 1984, 174f.: „Und dann überfiel mich in der Nacht von einem 31. Dezember zu einem 1. Jänner das höhere Geheiß, eine Alexander-Monographie zu schreiben. […] Order zu parieren, soferne sie von ‚oben‘ kommt, war schon immer meine Devise gewesen. Auch diesmal folgte ich ihr sogleich. Das wäre allerdings gar nicht so leicht gewesen, wenn ich nicht zugleich in einen merkwürdigen Trance-Zustand des Schaffens versetzt worden wäre.“ Und dann weiter auf S. 176: „Es waren inzwischen mehr als zwei Jahre verflossen und nun erst wachte ich gleichsam auf. Da nahm ich mir meinen Text immer wieder und wieder mit Kopfschütteln und Zweifeln vor. Nicht daß er mir mißfallen hätte, nein, er gefiel mir sehr gut, ja viel zu gut für meine stilistischen Fähigkeiten. Sollte denn wirklich ich selbst den Text gemacht haben? Bis auf den heutigen Tag habe ich das Gefühl nicht losbekommen, daß dieser Alexander-Text gar nicht von mir stamme. Der Stil und die Sprache stellten sich ja als eine Art von musikalischer Kunstprosa dar. Dabei ist es mir nie gelungen, derartiges in einem anderen Werk wieder zu verwenden. Ich konnte darüber also gar nicht verfügen.“
128 Er selbst formulierte dies in einem Vortrag anlässlich seines 80. Geburtstages folgendermaßen: „Und dem antwortete in meinem Inneren eine andere Kraft, die ich als eine mir recht geheimnisvoll erscheinende elementare Schaffenskraft empfinde. Diese elementare Schaffenskraft trieb mich nicht auf das Neuschöpferische, sondern in Richtung auf das Nachschöpferische. Ja sie liess in mir eine gewaltige priesterliche Leidenschaft aufwallen. Die galt nun dem vertieften Erkennen, Verstehen und interpretieren vergangener Hochwert, um sie der Zukunft weiterzugeben.“ Nachlass Wien, Mappe 3, zitiert von Näf 1994, 84.