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Christoph Auffarth „Rom besaß die sittlichen und materiellen Kräfte, den Schlußkampf gegen Karthago durchzustehen“ Fritz Taeger über: Völker- und Rassenkämpfe im westlichen Mittelmeer Taegers Berufung zum neuen Thukydides
ОглавлениеDer Aufstieg zum Professor, der Aufstieg zum Rektor
1925 ist für den 31-jährigen Fritz Taeger das Jahr, in dem er professorabel wird mit der Veröffentlichung seiner Habilitationsschrift zu Thukydides. Aber die Berufung lässt insgesamt mehr als sechs Jahre auf sich warten. Sicher eine Ursache für die gebremste Karriere ist seine parallel zur Habilitationsschrift niedergeschriebene Biografie des Alkibiades, die im gleichen Jahr erscheint. Während danach, ab 1930 dann die Laufbahn schnell vorangeht, bleibt der Makel der Rezensionen haften. In der zweiten Auflage, 18 Jahre später 1943 veröffentlicht, spricht er davon, dass das Buch von der Kritik arg zerzaust worden sei, er habe es darum völlig neu geschrieben. Und er gibt ihm nun einen Anhang bei, der über Quellen und Forschung zu jedem Kapitel eine Seite Rechenschaft ablegt. Der erste Wurf ist etwa vergleichbar mit Kantorowicz’ Buch über den Stauferkaiser Friedrich II.1 Denn in den Tönen schierer Bewunderung für geniale Machtmenschen, wie im Georgekreis üblich, zelebriert Taeger Geschichte als die Geschichte der großen Männer. Mit dem Ruf auf die Professur in Gießen 1930 geht aber die Karriere steil voran, dank seiner Parteinahme für den Nationalsozialismus: Schon im Studienjahr 1934/35 stellte er sich – im Konflikt zwischen NS-Dozentenbund und dem Rektorat – als Dekan der neuen Wissenschaft zur Verfügung.2 Sein Engagement lohnte sich, indem er 1935 nach Marburg berufen wurde und dort 1938–41 als Dekan der Philosophischen Fakultät amtierte. Also kein Sich-unsichtbar-Machen, ‚Innere Emigration‘, sondern Engagement für das ‚neue‘ Geschichtsbild in der Öffentlichkeit, für den Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften.
Von seinem Selbstverständnis identifizierte Taeger seine Aufgabe als Historiker in der Weimarer Republik mit der des Thukydides, über den er 1925 seine Habilitation verfasste. Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Teil eines Volkes, das nicht nur durch den Krieg „kriegszerschlagen und kampfesmüde“, sondern durch die Niederlage und die Schmach „niedergedrückt und matt“ sei, sieht Taeger sich zum Beruf des Historikers berufen, wie sein Vorbild Thukydides, der mit der Darstellung des Peloponnesischen Krieges zum einen entsagungsvoll ein wissenschaftliches Werk von Mythen befreit und schonungslos vorlegen will. Aber damit verbunden ist die Berufung zu „höheren Zielen“: „Das übergewaltige Erleben, die Liebe zu Heimat und Volk, die Hoffnung auf neue Größe und der Kampf um den Geist, der allein sie heraufzuführen vermochte, zwangen Thukydides den Griffel in die Hand.“3 In seinem Alkibiades, im gleichen Jahr geschrieben – ohne den Zwang der wissenschaftlichen Qualifikationsschrift –, verwahrt er sein Vorbild durch ein „Anathem“ gegen die Analytiker. Als Georgianer,4 ein Historiker also, der sich nur bewundernd den herausragenden Charismatikern5 weiht,6 erklärt er jede ‚mechanische‘ Analyse als ein Zerstören der „größten Schöpfertat in der Geschichte unserer Wissenschaft“: In den Worten des Rezensenten, Eduard Schwartz, selbst ein Thukydides-Analytiker:
