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Anmerkungen

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Wie bereits im Kommentar zum 2. Brief vermerkt, schickt der Sohn, um Briefporto zu sparen, „ich scheute seither immer das Porto, das euch meine Briefe verursachen“ eine Art tagebuchartiger Aufzeichnungen an seine Eltern, die bisher, nämlich seit Beginn seiner Wanderschaft am 14. Mai, recht lückenlos über die Erlebnisse und Tätigkeiten des Briefschreibers informiert worden sind. Hatte Hensoldt seinen vorhergehenden Brief zwischen dem 23. und dem 27. Mai abgefasst, ist jetzt mit dem Datum des 17. Juni eine Lücke von drei Wochen entstanden.

Wir erfahren ja auch sogleich, woran das lag: Der junge Mann ist ernsthaft krank gewesen, eine fieberhafte Magen-Darmerkrankung ist die Ursache. Hier fällt eine Neigung Hensoldts auf, die er auch in späteren Briefen mit Akribie betreibt: Krankheitssymptome werden mit großer Detailtreue, dem Leser keine Einzelheit ersparend, beschrieben. Und auch die Eltern müssen wissen, haargenau erfahren, wie malade der Sohn gewesen ist, sollen sich aber JA keine Sorgen machen! Der Tatsache, dass der Vater am Tage des Briefempfangs, dem 20. Juni, sogleich, nämlich „ad sofort“ geantwortet hat, auch Moritz nächstem Schreiben, können wir entnehmen, wie wenig die Eltern den Empfehlungen folgen, vielmehr, wie sehr sie sich um die Gesundheit des fernen Sohnes sorgen und dessen Erwartungen entsprochen haben.

Nebenbei erfahren wir auch, wie derlei Erkrankungen in jenen Zeiten therapiert worden sind, Leiden, die damals wie heute gerne im Sommer auftreten: Abführmittel und Baldrian haben es am Ende gerichtet — wir vermuten, ein gesundes Immunsystem ist vorneweg behilflich gewesen.

„Ich wohne bei sehr ordentlichen Leuten und werde gut bedient [...] Morgen ist mein Logisgeld und übermorgen mein Kostgeld fällig.“

Man bekommt eine Vorstellung, wie ein junger Mann, der sich als Geselle in einem handwerklichen Betrieb verdingte, sich über sein Logis hinaus täglich versorgte. Neben dem Logisgeld war noch ein Kostgeld zu entrichten, d.h., die Vermieter haben ihren Untermieter auch verköstigt. Wie man allerdings von Kaffee zum Frühstück und Suppe mittags und abends wieder zu Kräften kommen kann, verrät uns der genügsame Gehülfe nicht.

Immerhin hat er sich noch eine ganze Woche in die Werkstatt geschleppt und weiter gearbeitet, also bisher insgesamt eine Woche gefehlt („seit gestern vor 8 Tagen“). Da heute Freitag der 17. Juni ist, acht Tage bei Moritz Hensoldt immer eine Woche bedeuten, ist er seit Donnerstag dem 9.Juni nicht mehr bei Breithaupt gewesen. Nun will er sich noch übers Wochenende auskurieren und ab Montag, dem 20. Juni wieder zur Arbeit erscheinen.

Eine ernste Erkrankung eines Angestellten, wie die hier beschriebene, interessierte aber seinen Chef, wie wir dem folgenden Brief vom 23.06. entnehmen werden, herzlich wenig: Abwesenheit über mehr als eine Woche, krankheitsbedingt oder nicht, war ein Grund zur fristlosen Kündigung.

Die Arbeit, die Hensoldt bedauert, nun immer noch nicht zu Ende gebracht zu haben, wird der auf eine Boussole zu schraubende Theodolithen-Aufsatz sein, von dem schon die Rede war im letzten Brief. Da hoffte er, für diese Arbeit von Breithaupt einen preußischen Thaler zu erhalten. Rechnen wir diesen wieder auf die Ochsenfleischbasis um, vgl. Anhang, käme man auf einen heutigen Wert von 58,30 Euro.

Etwas mehr als drei Wochen, hat er in seinem vierten Brief geschätzt, wäre er ohne Erkrankung mit diesem Aufsatz beschäftigt gewesen, was einem Wochenentgelt von etwa 19,30 Euro für diese Stückarbeit entspräche. Wie bereits im Kommentar zu diesem vierten Brief vermerkt, erhält er dieses Geld zusätzlich zu seinem Wochenlohn.

Ein Hinweis ist jedoch schon diesem Schreiben zu entnehmen, Hensoldt schreibt nämlich, er habe „5 rth vor meiner Krankheit v. Br. auf Abschlag“ erhalten. Auf Abschlag bedeutet hier: als Vorauszahlung auf seinen Wochenlohn. Der Reichstaler war um diese Zeit keine wirklich mehr vorhandene Münze[101], kein Courantgeld mehr, allerdings wurde nach deren Wert noch gerechnet. Moritz Hensoldt meint jedoch immer preußische Taler, die er, leider verwirrend, Reichstaler, also rth, meist jedoch rth pr, also Reichstaler, preußisch nennt. Halten wir also fest: eine Abschlagszahlung von 5 preußischen Talern entspräche heutigen 291,50 €.

„Ein paar Thaler wird mich meine Krankheit doch kosten, denn ich habe jetzt allerlei Ausgaben. Mein Gold brauche ich noch nicht anzugreifen [...]“

Über Geld schreibt der junge Mann seinen Eltern oft. Nie allerdings wird er sie bitten, ihm finanziell unter die Arme zu greifen, denn er lebt sparsam und übersieht seine Einnahmen und Ausgaben. In der Werkstatt sieht er nämlich auch andere Beispiele, junge Leute, die ihm kein Vorbild sind, wenn sie sich von den wohlhabenden Eltern aushalten lassen, worüber er an anderer Stelle berichtet[102]. Wenn er in seinem nächsten Brief den Eltern schreibt, Kassel sei sehr teuer und das Verdienst bei Breithaupt niedrig, will er deren Verständnis für den Fall, dass er aus diesen Gründen Kassel vorzeitig verlässt.

„Unsere Werkstätten sind unter dem Dach, und da es seither sehr warm war, so war es bei uns oft eine Gluth, daß es kaum auszuhalten war.“

Zusätzlich zu den schlechten rechtlichen und finanziellen Arbeitsbedingungen, die in damaliger Zeit durchaus üblich waren, kommen für die Breithauptsche Belegschaft noch die räumlichen: wir lesen hier, wo die Werkstätten sich befanden: im Dachgeschoß, und da nicht isoliert, war es dort im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt. Breithaupt selbst hat seine Werkstatt und Bureau-Räume im Erdgeschoss[103].

Menzels Instrument ist nun glücklich angekommen, es soll in Kassel eine Reihe von Änderungen und Verbesserungen erfahren, eine Gefälligkeit, die Moritz Hensoldt dem Vater zuliebe übernimmt: es handelt sich um ein Zugfernrohr, also ein monokulares terrestrisches Fernrohr, wie es in damaliger Zeit gebräuchlich war. Hier lesen wir ein zweites Mal über ein Thema, das wenige Jahre später in den Briefen Carl Kellners an Moritz Hensoldt einen breiten Raum einnehmen wird[104], die Qualität von optischem Glas und Probleme bei dessen Beschaffung. Nach wie vor leisten die Glashütten Deutschlands bis auf eine Ausnahme um diese Zeit immer noch wenig.

„Br. bekommt seine Gläser auch erst von München, die beßten aus Paris, und die schlechtesten läßt er hier machen.“

Bei den Gläsern aus München handelt es sich um das optische Institut von Merz und Mahler (vormals Utzschneider und Fraunhofer), die in Benediktbeuren geschmolzenes Rohglas zu Objektiven für Fernrohre und Messinstrumente verarbeiteten und diese an Mechaniker und andere Kunden einzeln verkauften[105].Ungeschliffenes Glas, also Rohglas, es sei zu betonen, konnte man in München nicht erwerben.

1842/43, also zur Zeit von Moritz Hensoldts Aufenthalt bei Breithaupt in Kassel, gab es vier Glashütten, in denen die Herstellung guten optischen Rohglases beherrscht wurde. Alle basierten auf den Kenntnissen, die Pierre Louis Guinand (1748-1824) zunächst alleine, später in Zusammenarbeit mit Fraunhofer in Benediktbeuren erworben hatte.

Es waren dies:

1. Benediktbeuren, unter Merz und Mahler, vormals Utzschneider und Fraunhofer

2. Solothurn, Société Veuve Guinand et Th. Daguet. Ab Dezember 1845 war Daguet Alleinbesitzer

3. Paris, Rue Moffetard, unter Henri Guinand und Feil

4. Choisy le Roi südlich von Paris unter Georges Bontemps[106].

Hauptziel aller optischen Glasschmelzen war es, ein schlierenfreies Flintglas mit hoher Lichtbrechung und großer Dispersion und ein gutes Crown- oder Kronglas geringer Lichtbrechung und Dispersion herzustellen[107]. Sie waren Voraussetzung für große leistungsfähige achromatische Objektive im Teleskopbau. Daneben gab es einen zunehmenden Bedarf an Objektiven für Handfernrohre und Messinstrumente, wie Breithaupt sie herstellte. Mit Beginn der Daguerrotypie wurden Gläser mit neuen Eigenschaften für Photoobjektive erforderlich[108].