„In dem ‚Thukydides‘ überschriebenen Schlußkapitel schleudert der Verf. gegen all die, welche seit Ullrich, also seit 80 Jahren, sich gemüht haben, den vielen Rätseln des thukydideischen Werkes auf entstehungsgeschichtlichem Wege beizukommen, folgenden Bannfluch [S. 293]: ‚Von manchem hat Thukydides selbst die Schleier gelüftet, und man ist klüger gewesen und hat geglaubt, sich über das hinwegsetzen zu dürfen, was der Historiker selbst von seinem Tun und Streben verrät, als ob es nicht heiligstes Gut für uns sein müßte. Mechanische Analyse hat sich unterfangen, in das geheimnisvolle Werden der größten Schöpfertat in der Geschichte unserer Wissenschaft einzudringen, hat das Werk zerlegt und geteilt, bis sie Widersprüche, Unebenheiten, Wiederholungen aufzuspüren glaubte, durch welche sie sein Entstehen aufhellen zu können wähnte. ‘“7
Neben dem – für seine gnadenlosen Verrisse8 bekannten klassischen Philologen9 Schwartz – schlug der (gleichfalls auf der Suche nach einer Professur befindliche) Fachkollege Helmut Berve im nächsten Heft des Gnomon noch einmal auf den Verfasser ein.10 Es fehle dem Phrasenschwall Taegers die Zucht und die Form eines wahren Historikers. Bei den Gemeinschaftswerken des neuen Geschichtsbildes auf die Antike fehlt Taeger in Berves Neuem Bild; Berve beteiligt sich nicht an Rom und Karthago, obwohl er die Forschungsfrage schon früh vorgibt.11 Taeger trägt ein Kapitel bei in dem nun von seinem Freund Joseph Vogt herausgegebenen Gemeinschaftswerk Rom und Karthago. Abgrenzung und Gegenkonzepte zu denen Berves sind in Taegers Werk durchweg zu greifen. Wenn man Berve eindeutige Befürwortung, ja Vordenkerschaft des Nationalsozialismus allgemein unterstellt,12 ist die Forschung bei Taeger „notorisch unsicher, wieweit eine doch sichtliche ‚Affinität‘ seines Schrifttums zum Nationalsozialismus auf die Person des Gelehrten bezogen nun wirklich reichte.“13
Die „Chance“ des Nationalsozialismus und die Frage nach der Kollaboration, nach „Schuld“
Mit ‚Forschungsgeschichte‘ hat man lange die ‚objektiven‘ Forschungen in eine Linie des Forschungsstandes einordnen können, wenn man die Vorträge und Broschüren beiseiteließ, die die Wissenschaftler im „Dritten Reich“ für das neue Geschichtsbild und dann im ‚Kriegseinsatz‘ in die nicht-universitäre Öffentlichkeit verkündeten. Für aufstrebende Wissenschaftler waren die Dozentenlager eine Herausforderung.14 Wer sich denen verweigerte, hatte wenig Chancen auf eine Karriere; die meisten sahen vielmehr eine Chance, Prestige für sich und ihre Universität zu gewinnen. Gerade die Kontinuität von Biografíen der Kriegsjugendgeneration (also der 1900 und danach Geborenen) bestimmte die NS-Zeit und die der frühen Bundesrepublik.15 Auf den ersten Blick erscheint der gleich zu analysierende Aufsatz Taegers zu Rom und Karthago 1943 zwar im Titel die Thesen des Nationalsozialismus aufzugreifen, inhaltlich aber dagegen zu argumentieren. Ein Beispiel für ideologieferne Wissenschaft? Taeger hat sich nicht widerstrebend oder pflichtgemäß dem Nationalsozialismus angeschlossen. Seine äußere Karriere in Führungspositionen zweier Universitäten zeigt ihn als Vorkämpfer der nationalsozialistischen Universitätspolitik. Dazu gehört – ein gut belegtes Beispiel –, dass er einen herausragenden Nachwuchswissenschaftler seiner Fakultät, den Romanisten Werner Krauss denunzierte, aus der Fakultät vertrieb in die Fänge der Gestapo. Nur ein Zufall verhinderte, dass das Todesurteil gegen Krauss vollstreckt wurde.16 Auch die genaue Untersuchung des Inhalts des Aufsatzes an seinem wissenschaftsgeschichtlichen Ort wird zeigen, wie Taeger hier die Ziele der nationalsozialistischen Politik im Zweiten Weltkrieg aus der Geschichte heraus bekräftigt und den Vernichtungskrieg gegen England fordert.