„Ich habe hier schon viele Daguerrotypien gesehen, es ist hier ein Mechanikus und Optikus Landauer [...]“

Einer für damalige Zeiten sensationellen Neuerung widmet Moritz Hensoldt einige Zeilen; der Daguerrotypie, Vorläuferin der heutigen Fotografie. Louis Jaques Mandé Daguerre (1787-1851)[109] war eigentlich Dekorations- und Landschaftsmaler, aber auch Miniaturist, Lithograph und Schriftsteller. Über gemalte Dioramen, also transparent gemalte Bilder, die von hinten beleuchtet werden, kam er 1839 auf der Suche nach neuen Möglichkeiten auf diesem Gebiet zu der nach ihm benannten Daguerrotypie:in einer Camera obscura[110]wird eine lichtempfindliche Silberiodidschicht, auf eine Silberplatte oder eine versilberte Kupferplatte aufgebracht und längere Zeit belichtet. Beim Entwickeln mit Quecksilberdämpfen scheidet sich an den vom Licht getroffenen Stellen ein weißer Niederschlag von Quecksilber ab. Nicht belichtetes Silberiodid wird durch Fixieren in Natriumthiosulfatlösung entfernt. Man erhält ein positives aber seitenverkehrtes Bild[111].

Die auf diesem Wege erhaltenen Fotos sind Unikate, sehr teuer und sehr klein, welch letzteren Umstand auch Hensoldt mitteilt: ein solches Bildchen messe 4 " hoch und 3 " breit ( " entspricht "Zoll"). In heutige Maße umgerechnet[112], vgl. auch Anhang, hatten die Bildchen eine Höhe zwischen 10,1 und 10,8 cm und eine Breite zwischen 7,6 und 8,1 cm.

Mein Bruder fand im großväterlichen Nachlass dieses Pastell. Es trägt außer der Signatur auf der linken Seite unten den Vermerk: „Sonneberg, den 12. April 1844“.

Es handelt sich zweifelsfrei um ein Jugendbildnis Moritz Hensoldts und ist genauso zweifelsfrei im April 1844 entstanden. Gemäß meiner Zusammenstellung im Epilog dieses Buches hielt sich Hensoldt um diese Zeit in Sonneberg bei seinen Eltern auf

Viele Zeichen, so die Art der Malweise, lassen vermuten, dass das Pastell in den


Bild 33: Moritz Hensoldt, Pastell, sign. Friedrich Kleffedorfer

30er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Wir sind uns auch sicher, dass unser Großvater Carl Hensoldt, Moritz Hensoldts jüngster Sohn, der Auftraggeber war. Also hat der Maler dieses Pastell nach einer Vorlage erstellt. Da passt es, dass Hensoldt in einem späteren Brief äußert, er selber wolle einige Daguerrotypien herstellen und sei dabei, hierzu eine Kamera zu fertigen[113].So liegt es nahe, dass das vorliegende Pastell nach einer Daguerrotypie erstellt worden ist. Das Original dazu ist leider verschollen.

„[...] es ist hier ein Mechanikus und Optikus Landauer, ein Jude, der macht sie und recht schön [...]“

Das wiederum Erstaunliche an diesen Sätzen ist, wie schnell eine Erfindung wie diese ihre Nachahmer gefunden hat: wir schreiben das Jahr 1842, die erste


Bild 34: Kassel'sche Allgemeine Zeitung vom 27.11.1839: Anzeige Moritz Landauers

Daguerrotypie wurde drei Jahre zuvor, am 22. September 1839, der Öffentlichkeit vorgestellt, worüber die Kasselsche Allgemeine Zeitung bereits einen Tag später minutiös berichtet[114].Und nur zwei Monate später, am 17. November 1839, wird die Anfertigung von Daguerrotypien in Kassel angeboten. Moses Landauer ist, gemäß Eintragung im Kasseler Adressbuch aus dem Jahre 1842, wohnhaft gewesen am St. Martinsplatz 95[115].Und Landauers eigener Anzeige verdanken wir das Wissen, dass er bei Daguerre höchstpersönlich in Paris ausgebildet worden ist.

Herr Lindner hatte dem letzten väterlichen Schreiben ein eigenes beigefügt, adressiert an einen Architekten Dourte. Allerdings hat Moritz Hensoldt wegen seiner Erkrankung, der räumlichen Entfernung des Adressaten von seiner Wohn- und Arbeitsstätte und wegen des Umstandes, dass er ja nur Sonntags solche Dinge besorgen kann, dieses Schreiben schon über 14 Tage unerledigt bei sich liegen.

Hensoldt selbst wohnt in der Nähe des Kasseler Messplatzes in der Oberneustadt - Näheres hierzu erfahren wir im Kommentar zu seinem 11. Brief. In dem gleichen Adressbuch, das Moses Landauer aufführt, ist auch ein Zimmermeister Franz Dourte benannt. Dieser wohnte 1840 am Leipziger Tor 4,[116].Und dieses befindet sich, siehe Stadtplan, schon ein paar Kilometer Fußweg vom Wohnsitz Hensoldts entfernt[117]. Das Thema wird im siebten Brief wieder aufgegriffen werden.

Grüßen läst der junge Mann außer Madame Höserich, die in späteren Briefen nicht mehr auftauchen wird, dieselben Personen wie in seinem vorhergehenden Schreiben, allerdings in anderer Reihenfolge. Immer ist Caroline im Übrigen dabei, von der wir nichts Näheres wissen, aber nach wie vor vermuten, dass es sich um das Hausmädchen handelt..


Bild 35: Das Palais der Stände in Kassel

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